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Das Olympische Bildungsmagazin

live aus PyeongChang (6): Der Fall Pound – wer kritisiert wird attackiert

Wohltäter, Friedensstifter: Inszenierung mit IOC-Präsident Thomas Bach und Südkoreas Staatschef Moon Jae-In (Foto: Greg Martin/IOC)

ALPENSIA. Im gestrigen Live-Blog von der IOC-Session habe ich die mehrstündige Diskussion zu den Auswirkungen des russischen Dopingsystems ausführlich skizziert. Zur Ergänzung empfehle ich die Berichterstattung im Live-Blog auf Insidethegames und einige andere Texte dort. Für SPIEGEL ONLINE habe ich, nach einigen Gesprächen im IOC-Hotel, eine Summary gedichtet. Hier eine überarbeitete und erweiterte Version dieses Textes, weil es mir wichtig ist und weil die Geschichte die Usancen im IOC unter Thomas Bach imho recht überzeugend beschreibt.

* * *
Im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) legt man Wert auf Etikette. So hat das dienstälteste Mitglied, Doyen genannt, auf Vollversammlungen stets das letzte Wort. Wenn der Doyen spricht, sich auch nur räuspert, wird ihm Respekt entgegengebracht. Dann lauscht das Völkchen der Weisheit des Alters. Normalerweise.

Beim korrupten brasilianischen IOC-Doyen João Havelange, der im vergangenen Jahr im biblischen Alter von 100 Jahren verstarb, war das so.

Auch bei Witali Smirnow: Der Russe, ehemals KGB-Agent und Architekt des sowjetischen Sportsystems, genoss diese Sonderstellung bis Vollendung seines 80. Lebensjahres. Seither gehört Smirnow, treuer Gefolgsmann des IOC-Präsidenten Thomas Bach, zu den Ehrenmitgliedern. Staatspräsident Wladimir Putin hat ihn mit der Führung einer Kommission beauftragt, die herausbekommen sollte, dass es in Russland doch kein Staatsdopingsystem gab. Derzeit schreitet er entspannt durch die Lobby des IOC-Hotels im Alpensia-Resort und schaut, was das Leben noch zu bieten hat für einen wie ihn.

Zu Smirnow & Co sollten Sie vielleicht diese Beiträge lesen:

Als IOC-Doyen und Nachfolger von Smirnow fungiert nun aber ein Kollege, den die Russen als einen der Drahtzieher einer angeblichen angelsächsischen Verschwörung ausgemacht haben.

Richard Pound aus Kanada, der noch bis Ende 2022 diese Rolle einnimmt, bis er das IOC mit 80 Jahren verlassen muss, ist eines der verdienstvollsten Mitglieder überhaupt in der Geschichte des Olympiakonzerns. 1978 wurde er IOC-Mitglied. Er hat in den 198oer Jahren das olympische Vermarktungssystem aufgebaut, hat in den 1990ern die ersten Milliardenverträge abgeschlossen, führte das IOC 1999 durch die existenzbedrohende Bestechungskrise von Salt Lake City, war Gründungspräsident der WADA und sprach sich 2007 als einziges IOC-Mitglied gegen die Einführung der Olympischen Jugendspiele aus. Er war gemeinsam mit seinem kanadischen Freund und Landsmann Richard McLaren an den ersten beiden Untersuchungsberichten im Auftrag der WADA beteiligt.

Ich könnte die Aufzählung beliebig verlängern, möchte aber nur noch ergänzen, dass Pounds Bücher zu den interessantesten und besten Schriftstücken zur olympischen Bewegung zählen. Oral History. Man muss diese Bücher gelesen haben, um die Jahre seit Beginn des Kommerzzeitalters (1981 auf dem Olympischen Kongress in Baden-Baden) besser verstehen und einordnen zu können.

Einer wie Pound hat keine Dankbarkeit zu erwarten, wenn er es wagt, die IOC-Führung und Thomas Bach zu kritisieren und in der Doping-Causa Russland eine abweichende Meinung zu artikulieren. Und Pound hat Bach zuletzt immer öfter kritisiert.

