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Das Olympische Bildungsmagazin

#London2012 (XXXIV): Wenn das Feuer verlischt, gehts weiter

LONDON. Beckie Scott könnte ein Buch über die Frage schreiben, wie lange Olympische Spiele dauern und wie oft Ergebnisse noch Jahre später revidiert werden müssen. Die 38jährige Kanadierin ist eine der Athletenvertreter im Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Sie war Skilangläuferin und gewann 2002 in Salt Lake City eine Bronzemedaille im Verfolgungsrennen. Dachte sie. Es gab eine Siegerehrung, Gold und Silber gingen an die Russinnen Olga Danilowa und Larissa Lasutina. Einige Tage später wurden diese beiden als Blutdoper enttarnt.

Dann waren die Winterspiele beendet. Danilowa und Lasutina zogen vor den Sport-Weltgerichtshof CAS. Erst unterlag Danilowa – und Scott hatte eine Silbermedaille. Dann unterlag Lasutina – und Scott gab die silberne Plakette wieder ab, um im Juni 2004, 28 Monate nach den Spielen, eine Goldmedaille in Empfang zu nehmen.

So kann das gehen.

Die XXX. Olympischen Sommerspiele in London waren keine zwölf Stunden beendet, da hatten sie schon wieder begonnen. Pünktlich um Mitternacht erlosch in der Nacht zum Montag das olympische Feuer. Zur Frühstückszeit konferierte im Hilton Hotel an der Park Lane, wo auch Beckie Scott nächtigte, zunächst die Disziplinarkommission, dann das IOC-Exekutivkomitee über einen Dopingfall. Um 11.11 Uhr musste die Olympiastatistik neu geschrieben werden:

Die Weißrussin Nadeschda Ostaptschuk, 31, wurde zweimal, am Tag vor dem Kugelstoß-Wettbewerb und nach dem Finale am 6. August, positiv auf das Anabolikum Methenolon getestet. Sie verliert ihre Goldmedaille. Olympiasiegerin ist nun Valerie Adams aus Neuseeland. Silber geht an die Russin Jewgenia Kolodko, Bronze an die Chinesin Lijiao Gong.

Was nun mit der kostenlosen Wurstversorgung bis ans Lebensende wird, die der Sponsor Belatmit weißrussischen Olympiasiegern versprach?

Methenolon ist ein Steroid der alten Schule mit den üblichen virilisierenden Nebenwirkungen. Es wird seit den 1970er Jahren zum Muskelaufbau verwendet. Typisch, dass wieder ein weißrussischer Sportler mit derartigen altmodischen und leicht nachweisbaren Substanzen auffliegt. Eigentlich wäre es an der Zeit, das weißrussische Leichtathletik-Team komplett zu sperren. Doch so weit wird der Weltverband IAAF nicht gehen. Präsident des weißrussischen Olympiakomitees ist der Diktator Alexander Lukaschenko, Träger des europäischen olympischen Ordens, dem zur Eröffnungsfeier der Spiele von britischen Behörden die Einreise verweigert worden war.

Im Prinzip war schon mal jeder weißrussische Medaillengewinner in der Schwerathletik wegen Doping gesperrt. Die prominentesten Kugelstoß-Sünder, allesamt Weltmeister und Olympiasieger, manche mehrfach: Janina Koroltschik, Andrej Michnewitsch, Alexander Bagatsch, nun Ostaptschuk. Dazu die Peking-Medaillengewinner im Hammerwerfen: Wadim Dewjatowski und Iwan Tichon.

Für den Mehrfachtäter Tichon, dem eine lebenslange Sperre droht, steht das Ergebnis der acht Jahre eingefrorenen Urinprobe von den Spielen 2004 in Athen unmittelbar bevor. „In wenigen Wochen haben wir Klarheit“, versprach IOC-Präsident Jacques am Sonntag in London. Dann wird Tichon seine Silbermedaille los, er wird vor den Sport-Weltgerichtshof CAS in Lausanne ziehen und vielleicht wieder wegen lächerlicher Verfahrensfehler gewinnen. So behielt er bereits seine in Peking ergaunerte Medaille.

Erstaunlich am aktuellen Dopingfall ist allein, dass Ostaptschuk zuvor noch nie erwischt wurde. Sie war Weltmeisterin in der Halle und im Freien, dort gibt es Preisgeld, 60.000 Dollar für die Goldmedaille, und hat sich auch in der Diamond League hunderttausende Dollar erstoßen. In Publikationen des europäischen Verbandes EAA wurden ihre Leistungssteigerungen der letzten Jahre mit „verbesserter Technik“ und einem „veränderten Lebensstil“ beschrieben. Sie gehe nicht mehr dreimal am Wochenende in die Disko. Der übliche Unsinn.

