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Das Olympische Bildungsmagazin

Offene Fragen zur merkwürdigen IOC-Wahl von Peking 2022 #EVS #DetNorskeVeritas #Samsung

Foto: IOC Media.

Foto: IOC Media.

KUALA LUMPUR. Aus gegebenen Anlass und um Missverständnisse auszuräumen, veröffentliche ich nach meinem umfassenden live-Blog einen zweiten Beitrag zur (nach Ortszeit gestrigen) Vergabe der Olympischen Winterspiele 2022 an Peking. Ich stelle diesen Beitrag sogar frei zur Verfügung – obwohl Journalismus Geld kostet und ich für diese Reise nach Katar und Malaysia rund 3.000 Euro bezahlt habe, die ich teilweise über das Bezahlsystem LaterPay refinanzieren möchte.

Wer meint, dass derartige Texte einen Mehrwert bringen und dauerhaft bessere Recherche und Hintergründe nötig sind, kann am Ende des Beitrages einen der angebotenen Pässe buchen und/oder in meinem Shop vorbei schauen und dort Journalismus finanzieren. Klar, sonst kann es derlei Texte künftig nicht mehr geben.

Ich habe die bekennende Bach-Anhängerin Nicole Hoevertsz aus Aruba, die in Kuala Lumpur Chef der IOC-Wahlkommission war, vorhin noch via Twitter gefragt, ob irgendwann mit einer transparenten Erklärung der Vorgänge zu rechnen sei…

… glaube aber nicht, dass es von diesem IOC eine solche Erklärung gibt.

Auf dem Weg ins Mandarin Oriental habe ich vor rund vier Stunden auch „Head of the Executive office of the President at International Olympic Committee“, Jochen Färber, gefragt, warum das IOC nicht mehr mal Wahlprotokolle veröffentlicht, wie seit mehr als zwanzig Jahren üblich, sogar 1995 in Budapest bei der korrupten Vergabe der Winterspiele 2002 an Salt Lake City (als Bach übrigens Chef der Evaluierungskommission war, aber von den Dutzenden Bestechungsaktionen leider gar nichts mitbekommen hatte):

Egal also, ob elektronisch abgestimmt wurde oder nicht, das IOC hat unmittelbar nach den Wahlen die offiziellen Resultate in Form dieser Dokumente veröffentlicht.

Ausgerechnet diesmal aber, als es technische Probleme gab und die erste Abstimmung für ungültig erklärt wurde, Bach daraufhin nach Konsultation mit seinem Fan Nicole Hoevertsz eine schriftliche Wahl anordnete, diesmal gab es: Nichts.

Kein Papier.

Schon gar keine Erklärung.

Ich meine, es muss ja im Interesse des IOC sein, diese Panne vor der Weltöffentlichkeit klarzustellen und transparent zu erläutern.

Es hätte eine Pressekonferenz geben müssen mit dem juristischen Direktor des IOC (der stattdessen abends entspannt von der Fete des YOG-2020-Gastgebers Lausanne mit Goodie Bag zurück ins Mandarin Oriental schlenderte), mit einem Vertreter von Samsung (der IOC-TOP-Sponsor liefert die Tablets, auf denen abgestimmt wurde und die offenbar teilweise nicht funktionierten) und einem Vertreter jener Firma, die das EVS (Electronic Voting System) bereit stellt, nach dem seit der 111. IOC-Session 2000 in Sydney abgestimmt wird.

Ich habe den IOC-Propagandachef Mark Adams auch gebeten, mir Namen und Adresse dieser Firma zu geben.

Adams versprach das.

Aber sie ahnen vielleicht schon, dass das ein leeres Versprechen war.

Was ich hier wieder erlebte, war die pure Arroganz und das totale Unverständnis, irgendetwas klarstellen zu müssen.

Zum EVS habe ich übrigens 2009 nach einigen Hinweisen von IOC-Mitgliedern mal diesen englischen Text gehobelt:

Offenbar fälschlicher Weise habe einige Male erzählt/geschrieben, es sei eine norwegische Firma, die EVS für das IOC bereitstellt. Habe das offenbar mit Det Norske Veritas verwechselt, worauf IOC-Generaldirektor Christophe De Kepper stets vor Wahlen verweist. Det Norske Veritas ist eine Zertifizierungsgesellschaft ähnlich dem deutschen TüV, wenn ich das richtig verstehe.

