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Das Olympische Bildungsmagazin

Olympias Programmreform: „transparent, fair, kristallklar“?

Vorhang auf für Mark Adams, den neuen Kommunikationsdirektor des IOC. Der 45-jährige Engländer, Nachfolger von Giselle Davies und zuletzt Direktor des Weltwirtschaftsforums im Genf, ist seit zwei Wochen im Amt. Zu seiner ersten Pressekonferenz wurde er vom IOC-Generaldirektor Urs Lacotte und Sportdirektor Christophe Dubi flankiert. „Die echt komplizierten Fragen stellen sie bitte Urs“, sagte Adams. Da die Binnenpolitik des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) viele komplizierte Fragen bereit hält, erteilte Adams flink Dubi und Lacotte das Wort. Die Reform des olympischen Programms, seit Ewigkeiten diskutiert, kommt einfach nicht voran. IOC-Funktionäre drehen sich argumentativ im Kreis und verstricken sich in Widersprüche, die kaum aufzulösen sind.

Auf dem Papier liest sich alles einfach: 26 Sportarten stehen für die Sommerspiele 2012 in London im Programm. Die Weltverbände haben dafür 33 Vorschläge unterbreitet, über die das IOC-Exekutivkomitee entscheiden kann. Dazu zählen etwa der Teamwettbewerb im Tischtennis oder die Aufnahme des Frauenboxens. Im Großen und Ganzen ist das unkompliziert, sieht man einmal davon ab, dass der juvenile IOC-Sportdirektor Dubi die Fakten nicht so parat hat. So sprach er von drei Frauen-Gewichtsklassen – es sind aber fünf mit je acht Boxerinnen. Geschenkt.

Viel verzwickter ist das Procedere zur Implementierung zwei neuer Sportarten für die Sommerspiele 2016. Golf, Rugby, Karate, Inlineskating und Squash wollen endlich dabei sein – Baseball und Softball wollen wieder rein, nachdem sie vergangenes Jahr in Peking Abschied nehmen mussten. Alle sieben Verbände präsentierten sich am Montag vor dem IOC-Exekutivkomitee. Sie heuerten teure PR-Agenturen an, die weltweit für die Sache trommeln. Der Eingangsbereich zur olympischen Konzernzentrale war verstopft mit Limousinen im Wert von einigen Millionen Euro. Was für ein Fuhrpark, ein Traum für jeden Autohändler.

Präsident Jacques Rogge, einst Olympiasegler und Rugby-Nationalspieler, hat diese Angelegenheit zur Chefsache gemacht. Er sagte am Dienstagabend, das System sei „transparent, fair und kristallklar“. Tatsächlich? Rogge scherzte nicht etwa, er meinte es ernst.

Dabei hat das IOC noch nicht einmal den Bericht der Programmkommission, geleitet vom Italiener Franco Carraro, öffentlich gemacht. Carraros Truppe hat, wie schon 2005, die Sommerspiele analysiert und zu allen Sportarten spannende Daten zusammengestellt: TV-Einschaltquoten, Zuschauerzahlen, Vermarktungsdetails, Berichterstattung in Printmedien, kontinentale Verbreitung, TV-Interesse an Weltmeisterschaften und vieles mehr. Aus diesem Datenwust lässt sich leicht eine aussagekräftige Rangliste erstellen. Doch niemand ist daran interessiert, die Stärken und Schwächen offen zu legen. Nach Fakten wird im Ringe-Business nicht entschieden, was man immer wieder auch an den Olympiabewerbungen sieht, wo zuletzt 1995 (ausgerechnet Salt Lake City!) die Stadt mit den besten Noten im Evaluierungsbericht gewann, sondern nach politischem Kalkül.

Das Exekutivkomitee wird auf der nächsten Sitzung im August in Berlin festlegen, welche zwei Sportarten es der im Oktober in Kopenhagen tagenden Vollversammlung für 2016 vorschlägt. Erst danach soll der Carraro-Bericht veröffentlicht werden. Die IOC-Session muss dann mit einfacher Mehrheit entscheiden. Gut möglich, dass auch diese Abstimmung zum Hornberger Schießen gerät und endet wie die Sessionen 2002 in Mexiko-Stadt und 2005 in Singapur. Damals hatte Rogge Programmreformen versprochen, scheiterte aber kolossal. Denn letztlich sind alle derzeit 33 olympischen Verbände (26 Sommer, sieben Winter) mit dem Status Quo zufrieden. Ihre Lobbyisten unter den IOC-Mitgliedern sind es auch. Alle Verbände bekommen ihren Anteil vom olympischen Kuchen serviert. Ohne diese Millionen aus den Fernsehverträgen des IOC könnten die meisten Föderationen nicht existieren.

