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Das Olympische Bildungsmagazin

#London2012 (XXV): Wenn chicken legs über die Bahn schweben #mb

LONDON. Olympic Stadium, Block 212/213, Row 71, Seat 313. Halbfinale 200 Meter.

Im ersten HF Blake vs Lemaitre vs Spearmon.

Keine Gegnerschaft für Blake, der die letzten 40 Meter spazieren geht und nicht mal nach Luft schnappt. 20,01. Natürlich muss Yohan Blake ein bisschen bluffen, gehört zu seinem Spielchen. Nur: schaut man sich ihn an und Lemaitre, der ja keine Pfeife ist, gerade 20,03 rannte und schon mal 19,80 gelaufen ist, sieht man also, wie Lemaitre pumpt … Ach Gott. Ich sage lieber nichts.

20.16: Der Witzbolt.

ENDLICH mal Ruhe im Stadion.

Keine Aussage zu treffen nach diesem Spaziergang. Hatte aber den Eindruck, als ob er danach atmete.

Grit Hartmann und ich haben heute für verschiedene Zeitungen dieses Textlein gedichtet:

Es geht Schlag auf Schlag mit den Meldungen zu Dopingfällen während dieser Londoner Spiele: Beinahe täglich wird ein neuer Erfolg verkündet. Von der ukrainischen Turnerin über marokkanische, französische, spanische Mittelstreckler, türkische Gewichtheber, den Italiener Alex Schwazer, Olympiasieger 2008 über 50 km Gehen, bis zur Sprinterin aus St. Kitts und Nevis. Ein reichliches Dutzend Fälle gaben das Internationale Olympische Komitee (IOC), die Sport-Weltverbände oder nationale Sportfunktionäre seit Beginn der Spiele bekannt. In London sei es schwierig wie nie zuvor, zu dopen und nicht erwischt zu werden, sagte John Fahey vor zwei Wochen, der Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). „Aber ich wäre dumm, würde ich behaupten, bei diesen Spielen würde niemand betrügen.“

Selbst Skeptiker können sich dem Sog der Pharmabilanz, die Olympias Propagandamaschine in die Welt hinaus bläst, nicht entziehen.

„Angenehm überrascht“ sei er über die vorolympische Teststatistik, sagt Perikles Simon, Professor an der Universität Mainz. Vor allem, weil „knallhartes Doping“ auffliege: „Testosteronfälle, Diuretika, Epo – das sind keine Wischiwaschi-Fälle wie so oft. Sondern schon Anhaltspunkte dafür, dass Kontrollen etwas ausrichten können, wenn sie richtig gesetzt werden.“

Simon schaut daheim viel Leichtathletik. Bei den Mittel- und Langstreckenläufen hat der Gendoping-Spezialist „Indizien“ fürs  verbesserte Kontrollregime ausgemacht:

„Man hat einige Kenianer aus dem Verkehr gezogen. Und nun erleben wir, dass die These von der angeblichen genetischen Überlegenheit der Schwarzafrikaner doch nicht so haltbar ist. Es gibt wieder Weiße, die durchaus mitlaufen können – bei Zeiten, die nicht mehr so extrem sind wie noch vor vier Jahren.“

Dafür, dass vor London intelligente Zielkontrollen zum Einsatz kamen, spricht auch der jüngste Fahndungserfolg im Falle Alex Schwazer. Der Olympiasieger wurde Ende Juli positiv auf das Blutdopingmittel Epo getestet – die Kontrolleure schauten vorbei, weil Italiens Nationalheld auffällig häufig in St. Moritz trainierte. Dort praktiziert der berüchtigte Arzt Michele Ferrari, auf dessen Kundenliste Schwazer stand. Der Tipp, so vermeldete die „Gazetta dello Sport“, kam von Interpol. Die Behörde koordiniert die Ermittlungen gegen „Dottore Epo“. Interpol hat auch einen Kooperationsvertrag mit der WADA unterzeichnet.

