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Das Olympische Bildungsmagazin

Stasi reloaded: irre Zuspitzung einer irren Woche in der olympischen Parallelgesellschaft

Gegen Ende einer irren Woche bin ich doch noch einmal sprachlos – über den Stasi-Inzidenzwert des deutschen Hochleistungssports im Jahr 2021. Jeder meiner Gesprächspartner heute Abend reagiert schockiert. Man weiß einfach nicht mehr, was man noch sagen soll zu diesem Sport, zu diesem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), zu dieser DOSB-Führung um Präsident Alfons Hörmann (CSU) und die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker, die nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe bekommen. Die keine Konzepte haben, die dümmlich-stümperhafte sogenannte Strategien vorlegen, die inhaltlich erstarren, die sich von einer Peinlichkeit in die nächste manövrieren.

Wir schreiben das Jahr 2021.

Im 15. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik für die Jahre 2019 und 2020 heißt es also auf Seite 36, Punkt 4.2.4.4:

Leitende Personen im Sport sowie Trainerinnen und Trainer, Betreuerinnen und Betreuer von Mitgliedern der deutschen Nationalmannschaften

In Vorbereitung der European Games in Minsk 2019 bzw. der Youth Olympic Games in Lausanne 2020 erfolgten 81 Überprüfungen von Leitungspersonen des deutschen Sports.

In acht Fällen ergaben sich Hinweise auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst.

8 Fälle bei 81 Überprüfungen. So ordnet sich das für die vergangenen anderthalb Jahrzehnte ein, wobei einige Angaben unvollständig sind:

8 Fälle bei 81 Überprüfungen. Das ist gewaltig. Machen wir uns nichts vor.

  • Warum hat man darüber 2019, vor den European Games beim olympischen Ordensträger Alexander Lukaschenko, dem mörderischen Diktator, nichts gehört?
  • Warum hat man darüber 2020, rund um die Olympischen Jugendspiele in Lausanne nichts gehört?

Dass der DOSB mit Formen von Transparenz und Rechenschaftspflicht auf Kriegsfuß steht, weiß man inzwischen.

  • War das BMI als Hauptgeldgeber des Hochleistungssports darüber informiert?
  • Haben BMI und DOSB gemeinsam derlei Details verschwiegen?

(Das war eine Frage, liebe DOSB-Drohanwälte, die vom CSU-Hörmann doch bei zahlreichen Gelegenheiten in die Spur geschickt werden. Für Fragen sollte man in diesem Lande noch nicht verklagt werden dürfen. Und ja, ich habe danach gefragt, ob „derlei Details verschwiegen“ worden sind. Ich habe nicht formuliert: „Es wurde gelogen“ oder „es wurde verschwiegen“.)

Gewöhnlich beruft sich der DOSB auf Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Also der Personen mit Stasi-Vergangenheit.

  • Worum handelt es sich bei den „acht Fällen“, bei denen „sich Hinweise auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst ergaben“?
  • Warum ist im Bericht des Bundesbeauftragten eigentlich nicht von Überprüfungen für die Sommerspiele und die Paralympics in Tokio die Rede?

Es mag sein, dass sich in den dünnen Berichten der sogenannten DOSB-Ethikkommission, geleitet vom ehemaligen Innenminister Karl Ernst Thomas de Maizière CDU), Hinweise auf die acht Fälle ergeben. Schwer zu sagen.

2019 schrieb Sportkamerad de Maizière:

TOP_8.3_-_Anlage_-_Bericht_der_Ethik-Kommission

2020 schrieb Sportkamerad de Maizière:

TOP_7_3_-_Bericht_der_Ethik-Kommission

Für 2019 mag sich ein Hinweis hinter diesem kryptischen Absatz verbergen:

„Darüber hinaus wurde die Ethik-Kommission vom Vorstand des DOSB hinsichtlich einer Beratung im Rahmen einer Nominierung angerufen. Trotz der zeitlichen Dringlichkeit gab die Ethik-Kommission eine Empfehlung zur weiteren Behandlung der Angelegenheit ab. Diese wurde dann zufriedenstellend gelöst.“

Zufriedenstellend?

