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Das Olympische Bildungsmagazin

#NoCostsOlympics 2026 und das große Misstrauen

Auch die Vergabe Olympischer Winterspiele beschreibe ich ausführlich seit Anfang der 1990er Jahre und habe seither alle Bewerberwettkämpfe intensiv und so nah wie möglich verfolgt – inklusive der entscheidenden IOC-Sessionen live vor Ort, hier im Blog beispielsweise ausführlichst nachzulesen: 2007 in Guatemala (Vergabe an Sotschi), 2011 in Durban (Sieger PyeongChang gegen München) und 2015 in Kuala Lumpur (Sieger Peking). Seit dieser umfangreichen Analyse im vergangenen Jahr (Der Überlebenskampf: Olympische Winterspiele 2026) hat sich die Lage weiter zugespitzt: Volksentscheide in Graubünden, Tirol und im Wallis gingen krachend verloren, das Projekt Graz/Schladming 2026 nahm das Österreichische Olympische Comité (ÖOC) dann selbst aus dem Rennen, weil die politische Unterstützung fehlte.

In der vergangenen Woche habe ich aus Buenos Aires die jüngsten Entwicklungen skizziert, als das IOC sich auf die drei offiziellen Bewerber Stockholm, Calgary und Mailand/Cortina d’Ampezzo festlegte – um drei Tage später den nächsten Nackenschlag hinnehmen zu müssen, als der neu gewählte Stadtrat von Stockholm das Projekt zunächst beerdigte.

Bevor ich mich kommende Woche im Magazin Sport & Politics ausführlich dazu äußere, habe ich für den SPIEGEL eine kleine Lagebeschreibung gedichtet. Dieser Text hier nun wie gewohnt leicht erweitert und mit einigen Dokumenten versehen.

https://www.jensweinreich.de/produkt/sap-magazin-jahresabo/

* * *
Er kann es nicht lassen. Wo immer Thomas Bach sich etwas länger aufhält, muss der IOC-Präsident seinen Gastgebern Olympische Spiele empfehlen. Jüngstes Beispiel: Buenos Aires, Metropole des unter einer gewaltigen Krise leidenden Argentiniens. Rasanter Währungsverfall und Haushaltsdefizit – doch Bach und sein argentinischer Gefolgsmann Gerardo Werthein reden über die Sommerspiele 2032 am Rio de la Plata. Dabei haben die urbanen Olympischen Jugendspiele, die am Donnerstag in Buenos Aires beendet wurden, in Sachen Kosten und Logistik wenig mit dem großen Olympia zu tun.

Angeblich sollen die Jugendspiele, für die kaum größere Sportstätten benötigt wurden, weniger als 200 Millionen Dollar gekostet haben. (Warten wir es mal ab, argentinische Kollegen haben von viel größeren Summen berichtet, Bach dagegen orakelte in Buenos Aires von einer 40prozentigen Einsparung, auf Nachfragen wollte er das plötzlich nicht präzisieren.) In Tokio, Gastgeber der Sommerspiele 2020, hat der japanische Rechnungshof gerade Gesamtkosten von 26 Milliarden geschätzt – und Tokio verfügt über eine gigantisch bessere Sportinfrastruktur als Buenos Aires.

Als Chef eines Milliardenkonzerns, der im aktuellen Olympiazyklus weit mehr als sechs Milliarden Dollar umsetzt, muss Bach sein Geschäft befeuern. Sein Vizepräsident Juan Antonio Samaranch prägte in Buenos Aires das Unwort des Jahres, als er von den No Costs Olympics sprach. Auf das argentinische IOC-Mitglied Werthein kann sich Bach ebenfalls verlassen. Multimillionär Werthein zählt zu den Prätorianern des deutschen IOC-Chefs: Im Streit um das russische Dopingsystem attackierte Werthein etliche Male die wenigen Kritiker in den eigenen Reihen.

Die Sportfreunde und Buddies Bach und Werthein in Ushuaia, Patagonien. (Foto: IOC Media)

Vor vier Jahren, als Bach nach dem Rückzug der Olympiabewerbung von Oslo für die Winterspiele 2022 eine schwere Niederlage erlitt, sprang ihm Werthein ebenfalls zur Seite und orakelte über Winterspiele in Patagonien. Davon ist nun nicht mehr die Rede, obwohl Bach vor zwei Wochen einige Stunden in Patagonien verbrachte, auf der Route des Fackellaufs dieser dritten Sommer-Jugendspiele.

