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Das Olympische Bildungsmagazin

Olympische Komplizen eines abscheulichen Krieges

Es ist die sportpolitische Debatte dieser Wochen: Werden Hundertschaften russischer Sportler bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris zugelassen? „Möglicherweise“, beschwichtigt der olympische Konzernchef Thomas Bach. Man sei im Prozess von „Konsultationen“, behauptet der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), denn schließlich gehe es im Weltsport doch total demokratisch zu. Man müsse eine „Nicht-Diskriminierung“ russischer Sportler sicherstellen, das hätten Experten der Vereinten Nationen vom IOC verlangt.

Beratungen, Arbeitsgruppen, juristische Euphemismen, neuerdings irgendwelche bestellten UN-Ratschläge, garniert mit vielfältigem Lobbyismus und Propagandabotschaften – man kennt das von Bach und seiner Sportpolitik seit Jahrzehnten.

Lüften wir den Nebelschleier der Propaganda:

Drei Wochen vor dem ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine lautet der olympische Status Quo, das IOC ist fest entschlossen, russischen und belarussischen Sportlern die Teilnahme in Paris zu ermöglichen. Die Staatsdoping- und Kriegstreibernation Russland wurde und wird trotz fundamentaler und dauerhafter Verletzungen der Olympischen Charta nie komplett von den Spielen ausgeschlossen.

Immer fand Bach einen Ausweg, für Rio de Janeiro 2016, für PyeongChang 2018, für Tokio 2021, für Peking 2022 und nun wohl auch für Paris.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, zwischen Bach und dem IOC zu differenzieren. Denn Bach ist das IOC. Sein Wille geschehe. Kein Präsident vor ihm hat so eine unumschränkte Herrschaft etabliert. Es gibt keinen Widerspruch. Mit dem Kanadier Richard Pound verabschiedete sich zum 31. Dezember 2022 satzungsgemäß aus Altersgründen der letzte Olympier, der Bach hin und wieder zaghaft die Stirn geboten hat.

Die Rollen sind klar verteilt: Hier die Ukrainer, die sich gegen Putins Invasoren wehren, die ihr Land verwüsten – dort Bach, der einerseits zaghafte Sport-Sanktionen gegen Russland verhängte, andererseits aber den Russen stets beide Hände reicht. Olympiasieger Wladimir Klitschko warnt Bach in eindringlichen Botschaften. Er solle sich nicht zum „Komplizen dieses abscheulichen Krieges“ machen, die Russen seinen „Olympiasieger im Verbrechen gegen Zivilisten“, der „Verschleppung von Kindern und der Vergewaltigung von Frauen“.

Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj attackiert den IOC-Präsidenten nicht weniger wortgewaltig. Gerade lud er Bach in die Frontstadt Bachmut ein, damit der Deutsche dort „mit eigenen Augen sehen kann, dass Neutralität nicht existiert“.

Das PR-Duell mit den Ukrainern verliert der IOC-Präsident eindeutig. In der Sache aber weiß Bach die Mehrheit der Sportwelt hinter sich. Daran wird die Resolution des NOK der Ukraine nichts ändern, das am Freitag auf seiner Generalversammlung vielleicht einen Boykott-Aufruf verabschiedet. Schon tönt der russische Sportminister Oleg Matytsin, ein Boykott sei destruktiv. Ähnlich argumentieren Bach und das IOC.

Die Ukrainer haben Unterstützung von Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas und aus Lettland erhalten. Auch Polen könnten sich einer Boykottfront anschließen. Diese Debatte wird nicht verschwinden. Sie wird aber erst dann gewaltig an Fahrt aufnehmen, wenn sich größere olympische Nationen daran beteiligen sollten. Davon ist momentan nicht auszugehen, wenngleich der neue Präsident des United States Olympic & Paralympic Committee (USOPC), Gene Sykes, deutlich kritischere Worte wählt als seine Vorgängerin Susanne Lyons. Allerdings sind jähe Wendungen und ein Bruch der olympischen Einheitsfront nicht ausgeschlossen, solange die Russen sich nicht aus der Ukraine zurückziehen.

Der Krieg hat einstige Freunde entzweit, die eine wichtige Nebenrolle in der Debatte spielen. Der Ukrainer Vadym Guttsait und der Russe Stanislav Pozdnyakov gewannen 1992 in Barcelona im gemeinsamen Team der damaligen GUS-Staaten Olympia-Gold im Säbelfechten. Heute ist Guttsait Sportminister und neuerdings auch NOK-Präsident der Ukraine. Pozdnyakov ist Präsident des russischen NOK und zählt zu den ausgesprochenen Kriegs-Befürwortern.


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Guttsait hatte unlängst ein Video-Telefonat mit dem IOC-Präsidenten. Auf Facebook schrieb er danach, er habe Bach gesagt, dass russische Sportler und Offizielle aktiv am Krieg beteiligt seien. „Sie ermorden unser Volk und zerstören unsere Infrastruktur“, schrieb Guttsait. Und Russlands NOK-Präsident Pozdnyakov, sein ehemaliger Mannschaftskamerad, habe es „als Ehre für die Mitglieder der russischen Olympiamannschaft“ bezeichnet, „am Krieg gegen die Ukraine teilzunehmen“.

