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Das Olympische Bildungsmagazin

„Bad mantra“: die IAAF, die WADA, das IOC und das russische Staatsdoping

(c) BBC Panorama

(c) BBC Panorama, SMS von IAAF-Präsident Sebastian Coe und Papa Massata Diack (von Interpol mit Haftbefehl gesucht)

Heute Nachmittag entscheidet das Council des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF in Wien nun also, ob der russische Verband ARAF/RUSAF wegen des staatlich organisierten Dopings weiter suspendiert bleibt – oder ob plötzlich alles in Ordnung ist und russische Athleten ab sofort wieder starten dürfen. Die Pressekonferenz der IAAF wird ab 17.00 Uhr live übertragen. Man kann das auch hier schauen, dazu eröffne ich später einen neuen Beitrag (und binde das Video der Live-Übertragung ein), in dem wir über die Entscheidung diskutieren und die interessantesten Reaktionen aus aller Welt sammeln können.

Für den 21. Juni hat IOC-Präsident Thomas Bach in Lausanne zum sogenannten Olympic Summit geladen. Russland taucht in der Einladung nicht auf, aber jeder weiß, worum es geht, und Alexander Schukow, IOC-Mitglied und Russlands NOK-Präsident von Wladimir Putins Gnaden, wird bei diesem Summit gewiss dabei sein, wie bei allen anderen Gipfeltreffen zuvor.

Ahead of the Olympic Games Rio 2016, the Olympic Summit will coordinate and harmonise the approach among the International Federations, which take the first decision on the eligibility of athletes with respect to qualification for and participation in the Olympic Games. The discussion will have to address the difficult decision between collective responsibility and individual justice.

The Olympic Summit involves leading representatives of the Olympic Movement. It forms part of the ongoing dialogue and consultation on the main topics of interest and concern to the Olympic Movement. It brings together the IOC Vice-Presidents and the presidents of the major Olympic Movement stakeholders.

Die Entscheidung über eine Olympiateilnahme aller/keiner/einiger Russen wird gewiss später das IOC-Exekutivkomitee fällen. Im Juli steht ja noch ein Untersuchungsbericht der WADA an.

Für alle, die sich die Zeit bis zur IAAF-Verkündung sinnvoll vertreiben möchten, habe ich einige der wichtigsten Veröffentlichungen dieser Tage gebündelt. Mit dabei: BBC Panorama, Grit Hartmann, New York Times, Guardian und andere der üblichen Verdächtigen. Sie alle tragen wichtige Details zum spannenden Komplex Doping/WADA/Russland/IOC bei.

Zunächst die halbstündige Panorama-Sendung gestern in der BBC – von Mark Daly und meinem Freund James Oliver, der auch sämtliche wunderbare Panorama-Sendungen mit Andrew Jennings zur FIFA produziert hat. Die SMS-Sammlung von IAAF-Präsident Sebastian Coe (dessen IOC-Träume womöglich für alle Zeiten ausgeträumt sind), seinem inzwischen suspendierten Bürochef Nick Davies und dem von Interpol gesuchten Ganoven ist einfach nur köstlich:

Ich schaue mir die komplette Sendung auch erst an, kann die Datei leider nicht zur Verfügung stellen. Mit dem BBC iPlayer geht es auch nicht, weil dieser die IP-Adressen erkennt und nur in UK ausliefert – auch mit einem VPN funktioniert es nicht. Auf Youtube derzeit verfügbar:

Dazu einige Links:

Über den ehrenwerten Lord, der zwischen Ehrenamt und Privatgeschäften nicht immer zu trennen weiß, wird noch viel zu reden sein. Tendenz: Seine Zeit als IAAF-Boss könnte schneller vorbei sein, als er denkt.

