Im Jahr der olympischen Schurkenstaaten, mit Mega-Events in China und Katar, bei denen das IOC und die FIFA ekelhafte Allianzen mit Diktatoren eingehen, ist der einflussreichste investigative olympische Journalist aller Zeiten gestorben: Was würde Andrew Jennings tun im Jahr 2022? Was ist Journalismus und was Propaganda? Mein Editorial aus SPORT & POLITICS, Heft 3, der Andrew Jennings Edition. Die englische Variante, in diesem Fall das Original, gibt es an dieser Stelle.
Diese Episode würde AJ gefallen, da bin ich mir sicher. Er will, dass wir lachen. Also: Andrews Alter Ego Juan Antonio Samaranch Sr. hat akribisch Buch über seine Amtsgeschäfte als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees führen lassen. 1997 hat das IOC dazu sogar ein Statistikbuch des schwedischen Sporthistorikers und Samaranch-Fans Wolf Lyberg veröffentlicht: The seventh President of the IOC – facts and figures. Es ist eines meiner Lieblingsbücher. Darin wurde so ziemlich alles aufgeführt, was die Menschheit dringend über das Tagesgeschäft und die ersten 17 Amtsjahre Samaranchs wissen wollte:
An wie vielen Tagen Samaranch geflogen ist (2.116), die Anzahl seiner Reisetage (3.520), seiner Flugstunden (4.805), der verteilten Olympischen Orden (679), der zurückgelegten Kilometer (3.480.280), die Zahl der besuchten NOK (193) und der Staatsoberhäupter, Könige, Königinnen, Fürsten, Emire, Sultane und Premiers, denen er die Hand geschüttelt hat (179). Manche darunter, so hielt Lyberg offensichtlich begeistert fest, hatte Samaranch „vier oder gar sechs Mal besucht“!
Wow.
Warum ich daran erinnere?
Ich habe flink noch die Fotos von Samaranch gezählt, die in dem IOC-Büchlein gedruckt wurden: 92. Natürlich hat das IOC keine Fotos veröffentlicht, die Samaranch Sr. mit seinem verehrten Caudillo und mit ausgestrecktem rechten Arm zeigen.
In diesem Magazin zu Ehren von Andrew Jennings gibt es aktuell – im Moment, da ich diese Zeilen schreibe – mein Editorial muss noch bebildert werden, 29 Fotos von Andrew. Es werden vielleicht einige hinzu kommen.
92-29 also für Samaranch gegen Jennings. Ein souveräner Sieg.
Dafür finden sie in diesem Heft aber, das hätte Andrew gewollt, vier Fotos, die den Franquisten Samaranch so zeigen, wie das IOC ihn nie gezeigt hat. Und das gehört sich auch so.
Wie gesagt, Andrew würde diese Statistik gefallen. Sie, liebe Leser, werden sich aber vielleicht fragen: Verdammt, warum beginnt dieser Weinreich seinen Text mit so einer blöden Statistik über Bilder?
Ich kann Ihnen darauf eine Antwort anbieten: Weil Andrew Jennings nicht nur ein Mann der Dokumente war, wie von vielen Autoren dieses Magazins zuallererst und zurecht beschrieben – Andrew war auch ein Mann der Bilder.
Neben dem Leitspruch get the documents!, habe ich etwas anderes von Andrew gelernt, was ihm extrem wichtig war: we need colorful notes!
Ohne Dokumente hätte Andrew nie eine so fulminante Wirkung erreicht und mehrere Generationen von Journalisten prägen können. Ohne seine colorful notes aber auch nicht. Er hätte seine Leser, Zuhörer und Zuschauer sonst nie so mitreißen können. Dieser Aspekt wird oft vernachlässigt.
Manches konzentriert sich zu sehr auf jene Momente, in denen Andrew seine verbalen Attacken womöglich mal übertrieben hat. Vielleicht. Angeblich. Ich war auch nicht immer begeistert und habe darüber mit ihm diskutiert. Niemand kannte mehr und brutalere Schimpfworte als er. Und wenn ich zusammen mit ihm auf dem Podium saß, war es immer lustig.
Aber er hatte recht. Andrew und jene, die über Jahrzehnte eng mit ihm zusammengearbeitet haben, haben sich vielleicht mal geirrt, wenn es darum ging, ob Milliardenverträge der Sportkonzerne (haben wir tatsächlich mal veröffentlicht) mit grüner, roter oder blauer Tinte unterschrieben wurden. Mehr aber auch nicht. Die Wahrheit, die schrittweise ans Licht befördert wurde, war immer viel schlimmer.
Journalismus war für Andrew ein Kontaktsport, wie Lasana Liburd so schön erinnert. Es musste krachen. Dokumente wurden geliefert. Wahrheiten mussten benannt werden. Klare Worte waren nötig.
Das galt damals. Das gilt heute, wenige Tage nach Andrew Jennings’ Tod.
Es wird zu viel beschwichtigt, verfälscht und gelogen. Gerade in diesem Jahr braucht es echten Journalismus.
What would Andrew do?
Unser Freund Ezequiel Fernández Moores, einer der Autoren dieses Heftes, weiß die Antwort und hat sie mir kürzlich geschrieben: Andrew würde zu Katar recherchieren.