Die Enttarnung Ostaptschuks wird vom IOC als PR-Nummer verkauft. Sprecher Mark Adams, inhaltlich oft nicht auf der Höhe, erklärte natürlich, dies sei ein Beweis, dass das Testsystem funktioniere.

„Von April bis zur Öffnung des Olympischen Dorfes in London im Juli wurden weltweit 117 Sportler aus dem Verkehr gezogen. Das zeigt, dass wir die sauberen Athleten schützen und dass das System funktioniert“, behauptete Rogge. In der Szene glauben aber viele Beobachter, dass Ostaptschuk & Co, andere werden vielleicht folgen, nur Alibi-Dopingfälle sind.

Während der Spiele flogen bei Tests nur vier Randsportler auf:

  1. den Judoka Nicholas Delpopolo aus den USA,
  2. die Hürdenläuferin Ghfran Almouhamad aus Syrien,
  3. den Rundenläufer Diego Palomeque Echavarria aus Kolumbien und
  4. Nadeschda Ostaptschuk.

Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen?

Warum wurde, nur ein Beispiel, das Testverfahren zur Modedroge S 107, die Ermüdungen vorbeugt und die Geschwindigkeit der Muskelkontraktion erhöht, noch nicht zugelassen? Die Substanz steht auf der Verbotsliste, wird aber nicht detektiert. Eine Substanz, die Wunderleistungen von Heroen wie Michael Phelps, Usain Bolt und anderen erklären könnte. Das IOC verwahrt sich stets gegen derlei Spekulationen.

Auch um die eingefrorenen Olympia-Proben hat es stets alarmierende Unklarheiten und Schlampereien gegeben. „Wir haben acht Jahre Zeit und wollen nicht zu schnell testen“, sagt IOC-Chef Rogge. Man müsse nicht hektisch werden. „Im Prinzip ist es so: Wenn es keine neuen Tests auf Mittel gibt, die wir zuvor nicht nachweisen konnten, dann warten wir bis zum letzten Moment, um die Proben aufzutauen.“ Das geschah in diesem Frühjahr mit den Athen-Proben – allerdings nur auf Druck von Öffentlichkeit und weniger Funktionäre. „Wenn wir einen neuen Test haben, dann testen wir sofort.“

Nur eines steht derzeit fest: Die Sommerspiele von London sind noch lange nicht beendet. Das kann noch acht oder gar zwölf Jahre dauern. Bis dahin steht die Medaillenwertung unter Vorbehalt.

Die Spiele von Athen 2004 laufen auf Hochtouren – derzeit in Labors und im IOC-Hauptquartier.

Die Sommerspiele 2000 von Sydney wurden erst im Juli 2012 beendet, als das IOC die Goldmedaillen der 4×400-m-Staffel an Nigeria neu vergab – allerdings war einer der Läufer, Sunday Bada, bereits gestorben. Bada verstarb Ende vergangenen Jahres im Alter von 42 Jahren.

Er war einer der wenigen nigerianischen Medaillengewinner, die nie positiv getestet wurden.

30 Gedanken zu „#London2012 (XXXIV): Wenn das Feuer verlischt, gehts weiter“

  1. und was tut sich in sachen hasenpfote? (schwellkörper in ruderer- und mittelstrecklerhosen)?

  2. Pingback: Derangierte Einsichten - Olympia

  3. Sehr schön! Herrlich. Dafür, lieber anonymator, wurde der Begriff „vielfältige Lebenssachverhalte“ erfunden, der hier im Blog in allen Varianten durchgespielt wird. Das Copyright darauf hat übrigens: Thomas Bach.

  4. ts ts – immer dieses rumgerede von wegen mangelnder sportförderung, unrealistischen medaillenzielen usw.

    die deutschen sollten einfach ungehemmt mitdopen, dann gäbs auch wieder richtig edelmetall.

    schänzers tester vor ort in london haben keinen tropfen blut von bolt, phelps und co. bekommen. ebensowenig wie bei der diesjährigen tour de france.

