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Das Olympische Bildungsmagazin

live aus PyeongChang (25): RIP, Jean-Marie Weber, größter Schmiergeldzahler der olympischen Geschichte

When they were young: João Havelange †, Jean-Marie Weber †, Joseph Blatter.

ALPENSIA. Vor ein paar Stunden trafen wir im Intercontinental Hotel das IOC-Ehrenmitglied Issa Hayatou, den langjährigen FIFA-Vizepräsidenten und zwischenzeitlichen FIFA-Boss, bis Gianni Sepp Infantino die Macht übernahm. Hayatou war mit Gemahlin unterwegs und sah besser aus als irgendwann in den vergangenen zwanzig Jahren, von denen er wer weiß nicht wie viele als Dialyse-Patient verbrachte, und in denen es sehr Ernst stand um ihn.

Die Krankheit sei besiegt, erzählte Hayatou. Er war lustig drauf, will es sich gut gehen lassen in den letzten Jahren, über so komische Themen wie das Russen-Doping, die FIFA oder die Confédération Africaine de Football (CAF), wo er drei Jahrzehnte den Ton angab, möchte er nicht mehr reden. Issa Hayatou will seinen Lebensabend genießen, herrje, er ist ja gerade einmal 71 Jahre jung.

Warum ich damit einsteige? Das Leben schreibt doch ständig seltsame Geschichten. Es ist ein Auf und Ab, wie in der Achterbahn.

In der Achterbahn der Gefühle.

Hayatou geht es also blendend. Schmiergeld hat er einst kassiert von der ISL und Jean-Marie Weber. Das IOC und seine Ethikkommission fanden das nicht so schlimm. Und Hayatou hat Weber bis zuletzt, bis es nicht mehr ging, einige kleine Jobs in der CAF gegeben. Da hatte Jean-Marie Weber eine Aufgabe. Die einstige Sekretärin der Ethikkommission, die jetzt die Funktion eines Chief Ethics and Compliance Officers bekleidet, traf ich heute ebenfalls im Intercontinental. Pâquerette Girard Zappelli hat sogar gelacht, als sie mich sah, denn sie fand mein Selbstporträt mit der ausgeliehenen, aus fünf olympischen Ringen bestehenden Brille (mal mein Twitter-Profil ansehen) lustig.

Und auch diese Begegnung war irgendwie komisch. Erst Issa Hayatou, dann Pâquerette Girard Zappelli … und drei Stunden später las ich einen traurigen Tweet von Patrick Nally, der dies alles verbindet.

Wer Nally nicht kennt: Er war mal der Partner von Horst Dassler und ist einer der Architekten des auf Top-Sponsoren fokussierten olympischen Vermarktungssystems, das in seiner Verfeinerung bis heute für die Olympischen Spiele, die Fußball-Weltmeisterschaften und die Champions League gilt. Verfeinert von Dassler, Weber, den ehemaligen ISL-Managern Hempel und Lenz, von Michael Payne, mit dem ich mich gestern in der Alibaba-Lounge unterhielt, von Richard Pound und einigen anderen.

Patrick Nally schrieb also:

Jean-Marie Weber ist gestorben.

Mein Mitgefühl gilt seiner Familie, seinen Söhnen und Enkelkindern. Seine Frau starb vor einigen Jahren. Die letzten Jahre, die Jean-Marie nach einem schweren Schlaganfall verbrachte, wünscht man so niemandem.

Manch einen werden diese Zeilen überraschen. Wer aber aufmerksam dieses Blog verfolgt und meine langjährige Berichterstattung über Jean-Marie Weber, Horst Dassler, das Adidas- und ISL-Schmiergeldsystem, wer wirklich aufmerksam gelesen hat, wird wissen, dass ich Jean-Marie Weber mochte.

Trotz allem.

Der Elsässer war, jedenfalls in seinen letzten Jahren, ein sympathischer Schmiergeldzahler, kein großer Ganove. Niemand, der sich gewaltig bereicherte. Auf dem Höhepunkt seiner Macht, als ISL-Supremo in den 1990ern war er natürlich auch kalt und brutal.