Kein Mensch braucht diesen sogenannten He-said-she-said-Journalismus, der angeblich ausgewogen alle Seiten zu Wort kommen lässt. Was für ein himmelschreiender Unsinn. Kein Mensch braucht diesen Whataboutismus, dieses von Heerscharen von Propagandisten gestreute Geschwafel von der sogenannten Soft Power des Sports und den angeblichen Segnungen von Mega-Events, die in Diktaturen ausgetragen werden – wie in wenigen Tagen die Olympischen Winterspiele in China und ab November die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.
Das Jahr 2022 ist ein Jahr der Schande für den olympischen Sport. China und Katar sind Sport-Schurkenstaaten, die zu keiner Zeit irgendetwas Gutes für den Weltsport kreiert haben. Staatskorruption. Gekaufte Stimmen, gekaufte Verbände, gekaufte Funktionäre, gekaufte Events, gekaufte Propagandisten, gekaufte Geheimdienstler, um Spuren der Korruption zu verwischen, gekaufte Politiker, gekaufte Institutionen, gekaufte Wissenschaftler, eingekaufte NGOs, gekaufte Athleten – etwas vergessen?
Ach ja, gekaufte Journalisten.
Katar und China sind Krebsgeschwüre der olympischen Bewegung. Das würde Andrew sagen.
Korruption ist Korruption ist Korruption.
Sportkriminalität ist Sportkriminalität ist Sportkriminalität – ob im IOC, in der FIFA, in der gewesenen IAAF (heute World Athletics), in der gewesenen AIBA (seit kurzem IBA), ob in der IBU, in der IWF, in der FIVB, im OCA, in ANOC, in CONCACAF, in CONMEBOL und vielen anderen Verbänden und Institutionen.
Verbrechen sind Verbrechen sind Verbrechen.
Korruption und Kriminalität im olympischen Weltsport sollte man nicht mit Begriffen wie „Probleme im Bereich von Good Governance“ verharmlosen.
Sagen, was ist.
Andrew würde recherchieren und fordern, dass viel mehr Verbände nach dem Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act (RICO) durchleuchtet würden, so wie im Rahmen des DOJ-Verfahrens.
Das würde Andrew tun. Und er würde Dokumente sprechen lassen.
Ohne Andrew und die Arbeit einiger anderer, viel zu wenige waren wir, wäre es nie zu den spektakulären FIFA-Verfahren gekommen. Lesen Sie dazu zum Beispiel die Texte von Steven Berryman, Special Agent in den Kriminalermittlungen, und IOC Doyen Richard Pound. Es sind ganz erstaunliche Beiträge.
Die Macht der Dokumente verbunden mit der Kraft einer guten Geschichte, gespickt mit wunderbaren Episoden – den colorful notes – und einzigartigen Bildern: James Oliver erinnert im Heft ausführlich an die sechs legendären Panorama-Filme mit Andrew Jennings. Andrew hat nicht nur Enthüllungen und Lektionen hinterlassen, sondern auch Bilder, die sich vielen Menschen eingeprägt haben:
Columbo Andrew im Regenmantel, unterwegs für die BBC im Auftrag der Aufklärung. Und hier ist dieser Mantel:
In den 1990er Jahren, als wir unsere gemeinsame Arbeit begonnen haben, mussten wir noch richtige Notizen machen, also alles aufschreiben, mit Zettel und Stift. Den jüngeren Menschen kann man es kurz mal sagen, auch wenn sie mit diesen Begriffen aus der Steinzeit nichts anfangen können. Dann gab es Faxgeräte und Floppy Disks, manchmal hat man sich Floppy Disks per Briefpost von Land zu Land geschickt. Andrew hatte, wie ich, seit 1993 oder 1994 eine Email-Adresse von Compuserve. Bei Compuserve gab es einen sogenannten Executive News Service (ENS), der uns in vielen Monaten mehrere Hundert Pfund und D-Mark gekostet hat, der aber die Angebote der Nachrichtenagenturen Reuters, AP, AFP und UPI sowie einige erste Presse-Archive beinhaltete.
So begann es.
Andrew war einer der ersten, die ich kenne, die professionell Scanner eingesetzt haben. Er hat auch seine schriftlichen Notizen gescannt. Im digitalen Zeitalter, irgendwann nach der Jahrtausendwende, sind wir dazu übergegangen, alles zu fotografieren: Nicht nur Dokumente, die uns Informanten manchmal nur kurz gezeigt haben, sondern alles mögliche. Die Digitalkamera hatte teilweise die physischen Notizen ersetzt. Und die Schnappschüsse von Destinationen, Locations und Personen waren im wahrsten Sinne des Wortes colorful.
Colorful meint viel mehr. Es war ab spätestens 2002, als ich eine TV-Dokumentation über Sepp Blatter und die FIFA begonnen hatte, als ich in enger Abstimmung mit Andrew meine Taktiken etwas änderte: Ich suchte zeitweise die Nähe. Im Fernsehen muss man das sowieso, sonst gibt es keine Bilder. Ich habe es aber einige Jahre auch für mein Blog und damit für meine eigentliche Arbeit getan, für meine journalistischen Partner. Ich spielte teilweise den good guy, jedenfalls im Vergleich zu Andrew. Das brachte die eine oder andere Erkenntnis und hin und wieder Zugänge, die es uns ermöglichten, Dokumente mit immer mehr Hintergrundwissen und Beobachtungen zu ergänzen. Es ging immer darum, das Gesamtbild zu schärfen. Und immer haben wir uns dabei eng miteinander abgestimmt. Wir folgten einem Plan, gewissermaßen.