Andererseits vernebeln derlei Fälle den Blick für die Realitäten: die Direktbilanz der in London vom IOC verantworteten Kontrollen ist dürftig – mit einem Cannabis-Fall des US-Judokas Nicholoas Delpopolo. 3949 Proben wurden bis Dienstag genommen, verkündete IOC-Sprecher Mark Adams. Man wird am Ende weit über den angekündigten 5000 Tests liegen.

„Natürlich machen in einigen Disziplinen die Leistungsdimensionen stutzig“, sagt Perikles Simon, „zumal, wenn sie plötzlich in großer Breite erbracht werden.“ Er bezweifelt, „dass sich der Genpool der Menschheit derart verbessert hat, um die Zeiten zum Beispiel der Sprintfinals zu erklären“. Auch hat der Sportmediziner keine entsprechenden Fortschritte in der Trainings- oder Ernährungswissenschaft detektiert.

Wobei: Das Thema Nahrung liegt ja nun wieder im Trend, seit der Jamaikaner Yohan Blake sein 16-Bananen-Tagesmenü verriet. Simon bringt das eher zum Lachen: „Man wird ja auch veräppelt.“ Bananen und Yams-Wurzeln? Simon glaubt eher an eine Verlagerung des Betrugsgeschehens. „Da wird kaum noch mit Steroiden gearbeitet. Wachstumsfaktoren können eine Rolle spielen und wahrscheinlich Präparate mit Einfluss auf die Muskelkontraktion.“

Die experimentelle Substanz S 107 passt perfekt zum Bild, das die Londoner Sprintermesse vermittelt. S 107 verändert über den Kalziumhaushalt der Zellen die Muskelkontraktion und soll schon in Peking eingesetzt worden sein. „S 107 ermöglicht kräftigere Kontraktionen“, sagt Simon. Damit könne man „ganz andere Amplituden“ laufen. Der Gebrauch der Substanz, in den USA für Patienten mit Herzrhythmusstörungen entwickelt, würde keinen Athleten vor ein Dilemma stellen, denn die WADA hat das Präparat nicht auf der Verbotsliste – was international kritisiert wurde.

[Nachtrag, 9. August: Besser ist, in Kurzfassung, dies: Die Substanz S 107 steht nicht explizit auf der WADA-Verbotsliste, seit Anfang 2011 ist sie   mit dem Verbot diverser nicht zugelassener Produkte aber erfasst. Richtig wäre gewesen, S 107 ist nicht im Testprogramm. Obgleich von den Kölnern um Mario Thevis ein Test entwickelt wurde.]

Ganz so rigoros geht es also doch nicht zu im Kampf gegen die Sünder. Simons Skepsis erstreckt sich auch auf das Weltrekordpurzeln im Schwimmen: „Da können wir nur hoffen, dass in der Sportszene noch nicht diese Skrupellosigkeit herrscht, minderjährige Athleten massiv mit Wachstumsfaktoren zu dopen, mit hochmoderner Medizin, deren Wirkung wir noch gar nicht genau kennen.“ Die Historie lehrt das Gegenteil – und auch deshalb könnte es gut sein, dass die Kontrollerfolge von wirklich üblen Entwicklungen ablenken.

Auch von Gendoping, das den Sport allen Prognosen zufolge unweigerlich verseuchen wird? Fachmann Simon zögert. „Die klassische invasive Variante über Gentransfers wäre sehr riskant, da ist die Wissenschaft womöglich noch nicht weit genug.“ Andererseits kann sich der Professor „kaum noch vorstellen“, woher manche Leistungsschübe sonst kommen. „Mit Pharmaka in unterschiedlichster Mischung wird dafür schon zu lange experimentiert.“ Entwarnung klingt anders.

20.33: Siegerehrung für Robert Harting. Helmut Digel als Flower Woman.

Was mir gestern schon gut gefallen hat: die haben sich ziemlich gut vertragen, die drei Medaillisten.