Aber bitte, es geht hier um ein Milliardenbusiness, ich wiederhole mich: Das IOC wäre in der Pflicht, all diese Details transparent zu machen. Aus Sicht des Olympiakonzerns IOC und mit einer Lieblingsvokabel von Thomas Bach müsste man sogar sagen: Wer das nicht transparent macht und also nicht „proaktiv handelt“, der fügt dem IOC immateriellen Schaden zu, weil er duldet, das weltweit über mögliche Unregelmäßigkeiten spekuliert wird und weil weltweit über das IOC und den Technologiekonzern Samsung gelacht wird, die es nicht fertig bringen, eine simple elektronische Wahl technisch sauber durchzuführen.

Um es einigermaßen rund zu machen, fürs erste und heute Nacht (in fünf Stunden geht die IOC-Session weiter), hier noch meine erste Analyse von vor Mitternacht, mag sein, dass sich einige Punkte leicht mit dem bisher in diesem Beitrag Geschriebenen doppeln. Egal. Es scheint mir nicht unwichtig. Und schon gar nicht möchte ich irgendwelche Sachverhalte missverständlich oder falsch darstellen – auch deshalb die lange Rede.

Und noch einmal, Verzeihung: Sie können diese Art Journalismus finanzieren, in dem Sie am Ende des Beitrages Pässe für dieses Blog buchen und/oder in meinem Shop einkaufen.

In Verbindung mit meinem heutigen live-Blog sollten Sie einigermaßen exquisit informiert sein :)

* * *

Chinas Hauptstadt Peking richtet als erste Stadt nach den Sommerspielen auch die Winterspiele aus. Außenseiter Almaty aus Kasachstan musste sich bei der Abstimmung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) überraschend knapp mit 40:44 Stimmen geschlagen geben. In der Geschichte der Spiele hat es nur fünf Mal eine engere Entscheidung gegeben. Almaty punktete damit, dass nur zwei Sportstätten – eine Bob- und Rodelbahn sowie eine große Eishalle – hätten gebaut werden müssen. Kasachstan verfügt über eine große Wintersporttradition, und es gibt dort ausreichend Schnee, den die Chinesen mit gigantischen Schneekanonen produzieren müssen und dafür das im Nordosten des Landes angespannten Wasser-Reservoir enorm belasten.

Olympiaplaner, denen ich durchaus vertraue und die mit den Umständen vertraut sind, erzählten mir, dass die Spiele in Peking und der Bergregion von Zhangjiakou die Kosten der Winterspiele 2014 in Sotschi von 50 Milliarden Dollar bei weitem überschreiten und vielleicht sogar einen dreistelligen Milliardenbetrag fordern. Offiziell aber werden die Infrastrukturprojekte wie Autobahnen und eine Schnellzugstrecke nicht den Olympia-Etats zugerechnet – neben anderen Unstimmigkeiten. Insofern bleibt das IOC in seiner Tradition des Gigantismus treu, obwohl doch Präsident Thomas Bach mit seiner so genannten Agenda 2020 angeblich auf Nachhaltigkeit und Kostenreduzierung setzt. Elementare Fragen der Menschenrechte in den Bewerberländern Kasachstan und China wurden auf der 128. IOC-Vollversammlung gar nicht erst thematisiert.

Bach entschied auf Vorschlag seiner Wahlkommission, der ersten Runde, bei der mit einem elektronischen Wahlsystem abgestimmt worden war, eine zweite folgen zu lassen: diesmal schriftlich.

Angeblich hatte es Probleme mit den Tablets des IOC-Sponsors Samsung gegeben. Da seit vielen Jahren jedes IOC-Mitglied Samsung-Geräte erhält, sollte die Bedienung eigentlich niemanden vor Probleme stellen. Nur 85 von derzeit 100 Mitgliedern stimmten ab. Bach enthielt sich wie üblich, die drei Chinesen Lingwei Li, Yang Yang und Zaiqing Yu waren nicht wahlberechtigt, elf weitere Mitglieder, darunter FIFA-Präsident Joseph Blatter, blieben der Session fern.

ioc-list-2022

Im ersten Wahlgang sollen 89 Stimmen abgegeben worden sein, etlichen Mitgliedern, die Schwierigkeiten hatten, wurden neue Tablets ausgehändigt. Nicole Hoevertsz aus Aruba, die Chefin der Wahlkommission, beriet sich daraufhin mit Bach, der die schriftliche Runde anordnete. Hoevertsz zählt seit langem zu den glühenden Unterstützern von Bach.