Die Zahl der Olympia-Interessenten sank in den vergangenen Jahren akut, trotz der angeblichen Segnungen von Bachs viel beschworener Agenda 2020 und den tatsächlich reduzierten Pflichtenheften des IOC. Im September 2013 wurde Bach IOC-Präsident – seit Anfang 2013 scheiterten 15 Olympiabewerbungen am Widerstand von Steuerzahlern und Politikern, dazu zählen die Referenden in München (Winterspiele 2022) und Hamburg (Sommerspiele 2024). Nachdem für die Sommerspiele 2024 nur die Interessenten Paris und Los Angeles übrig geblieben waren, fasste das IOC einen historischen Doppelbeschluss und vergab die Spiele 2024 an Paris und 2028 an Los Angeles.

Hier mal die Liste seit Februar 2013 (womöglich unvollständig, wobei ein weiterer Kandidat, Lwiw, für 2022 wegen des Krieges in der Ukraine ausscheren musste), zu den meisten Bewerbungen und Abstimmungen gibt es im Blog Beiträge.

  1. Rom 2020
  2. Wien 2028
  3. Graubünden 2022
  4. Krakow 2022
  5. Oslo 2022
  6. München 2022
  7. Stockholm 2022
  8. Boston 2024
  9. Budapest 2024
  10. Rom 2024
  11. Hamburg 2024
  12. Graubünden 2026
  13. Tirol/Innsbruck 2026
  14. Wallis/Sion 2026
  15. Graz/Schladming 2026

Im Winter bleibt die Lage desaströs. Für 2018 gab es mit großer Mühe drei Bewerber, da zog das IOC rein symbolisch Annecy mit in den Endausscheid zu PyeongChang und München. Damals lief noch das alte Bewerbungsprocedere mit Applicant City-Phase und Candidate City-Finalphase. Für 2022 blieben ohnehin nur zwei übrig: Peking und Almaty.

Danach wurde das Jahrzehnte alte Procedere umgestaltet: Es beginnt nun mit einer Diskussions- und Einladungsphase, der sich eine sehr kurze Kandidatenphase anschließt – die für 2026 von Oktober 2026 bis zur Entscheidung im Juni 2019 in Lausanne dauert.

So wurde die Bewerberphase für 2026 umgemodelt, wobei sich gegen Ende weitere Änderungen ergeben: Das Q&A-Seminar für IOC-Mitglieder wird nicht mehr vorgeschaltet, sondern geht in der Wahlsession im Juni 2019 auf. (Quelle: IOC/Candidature Process OWG 2026)

Es bleibt dabei: Es geht um das Überleben der Winterspiele, nachdem im Winter-Kernland in den Alpen, wo das IOC liebend gerne wieder Spiele hätte, drei Projekte krachend bei Volksabstimmungen scheiterten: Graubünden, Innsbruck und Sion.

In der vergangenen Woche ernannte die IOC-Vollversammlung in Buenos Aires nun drei Olympiakandidaten für 2026: Calgary, Stockholm und Mailand gemeinsam mit Cortina d’Ampezzo – nur Erzurum aus der Türkei wurde aussortiert.

Schon drei Tage später folgte der nächste Rückschlag: Der neuformierte Stadtrat von Stockholm lehnte die Bewerbung ab. Doch Schwedens NOK und das Bewerberkomitee machen einfach weiter. Sie folgen der offiziellen IOC-Doktrin, wonach skeptische Politiker und Steuerzahler die Segnungen der Olympischen Spiele und deren Finanzierung nur nicht richtig verstehen – man müsse es halt besser erklären.

Auch Bach hat das schon vor Ort in Stockholm versucht. So wie er es zuvor vergeblich in Oslo und anderswo versuchte.

Stockholm tritt gemeinsam mit den weit entlegenen alpinen und nordischen Hochburgen Åre und Falun an. Für Bob, Rodeln und Skeleton wird die Bahn im lettischen Sigulda genutzt. Insofern spart man Kosten im Vergleich zur bisherigen Olympiapraxis, Kunsteisbahnen und Sprungschanzen neu zu errichten. Belastbare Zahlen sucht man im jüngsten IOC-Bericht indes vergeblich. Stattdessen behaupten Stockholms Olympiaplaner, wie IOC-Vize Samaranch, der Organisationsetat (im Fachjargon OCOG-Budget genannt) komme ohne Steuermittel aus.

