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Das Olympische Bildungsmagazin

Das Coronavirus, die EURO 2021 und Tokio 2022

Die Corona-Pandemie gefährdet die größten Sportereignisse des Jahres: die Fußball-Europameisterschaft (geplant vom 12. Juni bis 12. Juli) sowie die Olympischen Sommerspiele in Tokio (geplant vom 24. Juli bis 9. August) inklusive der Paralympics. Bislang haben sich die Hauptveranstalter der EURO und der Sommerspiele, die UEFA und das IOC, kaum substanziell zu den Mega-Events geäußert.

Die UEFA konzentrierte sich zunächst auf die Klubwettbewerbe, stoppte Champions League und Europa League. Das IOC spielt auf Zeit und hofft darauf, dass sich die Lage bis Ende Mai entscheidend bessert. IOC-Präsident Thomas Bach und Japans Ministerpräsident Shinzo Abe wiederholen gebetsmühlenartig:

Die Sommerspiele finden wie geplant statt!

Während der organisierte Sport, auf Profi- und Amateurebene, weitgehend eingestellt wurde, zog das IOC am Wochenende in London einen olympischen Qualifikationswettbewerb im Boxen durch – der nun heute, am Montag, doch abgebrochen wurde. Der Box-Weltverband AIBA ist wegen flächendeckender langjähriger Korruption suspendiert, das IOC hat deshalb auf dem Weg nach Tokio den Hut auf. Boxen ist eine Kontaktsportart, derlei Events verbieten sich in Zeiten von Corona eigentlich. Unverantwortlich, dass das IOC die Sportler derlei Gefahren ausgesetzt hat.

Das IOC ist quasi doppelt unter Druck: Zum einen sind die Spiele in Tokio insgesamt gefährdet, zum anderen sind erst etwas mehr als die Hälfte der olympischen Quotenplätze vergeben. Viele Qualifikationen, darunter die im Männer-Handball in Berlin, mussten verschoben oder ganz abgesagt werden. Es wird von Stunde zu Stunde dramatischer.

Am IOC-Sitz in Lausanne, wo mehrere Menschen am Coronavirus verstarben, sind nun Ansammlungen von mehr als 50 Personen untersagt. Prompt wurde der wichtigste Sportkongress des Jahres abgesagt: die für April geplante Messe SportAccord mit IOC und mehr als 100 Weltverbänden. Die für Tokio relevanten 33 olympischen Verbände und 206 Nationalen Olympischen Komitees (NOK) haben viele drängende unbeantwortete Fragen. In der IOC-Zentrale geht man ab Montag zum Home Office über, es bleiben nur Video-Konferenzen und Durchhalteparolen. Offiziell gibt es keinen Plan B.

Das dürfte sich in dieser Woche ändern.

Von der Videokonferenz der UEFA mit ihren 55 Mitgliedsverbänden am Dienstag sind Fakten zu erwarten. Alles andere als eine Absage der EURO 2020 wäre eine absurde Überraschung. Die Frage ist nur, ob die EURO völlig gestrichen oder ins kommende Jahr verlegt wird. Die Absage der EURO 2020 würde allen Nationalverbänden von Mai bis Mitte Juli Zeit geben, ihre Ligen  zu beenden, auch könnte die UEFA in diesem Zeitraum die Champions und Europa League ausspielen – natürlich nur, wenn sich die Corona-Lage wesentlich verbessern sollte. Die Verbände würden das mehrheitlich unterstützen. 

Zwischen Nyon, Sitz der UEFA, und Zürich, Sitz des Weltverbandes FIFA, glühen die Drähte. Es läuft ein gewaltiges Geschacher um Pläne, Einfluss und Macht. Wahrscheinlichstes Szenario: FIFA-Präsident Gianni Infantino gibt das Zeitfenster für die auf 24 Teilnehmer ausgeweitete Klub-WM 2021 in China frei, verschiebt diese WM oder lässt sie ausfallen. Die EURO könnte dann von Mitte Juni bis Anfang Juli 2021 stattfinden. Dafür müssen UEFA-Präsident Aleksander Čeferin und andere Europäer, die einen Teil der obskuren Expansionspläne Infantinos blockierten, diesem mit Zugeständnissen entgegen kommen.