Seine Arbeitsmoral war frappierend, in jeder Beziehung. Er war ein gebildeter Strippenzieher, darin liegt vielleicht eine Logik.

Er konnte ein Charmeur sein und zugleich stocksteif und hölzern. Er hat mich mit seinem Opern-Wissen beeindruckt. Wohin Jean-Marie auch reiste, als erstes studierte er die Spielpläne der städtischen Bühnen und Opernhäuser. In dieser Beziehung war er ein Gourmet.

So ausführlich wie in diesem Blog können Sie sonst vielleicht weltweit nirgends über die ISL und all die Verwicklungen nachlesen, nachdem mein Freund Andrew Jennings seine Webseiten offline gestellt hat. Hier finden Sie übrigens auch die komplette ISL-Schmiergeldliste.

Das ISL-System war die Blaupause für viele andere Ganoven, die gerade in Brooklyn abgeurteilt werden. Wer jemals einen Blick in die Anklageschriften zum ISL-Prozess und zu den US-Prozessen geworfen hat, wird das unschwer erkennen. Es ist ein Wahnsinn, und ich hoffe, das demnächst in meinem Magazin Sport & Politics und im Korruptions-Ebook ausführlich und gut beschreiben zu können.

Jean-Marie Weber ist eine der wichtigsten Personen der olympischen Vermarktungs- und Korruptionsgeschichte.

Nach einer Eiszeit von einigen Jahren haben wir uns regelmäßig unterhalten. Auch der ISL-Strafprozess in Zug, den ich als einziger Journalist jede Minute lang verfolgte, hat daran nichts geändert.

Einmal bezahlte der eine den Rotwein und das Steak, dann der andere.

Eigentlich wäre Jean-Marie dran gewesen.

Ich wusste seit langem, dass es nie dazu kommen würde. Er konnte die Welt um sich herum lange Zeit nur noch eingeschränkt wahrnehmen.

Jean-Marie Weber wird die letzten Geheimnisse aus dem gigantischen Schmiergeldsystem von Adidas und ISL mit ins Grab nehmen.

Das hatte er mir, wenn ich mich recht erinnere, erstmals schon im Juli 2001, unmittelbar vor dem IOC-Abschied von Juan Antonio Samaranch, vor dem Bolschoi Theater in Moskau gesagt. Damals gab es Giselle, Samaranchs Lieblings-Ballett. Samaranch, der 2010 starb, saß in der ersten Reihe neben Wladimir Putin. Wenige Tage später wurde erst Jacques Rogge IOC-Präsident, dann Peking zur Olympiastadt 2008 gewählt (oder war es umgekehrt). Und ein zweiter Juan Antonio Samaranch, der Junior, wurde ins IOC aufgenommen.

Noch so ein Zufall: Über Moskau, Russland und das Vermächtnis seines Vaters unterhielt ich mich heute morgen, auf dem Weg zum Olympic Club, sehr nett mit Juan Antonio Samaranch, dem jetzigen IOC-Vizepräsidenten.

Manchmal glaube ich nicht an Zufälle.

Da hat jemand Regie geführt.

So viele Geschichten und Begegnungen binnen weniger Stunden, die sich ineinander fügen.

Jean-Marie Weber hat die meisten der gerichtlich verbrieften knapp 142 ISL-Schmiergeldmillionen persönlich verteilt. Er hat vielleicht eine ähnliche Summe zusätzlich verteilt: Im Auftrag von Horst Dassler, dem ISL-Gründer und Adidas-Zampano, der schon 1987 an Augenkrebs verstarb – und der damals auch Chef und Ausbilder jenes Mannes gewesen war, der heute als IOC-Präsident amtiert und der kein Putin-Freund sein will, und der überhaupt nie in seiner Laufbahn irgendwann von unsauberen Machenschaften Kenntnis erlangte, geschweige denn daran beteiligt war, weder bei Adidas unter Dassler, noch bei Siemens, Ferrostaal, im IOC und anderswo: Thomas Bach von der FDP.