Für die abgelaufene Olympiade bis Peking 2008 hat das IOC unter den Sommersportverbänden 290 Millionen Dollar verteilt. Die Verbände werden in vier Zahlungsklassen unterteilt: In der Kategorie A sind allein die Leichtathleten und erhalten 28,5 Millionen. Die Sportarten der Kategorie B (Basketball, Radsport, Fußball, Turnen, Schwimmen, Tennis, Volleyball) erhalten je 14 Millionen. Zur Kategorie C, dotiert mit 9,4 Millionen, zählen Rudern, Reiten, Handball und Hockey. Der Rest (Gruppe D) erhält je 7,9 Millionen Dollar. Manche Verbände finanzieren sich zu 90 Prozent über diesen olympischen TV-Anteil.

Was also passiert, wenn in Kopenhagen keine Mehrheit für die zwei auserwählten Sportarten zusammenkommt? Erhalten dann jene fünf, die vorher aussortiert wurden, eine zweite Chance? Sportdirektor Dubi und Generaldirektor Lacotte wissen es auch nicht so genau. „Dann muss die Session entscheiden, wie es weitergeht“, glaubt Dubi. Tags darauf wusste es Rogge besser, oder soll man besser sagen: Er ordnete es an?

„Wenn die Session eine oder zwei Sportarten nicht akzeptiert, dann ist die Sache erledigt. Dann warten wir bis zur nächsten Session und auf ein neues Wahlsystem.“

Dann können sich die Olympia-Interessenten erst wieder in vier Jahren bewerben. Sie werden Rogges Ankündigung alarmiert zur Kenntnis nehmen.

Außerdem: Wenn das passieren sollte, wäre von 1996 bis 2020 keine Sportart neu ins Programm gekommen!

12 Gedanken zu „Olympias Programmreform: „transparent, fair, kristallklar“?“

  1. Jens, ich hätte da zwei kurze Verständnisfragen.

    …, was man immer wieder auch an den Olympiabewerbungen sieht, wo zuletzt 1995 (ausgerechnet Salt Lake City!) die Stadt mit den besten Noten im Evaluierungsbericht gewann, sondern nach politischem Kalkül.

    sollte sicherlich „nicht die Stadt mit den besten Noten“ heißen, oder?

    Eine andere Frage drängt sich nach der Zusammensetzung dieser Programmkommission auf. Wer sitzt denn dort? Nur Verbandsvertreter der olympischen Sportarten oder auch andere?

  2. Weil Salt Lake City zwar laut Evaluationsbericht die technisch beste Bewerbung vorgelegt – aber dennoch bestochen hat.

  3. NZZ Sport

    Strassen-WM der Radfahrer in Mendrisio und da fährt der Schweizer Vorzeige-Saubermann Cancellara fast wie geplant zum Sieg im Einzelzeitfahren und bricht nebenher noch den Geschwindigkeitsrekord von Chris Boardman und verbessert diesen auf anspruchsvollem Kurs um fast 0,8km/h…

    Derselbe Cancellara übrigens, der für Saxo Bank fährt, dem Team von Doping-Altmeister Bjarne Riis, und der bei der Olympiade in Peking so sensationell abschnitt, als viele andere bei schwüler Hitze den Heldentod starben.

    Im Zweifel für den Angeklagten, aber auch hier gilt, wer Rekorde pulverisiert, die aus garantiert NICHT dopingfreien Zeiten stammen, muss sich Fragen gefallen lassen.

    Die Top10 des Einzelzeitfahrens in Peking spricht eh Bände für sich…

  4. Finde ich gut, mal offen auszusprechen, dass der Radsport ein Doping-Problem haben könnte.

    Allerdings fehlt die Frage, die sich der Angeklagte gefallen muss.

  5. Haben die Radsportler ein aktuelles Dopingproblem? Ui!
    Ich habe nur gestern einen Schweizer auf einer zweirädrigen Maschine schneller als alle jemals auf einem ähnlichen Gerät strampelnden Menschen gesehen.
    Beinahe hätte er sich selbst überrundet.

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