Colorful notes, etwa aus dem Anwesen von Mohammed Bin Hammam im Oktober 2003 in Doha, als ich gemeinsam mit Bediensteten von MBH und FIFA im Nebenraum speiste, als Blatter, Grondona, Teixeira, Beckenbauer, Platini und all die Kameraden hinter verschlossenen, verspiegelten goldenen Türen dinierten. Es gab viele solcher seltenen Momente, im IOC, in der FIFA, in einigen olympischen Weltverbänden. Ich saß bei Exekutivmitgliedern auf der Couch und probierte die frisch gebackenen Weihnachtsplätzchen ihrer Gattinnen; ich habe Nächte durchzecht mit IOC-Mitgliedern; ich traf mich mit prominenten Ermittlern aus der Schlapphutbranche in Washington und anderen Destinationen; es passierte so vieles Unvergessenes, wenig davon habe ich bisher veröffentlicht. Und immer geschah das in enger Kooperation mit Andrew, mit dem ich im Januar 2011 in London auch Christopher Steele traf, jenen ehemaligen MI6-Agenten, der in Sachen WM-Vergabe an Russland 2018 ermittelte und der Jahre später mit seinem Dossier über Donald Trump weltweit Schlagzeilen machen sollte.
Jetzt stellen Sie sich folgendes vor: Andrew hatte viele Freunde wie mich. (Und ich meine nicht die vielen sogenannten FIFA-Experten, die ab 2015, nach der Verhaftungswelle und den Anklagen des DOJ, in allen möglichen Medien plötzlich wie Pilze aus dem Boden schossen – als es en vogue war, über die das kriminelle System FIFA zu berichten.) Anfangs waren wir ein halbes Dutzend – weltweit – die es ernsthaft über Jahre betrieben. Es wurden immer mehr. Untereinander kannten wir uns manchmal gar nicht persönlich.
Es reichte, wenn Andrew sagte: Dem oder der kannst Du vertrauen.
Das war der Zugangscode. Andrews Urteil.
Andrew Jennings war im besten Sinne des Wortes eine Spinne im immer weiter gesponnenen Recherche-Netzwerk. Letztlich ist es so: Kein Rückschlag konnte ihn und uns wirklich aufhalten. Eine ganz entscheidende Ergänzung dieser journalistischen Ambitionen war die Initiative von Jens Sejer Andersen, der sich mit Play the Game und allem, was diese Institution und diese Serie von Konferenzen verkörperte, ein kleines Denkmal gesetzt hat. Das Motto von Play the Game lautete in den Anfangsjahren übrigens: Home for the homeless questions in sport.
Jens hat es oft beschrieben: Diese Fragen sind mittlerweile Mainstream geworden und können nicht mehr ignoriert werden. Ich sage das, ohne Play the Game verherrlichen zu wollen, aber es ist sein historisches Verdienst. Ob Play the Game diese Tradition fortsetzen kann, wird sich zeigen.
Auch Jens Sejer Andersen war wie eine Spinne im Netz. Andrew stand für den wirklich harten Journalismus. Jens war ein enorm wichtiges Bindeglied nach Südamerika, in die akademische Welt (sofern Andrew da nicht schon selbst Kontakte geknüpft hatte, wir können darüber im Magazin einiges lesen) zu nationalen und internationalen Sportverbänden – und irgendwann auch in die Politik. Ich kenne außer einigen Lobbyisten, die teilweise von Katar bezahlt werden, keine andere Person wie Jens Sejer Andersen, vor allem keine wirklich aufrichtige Person mit derlei großen Verdiensten, die in so vielen internationalen politischen Kommissionen und Arbeitsgruppen tätig war und tätig ist – und dort Jahrzehntelang nimmermüde Lobby betrieben hat für Aufklärung, Transparenz und Korruptionsbekämpfung.
Andrew hatte auch das Potential von Play the Game und der Idee von Jens als einer der ersten begriffen und konsequent für seine Arbeit genutzt.
Was ich im Play the Game-Netzwerk – ich habe seit 2000 bei allen Konferenzen Vorträge gehalten und arbeite seit ungefähr 17 Jahren ehrenamtlich in den Programmkommissionen – vielleicht hunderte Male gesagt habe: „Lege deine Informationen auf den Tisch, teile sie mit uns, und das wird sich für uns alle lohnen. Du wirst belohnt werden. Du wirst viel mehr erhalten, als du zu geben imstande bist.“
Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Und ich glaube, auch dieses – put it on the table, join the party, you will be rewarded – ist etwas, was ich von Andrew gelernt habe.
You will be rewarded meint nicht Geld. Es meint Kooperation. Es meint Informationen. Es meint Unterstützung. Es meint Freundschaft. Es meint einen befruchtenden Austausch. Es meint Hilfe. Es meint Aufmunterung. Fragen sie Bob Munro, Laura Robinson, Declan Hill und andere Autoren dieses Heftes.