Bleiben wir noch kurz bei der heutigen Entscheidung des IAAF-Vorstandes. Dazu drei Übersichten (die pdf-Einbindung der Dokumente funktioniert gerade nicht, das hole ich nach):

Nun zum Beitrag von Grit Hartmann, der in der Berliner Zeitung erstveröffentlicht wurde, hier in etwas ausführlicherer Version. Sie belegt am Beispiel des Gewichtheber-Weltverbandes IWF, wie der Olympia-Ausschluss eines Verbandes durchgezogen werden kann – und sogar schon vom CAS bestätigt wurde. Außerdem beschreibt sie die dubiose Rolle eines weiteren einflussreichen Mannes der sogenannten Doping-Bekämpfung: Patrick Schamasch, langjähriger IOC-Medizindirektor und u.a. Berater des russischen Sportministeriums.

* * *
Schwere Kost für Bach

von Grit Hartmann

Warum die Russen von Olympia ausgeschlossen werden können, nicht nur in der Leichtathletik

Christian Baumgartner, der deutsche Gewichtheber-Präsident, hat kein Problem damit, sich auch mal anzulegen mit den Kollegen Sportfunktionären. Vor vier Jahren zum Beispiel forderte er den ungarischen Boss seines Weltverbandes IWF Tamás Aján öffentlich zum Rücktritt auf. Grund: ein desaströses Doping-Kontrollsystem, das etwa die russischen Heber von Trainingskontrollen ausnahm. Der alte Fahrensmann Aján, auch Ehrenmitglied im Internationalen Olympischen Komitee, blieb, inzwischen aber sind die Kontrollen effektiver – und Kritiker Baumgartner rückte auf, in den IWF-Vorstand.

Dort mischt sich der Deutsche nun in die aktuell spannendste sportpolitische Frage ein. Sie lautet bekanntlich nicht nur für die Leichtathletik: Werden bei Olympia in Rio die Athleten aus Russland nur zuschauen, weil sich die Anzeichen für ein staatlich gestütztes Dopingsystem häufen?

„Hinweise darauf haben wir auch im Gewichtheben“, sagt Baumgartner. „Wir dürfen uns wohl berechtigt Sorgen um die Chancengleichheit in Rio machen.“ Deshalb hat er dem IWF-Vorstand jetzt schriftlich einen Eilantrag avisiert, der nächste Woche abgestimmt werden soll: „Wir möchten, dass die Proben der Weltmeisterschaft von Ende 2014 in Almaty mit den neuesten Methoden nachgetestet und die Ergebnisse bei der Rio-Nominierung hinzugezogen werden.“

Für das russische Team könnte das heikel werden, denn die IWF hat klare Regeln: Auf neun und mehr Doper in der zweijährigen Qualifikationsphase für Olympia folgt der Ausschluss einer Nation. Russland bringt es auf derzeit acht vom Weltverband gesperrte Heber und verlieren deshalb schon jetzt zwei Rio-Startplätze. Unter den Sündern ist etwa der der Fabelweltrekordler im Superschwergewicht, Alexej Lowtschew. Er flog bei der absurd verseuchten WM Ende 2015 (24 positive Fälle) mit einem Wachstumshormon auf, das erst neuerdings gut zu detektieren ist – und will vor den Weltsportgerichtshof CAS ziehen. Sein Verbandspräsident assistiert: Auch im Gewichtheben laufe „eine böswillige Intrige gegen unser Land“.

„Das ärgert mich“, sagt Baumgartner. Erst vor einer Woche sind in Russland wieder sechs Heber überführt worden. Fälle, die für die IWF allerdings nicht zählen, weil nicht bei deren Tests aufgefallen. Dazu: Die Gewichtheber stellen 20 Sünder bei den IOC-Nachanalysen von Peking und London – mehr als ein Drittel aller Fälle. Deshalb müsse seine Sportart, so findet der Deutsche, „der Öffentlichkeit und der Olympischen Familie“ zeigen, „dass wir alle Möglichkeiten für glaubwürdige Wettkämpfe in Rio ausschöpfen und unser zuletzt erfolgreiches Antidoping-Programm um die Nachtests für 2014 ergänzen.“