Einer der vielen Tricks dabei: Die ausrichtenden Städte, Regionen und die schwedische Regierung müssen Garantien abgeben, die zwar reduziert wurden, aber immer noch die kompletten Sicherheits- und medizinischen Kosten sowie die kostenlose Bereitstellung aller Sportstätten umfassen – und die Zusicherung, etwaige Verluste des Organisationskomitees auszugleichen. Viele Fragen bleiben offen, etwa die Finanzierung des Olympischen Dorfes, oft eines der größten Probleme bei Olympia. Das Dorf wird, wie vieles andere, nicht dem OCOG-Etat, sondern dem separaten Infrastrukturetat zugerechnet. Die Kosten für Sicherheit und medizinische Versorgung, die komplett aus Steuermitteln beglichen werden, sollten sich in der Größenordnung von mindestens 500 Millionen Euro einordnen – nach oben offen.

Im kanadischen Calgary, wo am 13. November die Bürger über die Olympiabewerbung entscheiden, operiert man transparenter und nennt mehr Zahlen. Auf derzeit 610 Millionen Dollar bezifferte man beispielsweise im Parlament kürzlich die Kosten für Sicherheit und Medizin. Der OCOG-Etat soll zu 90 Prozent privat finanziert werden. Wobei zu dieser sogenannten ‚privaten Finanzierung‘ auch der IOC-Zuschuss von 925 Millionen Dollar aus dem weltweiten olympischen Vermarktungsprogramm zählt, mit dem alle drei Bewerber planen können. Insgesamt werden drei Milliarden kanadische Dollar (zwei Milliarden Euro) aus öffentlichen Kassen veranschlagt.

Mit belastbaren Zahlen kann der dritte Bewerber aus Italien nicht aufwarten. Im Grunde steht dort gar nichts fest – nur das Versprechen, den Organisationsetat hundertprozentig ‚privat‘ zu finanzieren. Dabei müssen am 11. Januar 2019 beim IOC die Unterlagen inklusive der Regierungsgarantien abgegeben werden. In Italien haben zuletzt aber schon zweimal Politiker die unausgereiften und hoch riskanten Olympiapläne von Rom beerdigt (für die Sommerspiele 2020 und 2024). Für das Winter-Abenteuer 2026 gibt es bislang keinerlei Zusagen der Regierung in Rom.

IOC-Präsident Bach setzt auf Italiens NOK-Präsidenten Giovanni Malagò, ein Feierbiest, der IOC-Leute gern mit Montecristo-Zigarren versorgt. Malagò wurde in Buenos Aires in einem schrägen Verfahren vorab als persönliches Mitglied ins IOC aufgenommen. Dabei ist laut Olympischer Charta nur ein persönliches Mitglied pro Land vorgesehen. Italien hat in Mario Pescante und Franco Carraro aber schon zwei. Berlusconis ehemaliger Sportminister Pescante scheidet Ende dieses Jahres aus, Roms ehemaliger Bürgermeister Cararro Ende kommenden Jahres. Eigentlich hätte Malagò also erst 2020 IOC-Mitglied werden können. Doch wird ihm diese Ehre schon ab 1. Januar 2019 gewährt. Zehn Tage später soll er die Bewerbungsunterlagen abliefern.

Es könnte gut sein, dass Mailand (mit Cortina), trotz vergleichsweise rudimentärer Planungen, bis dahin als einziger Kandidat übrig bleibt, weil sich Stockholm und Calgary in den nächsten Wochen offiziell verabschieden.

Es bleibt aber auch die Gefahr, dass das IOC im Januar ohne Olympiabewerber dasteht. Wetten werden angenommen. Bachs IOC versucht alles, um diese Blamage zu verhindern.

27 Gedanken zu „#NoCostsOlympics 2026 und das große Misstrauen“

  1. Könnte man. Wobei man dann auch Reno, Salt Lake City, Denver etc ergänzen müsste. Es ging mir in dieser Liste allein um Referenden bzw um Rückzüge, eingeleitet von Politikern im Wissen, das nicht durchziehen zu können. Mitunter sprachen Politiker sogar von Verantwortung, weshalb man derlei milliardenschwere Risikopläne besser begrabe.