Es sind in diesem Netzwerk tiefe Freundschaften entstanden. Sie dürfen in diesem Heft viel darüber lesen. In manchen Fällen hat es geholfen, dass Personen nicht zerbrochen sind an den brutalen Ungerechtigkeiten, die ihnen widerfuhren. Meine und unsere Freundin Bonita Mersiades möchte ich stellvertretend nennen, eine Kämpferin mit einem Löwenherzen, eine Whistleblowerin, deren Buch Whatever It Takes: The Inside Story of the FIFA Way zu den mit großem Abstand weltweit besten Büchern zählt, die je über die FIFA geschrieben wurden. Selbstverständlich hat Bonita zweieinhalb Wochen, seit Andrews Tod, selbstlos mit mir an diesem Magazin gearbeitet. Sie hat alle Texte gelesen und redigiert und gemeinsam mit Mathew D. Rose alles noch einmal Korrektur gelesen.
Einige Autoren schreiben darüber, dass Andrew alle Informationen geteilt habe. Ich möchte da gar nichts entwerten, sondern nur etwa präzisieren und komme dabei wieder auf den Netzwerk-Gedanken zurück.
Wir arbeiten fast alle auf verschiedenen Märkten. Daran hat das Internet und die weltweite Instant-Verfügbarkeit von Enthüllungsgeschichten nichts Entscheidendes geändert. In der Entstehung dieses von Andrew geprägten Netzwerkes, als das Internet gerade geboren wurde – die IOC-Krise 1998/1999 war dann die erste große Krise, die durch das aufkommende Internet und den leichteren Austausch von Informationen befördert wurde – gab es fast keine Konkurrenz zwischen uns. Was Andrew in britischen Medien veröffentlichte, was Frank Brandås in Norwegen oder Thomas Kistner in der Süddeutschen Zeitung und ich damals in der Berliner Zeitung, das hatte in jedem Markt eine Exklusivität. Nur Kistner und Weinreich kamen sich etwas in die Quere und mussten sich arrangieren. Ansonsten aber konnten wir uns über die Ländergrenzen hinaus frei austauschen.
Natürlich hat Andrew viele Dokumente nie sofort mit allen geteilt. Das hat keiner von uns. Er hat aber eine Meisterschaft darin entwickelt, seine Dokumente und Geschichten unmittelbar zur Veröffentlichung vielen Freunden und Kollegen bereitzustellen. Das erhöhte die Wirkung. Und profitiert haben davon alle. Sie auch, denn hier im Blog gab es über viele Jahre Dutzende Beiträge, gespickt mit exklusiven Dokumenten, die ich gemeinsam mit Andrew erarbeitet habe – und die von Strafermittlern mit größtem Interesse studiert wurden.
Join the party. You will be rewarded.
Ich erinnere mich an einige Reisen für AJ in die Schweiz, nach Lausanne und Zürich, um dort tatsächlich nachts, und ja, tatsächlich auch in Garagen und auf Parkplätzen, Informanten zu treffen und Dokumente entgegen zu nehmen. Ab nach Hause, rein in den Scanner – und ab zu Andrew. Das war auch auf vielen Reisen auf allen Kontinenten so. Antigua fällt mir ein, Dreharbeiten Anfang 2004, es ging um einen im Grunde kriminellen Kumpel von Jack Warner, der später dennoch Minister und NOK-Präsident wurde, Paul Chet Greene. Auch dort habe ich bei den Aufständischen im Fußballverband einen Stapel Dokumente erhalten, darunter WM-Tickets, die von Greene und Warner nicht auf dem Schwarzmarkt abgesetzt werden konnten. Ab nach Hause, rein in den Scanner – und ab zu Andrew. Mit den Jahren ging das natürlich schneller und unkomplizierter.
Ich erinnere mich auch an das Frühjahr 2001, als Andrew zu mir nach Wandlitz kam und wir zwei oder drei Tage und Nächte diskutierten und Akten scannten und kopierten. Danach fuhr er weiter nach München zu Thomas Kistner zu den nächsten Sessions. „Comrade“, hatte AJ ein paar Tage zuvor geschrieben, „ich möchte, dass Du mir Nachhilfestunden gibst zur FIFA und zu ISL.“ Thomas und ich hatten damals weltexklusiv einen Zentner brisanter Dokumente. Es war mir eine Ehre, es war mir extrem wichtig, Andrew damals etwas zurückzugeben für all das Wissen, für die Freundschaft und Inspiration, die er mir gegeben hatte.
Auch hier gilt: Andrew hat bei so vielen Kollegen und Freunden derlei Nachhilfestunden genommen, wie niemand sonst. Er war der Mittelpunkt und die ewige Konstante in diesem Netzwerk, auch in den Jahren, als er schon lange nicht mehr im IOC-Bereich gearbeitet hatte, als ich mich bei vielen IOC-Terminen ziemlich einsam fühlte, oft als einziger Journalist vor Ort, der in seiner Tradition arbeitete.
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Das eine sind also die Dokumente, mit der Krönung vieler Jahre, die James Oliver in seinem wunderbaren Beitrag ausführlich beschreibt: Als AJ endlich die komplette Liste der ISL-Schmiergeldzahlungen in der Hand hielt. Es war die Belohnung für harte Arbeit. Wie die jahrelangen Enthüllungen in der Branche ankam, die Andrew beschrieben und teilweise aufgemischt hat, skizzieren zwei Insider – Dominik Schmid und Alex Phillips – von der anderen Seite in ihren Beiträgen, über die ich mich extrem freue und die dieses Heft ebenfalls zu einem besonderen machen.