Sofort machten Gerüchte über mögliche Manipulationen die Runde.

Bach reagierte auf die Frage von Mark Bisson (Around the Rings) unwirsch: Es sei „unfair“, auch nur eine solche Frage zu stellen. Es habe lediglich technische Probleme mit den Geräten gegeben.

Weitere Details blieb das IOC schuldig, auch zum elektronischen Wahlsystem, das auf der 111. Session im September 2000 in Sydney erstmals genutzt wurde. Seither kam es immer mal zu kleineren Zwischenfällen, etwa bei der Wahl von London zur Olympiastadt 2012, die ebenso knapp ausging (54:50 gegen Paris).

Doch nie wurde schriftlich gewählt. Erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten stellte das IOC kein Wahlprotokoll zur Verfügung.

Und nicht zu vergessen, sehr wichtig: Wenn ein zweiter Wahlgang angeordnet wird und niemand so recht weiß, was los ist, hat das natürlich Auswirkungen auf das Wahlverhalten. (Soll heißen: wahrscheinlich sind einige Stimmen gewandert, weil einige heiße Füße bekommen haben. Derlei Wanderungen können in beide Richtungen erfolgt sein. Man weiß auch das nicht. Aber reden Sie mal mit IOC-Mitgliedern über derlei Wahlen, was ich seit zweieinhalb Jahrzehnten mache und darüber berichte – selbstverständlich bleibt so ein Vorgang nicht ohne Folgen.)

Thomas Bach war im September 2013 mit Unterstützung des Chinesen zum IOC-Präsidenten gekürt worden. Wenige Wochen später überreichte er Chinas Staats- und KP-Chef Xi Jinping den Olympischen Orden. Im Februar 2014 wurde sein Verbündeter Zaiqing Yu IOC-Vizepräsident. Nun also die Olympiastadt Peking. Es sei eine „sichere und historische Entscheidung“, sagte Bach. Historisch, weil nie zuvor Winter- und Sommerspiele am selben Ort stattfanden. „Sicher, weil China liefern wird, weil China Versprechen einhält und große Erfahrungen bei der Austragung solcher Events hat.“

Auffallend oft hatte Bach zuletzt darauf hingewiesen, dass die letzte Städtekür sei, die vor seiner viel beschworenen Reformagenda eingeleitet wurde. Das ist einerseits richtig, andererseits führt es in die Irre und gehört zu ziemlich plumpen Propaganda-Manövern.

Im Pressepulk teilten bald etliche Vertreter diese eigenwillige Interpretation und erwecken gar den Eindruck, Bach habe mit der Entscheidung kaum etwas zu tun, so als habe er das Problem von seinem Vorgänger Jacques Rogge geerbt.

Tatsächlich wurde Bach im September 2013 gewählt. Der Wettbewerb um die Winterspiele 2022 begann erst Mitte November 2013, und schon damals war darüber diskutiert worden, die Sache zu verschieben und erst die Regeln zu überarbeiten.

Denn im Frühjahr 2013 hatte sich die Bevölkerung des Schweizer Kantons Graubünden gegen eine Bewerbung ausgesprochen. In München wurde die Bewerbung nach einem Bürgerentscheid eingestellt. Präzise betrachtet war die deutsche Sportführung damals selbst Schuld an der Niederlage: Denn weil alles, aber auch alles in jener Zeit der IOC-Kandidatur von Bach untergeordnet worden war, verschenkte man die historisch einmalige Gelegenheit, Winterspiele nach München zu holen. Intern gibt man das längst zu.

Eine Verschiebung der Bewerbungsfristen wäre problemlos möglich gewesen. Bach aber wollte nicht.

Und als ein Jahr später – nach den Rückzügen von Oslo, Stockholm, Krakau und Lwiw und nach Verabschiedung der Agenda 2020 auf der IOC-Session in Monte Carlo – der Kanadier Richard Pound ein letztes Mal dafür eintrat, den Bewerbungsprozess 2022 neu auszuschreiben, behandelte Bach den verdienstvollen Pound wie einen kleinen, dummen Jungen und schmetterte das Ansinnen binnen Sekunden ab.

