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Das Olympische Bildungsmagazin

Olympic bidding race 2018: die letzten Stunden

DURBAN. Ganz ehrlich, wie immer: Mann wird hier irre. Medien sind schon was Sonderbares. Da wird eine künstliche Hektik erzeugt, der Mann sich kaum entziehen kann und an der Mann ja mit seiner Arbeit ein bisserl auch beteiligt ist. Ich versuche dennoch, ruhig zu bleiben und mich dem Branchentrend zur Hyperventilation zu widersetzen.

Im Grunde halte ich es eher mit Gian-Franco Kasper, IOC-Mitglied und Ski-Weltverbandspräsident aus der Schweiz, der mir vorhin gesagt hat, das Desinteresse im IOC an den Winterspielen 2018, die am Mittwoch vergeben werden, sei geradezu beängstigend.

Aber das nur am Rande.

Denn: It’s showtime, folks!

Oder, um mit Jon Tibbs zu sprechen, zu dessen Kernaufgaben es zählt, für München 2018 ein Momentum zu kreieren:

Ein Momentum ist für mich, wenn die Medien nicht mehr über die Schwächen eines Bewerbers berichten, sondern nur noch über die positiven Aspekte.

Die Leute sprechen dann nur noch über Positives und ignorieren die Schwächen.

Ich brauche jetzt mal eine Pause, bevor es in die nächste Schicht geht, zur Eröffnung der IOC-Session, und hier ein weiteres Textlein erscheint.

  • Hören Sie doch gern noch mal rein, das war eine Heidenarbeit, diese 27 Minuten über olympische Spindoktoren zu produzieren:

:

Für morgen, Mittwoch, kündige ich schon mal einen echten Live-Blog von der Entscheidung an.

Bis gleich.

21.22 Uhr: Treffe gerade Sepp Blatters beide Reisebegleiter im wegen der IOC-Sessionseröffnung verwaisten Hilton Hotel. Blatter war mit den beiden gestern bei Robert Mugabe in Harare.

Ich: Habt ihr denn kein Gewissen? Schämt ihr euch nicht?

Walter Gagg, Sepps Freund und FIFA-Direktor:

Wieso? Ich war doch auch schon bei Videla und bei Pinochet.

21.25 Uhr: Momentaufnahmen von heute Nachmittag im Hilton, verfasst für einige Zeitungen:

* * *

Gesund leben nicht alle im hektischen olympischen Zirkel. Gian-Franco Kasper schon gar nicht. Wer Kasper sucht, muss nur vor die Tür gehen, dort wo die Raucher stehen. Im Hilton Hotel zu Durban ist das nicht anders als kürzlich in Lausanne oder in London. Kasper braucht seine Dosis Nikotin, anders kann man es nicht sagen. Er hat schon viele Bewerbungen verfolgt, ob nun als IOC-Mitglied oder im Ski-Weltverband FIS, wo er Jahrzehnte Generalsekretär war und seit einer weiteren Ewigkeit als Präsident amtiert. Vor einigen Wochen hat er Olympiabewerber als „paranoid“ bezeichnet und kürzlich die im Umkreis des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) herum wuselnden Lobbyisten als „Schmarotzer“. So kennt und schätzt man Kasper. Er liebt klare Worte so sehr wie seine Zigaretten.

Das IOC-Hotel in Durban, fünfzig Meter neben dem Internationalen Kongresszentrum gelegen, in dem am Mittwoch auf der 123. IOC-Session die Winterspiele 2018 vergeben werden, ist eigentlich für derlei Anlässe nicht geeignet. Denn es bietet nur eine winzige Lobby, da bleibt kaum Platz für Lobbyisten, die ihre Zielpersonen anvisieren können. Die Olympiabewerber aus Pyeongchang, München und Annecy stört das ein bisschen, Kasper aber ist zufrieden. „Da lassen sie mich in Ruhe.“

Als Wintersport-Präsident muss man ihm ohnehin nichts mehr erzählen. Andererseits aber wundert sich Kasper, wie wenig Interesse seine IOC-Kollegen an dieser Bewerbung haben. Viele trafen erst am Dienstag in Durban ein, etwa Schwimm-Weltpräsident Julio Maglione aus Uruguay, der beim Check-In sofort vom Münchner Lobbyisten Carlos Garcia belagert wurde, der ebenfalls aus Uruguay stammt; oder der Franzose Guy Drut, der einmal mehr bewies, wie egal ihm die Offerte aus Annecy ist.