In der Krise offenbaren sich sogar Vorteile eines aus größter Not geborenen paneuropäischen Fußballturniers: In zwölf Nationen sollte die EURO 2020 ausgetragen werden, für die sogar noch Playoffs ausgespielt werden müssen, denn es stehen erst 20 der 24 Teilnehmer fest. Diesmal hat kein Gastgeber eine Milliardenlast zu tragen. Im Gegensatz zum Mega-Event Olympia.

Was wird also aus den Sommerspielen?

Bach und sein Geschäftspartner in diesem olympischen Joint Venture, Shinzo Abe, haben etwas mehr Zeit als die UEFA. Sie setzen darauf, dass sich die Lage – in Japan – bis Ende Mai auf wundersame Weise entspannt. Bach macht nur ein Zugeständnis, wenn man so will: Nahezu gönnerhaft erklärte er, man werde den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgen.

Shinzo Abe lehnt es weiter ab, den nationalen Notstand auszurufen.

„Wir wollen die Spiele in jedem Fall wie geplant und ohne Schwierigkeiten austragen“, sagte er. Am 26. März will er in Fukushima das olympische Feuer tragen. Die Zahl der Infektionen mag in Japan einigermaßen stabil bleiben derzeit, nur ist Olympia keine nationale Angelegenheit. Sportler und Offizielle kommen von 206 NOK weltweit. Insgesamt sind bei den Spielen mehr als eine Viertelmillion Personen akkreditiert – bis hin zu Versorgern und einem Heer von Sicherheitskräften. Hinzu kämen Millionen Zuschauer. Das Risiko wäre selbst dann noch gigantisch, wenn die Spiele tatsächlich nur für das Fernsehen in einer sterilen Atmosphäre ohne Zuschauer ausgetragen werden sollten.

Wollen Abe und Bach hunderttausende Personen inklusive aller Sportler zwei Wochen unter Quarantäne stellen? Absolut unmöglich.

In Krisenzeiten rächt sich, dass es weder unter IOC-Mitgliedern noch Angestellten des Olympiakonzerns Figuren mit Format gibt, die den Großen Vorsitzenden erstklassig beraten, was Kritik impliziert. IOC-Mitarbeiter nennen den Präsidenten wahlweise „Diktator“ oder „Sonnenkönig“. Die IOC-Führung ist mehrheitlich mit Opportunisten und Speichelleckern besetzt.

Im Sinne der Olympiasportler, wie Bach gern formuliert, ist es gewiss nicht, fragwürdige Durchhalteparolen zu verbreiten – im Sinne der Aktiven wäre es, wenn der IOC-Boss Alternativen skizzieren würde. 

Womöglich wird Bach in dieser Woche zu einem solchen Zeichen gezwungen. Am Dienstag steht eine Telefonkonferenz mit den 33 olympischen Sommersportverbänden an. Tags darauf sind die Chefs der 50 europäischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) in der Leitung, für die anderen Kontinente und weitere 156 NOK wird es ebenfalls Online-Konferenzen geben.

Fachverbände und NOK spüren den übermächtigen Druck der Pandemie, der Sport steht größtenteils still.

Gerade beriet sich Bach in Lausanne mit seinem engsten Vertrauten im IOC, dem Australier John Coates, Präsident des Welt-Sportgerichtshofes (CAS) und Chef der Koordinierungskommission für die Tokio-Spiele. Coates will am Mittwoch wieder daheim sein – in Australien erwartet ihn eine zweiwöchige Quarantäne.

Überraschenderweise hat es DOSB-Präsident Alfons Hörmann (CSU), ansonsten ein treuer Parteigänger Bachs, nun vernünftiger formuliert:

„Am Ende werden weder Japan noch das IOC die Entscheidung treffen, sondern es wird die Weltgemeinschaft sein, die den Daumen senkt oder hebt“, sagte Hörmann in der ARD.

„Jetzt geht es um das Überleben der Menschheit und nicht um die Frage einiger Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen.“

Japan hat bereits gegen 30 Milliarden Dollar in das Projekt investiert. Für Shinzo Abe ist Olympia systemrelevant.

Too big to fail.

Zu groß zum Scheitern.

Olympia ist quasi Staatsdoktrin.