  5. »Judo ist keine Randsportart«, merkte ein deutscher Medaillengewinner nach seinem letzten Kampf treffend im Fernsehstudio an. Die Sportart Judo betreiben mehrere 100.000 Menschen in Deutschland (der Judobund hat 200.000 Mitglieder und viele Menschen dürften zusätzlich noch außerhalb des Verbandes auf die Matte gehen). Er fügte an: »Die Formel 1 ist eine Randsportart« ;-)

  6. Pingback: Did Pat Hickey keep olympic bribes secret? : sport and politics

  7. AP: Olympic champ’s doping link

    Now the tentacles reaching out from Lance Armstrong’s drugs disgrace have touched the Olympics – with the news that road race champion Alexandre Vinokourov is among at least 15 more cyclists reportedly linked to Armstrong’s banned Italian sport doctor.

  8. Gazzeta dello Sport schrieb von 20 Teams und ihren Fahrern, The New Zealand Herold schreibt von 15 Fahrern.
    Gazetto dello Sport schrieb von 30 Millionen ?, der Herold schreibt von 40 Mill. USD.
    http://english.gazzetta.it/More_sports/17-10-2012/the-ferrari-system-swiss-bank-accounts-fake-contracts-912946609743.shtml

    Zumindest läßt die Gazetta Deutungslücken. Und der Herold nutzt sie.

    Und jetzt kommt noch Martial Saugy, bewiesenermassen kein Freund von Armstrong, und behauptet:

    „Es gab keinen positiven Test auf EPO während der Tour de Suisse 2001“.

    http://www.radsport-news.com/sport/sportnewsdetail.php?id=78317

    Wahrscheinlich sah das jeder anders. Vllt. hat Lance auch nur vor seinen Jungs wichtig getan. Zumindest ist der UCI immer auf der Siegerseite: Kein positiver Dopingtest von Lance 2001. Keine Vertuschung vom UCI. Und Hein ist sowieso fein raus.
    Müssen wir eigentlich noch den Montag abwarten, um zu wissen, wie es ausgeht ?

  9. Tom Mustroph im Tagesspiegel: Doktor Doping

    Zum Kundenkreis des Italieners gehörten neben den Ex-Armstrong-Helfern Landis, Hamilton, Hincapie und Danielsson, diversen Katusha-Profis und den italienischen Elitefahrern Bugno, Cipollini, Savoldelli und Scarponi auch die beiden Deutschen Andreas Kappes und Patrik Sinkewitz. In den Usada-Unterlagen sind zudem Zahlungen von Alexander Winokurow (sechs Tranchen in Höhe von je 15 000 Schweizer Franken) und Andrej Kascheschkin (deren vier in Höhe von je 5000 Schweizer Franken) für das Jahr 2006 notiert; damals dominierten die Kasachen die Spanien-Rundfahrt.

  10. FIG: Sanctions issued

    The first case involved Uzbek Artistic Gymnast Luiza Galiulina, 20 years, who tested positive for Furosemide at the London Olympic Games. Galiulina has been suspended for a period of six months, effective from August 1, 2012 through and including January 30, 2013.

    The Uzbekistan Gymnastics Feeration was charged with CHF 2’000.00 towards the cost of the procedure.

  11. Die Meldung passt natürlich auch hier hin:

    #London2012 (XXIII): Warum Olympiawettbewerbe acht oder gar zwölf Jahre dauern

    Die IAAF teilt mit: HELSINKI 2005 RE-TESTS REVEAL SIX ADVERSE FINDINGS

    Monaco – The International Association of Athletics Federations (IAAF) has re-tested a selection of doping samples collected at the 2005 IAAF World Championships, Helsinki, Finland, from a wide range of disciplines and nations, and the results have revealed a further* six adverse findings.

    The IAAF, as part of its strategic anti-doping policy, instigated last year the re-analysis of samples originally taken during Helsinki 2005 using the most up-to-date analytical techniques. These samples had been transferred to the WADA-accredited laboratory in Lausanne, Switzerland following the World Championships for long–term storage in accordance with the IAAF retesting policy.

    “The IAAF’s message to cheaters is increasingly clear that, with constant advancements being made in doping detection, there is no place to hide,” confirmed IAAF President Lamine Diack. “This re-testing is just the latest example of the IAAF’s firm resolve to expose cheating in our sport. The IAAF will continue to do everything in its power to ensure the credibility of competition, and where the rules have been broken, will systematically uncover the cheats.”

    The six adverse findings involving Andrei MIKHNEVICH (BLR), Ivan TSIKHAN (BLR), Vadim DEVYATOVSKIY (BLR), Tatyana KOTOVA (RUS), Nazdeya OSTAPCHUK (BLR), and Olga KUZENKOVA (RUS) have resulted in the initiation of disciplinary procedures which are currently ongoing in accordance with IAAF Rules. The IAAF will not make any further comment until the completion of those proceedings.

