Natürlich werden die IOC-Mitglieder ihrem Großen Vorsitzenden am Mittwoch wieder huldigen. Auf der virtuellen 137. Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) werden sie Lobeshymnen singen auf Thomas Bach (FDP/UDIOCP), 67, den sie für eine zweite vierjährige Amtszeit bestätigen – ohne Gegenkandidaten. Wer sich einen Eindruck verschaffen will von den Usancen im IOC, kann sich auf YouTube die 136. Session vom Juli 2020 anschauen, als Bach, IOC-Präsident seit 2013, seinem Wahlvolk mitgeteilt hatte, dass er weiter zur Verfügung steht.
Hier gibt es nochmal die Kurzfassungen und Einordnungen dazu:
- Personenkult im IOC: Ministrant Bach in der Tradition des Supernumerariers Samaranch
- Personenkult im IOC: The one and only Great Leader Dr. Thomas Bach
Es sollte alles so spontan wirken, und war doch inszeniert, wie immer bei Bach. Ein Drittel der IOC-Mitglieder setzte zum spontanen Jubel an, viele lasen die Hymnen von Zetteln oder Bildschirmen ab. „Führer“ war das am meisten benutzte Wort. Gepriesen wurden Bachs „Weisheit“, seine „Visionen“, seine „fantastischen“ Reden und Qualitäten, seine „Integrität, Transparenz und Menschlichkeit“. Er sei der einzige „Kapitän“, der das IOC durch schwere Wasser führen könne.
„El COI necesita de hoy más que nunca estar unido“, palabras del presidente del Comité Olímpico Dominicano, @luisinmejia, en su discurso durante la #iocsession No. 136 del Comité Olímpico Internacional, en su condición de miembro COI.#Colimdo #COD pic.twitter.com/OLrRiHh0Bm
— Comité Olímpico Dominicano (@COLIMDO) July 17, 2020
Ähnlich wird das zur Wiederwahl geschehen, nur konzentrierter. Es sind bloß vier Stunden Zeit. Von den aktuell 103 Mitgliedern wurden 55 unter Bach kooptiert. Wahrscheinlich werden ausgewählte Vertreter für die Clans der olympischen Familie sprechen: für die 206 NOK, für die 33 Fachverbände, für die Athleten, vielleicht wird wieder das IOC-Maskottchen Ban Ki-Moon auftreten und Bach bejubeln. Ban Ki-Moon, ehemaliger UN-Generalsekretär, ist Chef einer intransparent agierenden und im Grunde an die IOC-Administration angedockten Ethikkommission.
Um die Bedeutung des IOC-Führers zu unterstreichen, wird vielleicht auch ein Staats- oder Regierungschef eine Grußadresse senden, womöglich mehrere. Bach sieht sich auf Augenhöhe mit den Mächtigen dieser Welt. Das IOC hat Beobachterstatus in den Vereinten Nationen, Bach durfte zuletzt bei G20-Gipfeltreffen Wortbeiträge liefern, im IOC führen sie Buch über die vielen Treffen des Präsidenten mit den Staatschefs in aller Welt.
Es hatte alles so schön sein sollen, es war gerichtet. Glanz und Gloria, voller Symbolik, der Größe des Funktionärs angemessen: Kongress in Athen, Geburtsstätte der Olympischen Spiele der Neuzeit, mit dem obligatorischen Tagesausflug auf den Peloponnes, ins altertümliche Olympia. Dann die neuerliche Krönung für den Präsidenten. Doch nun, inmitten der Pandemie, wird es wieder nur eine virtuelle IOC-Vollversammlung, fast ohne Pomp and Circumstances.
Da Thomas Bach das IOC so eklatant dominiert wie kaum einer seiner acht Vorgänger seit 1894, vielleicht nicht einmal Coubertin oder Samaranch, war sogar darüber spekuliert worden, es könnte dereinst die Olympische Charta geändert werden, um ihm eine dritte Amtszeit zu gewähren. Raffinierte und skandalöse Amtszeitverlängerungen waren unter seinem Vorbild Juan Antonio Samaranch Usus. 1999, am Ende eines für das IOC existenziellen Krisenjahres, wurde beschlossen, dass Präsidenten nur noch acht Jahre mit vierjähriger Verlängerung regieren dürfen.