In der jüngsten ARD-Dopingdokumentation („Das Olympiakomplott“) von Hajo Seppelt, Grit Hartmann et al sagt er u.a.:

Es gibt keinen Raum für ernsthafte Diskussion oder Opposition. Und das Risiko ist, das ist es, was ich gemerkt habe: Du wirst zum Staatsfeind. (…) Wenn Du kritisierst, welche Maßnahmen auch immer. Es kann sein, dass er das als Chef persönlich nimmt, statt auf die Organisation bezogen. Er ist nicht flexibel darin, abweichende und möglicherweise kritische Kommentare anzunehmen.

In der ZDFzoom Doku von Markus Harm und mir, die heute Abend (22.45 Uhr MEZ) ausgestrahlt wird („Das System Olympia – Geld, Gier und Macht?“), sagt er u.a.:

Es ist immer diskussionswürdig, wie schnell wir handeln und wie effektiv wir sein können in Bezug auf diese Vergehen (Kriminalität, Doping/d.A.). Aber es gab keine Diskussionen und wir machen einfach weiter. Das Ergebnis davon ist: die Glaubwürdigkeit des IOC in vielen Teilen der Welt liegt am Boden.

Am ersten Tag der 132. IOC-Session wurde rund vier Stunden über Russland debattiert, bis Bach am Ende, wie schon 2016 in Rio, die Vollversammlung aufforderte, die Beschlüsse des Exekutivkomitees zu unterstützen.

Der Lügenbaron und schwer korrupte Russe Schamil Tarpischtschew verlaß eine bizarre Erklärung (Russland habe das beste Dopingkontrollsystem der Welt, totally independent …) und musste sich keinerlei Kritik gefallen lassen.

Und Pound? Er skizzierte einmal mehr die vielen Ungereimtheiten und Fehler, die er der IOC-Führung zuschreibt.

Whistleblower werden nicht geschützt, man habe achtzehn Monate verloren und stehe jetzt ähnlich schlecht da, wie vor den Sommerspielen 2016. Damals hätten führende IOC-Mitglieder die Ermittlungsergebnisse von Richard McLaren als Spekulation bezeichnet, bis zwei hausinterne Kommissionen Ende 2017 diese Ergebnisse vollends bestätigten. (Auf die Verlinkung zu Dutzenden Beiträgen verzichte ich an dieser Stelle.)

In weiten Teilen der Welt und unter den meisten Sportlern hat das IOC an Ansehen verloren …

… sagte Pound. Man habe es nicht vermocht, saubere Sportler und den olympischen Wettbewerb zu schützen.

Wir reden mehr, als das wir handeln. Unsere Taten müssen aber beweisen, dass wir meinen, was wir sagen.

Wer derlei abweichende Ansichten zu Protokoll gibt, kommt nicht ungeschoren davon.

Nichts wird im IOC dem Zufall überlassen.

Sofort meldeten sich Mitglieder zu Wort, die zu den treuesten Verbündeten von Bach zählen, und attackierten Pound in selten erlebter Schärfe. Natürlich Sam Ramsamy aus Südafrika, verheiratet mit einer Deutschen – die Familien Ramsamy und Bach verbringen viele Abende miteinander. Natürlich Typen wie Mamadou Diagna Ndiaye aus dem Senegal: „Nicht die Medien führen das IOC“, sagte er, weil Pound halt ständig mit Journalisten redet.

Wir klären die Dinge allein. Lasst uns unsere Institution nicht attackieren!

Ndiyae sagte noch etwas, dass ebenfalls auf Pound gemünzt war: Jeder Taxifahrer dürfe seine Meinung haben.

Der IOC-Doyen, ein Taxifahrer.

Die schärfste Attacke aber führte Bachs Paladin aus Argentinien, Gerardo Werthein. Pound solle weniger mit Journalisten reden, sondern als Doyen das IOC schützen, verkündete Werthein. Wer ständig an die Presse gehe, respektiere die anderen Mitglieder nicht, säe Zweifel und diskreditiere die Arbeit der Kommissionen. Pounds Kritik sei unfair, er müsse begreifen, dass im IOC Demokratie herrsche.

Ein gutes Dutzend Claqueure, darunter einige, die erst unter Bach ins IOC aufgenommen wurden, priesen in salbungsvollen Worten die Politik des Großen Vorsitzenden.

Schließlich gab Thomas Bach dem Kanadier Pound und der Session eine Geschichte zum besten: Tags zuvor sei er im Olympischen Dorf von einem kanadischen Sportler angesprochen worden, der ihm die Hand drückte und sich für die konsequente Politik der IOC-Führung bedankte.