Das Desinteresse ist fast schon beschämend und beängstigend …

… sagt Gian-Franco Kasper. „Da sollte man besser eine Briefwahl machen als so eine Show.“

Olympische Winterspiele sind schon deshalb ein Minderheitenprogramm, weil die meisten der 110 IOC-Mitglieder aus Ländern kommen, die keine große Wintersporttradition haben oder aus geografischen Gründen ohnehin nie für Winterspiele infrage kommen. Manche Mitglieder lesen den Prüfbericht nicht, das ist bekannt, darauf haben kritische Zeitgenossen wie Kasper oder der Kanadier Richard Pound immer wieder hingewiesen.

Für 2018 bewerben sich nur drei Städte, Annecy nicht einmal richtig – es ist das kleinste Feld seit drei Jahrzehnten. Die Absagen für Durban häufen sich. Da die Mitglieder aus den Bewerbernationen nicht votieren dürfen, so lange ihre Städte dabei sind, könnten am Mittwoch im ersten Wahlgang schon 49 Stimmen für die absolute Mehrheit reichen.

Katarina Witt hat am Montag in Durban das letzte Häkchen machen können, denn es gab bis dahin noch ein IOC-Mitglied, das sie nicht gesprochen hatte: Den Finnen Saku Koivu, der für die Anaheim Ducks in der NHL Eishockey spielt. Als NHL-Profi ist man gut beschäftigt. „Ein Treffen hat sich einfach nie ergeben“, sagt Witt. Das ist nun auch erledigt.

Eine Momentaufnahme, 20 Stunden vor der Wahl: Am Dienstagnachmittag, als Guy Drut gerade eincheckte, sitzt die Witt mit dem Ukrainer Sergej Bubka im Cafe. Zwei Tische weiter bearbeitet Pyeongchangs Bewerbungschef Yang Ho Cho den Präsidenten des Amateurbox-Weltverbandes, Ching-Kuo Wu aus Taiwan. John Furlang, Organisationschef der Winterspiele 2010 in Vancouver ist ebenfalls gerade angekommen, Carlos Nuzman, IOC-Mitglied und Organisationschef der Sommerspiele 2016 in Rio, eilt zum Aufzug. Der Russe Schamil Tarpischtschew, der als Sportminister einst Milliarden veruntreut hat, schlurft gemeinsam mit Shagdarjav Magvan aus der Mongolei durch die Lobby. Magvan ist aber uninteressant für die Bewerber, denn als IOC-Ehrenmitglied hat er keine Stimme.

Für München ist wieder die Frauen-Combo am Start: Katarina Witt und Claudia Bokel, als Athletensprecherin selbst IOC-Mitglied, assistiert von Severine Hubert aus dem Team des Spindoktors Jon Tibbs und von Katrin Merkel, die beim DOSB und in der Olympia GmbH als Direktorin für Internationales agiert. Außerdem stets in der Nähe sind Judith Bongard und Angela Grammatikos aus der Bewerbergesellschaft. Dieses kleine Team hat in den vergangenen zwei Jahren gewiss mehr als 1.000 Gespräche angebahnt und tat das noch bis weit in die Nacht.

Nebenan im Pressezentrum hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer gerade TV-Interviews gegeben, stürzte in eine BMW-Limousine und zum nächsten Medientermin mit Münchens Sportbotschaftern. Hektische Betriebsamkeit auf allen Ebenen, ein reichlich absurdes Theater, wobei die interessantesten Termine ja hinter geschlossen Türen ablaufen, auf anderen Etagen des Hilton und in weiteren Etablissements.