Für 2020 wird die Stasi-Überprüfung für „zu nominierende Personen für die Olympischen Spiele Tokio 2020“ erwähnt. Dabei handelt es sich um Tokio, nicht aber um die Youth Olympic Winter Games in Lausanne im Januar 2020.

Aus diesen inhaltlich und formal peinlich dürren Papieren ergeben sich also eher keine Hinweise auf acht Fälle bei 81 Überprüfungen von leitenden Personen im Sport sowie Trainerinnen und Trainer, Betreuerinnen und Betreuer von Mitgliedern der deutschen Nationalmannschaften für die European Games 2019 und die Jugendspiele 2020.

So ist das mit dem Sport und seinen Ethikkommissionen.

So ist das mit dem DOSB.

Immer und immer wieder.

Es hört nie auf.

Wie sah des in den Berichten des Bundesbeauftragten eigentlich in den vergangenen Jahren aus? Hier die Übersicht:

9. Tätigkeitsbericht, 2009:

„Obwohl seit der Novellierung des StUG ein eigener Verwendungszweck für Überprüfungen im Bereich des Sports existiert, wurde diese Möglichkeit durch Sportverbände anfangs nur wenig genutzt. Lediglich ein Olympiastützpunkt und ein Sportverein reichten Ersuchen ein, wobei dem des Sportvereins nicht entsprochen werden konnte, da es sich nicht um einen der 60 Spitzenverbände des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) handelt.
Im Unterschied dazu hatte das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes bereits im März 2007 beschlossen, leitende Mitglieder der Olympiamannschaft für die Sommerspiele in Peking 2008 zu überprüfen. Dazu fand bereits im Vorfeld eine intensive Abstimmung zwischen DOSB und BStU zu den Kriterien statt, nach denen Personen überprüfbar sind. Seit Ende April 2008 und noch bis kurz vor Beginn der Olympischen Spiele wurden daraufhin insgesamt 288 Mitglieder der Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland – Trainer/innen, Betreuer/innen sowie andere Funktionsträger/innen – auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst überprüft.
In Fällen, bei denen sich Hinweise auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst ergaben, legte der DOSB die Mitteilungen einer internen, vom früheren Bundesbeauftragten Joachim Gauck geleiteten, Kommission zur Abgabe einer Empfehlung vor. Die Überprüfungsergebnisse wurden vom DOSB in die Entscheidung über eine Nominierung für Peking einbezogen.
Angeregt durch diese Überprüfungsaktion des DOSB sahen sich danach einzelne Sportverbände veranlasst, Überprüfungen vorzunehmen. Seit Mai 2008 wurden Ersuchen zu insgesamt 13 Personen eingereicht.
In Vorbereitung der Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver sind inzwischen die ersten Überprüfungsersuchen zu Trainern und leitenden Betreuern vom DOSB eingegangen.“

10. Tätigkeitsbericht, 2011:

„Schon für die Olympischen Sommerspiele in Peking 2008 hatte das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zu 288 leitenden Mitgliedern der Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland um Überprüfung gebeten – Trainerinnen und Trainer, Betreuerinnen und Betreuer sowie weitere Funktionsträgerinnen und Funktionsträger. Daran anknüpfend hat der DOSB zu 146 Mitgliedern der deutschen Mannschaft für die Olympischen Winterspiele in Vancouver 2010 Mitteilungen erbeten. Daneben gab es Ersuchen zu fünf Personen aus einem Sportverband und zu einer Person aus einem Olympiastützpunkt.