Ob Baumgartners Vorschlag, der mit dem Ausschluss der Russen enden könnte, in der erweiterten Sportfamilie auf Beifall stößt, ist fraglich. IOC-Präsident Thomas Bach bittet nächste Woche zu einem Treffen, um das Vorgehen der Weltverbände, wie es heißt, „zu harmonisieren“. Dabei gehe es „um die schwierige Entscheidung zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit“. Im Klartext: um die Frage, ob man überhaupt einen Bann gegen Russland, gegen eine Nation, verhängen darf.

Interessant daran ist vor allem, wie Jurist Bach, der öffentlich gern den entsetzten Mahner für „Null-Toleranz“ gibt, ein Urteil ignoriert, das diese Frage längst beantwortet hat. Denn die Gewichtheber haben den bulgarischen Verband nach elf positiven Dopingfällen bereits für Rio gesperrt – und der Internationale Sportgerichtshof hat das bestätigt. In dem bisher unveröffentlichten Urteil (CAS 2015/A4319) stecken viele Sätze, die auch Bach interessieren müssten:

Eine Olympiasperre gegen einen Verband ist demnach nämlich nicht als „Sanktion gegen einzelne Athleten“ zu verstehen. Vielmehr würden diese an der Olympiateilnahme gehindert, weil sie zu einem Nationalverband gehören, „der unfähig ist, Doping effektiv zu bekämpfen“.

Wenngleich, auch das steht im Urteil, die Weltverbände ihre nationalen Mitglieder lediglich daran hindern können, den eigenen Nationalen Olympischen Komitees Athleten für Rio zu empfehlen: „Zu erwarten ist jedoch, dass die NOKs keine Athleten gesperrter Verbände nominieren und, sollte das dennoch geschehen, das IOC die Teilnahme solcher Athleten untersagt.“

„Übergeordnete Anliegen“ würden ein solches Vorgehen rechtfertigen – wie das, „die Werte des Sports zu schützen“. Heißt nichts anderes als: Der faire Sport geht vor. Schwere Kost für Bach, sollte der tatsächlich intervenieren wollen, falls der Leichtathletik-Verband IAAF morgen die Russen ausschließt.

Zurückhaltung des IOC scheint auch aus anderem Grund geboten: Eine Personalie wirft neue Fragen zur Rolle der Olympier in Russland auf. Die jüngste ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping“ zeigte ein Papier, das für das IOC einige Sprengkraft besitzt. Darin schildert Grigori Rodschenkow, der in die USA geflohene Leiter des russischen Kontrolllabors, wie Moskaus Antidoping-Beauftragte Natalja Schelanowa angeblich dabei half, positive Proben zu vertuschen. Soweit bekannt.

Gleich mehrfach aber taucht auch der Name eines vorgeblich „engen Verbündeten“ der Ministeriumsdame auf: Dr. Patrick Schamasch, bis 2012 zwei Jahrzehnte lang Medizindirektor des IOC: „Alle Verhandlungen und mögliche Ergebnisse“, heißt es etwa zu russischen Betrugs- und Bestechungspraktiken in der IAAF, „diskutierte sie mit Dr. Patrick Schamasch.“

Schelanowa, schon 2015 im Wada-Bericht zur Leichtathletik als unglaubwürdig eingestuft, bestritt – und so hält es auch Schamasch: „Niemals“, sagt er, „habe ich Wissen von solchen Vorgängen gehabt.“ Allerdings bestätigt er die in dem Papier („Putins Berater“) behauptete bedenkliche Nähe zur russischen Sport-Armada: Nachdem Schamasch bis 2012 fürs IOC den Aufbau des Doping-Labors in Sotschi beaufsichtigte, heuerte ihn umgehend das russische Sportministerium an. Schamasch sagt: „zur Entwicklung eines effektiven Antidoping-Programms“. Massive Verdachtshinweise auf das offenbar staatlich orchestrierte Betrugsprogramm in Sotschi soll das IOC schon vor den Spielen bekommen und – ignoriert haben. Spielte Schamasch dabei mit?