Derlei Gedankenspiele, Bachs Jünger würden beantragen, die Amtszeitbegrenzung von insgesamt zwölf Jahren aufzuheben, sind Ausdruck allgemeiner Hilflosigkeit in der Branche. Man befürchtet das Schlimmste. Denn Bachs Herrschaft weist totalitäre Tendenzen auf. Während der Präsident mit seiner kleinen Führungstruppe immer mächtiger wird und die Entscheidungen undurchsichtiger – aktuell bestens belegt an den schlagzeilenträchtigen, intransparenten Vorgängen um die Olympiabewerbung 2032 -, schwinden Einfluss und Kompetenz einfacher IOC-Mitglieder rasant.
Nie war das so deutlich wie im Jahr acht der Bach’schen Regentschaft.
Es geht dabei weniger um das Arbeitsklima in der IOC-Zentrale in Lausanne, das Mitarbeiter seit langem als deprimierendes, einschüchterndes Klima der Angst bezeichnen. Es geht auch nicht um die wenig schmeichelhaften Spitznamen, die einige Angestellte im Olympic House dem Präsidenten verpasst haben. Wobei „Sonnenkönig“, „Louis Quatorze“, „Diktator“ und „Stalin“ noch zu den nettesten zählen, weitere sollte man aus juristischen Gründen besser verschweigen. Es geht um grundsätzlichere Fragen, die sich in absehbarer Zeit rächen könnten.
Das IOC wird im Grunde nur von Bach repräsentiert, mit gewaltigen Abstrichen vielleicht noch von Bachs Kumpel John Coates, jenem Vizepräsidenten, für den die Altersbegrenzung aufgehoben wurde, der keine Interessenkonflikte kennt und in zahlreichen Funktionen, die sich eigentlich nicht vertragen, im olympischen Business rotiert – das wird seit der höchst fragwürdigen und undurchsichtigen Vorentscheidung für die Olympischen Sommerspiele 2032 in Brisbane weltweit diskutiert. Für offensichtliche Interessenkonflikte wie die von Coates hat Bach, der selbst einige Male wegen umstrittener Beraterverträge und Tätigkeiten in die Kritik geriet (Adidas, Holzmann, Siemens, MAN Ferrostaal), einst die Formulierung „vielfältige Lebenssachverhalte“ erfunden – dazu gibt es hier eine umfangreiche Serie von Beiträgen und Dokumenten.
Wen nimmt die Welt sonst noch wahr aus dem IOC, außer jenen natürlich, die in zahlreiche Korruptionsaffären und Kriminalfälle verwickelt sind und weltweit schlechte Schlagzeilen machen, die sich Irrerweise selbst suspendieren dürfen oder mitunter rausgeschmissen werden?
Das ist eine sehr wichtige Frage, wenn man davon ausgeht, dass es in vier Jahren, nach dem Abschied von Bach, noch eine selbstbestimmte Zukunft geben sollte für das stolze wie stets umstrittene höchste Gremium des Weltsports. Wer von den aktuell 103 Vollmitgliedern (abzüglich der seit Jahren selbst suspendierten, mutmaßlichen Kriminellen Patrick Hickey und Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah) verfügt über unumstrittene Kompetenzen, verbunden mit zweifelsfreier Integrität?
Im IOC ist ein gewaltiger Brain-Drain zu beobachten. Viele Mitglieder sind mit den fachlichen Anforderungen überfordert. Das Kompetenz-Defizit ist offensichtlich, und es ist ein Resultat der Politik des Präsidenten. Ja, das IOC wurde weiblicher und jünger, doch sonst? Impulse von außerhalb, die manche neue Mitglieder bringen sollten, sind schwerlich zu erkennen. Zuletzt wurden beispielsweise die ehemalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović und die saudische Prinzessin Reema Bandar Al-Saud kooptiert. Diese und andere Personalien sind kaum mehr als kosmetische Maßnahmen – Window Dressing für das IOC.