Langjährige Vertraute wunderten über die Hartnäckigkeit, mit der Bach Ratschläge ausschlug und die simplen Fragen nicht beantworten konnte, wie er eine Wahl von Peking mit seiner Agenda übereinbringen will, die angeblich auf Kostenreduzierung, Umweltverträglichkeit und die Einhaltung von Menschenrechten in Gastgeberländern setzt. Alles Punkte, die China nicht erfüllt.

Mit diesem kolossalen Widerspruch muss das IOC leben.

Bach versuchte in der ihm eigenen Art mit einem kleinen Propagandafeldzug gegenzusteuern, der in Teilen des kleinen olympischen Medientrosses bestens verfing. So wurden am Freitag in einigen großen Zeitungen wie El Pais, FAZ und Tages-Anzeiger Meinungsstücke des IOC-Präsidenten gedruckt, die sich wie eine Entschuldigung für die Wahl von Peking interpretieren lassen.

IOC-Propagandachef Mark Adams hat 2009 vor einer IOC-Session mal einen Vortrag gehalten, auf dem er Mitgliedern erklärt, wie wirkungsvoll derlei präsidiale Kommentare sind. 20 Millionen Leser habe man damals ungefiltert erreicht, freute sich Adams nach der ersten Aktion dieser Art. In Deutschland wurde damals wie heute die Frankfurter Allgemeine Zeitung als IOC-Postille ausgesucht.

* * *

Die neuen Regeln in diesem Blog habe ich ausführlich erläutert und am 20. Juli während eines Besuches bei der FIFA erstmals ausprobiert.

  • Besonders aufwändige Beiträge und derlei irre live-Blogs aus allen Ecken der Welt sind ab sofort gegen eine kleine finanzielle Entschädigung zu haben. Das wird manchen gewiss einleuchten. Reisen, Recherche und Expertise kosten mich eine Menge – darauf habe ich in den vergangenen Jahren, in denen ich aus etwa 25 Ländern auf sechs Kontinenten einige Male wochenlang Tag und Nacht gebloggt habe,mitunter hingewiesen.
  • Das Blog gibt es nun auch im Abonnement – bei LaterPay und im Shop.
  • Via LaterPay (ein FAQ dazu folgt) können Sie (könnt Ihr) IOC-Tagestickets oder andere Zeitpässe buchen.
  • Ein Tagesticket für die IOC-Berichterstattung aus Kuala Lumpur kostet 1,99 Euro (inklusive Zugang zu mehr als 1.100 Beiträgen hier im Blog).
  • Die komplette Berichterstattung aus Malaysia über acht Tage ist inklusive eines Discounts nun sogar für 9,99 Euro zu haben.
  • Am Ende eines jeden Beitrages finden Sie entsprechende Pässe, auch einen Drei-Monats-Pass und ein Jahres-Abo, das ein Exemplar des Ebooks „Macht, Moneten, Marionetten“ beinhaltet.
  • Schauen Sie ruhig einmal in den Sport and Politics Shop.

Nachtrag, Samstag, 1. August: Dazu beginne ich gleich meinen neuen live-Blog, aber hier gehört es hin: Im IOC hat man sich in der Nacht darauf verständigt, dass Propagandachef Mark Adams heute Abend Informationen zur geplatzten ersten Wahl herausgeben soll. Das erklärte Nicole Hoevertsz in einer Sitzungspause.

Das kurze, zweiminütige Audio dazu:

:

Ihre wichtigsten Aussagen:

I was not confident about the integrity of the process.

We could not guarantee that the process was done in integer way. that’s why we suggested a re-vote.

last night we talked about it and we decided that he was gonna be the one to give out the information. because you have the right to be informed. I think it’s exactly the same reason why we asked for the re-vote because we wanna guarantee that the process is done in the right way.“

Q: Was the decision based on the close vote?

We would have probably questioned the integrity of the process, yes. but the fact that the vote was so closed it was so closed was an additional reason for us.“

It was not a tie. absolutely not.

Mehr im Laufe des Tages im neuen Text, der nun online ist.

Ach ja, und das Zettelchen gibt es jetzt auch:

128th IOC Session - Kuala Lumpur, 31 July 2015: Election of the Host City for the XXIV Olympic Winter Games 2022

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