So etwas haben sie noch nie gelesen: Dominik Schmid hat viele Jahre für die ISL, für KirchSport und Infront ganz eng mit FIFA, IOC und anderen gearbeitet. Alex Phillips war lange Zeit bei der UEFA und verantwortet jetzt für die FIFA als Administrator den mit zurzeit 201 Millionen Dollar gefüllten World Football Remission Fund, also jenen Fund, in denen die ersten Rückzahlungen und Strafen aus den FIFA-Prozessen flossen und den es ohne Andrews Enthüllungen kaum gegeben hätte.
Eine meiner Lieblingspassagen aus all den tollen Texten, die ich bearbeiten durfte, stammt von Alex:
„As soon as his book FOUL! came out, I ordered it. The hardback arrived and sat on my desk at work. One of the senior UEFA lawyers saw it and immediately asked to borrow it – never to be returned, in true sports governance tradition. Everyone wanted to know: what he had uncovered this time around?“
Everyone wanted to know.
Diese Ehre erarbeitet man sich nicht mit dem Nachplappern von Pressemitteilungen oder der Veröffentlichung von nichtssagenden Antworten von Pressestellen.
Everyone wanted to know.
Man nennt es Journalismus.
Lassen sie mich noch einmal zu den colorful notes zurückkommen, dieser wichtigen Ergänzung von Andrews (und unserer) Arbeit. Es ist genau deshalb kein Zufall, sondern nur logisch, dass Sie in diesem Heft einige Fotos finden (nicht nur von mir, sondern auch ein legendäres Bild von Frank Brandsås), die wir bei vielen Präsentationen und Vorträgen gezeigt haben. Joseph Blatter mit Don Julio Grondona, Jack the Ripper, Chuck Blazer mit Ricardo Tricky Ricky Teixeira – und einige andere.
Die Macht der Bilder, die Wirkung von colorful notes, nicht nur für den rein journalistischen, ganz persönlichen Verarbeitungs- und Erinnerungsprozess, sondern auch für die Produktion der verschiedenen Produkte, ob Zeitungsartikel, Bücher, Radiobeiträge, Online-Texte oder Fernseh-Dokumentationen. Andrew hat das so genau bedacht, wie niemand sonst im investigativen Journalismus, den ich kenne. Das war faszinierend.
Ich durfte viele Jahre Andrews Generalproben für Präsentationen abnehmen, nicht nur bei Play the Game, auch bei anderen Gelegenheiten. Er war ein akribischer Arbeiter. Er ist zu jedem Termin, zu jeder Konferenz mit einem perfekt vorbereiteten Manuskript gekommen. Alles darin war auf die Minute, ja beinahe auf die Sekunde getimt. Viele Witze und fesselnde Elemente waren exakt in den Manuskripten ausgearbeitet – manches kam live und spontan hinzu. Für einen wie mich, der in seinem Arbeitsleben nur selten eine Deadline eingehalten hat und der auch bei Konferenzen seine Präsentationen meist in einer verzweifelten letzten Nachtschicht erarbeitet hat, war das immer ein Rätsel, wie jemand so professionell konsequent sein kann. Es war mir immer eine Freunde, wenn Andrew mir seine Präsentationen vorab geschickt oder vor Ort auf einem Stick übergeben hat. „Comrade!“, viel mehr war nicht zu sagen. Ich habe seine Präsentationen dann redigiert, soweit nötig, habe die Dokumente und Bilder technisch aufgehübscht und Fotos hinzugefügt, über die wir gesprochen hatten und die uns amüsierten, von denen wir wussten, dass sie Wirkung erzielen.
Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass diese Schnappschüsse wichtiger Teil unserer Art des Journalismus waren. Oft hast du nur eine Chance – und die musst du nutzen. Ich könnte ihnen wahrscheinlich hundert Beispiele dafür geben und alles mit Fotos belegen, oftmals sehr schlechte und unscharfe Fotos (aber darauf kam es nicht an, denn oft durfte die Kamera nicht gesehen werden), über die Andrew und ich geradezu glücklich waren.
Diese Schnappschüsse wurden manchmal selbst zu Dokumenten, weil sie etwas belegen konnten. Um diese Fotos zu gelangen, habe ich mich ganz bewusst zum Affen gemacht. Manch einer, auch Journalisten, haben sich gefragt, was will dieser Typ da ständig mit der Kamera, ist das noch Journalismus, ist das nicht unseriös?
Ich sage nur, wie AJ: colorful notes.
Und ich sage, wie er: Have fun.
Stammgäste in diesem Theater kennen viele dieser Fotos und haben sich oft darüber amüsiert:
Was, der Schmiergeldzahler Jean-Marie Weber (ISL supremo) hat vor der Wahl der Olympiastadt 2016 für Rio de Janeiro Strippen gezogen im IOC-Hotel? (Wir haben das Foto von Weber und Havelange vor Ort.)
Was, Jean-Marie Weber hat sich mit Blatter getroffen? (Fotos vorhanden.)
Was, Jean-Marie Weber geht im IOC-Hauptquartier ein und aus, obwohl doch der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge angeblich Korruption bekämpfen wollte? (Fotos vorhanden.)
Fotos von Blatter und seinem anrüchigen Berater Peter Hargitay gefällig, am besten noch zusätzlich mit Mohamed Bin Hammam? (Fotos vorhanden.)