Natürlich war das IOC nie ein Entwicklungslabor für demokratische Grundtugenden. Ganz im Gegenteil. Nennenswerte oppositionelle Strömungen hat es ebenfalls nie gegeben. Die von Bach forcierte Politik des „mit einer Stimme Sprechens“ aber zeigt Wirkung: Wann hat zuletzt ein Mitglied in wichtigen Fragen die Gefolgschaft verweigert? Wann wurde die letzte wirklich offene Debatte geführt auf einer IOC-Vollversammlung? Gemeint sind ausdrücklich nicht jene peinlich-entlarvenden Ergebenheitsadressen, mit denen Bach im Juli 2020 seine Ankündigung begleiten ließ, für weitere vier Jahre anzutreten, und die gewiss am Mittwoch zu seiner Wiederwahl fortgesetzt werden.
Die Entscheidungen werden in ganz kleinen Zirkeln vorbereitet und im Grunde getroffen. Die Ethikkommission des IOC ist eine Peinlichkeit und alles andere als unabhängig. Das Sekretariat ist mitsamt der Compliance-Beauftragten quasi in die Verwaltung eingebunden. Neuerdings setzt das IOC die beiden korruptionsverseuchten olympischen Weltverbände der Gewichtheber (IWF) und der Boxer (AIBA) unter Druck und droht nach Jahrzehnten der Duldung mit dem Olympia-Ausschluss. Dabei haben zahlreiche der aktuell 35 olympischen Verbände bessere Transparenz- und Ethikregeln als das IOC. Immer mehr Verbände veröffentlichen Sitzungsprotokolle. Das IOC hat das noch nie getan, die Meetings des Exekutivkomitees und anderer Gremien sind Top Secret.
Zwar gibt es unter Bach alljährliche Finanzberichte – entscheidende Details über Vertragssummen bei TV- und Sponsor-Verträgen oder Zahlungen an einzelne Nationale Olympische Komitees wie den DOSB aber bleiben Geschäftsgeheimnis (siehe: Wie viele Millionen bekommt der DOSB vom IOC). Als Bachs mitunter brutaler Prätorianer, der alles kontrolliert und gelegentliche Abweichler sofort zurechtweist, fungiert der Belgier Christophe De Kepper. Der IOC-Generaldirektor vertritt auch in internationalen Hybrid-Gremien und Good-Governance-Gebilden gegenüber politischen Institutionen gnadenlos und trickreich die IOC-Interessen.
Auf IOC-Sessionen unter dem Präsidenten Bach wurden sehr selten Meinungen geäußert, die von der herrschenden Doktrin abwichen. Widerworte unerwünscht. Gegenstimmen noch seltener, weil sportpolitisch gefährlich und Karriere zerstörend. Die wenigen aufrechten Athletensprecher, die sich temporär widersetzten – Claudia Bokel, Adam Pengilly, Hayley Wickenheiser, auch Beckie Scott -, wurden auf vielfältige Weise attackiert, abgestraft und verleumdet.
Die IOC-Propaganda-Abteilung hat die zweite Krönungs-Zeremonie mit einem Text des IOC-Doyens Richard Pound vorbereitet. Pound, dienstältestes und extrem verdienstvolles Mitglied, gab seinen Namen für einen Kommentar her, der erklärt, warum Bach der richtige IOC-Präsident für schwere Zeiten sei und überhaupt ein fantastischer Typ. Das Pamphlet wurde in mehrere Sprachen übersetzt und in Medien weltweit veröffentlicht. So macht es das IOC seit 1999, als die PR-Weißwäscher von Hill & Knowlton mitten in der existenziellen IOC-Bestechungskrise damit begannen. IOC-Propagandachefs wie Mark Adams haben schon Vorträge gehalten und mit Zahlen belegen wollen, warum derlei Meinungsstücke effektiv sein sollen. Ich habe mir das mehrfach angehört.
In Deutschland wurde der Pound-Text in der Bach-Hauspostille Die Welt lanciert, deren Sonntagsableger seit Jahren zur Weihnachtszeit peinlich-unterwürfige PR-Interviews des Redakteurs Gunnar Meinhardt mit dem Fechtmeister veröffentlicht.