Eine Absage der Spiele würde Japan weitere Milliarden kosten, weil dann zum Beispiel ein gewaltiger Teil des reinen Organisationsbudgets von 5,9 Milliarden Dollar gefährdet wäre: Zahlungen der Sponsoren und vom IOC blieben aus.

Japans Olympiaministerin Seiko Hashimoto und ein Vertreter aus dem Aufsichtsrat des Organisationskomitees TOCOG, Haruyuki Takahashi, haben über eine Verschiebung der Spiele orakelt. Beide wurden von ihren Bossen sofort energisch korrigiert. Hashimoto sprach vom Herbst 2020. Das ist weniger wahrscheinlich, weil erstens das Virus kaum verschwunden sein wird und zweitens der internationale Sportkalender einen Herbsttermin nahezu ausschließt. So war das bisher, vor Corona.

Takahashi hat das Jahr 2022 genannt. Takahashi, langjähriger Manager der Werbeagentur Dentsū, in Japan ein Staat im Staat, ist eine hochinteressante und umstrittene Person, verquickt ihn einige Korruptionsaffären. Takahashi hat einst als Partner des damaligen Adidas-Chefs Horst Dassler und der Agentur ISL das Marketingprogramm des IOC aufgebaut. Er kennt viele Geheimnisse und er beherrscht das Olympia-ABC wie nur wenige Personen weltweit. Wenn er von einer Verlegung spricht, ist das ernst zu nehmen.

Von 1924 bis 1992 hat das IOC Winter- und Sommerspiele in denselben Jahren ausgetragen. Erst ab 1994 (Lillehammer) und 1996 (Atlanta) wurde der Wechsel von Winter- und Sommerspielen in geraden Jahren eingeführt, um das Produkt besser vermarkten zu können. Für 2022 sind Winterspiele in Peking geplant. Das Zeitfenster im Sommer 2022 ist frei, weil die Fußball-WM in Katar erst in der Vorweihnachtszeit stattfindet.

Das ist die Ausweich-Chance für das IOC und Tokio.

Selbstverständlich wäre eine Verlegung der Sommerspiele mit Extrakosten und gewaltigen logistischen Anstrengungen verbunden. Miet- und Leasingverträge für Olympia-Immobilien, allen voran das Olympische Dorf, sind das größte Problem. 2022 müsste relativ wenig am Sportkalender geändert werden. 2021 dagegen finden die WM in den olympischen Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik statt. Deren Organisatoren in Fukuoka und Eugene müssten entschädigt werden – oder die WM würden in die Spiele integriert. 

Fukuoka könnte problemlos einen Teil der Olympia-Wettbewerbe austragen. Das IOC müsste sich vor allem mit dem Leichtathletik-Weltverband WA einigen und mit Nike, dem weltgrößten Sportartikelkonzern, für den die WM 2021 ein Heimspiel ist. Auch da sind, ähnlich wie zwischen UEFA und FIFA, etliche Deals denkbar.

Und überhaupt: Eine Integration der Leichtathletik-WM in die Sommerspiele gab es lange Zeit. Zurück zu den Wurzeln: Bis zur ersten Leichtathletik-WM 1983 waren Olympiasieger automatisch auch Weltmeister.

Wenn die Spiele also verschoben werden, dürfte der Sommer 2022 die erste Wahl sein. Bislang hat sich IOC-Präsident Bach geweigert, über Alternativen zu reden. In dieser Woche wird er es tun müssen. Denn die Verbände und NOK werden sich nicht mehr so einfach abspeisen lassen. Ihnen steht das Wasser bis zum Hals.

Varianten dieses Textes wurden im SPIEGEL, in der Berliner Zeitung und in Die Presse veröffentlicht.

Nachtrag, 17. März, 16.35 Uhr:

Die UEFA hat erwartungsgemäß die EURO um exakt ein Jahr verschoben. Offenbar hat Infantino bereits eingewilligt. Aussagen zur Klub-WM werden nicht getroffen, vorerst.

Und das IOC? Nun ja, bin etwas sprachlos. Die fahren den Karren mit Gewalt gegen die Wand.

Nochmal:

„The IOC remains fully committed to the Olympic Games Tokyo 2020, and with more than four months to go before the Games there is no need for any drastic decisions at this stage; and any speculation at this moment would be counter-productive.“


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