11. Tätigkeitsbericht, für 2011-2012:

„Seit der Siebten StUG-Novellierung Ende Dezember 2006 können nach §§ 20/21 Absatz 1 Nummer 6g StUG leitende Funktionäre im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), in seinen Spitzenverbänden und Olympiastützpunkten, Repräsentanten in internationalen Gremien sowie Trainer und verantwortliche Betreuer von Mitgliedern der deutschen Nationalmannschaften überprüft werden, allerdings nicht die Sportlerinnen und Sportler selbst. Für die Sommerspiele in London 2012 hat der DOSB zu insgesamt 254 Mitgliedern der Olympiamannschaft um Überprüfung gebeten. Außerdem hat ein Sportverband zwei Ersuchen zu einem Trainer und zu einem Generalsekretär eingereicht.“

12. Tätigkeitsbericht, für 2013-2014:

„Seit Bestehen des neu geschaffenen Verwendungszwecks gemäß §§ 20/21 Absatz 1 Nr. 6 g StUG vom 31. Dezember 2011 überprüft der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) regelmäßig Funktionäre, Trainer und verantwortliche Betreuer der deutschen Nationalmannschaften zu den jeweiligen Olympischen Spielen. Dazu wurden im Berichtszeitraum 91 Personen, bezogen auf die Winterspiele in Sotschi, zur Überprüfung eingereicht. Die Ersuchen zu vier Personen aus dem Bereich des DOSB bzw. der Landessportbünde Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen mussten abgelehnt werden.“

13. Tätigkeitsbericht, für 2015-1016:

„Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) richtet seit 2008 vor allem in Vorbereitung von Olympischen Spielen Überprüfungsersuchen an den BStU. Im Jahr 2015 betraf das in Vorbereitung der European Games in Baku unter anderem Trainer und verantwortliche Betreuer der deutschen Nationalmannschaft. Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst ergaben sich in knapp 8 Prozent der 117 zur Überprüfung eingereichten Fälle. Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro erreichte den BStU ein Ersuchen mit insgesamt 223 Personen, bei denen in rund 6 Prozent der Fälle eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst mitzuteilen war. Hierbei handelte es sich unter anderem neben Mitgliedern von DOSB-Verbandsgremien um medizinisches Personal und Trainer. Aktive Sportler sind nach dem Gesetz nicht überprüfbar.“

14. Tätigkeitsbericht, für 2017-1018:

„Auf Ersuchen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sind im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang 86 Namen von Personen zu Überprüfungszwecken eingereicht und bearbeitet worden. In drei Fällen war eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst mitzuteilen.
Aus Anlass der Youth Olympic Games vom 6. bis 8. Oktober 2018 in Buenos Aires bearbeitete der BStU Mitteilungsersuchen zu 49 für die Mannschaft vorgesehenen Mitgliedern der Delegationsleitung. Dabei ergab sich in drei Fällen eine mitzuteilende Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst.

Zur Vollständigkeit hier noch einmal die entsprechende Notiz aus dem 15. Tätigkeitsbericht für 2019-2020:

„In Vorbereitung der European Games in Minsk 2019 bzw. der Youth Olympic Games in Lausanne 2020 erfolgten 81 Überprüfungen von Leitungspersonen des deutschen Sports.
In acht Fällen ergaben sich Hinweise auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst.

Fragen über Fragen.

Man würde es schon genauer wissen, wer die Nachwuchstalente bei den Jugendspielen betreut, wo es doch um Werte geht, um die olympische Idee und allerlei andere Postulate.

Übrigens, weil ich eingangs von einer irren Woche sprach … dazu gehörte aus meiner Sicht dies und noch viel mehr:

Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Dazu habe ich jetzt keine Lust. Muss erstmal die letzte Nachricht verdauen, die uns gewiss noch einige Zeit beschäftigen wird.

Bis zum nächsten Schock.


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2 Gedanken zu „Stasi reloaded: irre Zuspitzung einer irren Woche in der olympischen Parallelgesellschaft“

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