Indes, die Propaganda ändert nichts an den Tatsachen, belegt durch zahlreiche Umfragen, Studien und Bürgervoten gegen Olympiabewerbungen (wie München 2022 und Hamburg 2024): In demokratischen Nationen haben die Menschen den Zirkus durchschaut. Das Vertrauen in Sportfunktionäre und Organisationen tendiert gegen Null. Aktuellster Beleg dafür ist eine vom DOSB in Auftrag gegebene und bislang unveröffentlichte Forsa-Umfrage vom Herbst 2019. In Berlin und Nordrhein-Westfalen sollten Bürger das Image von sechs Sportorganisationen mit Noten von +5 bis -5 bewerten. Am schlechtesten schnitt jeweils die FIFA ab, am zweitschlechtesten das IOC: minus 1,7 war das Ergebnis in Berlin, minus 1,2 in NRW. Der DOSB kam wenig besser weg.
Dass sich Pound für die jüngste PR-Nummer hergab, muss alarmieren. Darin liegt auch eine gewisse Tragik, denn Pound war, neben den bereits genannten Athletensprechern, die fast alle nicht mehr Mitglieder sind, über Jahre der einzige, der Bach widersprochen hat. Pound hatte zum Beispiel davor gewarnt, die Olympischen Winterspiele 2022 zu vergeben, nachdem reihenweise die besten Bewerber an Bürgervoten gescheitert waren. Er wollte den Prozess aussetzen und gründlich überarbeiten. Bach hat das binnen Sekunden abgelehnt.
Es war sein Wille.
Das Ergebnis heißt: Peking 2022 mit seinen gigantischen Problemen. Wobei über die dubiosen Umstände der Wahl Pekings vielleicht nochmal gesprochen werden muss: Angeblich hatte auf der IOC-Session 2015 das elektronische Wahlsystem versagt, weshalb ein zweiter Wahlgang per Hand durchgeführt wurde und Peking knapp gegen Almaty gewann.
Am Dienstag, parallel zur vom IOC inszenierten Pound-Eloge, wurde ein weiterer atemraubender Bericht zu den Verbrechen an den Uiguren in China vorgestellt. Mehr als 50 weltweit anerkannte Experten schlussfolgern, dass China gegen die Klauseln der Genozid-Konvention der Vereinten Nationen verstoßen hat.
The legacy of IOC president Thomas Bach: @Beijing2022 and the Uyghur Genocide. There was no reason to get the Games to China. It was IOC’s and Bach’s holy will – under very dubious circumstances.https://t.co/aYKkKqjgQo pic.twitter.com/2JpOccCEQT
— SPORT & POLITICS (@JensWeinreich) March 9, 2021
Dieses Thema, verbunden mit Boykottaufrufen weltweit, wird das IOC in den nächsten Monaten verschärft begleiten, parallel zu den Schwierigkeiten der Corona-Spiele in Tokio. Das Problem China ist hausgemacht, zu verantworten hat das der IOC-Präsident Bach.
Richard Pound, einer der wenigen im IOC, die es inhaltlich mit Bach aufnehmen können, einer der ganz wenigen internen Mahner, marschiert längst im olympischen Gleichschritt. Bach hat in seinem Fall einen Trick aus dem Handbuch für Sportfunktionäre, Kapitel 1, angewandt: Pound wurde in jene Kommission entsandt, die jüngst unter dubiosen Umständen die Entscheidung für die Olympiabewerbung Brisbane 2032 vorbereitet hat. Mitgefangen, mitgehangen. Bezeichnend ist auch, dass die Führung des DOSB, allen voran Präsident Alfons Hörmann, dem IOC zwar „Falschaussagen“ und Wahrheitsbeugungen vorwirft, den IOC-Präsidenten aber nicht erwähnt. Das ist feige, deshalb sind derlei vermeintliche Kritiken nichts wert.
In diesem IOC läuft nichts, was dem Willen seiner Majestät widerspräche.
So ist das in totalitären Systemen.
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