Auf seine Dienste setzen sowohl Moskau als auch die olympische Familie noch immer: Der Mediziner steht auf einer vom russischen Sportministerium veröffentlichten Gehaltsliste des nationalen Eisschnelllaufverbandes. Für Thomas Bach wirkt er nach eigenen Angaben als Berater für Rio. Und bei den Gewichthebern leitet er die Antidoping-Kommission. Als die IWF unlängst ein Seminar zur Betrugsbekämpfung veranstaltete, lud er auch eine alte Bekannte aufs Podium: Natalia Schelanowa.

* * *
Eine Ergänzung zur IWF, ganz aktuell:

Ein sehr wichtiger Text erschien vorgestern in der New York Times:

Darin wird die Rolle der WADA, des IOC bzw von IOC-Funktionären, die meist in Mehrfachfunktionen auftreten (wie IOC-Vize und Mutko-Freund und WADA-Präsident Craig Reedie) noch einmal ausführlich rekapituliert. Einige Details waren schon bekannt, so ist das nun mal, einige Puzzleteile fügen Rebecca Ruiz & Co. hinzu, die vor Wochen schon die große Geschichte mit Laborleiter und Chefdoper Grigori Rodschenkow veröffentlicht hatten. Pflichtlektüre! Sie schlagen den Bogen von der WADA-Gründung bis heute und beschreiben ausführlich, wie russische Whistleblower über Jahre verarscht und vertröstet wurden.

Hochinteressant finde ich auch einige Statements von Sportlern und Verbänden, die in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden. Etwa den offenen Brief des DLV an das IOC und die IAAF („Der Sport wird in sich zusammenbrechen“), die Stellungnahme des kanadischen Leichtathletikverbandes zur Causa Russland, die Haltung britischer Spitzensportler – und sogar zwei IOC-Athletenvertreter, die sich öffentlich kaum einmal kritisch äußern, haben einen bemerkenswerten Brief verfasst: die Kanadierin Beckie Scott (ehemaliges IOC-Mitglied/die nach den Winterspielen 2002 in Salt Lake City erst von Bronze auf Silber und dann von Silber auf Gold rutschte, nachdem Russlands Doper enttarnt wurden, auch 2002 war das ein großer Skandal!) und Claudia Bokel, das stillste deutsche IOC-Mitglied aller Zeiten, noch bis Rio Chefin der Athletenkommission und IOC-Exekutivmitglied.

Nachtrag: Die deutsche Athletenkommission äußert sich nun auch in einem offenen Brief:

So there are defined rules of how easy it is to ban single athletes from the games. Compared to the contamination in Russian athletics and IAAF, the answer seems obvious – there must be a serious sanction, a ban is inevitable.

But will a ban in Russia target the global problem itself or is a single ban the strategy out of the current situation? Probably not! So for us as athlete’s representative a Russian ban has to be combined with a strategy that needs to meet the following requirements …

Und nicht zu vergessen: Jared Tallent, Geher aus Australien, hat heute endlich jene Goldmedaille erhalten, die ihm 2012 in London von russischen Dopern gestohlen wurde.

Ein großer Moment …

… den Tallent im heimischen Garten geprobt hatte:

Dies als kleine Vorbereitung – wir sehen und lesen uns hier wieder ab 17.00 Uhr.

3 Gedanken zu „„Bad mantra“: die IAAF, die WADA, das IOC und das russische Staatsdoping“

  1. Pingback: Russland nimmt Kurs auf die Winterspiele 2018 in PyeongChang: nächste Ausfahrt CAS • Sport and Politics

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