Was sagen eigentlich die Deutschen, was sagt der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB)?

Aktuell eigentlich gar nichts, außer dass man den Kurs des IOC unterstützt. Der DOSB bastelt an der nächsten Olympiabewerbung, gerade war der Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester (SPD) in Berlin und hat dort bei der noch Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) die Lage sondiert. Der DOSB fährt seit einem Jahr den totalen Schmusekurs mit dem IOC und ist auf Bachs Gunst angewiesen.

Olympia-Gastgeber kann nur werden, wer sich mit Bach verbündet. Die neuen, erschreckend intransparenten Bewerbungsregeln des IOC machen es möglich.

In Paris werden vom 26. Juli bis 11. August 2024 mehr als 300 Wettbewerbe in 32 Sportarten ausgetragen. Die Qualifikationen laufen bereits in den meisten Sportarten, die Regeln sind völlig unterschiedlich. Wie die Russen hier eingegliedert werden sollen, ist offen. In Europa jedenfalls nicht.

Bachs Exekutivkomitee hatte im Dezember einen anderen Kontinent gewählt: Asien. Die herausragende Rolle im Qualifikationsprozess der Russen kommt also dem Olympic Council of Asia (OCA) und den Asienspielen ab Ende September 2023 in Hangzhou in China zu. Praktisch würde das in vielen Sportarten sogar leichtere Qualifikationshürden für russische Sportler bedeuten, nicht nur in Spielsportarten wie Handball oder Volleyball, wo die Konkurrenz in Asien geringer ist als in Europa. Werden sich allerdings alle asiatischen Nationen fügen und eine Benachteiligung ihrer Mannschaften und Einzelsportler akzeptieren – oder werden sie vom IOC und den Weltverbänden verlangen, dann auch die kontinentalen Quotenplätze zu verschieben, weil ihnen die Russen ja sonst sichere Startplätze wegnehmen? 

Das letzte Wort hat dabei immer das IOC. Vieles lässt sich per Anordnung aus Lausanne lösen, manches muss mit sportpolitischen Deals arrangiert werden. Es wird ein munteres Geben und Nehmen hinter den Kulissen, bis kurz vor den Spielen in Paris. Gehandelt wird nicht nur mit Quotenplätzen, sondern auch in anderen olympischen Währungen.

Man kann fast schon davon ausgehen, dass die Russland-Debatte einen der dubiosesten Funktionäre ins IOC katapultieren wird: Husain Al-Musallam aus Kuwait, mutmaßlicher Schmiergeldzahler, aktenkundig in den FIFA-Anklagen in den USA, Dauergast in diesem Theater – und auch sonst für jede unseriöse Handlung gut.

Al-Musallam, inzwischen Präsident des Schwimm-Weltverbandes World Swimming (ehemals FINA), findet neben dieser Präsidentschaft noch Zeit für andere Hauptämter. So ist er nach wie vor, und trotz aller gut belegten Vorwürfen von Korruption, Generaldirektor des OCA. Die Eingliederung der Russen bei den Asienspielen ist seine Hauptaufgabe. Und eins gilt in der olympischen Familie als gegeben: Bach belohnt derlei heikle Sonderaufgaben umgehend.

Beispiele dafür gibt es einige, manche sind ebenfalls mit Russland verbunden. Der Spanier Juan Antonio Samaranch junior und der Türke Ugur Erdener wurden 2016 von Bach für die dreiköpfige Disziplinarkommission benannt, die vor den Sommerspielen in Rio de Janeiro die angebliche Einzelfallprüfung durchführen sollte, um die Teilnahme von hunderten Russen zu ermöglichen Samaranch und Erdener konnten damit Claudia Bokel, das dritte Mitglied dieser Kommission, stets überstimmen. Am Tag vor der Eröffnung der Rio-Spiele, noch bevor das IOC mitten in der Nacht die Einzelheiten zur russischen Teilnahme vermeldete, erhielten Samaranch und Erdener ihren Lohn für treue Sonderdienste: Sie wurden IOC-Vizepräsidenten. 

Ein zweites Beispiel hat nichts mit Russland zu tun, belegt aber ebenfalls die Machtmechanismen im Reiche des Thomas Bach: Im Februar 2021 schlug die Norwegerin Kristin Kloster Aasen, als Chefin der IOC-Kommission für künftige Sommerspiele, nach einem intransparenten und höchst dubiosen Verfahren den Olympiagastgeber Brisbane vor. Fünf Monate später wurde Brisbane von der IOC-Vollversammlung als Austragungsort der Sommerspiele 2032 nominiert. Und Kloster Aasen erhielt auf derselben Session ihre Belohnung für treue Sonderdienste: Sie wurde Mitglied des IOC-Exekutivkomitees.

So läuft das im IOC.

Die Russlandfrage werden einige Figuren für ihren Aufstieg nutzen können, allen voran Husain Al-Musallam, allen blöden Ethikfragen und Kriminalermittlungen zum Trotz. 


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