    * NOTE – previous to today’s announcements two athletes, Vladislav Piskunov (UKR) who had finished 12thin the men’s Hammer Throw, and Neelam Jaswant Singh (IND) who was 9thin Group A of the women’s Discus Throw qualification, had already been sanctioned and disqualified for doping violations at the 2005 IAAF World Championships, Helsinki, Finland.

    Ad hoc würde ich mal sagen, diese Vögel (sorry) sind durchweg Mehrfachtäter. Bzw halt: Doper. Die dopen immer. Die dopten immer. Insofern müsste man denen eigentlich sämtliche Platzierungen, Medaillen und Preisgelder ihrer Karrieren entziehen:

    Andrei MIKHNEVICH (BLR)
    Ivan TSIKHAN (BLR)
    Vadim DEVYATOVSKIY (BLR)
    Tatyana KOTOVA (RUS)
    Nazdeya OSTAPCHUK (BLR)
    Olga KUZENKOVA (RUS)

  12. Leistungsschutzrecht! Die IAAF hat einfach mal Jens´ Liste hier kopiert:
    Doping-Tests von WM 2005: Drei Weltmeister überführt

    Neben den bereits bekannten Namen von Hammerwerferin Olga Kusenkowa und Weitspringerin Tatjana Kotowa (beide Russland) handelt es sich dabei um den dreifachen Hammerwurf-Weltmeister Iwan Tichon, den Zweitplatzierten Wadim Dewjatowski sowie Kugelstoßerin Nadeschda Ostaptschuk (alle Weißrussland). Auch der Weltmeister von 2003 im Kugelstoßen, Andrej Miknewitsch (Weißrussland) wurde überführt.

    Schön, dass es wieder die üblihen Verdächtigen aus Osteuropa sind. Da kann der Resr der Sportwelt wieder erleichtert aufatmen. (Ich glaube, ich habe das schon mal geschrieben?)

  13. SpOn: Zehn Jahre Sperre für Diskus-Zweite von London

    Die russische Diskus-Olympiazweite Darja Pischtschalnikowa ist wegen eines positiven Dopingtests im Vorfeld der Spiele von London für zehn Jahre gesperrt worden.
    […]
    Ob die Ex-Europameisterin ihre Silbermedaille von London verliert, liegt in den Händen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

  14. dpa (24.09.): Olympia-Teilnehmer: Blutpass führt zu Doping-Sperre

    Zwei Beinahe-Medaillengewinner der Olympischen Spiele 2012 sind durch den Blutpass des Dopings überführt und lange gesperrt worden.

    Wie der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) bekanntgab, wurde die Ukrainerin Ljudmyla Josypenko, die in London im Siebenkampf Vierte geworden war, für vier Jahre bis März 2017 von Wettkämpfen ausgeschlossen. Der im 50-km-Gehen auf Rang fünf gelandete Russe Igor Jerochin wurde sogar lebenslang gesperrt, weil er 2008 bereits einmal positiv auf EPO getestet worden war.

  15. t-online: Perikles Simon: „In Sotschi wird in allen Sportarten gedopt“

    Die Formkurve der deutschen Starter in Ausdauersportarten wie Biathlon, Eisschnelllauf oder der Nordischen Kombination, die in den letzten Wochen vor Beginn der Winterspiele in den Weltcups für Furore sorgten, betrachtet Simon mit Argwohn. „Ich will keinem etwas unterstellen, aber eine derartige Leistungsexplosion widerspricht eigentlich der Trainingslehre und auch der sportlichen Praxis des gehobenen Jugend- und Juniorenelitebereichs. Diese noch nicht voll ausgereizten Sportler schaffen komischerweise nicht solche Leistungssprünge“, analysiert Simon und zieht eine brisante Schlussfolgerung. „Es scheint mir so, als würden die Profis in den ersten Wettkämpfen Leistungsschwäche vortäuschen.“

  16. USADA: US track & field athlete, Gay, accepts sanction for anti-doping rule violation

    Gay has also been disqualified from all competitive results obtained on and subsequent to July 15, 2012, the date he first used a product that contained a prohibited substance, including the forfeiture of all medals, points, and prizes. Gay has already returned his Silver Medal in the men’s 4x100m relay from the 2012 London Olympic Games, which is now in the possession of the United States Olympic Committee.

    London 2012-Resultat

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