  2. Einverstanden! Bei Sapporo, das es immerhin schon mal in eine offizielle IOC-Liste geschafft hatte, hatte ich auch eher daran gedacht, die Stadt zusammen mit Lwiw zu erwähnen…

  3. Der Trick and dieser Dialog-Einladungsphase ist ja, dass man noch mehr als vorher Interesse organisieren bzw simulieren kann. Sapporo war imho ein klassischer Fall.

    Nur ein Beispiel: Vorher mussten viel mehr Hürden überwunden werden, um als Applicant City in die erste Runde zu kommen – so musste das Questionnaire abgegeben werden mit den ersten Unterschriften der politisch Verantwortlichen. Heute reicht ein lumpiges Schriftstück des jeweiligen NOK. So lässt sich ernsthaftes Interesse vorgaukeln.

  4. Aber gerade deswegen sollte man dem IOC den Rückzug von Sapporo doch umso mehr unter die Nase reiben!?

  5. Sapporo war immer ein bisschen fake.

    PyeongChang 2018
    Tokio 2020
    Peking 2022

    Nach den Asien-Winterspielen hat sich der Scheich ein Olympia-Bekenntnis gewünscht und erhalten. Japans NOK liefert, was Bach sich wünscht, dafür sorgt schon sein Kumpel Prinz Takeda.

    Das Erdbeben brachte dann die perfekte Entschuldigung: Erst Erdbebenschäden beseitigen, dann wieder über Olympia nachdenken.

    Ich sage doch: Das neue Bewerbungssystem lässt noch mehr Spielraum für Tricks und Propagandafinten. Es ist im Grunde auch: noch undurchsichtiger.

  6. Lieber Jens,
    zwei brennende Fragen:
    1.Weiss man, wieso Almaty sich nicht beworben hat? Für die wäre diesmal ja praktisch „freie Fahrt“…
    2.Erzurum: Schwache Lira und schwächende türkische Wirtschaft Grund der Nicht-Kandidatur?

  7. 1. Almaty hat es nie so richtig begründet. Im Frühjahr gab es mal Äußerungen eines Scheich-Getreuen, Andrej Krjukow, der die 2022er Bewerbung geführt hat. Man werde es vielleicht für 2030 wieder angehen und sich bis dahin auf Weltmeisterschaften konzentrieren, sagte er. 2017 hatten sie zudem die Winter-Universiade. Da mag die taktische Überlegung eine Rolle gespielt haben, dass es nach PyeongChang und Peking nicht wieder in diese Richtung geht (letztlich war ja auch Sotschi, obwohl Europa, in Richtung Asien :)

    2. Erzurum: ja, auch das. Die Kommission von Samaranch kam nicht umhin festzustellen, dass da doch sehr viel nur auf dem Papier steht und im Vergleich zu den anderen Optionen vieles extrem unsicher und kostenintensiv ist. Unsicherer und kostenintensiver. Im Papier heißt es, auf Grundlage des türkischen Olympiagesetzes würden 75 Prozent der OCOG-Kosten vom Staat finanziert, 25 Prozent von der Stadt und Sponsoren. Auch die hatten aber nicht mal einen Budgetansatz vorgelegt. Angeblich nur zwei neue Venues nötig – angeblich hätten die vom Sportministerium bezahlt werden sollen. Usw usf. Übersetzt: Nichts Genaues weiß man nicht.

  8. Danke. Gäbe es einen Plan B bei Null Bewerbern? Vielleicht doch mit Zugeständnissen einen ehemaliger Austragungsort? Oder vielleicht doch jemanden aus dem Hut zaubern: Polen (Zakopane) inkl. Nachbarstaaten. Irgendwo müssen sie es ja machen falls Calgary UND Mailand abspringen.

  9. Köstlich.

    Und gleichzeitig verkündet das Bewerbungskomitee, eine frische Auftrags’studie‘ eines deutschen Professors (mehr dazu im Magazin) belege, dass Olympia ein Supergeschäft sei.

    #NoCostsOlympics

  10. Das repräsentative Ergebnis unserer Twitter-Umfrage: Es sollte Katar sein! Knapp vor Saudi-Arabien und Feuerland.

  11. Pingback: Kandidat, ohne zum Kandidaten gekürt worden zu sein: #NRW2032 • SPORT & POLITICS

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