20.48: 400 Hürden: Natalja Antjuch (Russland) vor Lashinda Demus (USA). 52,70. Aber mir ist heute nicht mehr nach Spekulationen. Ich bin ganz ruhig, schlafe eh gleich wieder ein. Zu müde.

Demus untröstlich.

Aber auch schön, gerade in der Slomo gesehen, wie Antjuch mit weit aufgesperrten Augen auf die Tafel guckt, als sie die Brust nach vorn schmeißt. Im selben Moment sah man bei Demus, dass sie es auch begriffen hat.

20.57: So, Jamaika-Party, Teil 3. Zahnspangenmädel vs Campbell-Brown vs Felix vs Jeter.

Trinidad ist in so ziemlich jedem Finale von 100 bis 400 flach, richtig?

Auf Murielle Ahoure muss Mann auch achten.

Der Doppel-Abend: Richards-Ross (2 x 400 m bei Olympia), Zahnspangenmädel (2 x 100), Campbell-Brown (2 x 200).

Nun aber zur Abwechslung mal Allyson Felix (21,88) vor dem Zahnspangenmädel und Carmelita Jeter. Veronica ist entthront.

21.08: Für mb, der so begeistert ist von der über die Bahn schwebenden Allyson Felix und ihren chicken legs.

Warum funktionieren die Videos nicht?

21.12: Finale 100 Hürden Männer.

Ob Robles ohne die zehn Kilo Gold schneller wäre?

21.15: Ich sags doch. Irgendwas war nicht gut mit dem vielen Gold. Aries Merritt (USA) auf G vor Richardson (USA) und Parchment (JAM). Robles sitzt da unten, niemand kümmert sich, nicht mal Sanitäter. Seine Zeit: 42,86 52,86. Langsamer als die Russin vorhin über 400 H.

21.25: Auch noch Weitsprung-Gold für Brittney Reese. Wie viele Amis haben heute gewonnen? 1) mb Felix, 2) Reese, 3) Merritt. Jemanden vergessen?

Da muss sich der Chinese in der Nationenwertung aber noch in Acht nehmen.

1) 35 22 19 76
2) 32 21 24 77
3) 22 13 13 48

TBC

45 Gedanken zu „#London2012 (XXV): Wenn chicken legs über die Bahn schweben #mb“

  1. Blake hatte aber Glück.

    Ich würde es gut finden wenn mal einer, der das Tempo raus nimmt ausscheidet.

  2. War das tatsächlich eine versuchte Kopfnuss von Harting gegen Digel oder nur unkoordinierte Zärtlichkeit?

  3. Nee, bin mir ziemlich sicher, weil ich Digel kenne (besser als Harting): Der hatte ne Anwallung von Gefühlen und hat garantiert geheult, da hat er den Harting plötzlich an sich gezerrt.

  4. #Elbkahn, Ralf Scholt ARD konstatierte meiner Erinnerung nach einen „Versöhnungsversuch“ von Digel. Missglückt.

  5. @jw, Anthjuk soll unter 42,86s über 400 Hürden gelaufen sein??? Interessante Hebelentwicklung am heutigen Abend.

  6. Habe gerade den, zugegeben, oberflächlichen Eindruck gewonnen, dass es heute Abend sehr auf die Frisur ankommt.
    Und, mb: Es kann nur eine schweben – nicht Flo-Jo, nicht Felix. Ehrlich!

  7. Was für ein wunderschöner Lauf von Allyson Felix. Sie ist ja über die Bahn geschwebt.

    Oh ja….100% Zustimmung….der krasse Gegensatz zu den Kraftpaketen, die wahrscheinlich auch 160 Bananen am Tag essen

  8. verbesserte Antwort auf #23. Jw, danke. Ist Felix auch mit Adidas-Schuhen gelaufen oder muss sie den US-Teamausrüster Nike benutzen?