Einige dieser Fotos, die zuerst auf unseren Webseiten erschienen, wurden im Laufe der Jahre von vielen Medien geklaut und hunderte Male veröffentlicht.
Irgendwann wurde mir das Fotografieren im näheren Umfeld von FIFA und IOC verboten. Manchmal wurde ich abgeführt und sollte die Speicherkarten löschen.
Das sind alles Beispiele, die mit vielen Episoden verbunden sind, kleine Foto-Dokumente, winzige Teile des großen Puzzles, an dem wir über Jahrzehnte gearbeitet haben, jeder zu seiner Zeit, mancher ist schon lange raus aus diesem Business: Andrew, Frank Brandsas, Thomas Kistner, Alan Tomlinson und John Sugden, James Oliver, Lasana Liburd, unsere großartigen Compañeros aus Südamerika, Ezequiel Fernández Moores, Juca Kfouri und Lúcio Castro, um nur einige zu nennen, und viele andere mehr.
Sie alle erzählen in diesem Magazin ihre kleinen und großen Geschichten. Sie alle haben selbstverständlich viel mehr zu erzählen über die vielen Jahre gemeinsamer Recherchen. Und glauben sie mir, es gibt hunderte andere Journalisten, Whistleblower, Informanten, Freunde und Gefährten auch aus dem Sportbusiness, selten sogar aus dem akademischen Bereich, die ähnliche Geschichten erzählen könnten. Dieses Magazin erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und doch glaube ich, dass diese Texte von 53 Autoren aus 17 Ländern ein feines Dokument Sportpolitik-Geschichte kreiert haben. Wer die vergangenen 30 Jahre seit Veröffentlichung von The Lords of the Rings, diese Revolution in der investigativen sportpolitischen Berichterstattung und die Bedeutung von Andrew Jennings auch nur ansatzweise verstehen will, der sollte diese Texte aufmerksam lesen. Mehr als 50 Puzzleteile fügen sich zu einem großen Ganzen.
Liest man The Lords of the Rings heute noch einmal, mit dem zusätzlichen Wissen von 30 Jahren, fällt auf, dass es natürlich nicht das gewaltige Enthüllungsbuch ist. Das kann gar nicht anders sein. Es war der Anfang. Es war revolutionär in dieser Branche. Nicht mehr und nicht weniger.
Auf dieser Grundlage wurde Recherche etabliert im Bereich des Sports. Recherche missverstehen viele Journalisten ja bis heute – und glauben, es sei Recherche, eine Telefonnummer zu finden oder eine Email-Adresse; oder es sei Recherche, die Pressestellen von IOC und FIFA anzufragen, um deren erdichteten Propaganda-Postulate dann ungefiltert zu verbreiten. Dazu hat man früher Stoffsammlung gesagt. Heute heißt Stoffsammlung googeln.
Recherche aber beginnt in dem Moment, da man Informationen erarbeitet und veröffentlicht, die andere nicht veröffentlicht haben wollen. Ob IOC-Mitglieder, FIFA-Präsidenten, Manager von Sportvermarktungsagenturen, Politiker, Scheichs und Emire oder Weltverbandspräsidenten.
Manchmal, das ist vielleicht die hohe Kunst, oft auch mit Glück verbunden, in jedem Fall aber mit Wissen, Mut und Ausdauer, wie es Andrew Jennings gelebt hat, kann man das dann investigativen Journalismus nennen.
Ich freue mich über jeden Autoren, über jede Zeile, jede Zuarbeit, völlig unabhängig von Länge und Tiefe. Einige habe ich bereits erwähnt, einige andere möchte ich nennen, ohne damit andere Texte in irgendeiner Weise zu schmälern.
Zuallererst: Vyv Simson. Vyv ist einer der wenigen, vielleicht der einzige Autor in diesem Magazin, die ich nie persönlich kennengelernt habe. Eine Schande. Vyv hat als Co-Autor von The Lords of the Rings Sportjournalismus-Geschichte geschrieben. Er beschreibt die Anfänge der journalistischen Arbeit von und mit Andrew: „How it all began“.
Merken Sie etwas: Ich habe Sportjournalismus geschrieben.
Es wird hoffentlich das einzige Mal gewesen sein.
Denn ich glaube nicht, dass Andrew, obwohl das auch viele hochgeschätzte Autoren schreiben, ein Sportjournalist gewesen ist. Nein. Absolut nicht. Und es hat auch mit Andrew und den harten Kämpfen in der eigenen Branche zu tun (mit sogenannten Kollegen, mit Bossen in den eigenen Medien, mit den vielen als Journalisten getarnten Sport-Propagandisten), die wir besonders in den ersten Jahren führen mussten, dass ich den Begriff Sportjournalist zwischenzeitlich völlig abgelehnt und teilweise sogar als Schimpfwort empfunden habe. Inzwischen ist mir das ziemlich egal, auch wenn ich an dieser Stelle einmal mehr präzisiere: Wofür Andrew steht, was Thomas Kistner und ich in den 1990er Jahren in der Tradition von Andrew und Vyv versucht haben in unseren Büchern über das IOC (1996, 2000) und die FIFA (1998), das war von Beginn an aufklärender politischer Journalismus – auf dem Gebiet des Sports, der nationalen und internationalen Sportpolitik, an den Schnittstellen von Wirtschaft und Politik mit dem Sportbusiness.