Aber Bachs Medien-Aufpasser und Drohanwälte dürfen sich beruhigen. Es geht mir nicht um ihn, sondern um einen seiner ehemaligen Kollegen, den ich im Laufe der Jahre nahezu lieb gewonnen hatte. Ich fand es amüsant, Webers Geschichten über Horst Dassler zu lauschen, den er Chef oder meistens Patron nannte. Le Patron, denn in Landersheim im Elsass hatte Dassler die Dependance Adidas France.

Oft sagte Jean-Marie, noch mehr als zwei Jahrzehnte nach Dasslers Tod:

Sie wissen doch, Herr Weinreich, wie der Patron war!

Wusste ich nicht. Natürlich nicht. Als Dassler starb, lebte ich auf der anderen Seite der Mauer, tief im Osten, und war Student.

Hatte Jean-Marie immer wieder vergessen. Und musste darüber lachen, wenn ich ihn daran erinnerte.

Ich hätte es aber gern besser gewusst und noch mehr Geschichten von Patron gehört, der seine Mitarbeiter gern nachts anrief, dem es völlig egal war, wo wann wer sich gerade aufhielt, der immer 24/7 fürs Geschäft rackerte. Der ein Visionär war und wusste, wie er Stimmen, Personen, Events, Verbände kaufen musste – im Westen wie im Osten, im Süden und im Norden.

Deshalb nahm ich jede Chance war, mit Jean-Marie zu sprechen, wobei immer klar war, dass wir eine gewisse Schwelle nie überschreiten würden.

Das nehme ich mit ins Grab.

Dieser Satz bleibt. Jean-Marie hat ihn nicht nur mir gesagt, sondern Anwälten zu Protokoll gegeben.

Oder:

Ich müsste um mein Leben fürchten, wenn ich auspacken würde.

Noch einmal Patrick Nally:

Es fällt auf, dass zwei der prägenden Figuren des olympischen Weltsports bei den vergangenen beiden Spielen verstorben sind. Sie waren, jeder auf seine Weise, echte Olympier, bis zuletzt:

  • João Havelange, der Schmiergeldkassierer und ewige FIFA-Patron, der Partner von Horst Dassler und Patrick Nally, der Boss von Joseph Blatter, starb als Hundertjähriger während der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro.
  • Jean-Marie Weber, Dasslers Sekretär, Buchhalter und Geldbriefträger, Berater von Havelange, Blatter, Hayatou, Diack, Schmiergeldzahler für Dutzende Top-Funktionäre in IOC, FIFA, FINA, OCA, UEFA, IAAF, ATP, AIBA, FIBA usw… starb im Alter von 75 Jahren während der Olympischen Spiele 2018.

Weber hat mir oft genug gesagt, dass er deshalb mit mir spricht und gern mit mir zusammensitzt, weil er es schätzt, wenn jemand ernsthaft seinen Job macht. Er hat es zu akzeptieren gelernt, dass ich in seiner Vergangenheit wühlte und versuchte, seine Geschäfte aufzuklären, so wie meine Freunde Andrew Jennings oder Jean-François Tanda und sehr wenige andere Journalisten.

Einen halben Zentner ISL-Dokumente habe ich einst mit Thomas Kistner aufgetan, weltexklusiv, 2001, wir haben auch zuerst über die Existenz der legendären Schmiergeldstiftung Nunca berichtet. Manches davon findet man hier im Blog, sonst nirgendwo. Die ISL-Geschichte und alles, was damit zusammenhängt, das Leben des Jean-Marie Weber, ist längst nicht ausrecherchiert, längst nicht vollständig beschrieben.

Wird es auch nie.

Die journalistische Reise geht aber weiter, während Webers Reise beendet ist.

Patrick Nally hat Recht. Weber war bis zuletzt ein treuer Diener seines Patrons Horst Dassler.

Ruhe in Frieden, Jean-Marie.

 

6 Gedanken zu „live aus PyeongChang (25): RIP, Jean-Marie Weber, größter Schmiergeldzahler der olympischen Geschichte“

  1. QUOTE

    Kann der Nostalgie von dir gar nichts abgewinnen, lieber Jens. Was soll denn das? Was ist der Unterschied zwischen einem netten und einem weniger netten bagman?

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