  9. So, mal kurz, niemand interessiert’s of course, meine Highlights in London 2012 bislang. Das Badminton-Finale der Herren zwischen er Nr.1 und Nr. 2 der Welt. Wahnsinn! Danach folgt Harting ohne Akkreditierung vor dem Olympischen Dorf, wo er nicht reingelassen wird und eine Stunde dort schläft – als Olympiasieger. Habe ich die Geschichte falsch wiedergegeben? An dritter Stelle die Nazi-Ruderin, die von nichts weiß…

  10. Wieviele Zehnkämpfer nehemn teil? 300? Jetzt kommt doch schon der – gefühlt – zwanzigste 400m Lauf.

  11. De Zordo hat übrigens seinen zweiten Quali-Speerwurf ungültig gemacht. Thiele (Eurosport) diagnostiziert eine aufgebrochene Armverletzung.
    @jw, du bist jetzt noch bei der LA?

  12. jw37, alles klar, hier ist es schließlich auch schon dunkel. Ich werde wohl auch woanders weiterdribbeln. Obwohl Heinrich und Thiele ganz gut drauf sind.

  13. Zehnkampf, Männer, Nr. 2004 aus Grenada: Kurt Felix, irgendwie ein cooler Name, ob der Spaß versteht?

  14. Gute Tradition hier >>> Fehlerkorrektur zum Text oben. Die Substanz S 107 steht auf der Wada-Verbotsliste, seit Anfang 2011 mit dem Verbot diverser nicht zugelassener Produkte.
    Richtig wäre gewesen, sie ist nicht im Testprogramm. Obgleich von den Kölnern um Mario Thevis ein Test entwickelt wurde.

    Es läuft also zwar auf dasselbe hinaus; ein Fehler ist es dennoch.

  15. Gespräch mit mir selbst (und für hier gelegentlich mitlesende WADA-Paragrafen-Reiter) und ganz genau: S107 wäre erfasst, wenngleich nicht explizit auf der Liste, unter diesem schönen Gummiparagrafen:

    S0. NON-APPROVED SUBSTANCES
    Any pharmacological substance which is not addressed by any of the subsequent sections of the List and with no current approval by any governmental regulatory health authority for human therapeutic use (e.g drugs under pre-clinical or clinical development or discontinued, designer drugs, veterinary medicines) is prohibited at all times.

    Erfurt reloaded, falls man so etwas dann doch einmal testet.

  16. @Stefan
    Danke. Werde versuchen, mich zu erinnern – falls es dann noch eine NADA gibt ;-D Halte es da mehr mit dem Vorschlag, der auch von Perikles Simon stammt: Bitte eine EUADA, weil so eine nationale Nada (mitsamt ihrem Aufsichtsrat) nationale Stars ja womöglich doch lieber schont.

    Und noch:
    #2 @B.Marley
    Cannabis bessert aber die Kontrollstatistik weltweit sehr auf. Von den 4.820 „findings“, die die Wada 2010 bei 258.257 Tests angegeben hat, waren 9,6 Prozent postiv auf Cannabinoide.
    Hat vermutlich mehr mit dem übergeordneten „war on drugs“ zu tun, jedenfalls ist es politisch korrekt, als mit dem Dopingeffekt eines Haschkekses (wie in diesem Fall).

  17. Habe als Kommentar zum Hartmann/Weinreich-Artikel – den ich auf den Blog dsj-Juniorbotschafter für Dopingprävention eingestellt habe – geschrieben: Es kommt eben mehr raus, wenn Polizei und Staatanwaltschaft sowie Journalisten zur Dopingproblematik suchen als durch Antidoping-Agenturen oder -Labore. Zum Artikel zur Medaillenstatistik unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl eines Landes: 1975 haben wir (Pfetsch/Beutel/Stork/Treutlein: Leistungssport und Gesellschaftssystem) schon auf solche Dinge hingewiesen. Ich habe dann später die Behauptung aufgestellt, dass man aus dem exzessiven Medaillengewinn durch kleine Länder (damals vor allem DDR, Kuba) einen Anfangsverdacht bzgl. Doping ableiten kann. Das heißt nicht im Umkehrschluss, dass dann Länder wie China, USA oder Deutschland als sauber zu gelten haben.

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