Pound war aufgebracht. Bach erlaubte ihm eine Replik. Es sei erschreckend zu hören, er dürfe nicht mit der Presse reden und solle überhaupt nicht öffentlich reden, sagte Pound. Offenbar seien „Meinungen nicht erwünscht, die von den Beschlüssen des mächtigen Exekutivkomitees abweichen“.

Einige Stunden später sprach ich ihn im Intercontinental Hotel. „Ich war wütend“, sagte er. Es sei brutal, wie Bach seine Prätorianer einsetze.

In Rio haben sie den WADA-Präsidenten Craig Reedie verbal vernichtet, diesmal mich. Das hat Methode.

In schweren Stunden hilft ein Glas Rotwein. Auch sucht Pound, der stolz ist auf seine schottischen Wurzeln, gern Trost in der Historie. Beim Schottenkönig Robert the Bruce etwa. Der hatte eingangs des vierzehnten Jahrhunderts eine Schlacht gegen die Engländer verloren. „Ich gehe jetzt in die Berge und ruhe mich in meiner Höhle aus“, soll er danach gesagt haben. „Dann komme ich zurück und kämpfe weiter.“ So wird es geschehen.

Die Historie hat Pound schon bemüht, als er 2001 nach seiner schwersten Niederlage im IOC gemeinsam mit seinem schottisch-kanadischen Freund Les McDonald †, langjähriger Boss des Triathlon-Weltverbandes, mit Whiskey an einer Moskauer Hotelbar trauerte. Damals war er, der Retter des IOC in der existenzbedrohenden Salt-Lake-City-Krise, bei der Präsidentenwahl nicht nur am Belgier Jacqes Rogge gescheitert, er hatte sogar weniger Stimmen bekommen als der schwer korrupte Südkoreaner Kim Un Yong †, den Pound eigentlich aus dem IOC rausschmeißen wollte.

Das war die Höchststrafe.

Ein paar Wochen lang wollte Pound hinschmeißen.

Kürzlich hat er mir in Eindhoven erzählt, dass Juan Antonio Samaranch †, um dessen Nachfolge es in Moskau ging, vor der Wahl zu ihm gekommen war und ihm erklärt habe, dass er leider nicht IOC-Präsident werden könne. Samaranch hatte sich für Rogge entschieden, auch um Kim zu verhindern.

Richard Pound wird das alles in einem weiteren Buch aufschreiben, davon darf man ausgehen.

Vier Jahre hat Pound noch, bis er am 22. März 2022 seinen 80. Geburtstag feiert und am 31. Dezember 2022 seine IOC-Mitgliedschaft endet. Vier Jahre wird er der Stachel im Fleisch sein, das schlechte Gewissen des IOC, ein glaubhafter Gesprächspartner für Medien weltweit.

Er wird seine Kritik immer wieder artikulieren.

Dann komme ich zurück und kämpfe weiter.

Robert de Bruce

Nachtrag, 16.06 Uhr, gerade geschehen: Am zweiten Tag der Session, am Mittwoch, beließ es Pound allerdings bei versöhnlichen Tönen. Da er PyeongChang bereits am 23,. Februar verlassen wird, bat er darum, sein kurzes Schlusswort, das ihm als Doyen zusteht, bereits heute zu halten – und nicht nach dem letzten Teil der Session am 25. Februar, wenn die neuen Athletenvertreter vereidigt werden. Auf die Ereignisse gestern ging Pound nur minimal ironisch ein. Er bedankte sich für die Diskussion, die „weitgehend gesund verlaufen“ sei, wie er formulierte.

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Auch diesmal wird es für einige Beiträge eine olympische Bezahlschranke geben, denn ich blogge hier ja nicht nur aus Spaß. Es ist ein Job, ich muss davon leben.

Nebenan im Shop finden Sie einige Optionen – ob Olympiapass oder Jahresabo -, wie Sie die Winterspiele hier gemeinsam mit mir verbringen und Journalismus finanzieren können.

Dieses Magazinprojekt, in das ich schon Monate investiert habe, wird in PyeongChang nun endlich durchgezogen:

Ich wünsche Ihnen und Euch viel Vergnügen in diesem Theater in den nächsten Wochen (und darüber hinaus) und hoffentlich viele erhellende Momente.

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