Inzwischen nenne ich es in der Unterzeile von SPORT & POLITICS: olympische Bildung.
Das nur nebenbei: Der langjährige IOC-Generaldirektor François Carrard – die graue Eminenz des Weltsports, bis zuletzt äußerst einflussreich als Berater zahlreicher Verbände und Sportbetrüger – starb einen Tag nach Andrew. Auf der Website der International Sports Press Association (AIPS) gab es einen kurzen Nachruf auf Andrew Jennings und einen absolut begeisterten auf Carrard. Wenn man die beiden Nachrufe vergleicht, sieht man, was zusammengehört. Nicht Andrew, sondern der mächtige Beamte, der tausend Geheimnisse mit ins Grab nimmt, wurde vom AIPS-Präsidenten als Freund und Bruder bezeichnet. „Er glaubte an uns und wurde einer von uns. Worte reichen nicht aus, um ihm zu gedenken, wir werden es mit Fakten tun müssen, denn er wird weiterhin einer von uns sein.“
Das sagt alles über den so genannten Sportjournalismus.
Zu den Widerständen in der eigenen Branche könnte jeder der Autoren dieses Magazins, aus welchem Land auch immer, ein eigenes Buch schreiben. Glauben Sie mir. Jan Jensen erwähnt das nur kurz, Lúcio Castro und Jean François Tanda ebenfalls, Hajo Seppelt und Grit Hartmann gehen nicht darauf ein, haben das aber erlebt. Es ist ein wichtiger Teil der Wahrheit. Es war und ist für die meisten Freunde und Kollegen ganz entscheidend – sie alle wären nicht, was sie sind und würden nicht diese Art Journalismus betreiben, und hätten wahrscheinlich nie jene Enthüllungen machen können, für die sie bekannt sind, hätten sie nicht diese Kämpfe austragen und überstehen müssen.
Die Widerstände sind nie verschwunden. Es ist ein ewiger Kreislauf. Es gibt mittlerweile im Journalismus einige Leuchtturm-Projekte, internationale preisgekrönte Recherchen (XYZ-Leaks), die alle enorm wichtig sind; doch es gibt kaum Recherche-Journalismus im Tagesgeschäft. Jedenfalls nicht im sportpolitischen Tagesgeschäft. Kaum jemand will dafür bezahlen. Auch deshalb dominieren nach wie vor PR und Propaganda. Indes ist es, das ist das Hauptverdienst von AJ und Vyv und der von The Lords of the Rings geprägten Generationen, den internationalen Sport-Multis, ob sie IOC oder FIFA heißen, kaum noch möglich, in aufgeklärten Gesellschaften mit Propaganda Menschen zu erreichen.
Es verpufft größtenteils. Den Ruf, den globale Konzerne wie FIFA und IOC haben – also den Ruf, in einem Atemzug mit der Mafia genannt zu werden, bloß noch nicht als RICO-Organisationen eingestuft worden zu sein – den haben sie sich mit ihren vielfältigen halbkriminellen und kriminellen Vergehen selbst erarbeitet. Diese Vergehen aber sind von Journalisten ans Tageslicht gebracht worden.
Die zahlreichen Untersuchungskommissionen, die Sportorganisationen (IAAF, IOC, IWF, WADA, AIBA u.a.) in den letzten Jahren einrichten mussten, sind einzig und allein ein Ergebnis der Journalistengeneration von Jennings. Diese Generation hat Legionen von Anwälten Millioneneinnahmen beschert. Diese Untersuchungsausschüsse, ob von McLaren oder anderen, kosten ebenfalls Millionen. Eine ganze so genannte Good-Governance-Industrie, die zu einem großen Teil aus Lug und Trug besteht, basiert auf der Arbeit von Journalisten.
Das ist das Vermächtnis von Andrew Jennings und jener journalistischen Generation/en, die er geprägt hat.
Das wird bleiben.
Eine andere Seite ist etwas, worüber viele Kollegen sprechen können, aber es nicht gern tun. Es ist das, was Clare Sambrook kürzlich als Antwort auf den Nachruf in The Times geschrieben hat:
„Ihr krachender Nachruf auf meinen Partner Andrew Jennings ist in einer Hinsicht daneben. Andrew besaß keine Farm. Wir arbeiteten und lebten mit unseren kleinen Kindern in einem gemieteten Bauernhaus. Unser Vermieter (Inglewood Properties) zwang uns in den Wochen nach Andrews Schlaganfall, das Haus zu verlassen. Andrews hervorragende Berichterstattung hat ihn nicht reich gemacht. Prekarität kam mit dem Job.“
Andrews Arbeit und die vieler anderer Kollegen war und ist nie eine Arbeit für den History Channel, wie einst von englischen WM-Bewerbern und Journalisten gelästert wurde. (Habe das damals auch live gebloggt.)
Welche Idioten.
Andrews Arbeit hatte und hat gewaltige Wirkung.
Es gibt einige führende Funktionäre im Weltsport, die mir das im Laufe der Jahre so oder ähnlich gesagt haben.
Joseph Blatter war einer der ersten.