Was bespricht etwa Bundespräsident Christian Wulff mit IOC-Mitgliedern. Was versprechen die Abgesandten von BMW? Was machen die Geldverteiler von Samsung, dem IOC-Sponsor, der vom hochkorrupten IOC-Mitglied Kun Hee Lee geführt wird? Das sind entscheidende Fragen, auf die es keine verlässlichen Antworten gibt. Wie immer im Olympiapoker.

Charles Beigbeder, der erst seit einem halben Jahr die Geschäfte des Kandidaten Annecy führt und stets für naiv-spitze Kommentare gut ist, hat auch diesmal Schlagzeilen gemacht. Eine französische Nachrichtenagentur zitierte ihn mit den Worten, die Olympischen Winterspiele sollten keine Trophäe für einen Konzern sein. Natürlich wurde dies als Attacke auf die Bemühungen von Samsung, Korean Air und BMW verstanden. Am Dienstag erklärte der arg in Bedrängnis geratene Beigbeder, wenig überraschend, er sei missverstanden worden und habe das alles nicht so gemeint.

Schon klar.

Der Irrsinn geht weiter. Die Lobbyisten lauern. IOC-Mitglieder schlendern mit Schals in den südafrikanischen Nationalfarben vorbei, offenbar gab es irgendwo eine Einkleidung. In Kürze wird im Durban Play House die IOC-Session eröffnet. Vorher aber gibt auch Franz Beckenbauer noch eine Pressekonferenz für München. Während ein Reporter aus Holland gerade belustigt von einem Eislauftermin mit Pyeongchangs Superstar Yuna Kim berichtet. Es war ein Fiasko: Denn Fräulein Kim hatte leider nicht die richtigen Schlittschuhe parat, das Eis war ihr zu weich – und überhaupt. Man kann nicht alles haben.

Am Mittwoch aber wollen sie alles. München und Pyeongchang. Es gibt nur eine Goldmedaille, kein Silber.

7 Gedanken zu „Olympic bidding race 2018: die letzten Stunden“

  1. @jw
    Fliegen die anderen eigentlich auch ihre Jubelperser (genannt Fans) ein? Machen Deutsche das zum ersten Mal, oder gibts da eine Art Tradition? (Außer der ostdeutschen, natürlich.) Kommt das irgendwie, bei irgendwem an? Als Momentum oder so?

  2. Kann die „titanic“ nicht mal wieder aktiv werden und beispielsweise die sog. Fangruppen zu den Konkurrenten ins Hotel umquartieren? Oder aber die Beginnzeiten der Pressekonferenzen austauschen? Oder aber Enthüllungs-PKs ankündigen?

  3. Der Hausherr bei Spiegel Online

    Olympia-Entscheidung in Durban
    Wie wichtig Frau Witt wirklich ist
    Darf München noch hoffen, die Olympischen Winterspiele 2018 auszurichten? Welche Rolle spielt Katarina Witt für die deutsche Bewerbung? Ist Korruption im Spiel? Kurz vor der Entscheidung beantwortet Jens Weinreich die 18 wichtigsten Fragen rund um die Vergabe.

  4. Spiegel Online im Allgemeinen, insbesondere der genannte Artikel leiden unter Linkarmut. Das macht das Blog hier so interessant (und wichtig): die Verlinkung von Hintergrundinfos.

    (Wollet ich oben schon sagen, aber habe zu schnell geklickt.)

  5. @ha
    Die da hingeflogen sind und nicht qua Wichtigkeit dazu berufen sind haben 2018 € gelöhnt. So war zumindest das Angebot der Bewerbergesellschaft.

  6. @FG
    Schon klar. Aber Fans zu einer IOC-Abstimmung im „Fanflieger“, von einer Bewerbergesellschaft organisiert – kann sein, so etwas ist allgemein üblich. Ist mir dann schlicht noch nicht aufgefallen.

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