Es mag an einem Abend im Juni 2005 in Leipzig gewesen sein. Ich hatte nach einem Spiel Brasiliens beim Confederations Cup in der Hotel-Lobby auf Sepp gewartet. Als er kam, mitsamt seiner Entourage, hatte er die Option, direkt auf João Havelange zuzusteuern, der mit seinen Leuten inmitten der Lobby diskutierte, oder auf den einen nervenden Journalisten. Sepp kam zu mir und ließ sich auf eine Kneipentour einladen. Wir sind dann irgendwann in der Gottschedstraße in einer Bar gelandet. Sepp wurde ein paar Mal erkannt, manche haben ihn aber auch mit einem Pseudo-Star aus GZSZ verwechselt (ungelogen). An jenem Abend setzte Sepp also irgendwann seinen typischen Sepp-Blatter-Blick auf und sagte sinngemäß: „Es ist verrückt, was ich auch getan habe, wie viele PR-Leute ich beschäftigt und geheuert und gefeuert habe, ich konnte sie und ihre Freunde um diesen Jennings nie beikommen.“
Er hat alles versucht, mit Bann und Klagen, doch Journalismus war stärker.
Ganz simpel.
Blatter wusste, dass er dieses katastrophale Image, das die FIFA schon damals hatte, den Enthüllungen sehr weniger Journalisten zu verdanken hatte.
Lustiger Weise hatte die damalige FIFA-Ethikkommission, besetzt u.a. mit Mohammed Bin Hammam, mich im Februar 2006 offiziell zur persona non grata erklärt. Andrew, der da schon einige Jahre persona non grata war, ist natürlich an das Protokoll der sogenannten Ethikkommission gekommen. Ich habe Blatter dann während der Fußball-WM in Deutschland damit konfrontiert. Sofort wurde ich für den nächsten Morgen zum Frühstück eingeladen. Im Berliner Interconti saß ich also beim Sepp am Kaffeetisch und wollte wissen, was aus dem einstimmigen Beschluss der Ethikkommission geworden sei, warum ich dennoch eine WM-Akkreditierung bekommen habe.
Blatter machte eine Handbewegung Richtung Papierkorb und sagte: „Halten Sie mich für so blöd?“
Wahrheitsgemäß antwortete ich: „Nein.“
So ein Beschluss einer Ethikkommission müsse doch vom FIFA-Exekutivkomitee genehmigt werden, erklärte Blatter. „Und wer legt die Traktandenliste für diese Sitzung fest?“
Nur er. Soviel zum Thema Good Governance.
Warum ich daran noch einmal erinnere: Sepp hatte seine Lektion gelernt. Er wusste, dass der Bann für Andrew Jennings ein Fehler gewesen ist und die FIFA – wie einst das IOC – nur noch dümmer hatte dastehen lassen.
Und ich wusste vor zwei Wochen, dass Sepp Blatter meine Einladung, in diesem Magazin über Andrew Jennings zu schreiben, nicht ausschlagen würde. Es war eine jener Situationen, die ein Mann wie Blatter sofort für sich zu nutzen versucht. Das meine ich überhaupt nicht böse. Ich habe ihn Jahrzehnte lang studiert. Ich hatte Blatter geschrieben:
„Ich habe eine Anfrage, die so merkwürdig klingt, dass Sie die schon wieder interessant und spannend finden könnten – so zumindest habe ich Sie in Erinnerung, stets für Überraschungen gut. (…) Ich werde Jennings und seinem Werk ein Heft meines Magazins widmen. Darin werden sich viele langjährige Weggefährten äußern. Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich ebenfalls daran mit einem Text beteiligen würden. JSB über AJ. Von Mann zu Mann. Einfach so. Nach all den Jahren.“
Die erste Email verschwand im Spam-Ordner. Als die zweite Email zugestellt wurde, kam die Zusage in wenigen Minuten.
Ich werde Sepp Blatters Text aus Respekt nicht weiter kommentieren. Ich bin für diese Zuarbeit ehrlich dankbar. Blatters Zeilen sind natürlich Blatter-Like. Ich musste schmunzeln und könnte darüber ein eigenes Magazin schreiben. Eine kongeniale Ergänzung zu Sepps Contribution liefert Lord David Triesman, der ehemalige Chair der englischen FA. David beschreibt in grandioser Weise, wie besessen Blatter einst von Andrew und dessen Enthüllungen war. Ein einzigartiger, wunderbarer Text. An dieser Stelle nur ein Zitat daraus:
“For two hours, right over lunch, and without any discussion of our potential [World Cup] bid, Sepp Blatter talked about Andrew Jennings.”
Hilarious.
Danke, David.
Danke, Sepp.
Ich möchte, respektvoll, auch aus jener Email zitieren, in der mir Lord Triesman seine Zusage für einen Text gegeben hatte:
„I’d be honoured to write about Andrew. He was a significant person in my sport and personal life. Of course his legacy goes beyond journalism – you are absolutely right. Some very basic stuff about honesty and tenacity. Remarkable man. Incidentally, as the Trump years have emphasised time and again, creating conspiracy theories is also a business model and people who market it can make an absolute fortune as they did in FIFA.“
„It would be a good time for FIFA to apologise to Andrew (and possibly others) to mark his contribution to their essential journey, should they ever make it, toward honesty.“
Natürlich wird sich die FIFA nicht bei Andrew entschuldigen. Das IOC wird das ebenfalls nicht tun.
Völlig egal.
He told us so.
Andrew hat gewonnen.
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