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Das Olympische Bildungsmagazin

Über den DOSB in Tokio, angebliche Intrigen und eine ganz eilig durchgeführte Kulturanalyse

URAYASU. Knapp zehn Stunden noch, bis das Feuer verlischt. Gerade läuft der zweite Teil der 138. IOC-Session mit der Aufnahme neuer Mitglieder und der Selbstbeweihräucherung durch den Großen IOC-Führer, The Greatest IOC Leader Of All Time (TGIOCLOAT/FDP). Um es kurz zu machen:

Im Newsletter 17 habe ich mich in der vergangenen Nacht ein wenig dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) beschäftigt. Das möchte ich Ihnen in diesem Theater nicht vorenthalten.

Im aktuellen SPIEGEL, Heft 32/2021, habe ich mich gemeinsam mit Thilo Neumann in einer kleinen Bilanz dem DOSB und den nächsten Monaten gewidmet, in denen wichtige Weichen für die Zukunft des deutschen Sports gestellt werden sollen/müssen/werden. Den ganzen Text (“Ständige Lügen des Präsidenten haben das Vertrauen zerstört”) darf ich Ihnen hier nicht reinknallen. Es geht um den DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann (CSU), seine Performance, seinen Abschied und um die Zukunft. Ich darf ein bisschen zitieren, ein Anreißer …

Im März 2021 hat Martin Engelhardt erneut die Initiative ergriffen und eine kleine, einflussreiche Gruppe zu einem Brainstorming versammelt. Dem SPIEGEL liegt das Protokoll des Treffens vor: In Berlin kamen Engelhardt, der langjährige DOSB-Generaldirektor Michael Vesper und Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruderverbandes (DRV) zusammen. Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), wurde per Video zugeschaltet.
Das Quartett stellt Hörmann ein vernichtendes Zeugnis aus: “Ständige Lügen und das Umgangsverhalten des Präsidenten (u. a. fehlende Kritikfähigkeit und Unfähigkeit zum Kompromiss) haben das Vertrauen zu den Partnern des Sports zerstört”, heißt es im Protokoll. “Fachlich ist der DOSB nicht in der Lage, die Anforderungen, die an ihn gerichtet sind, erfolgreich zu erfüllen. Viele Verbände haben sich innerlich vom DOSB verabschiedet.”
Auf Grundlage dieser Analyse beschlossen die vier, Hörmann abzulösen. Die Führung in diesem Prozess solle Michael Vesper übernehmen, ausgerechnet jener Mann, der mehr als ein Jahrzehnt die DOSB-Administration geleitet hatte. Vesper, ehemals für die Grünen stellvertretender Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, hatte Hörmann 2013 als Präsident vorgeschlagen, sich aber später mit ihm zerstritten und im Groll seinen Platz beim DOSB geräumt. Inzwischen ist er für das Internationale Olympische Komitee (IOC) als sogenannter Senior Advisor tätig. Als solcher war Vesper auch in Tokio.
Gegenüber dem SPIEGEL sagt Vesper über die Gruppe, dass er “an dem Spiel überhaupt nicht beteiligt” sei, “ich wünsche mir nur, dass es dem DOSB gut geht”.

… Sie können den SPIEGEL kaufen, als Vorspeise, in einigen Tagen bekommen Sie in SPORT & POLITICS den Hauptgang zum DOSB und zur Lage und zur Zukunft und überhaupt – auf rund 20 Seiten. Es wird sich lohnen.

Und so sieht so ein Protokoll aus, jedenfalls die erste Seite:

Ergebnisprotokoll-Arbeitstreffen-vom-18.03.2021-19.03.2021-verschoben

ielleicht ist es das, was Hörmann und seine Leute als Intrige bezeichnen. Für mich ist es eher keine Intrige, aber was weiß ich schon. Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), für den DOSB als Chef der hausinternen Ethikkommission tätig, hat kürzlich in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung auch auf eine Frage nach einer Intrige geantwortet. Man habe das geprüft, die Frage dann aber wohl mit Nein beantwortet. So eindeutig scheint mir die Antwort nicht.

Thomas de Maizière urlaubt derzeit und stand mir nicht für ein Gespräch zur Verfügung. Ich hatte in Tokio natürlich auch Alfons Hörmann um ein Gespräch gebeten, jenen Mann, der gegen mich und den SPIEGEL wegen einer anderen Geschichte gerichtlich vorgeht (und auch sonst gern einen Anwalt vorschiebt), die in der sportpolitischen Branche, in Frankfurt am Main und Berlin besonders, vielbeachtet worden ist: “Der Millionenstreit über Olympia in Deutschland”. Anfang März hatte ich meine Expertise, die u.a. auf ausführlichem Aktenstudium im BMI auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) beruhte, in einer umfangreichen Stellungnahme für den Sportausschuss des Bundestages erweitert. Sie glauben gar nicht, wie aufmerksam dieses Papier von DOSB-Führungskräften gelesen wurde. Sie konnten sauber die Inhalte und sogar die Nummer der Absätze wiedergeben.

In Tokio, das hat mich nicht wirklich gewundert, fand Alfons Hörmann keine Zeit für ein Gespräch. Jedenfalls schrieb mir Michael Schirp mit, der hier in Tokio den Sprecher des DOSB gibt, nach reiflicher Überlegung Anfang der Woche:

Wie bereits mehrfach mitgeteilt, konzentrieren wir uns in Tokio vollumfänglich darauf, das Team D zu unterstützen und werden deshalb während der Olympischen Spiele nicht zu verbandspolitischen Fragestellungen Stellung beziehen.
Aus dem gleichen Grund steht Herr Hörmann auch nicht für ein Interview zur Verfügung.

Das ist interessant.

Zu “verbandspolitischen Fragestellungen” wollte man keine Stellung beziehen, weil man sich “in Tokio vollumfänglich darauf konzentriert, das Team D zu unterstützen”.

Fakt ist allerdings, dass die DOSB-Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker, die neben Alfons Hörmann, dem Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig (Vorstand Leistungssport) und DOSB-Vizepräsidentin Uschi Schmitz (hier CLO Officer) der vierköpfigen Teamleitung angehört, in Tokio ganz entscheidende Themen beackert hat, die eher weniger damit zu tun haben, sich “vollumfänglich darauf zu konzentrieren, das Team D zu unterstützen”. Ein paar Details möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Mehr gibt es im olympischen Bildungsmagazin SPORT & POLITICS.

Ein Beispiel: Am 27. Juli, während der Spiele, schrieb Rücker an die Mitglieder des DOSB-Präsidiums:

Herzliche Grüße aus dem heute goldreichen Tokio. Nach einer intensiven Vorbereitung und den ersten Wettkampftagen komme ich leider erst heute dazu, Euch über den aktuellen Stand der Kulturanalyse und -entwicklung im DOSB zu informieren.
Wie in der letzten Präsidiumssitzung vorgestellt und beschlossen, haben wir uns zur Unterstützung des Prozesses der Kulturanalyse und -entwicklung für das Unternehmen permitto entschieden und diese inzwischen auch beauftragt. Mit dem Betriebsrat haben wir für die Befragung eine Betriebsvereinbarung verhandelt und zwischenzeitlich unterzeichnet. Zudem haben wir am vergangenen Donnerstag 
(einen Tag vor Eröffnung der Corona Games/JW) eine Dienstversammlung durchgeführt, in der wir alle Kolleg*innen über das geplante Analyseverfahren und das gemeinsame Vorgehen informiert haben. (…) Im Rahmen der Kulturanalyse sind natürlich auch Interviews mit den Mitgliedern des Präsidiums und des Vorstandes geplant. Diesbezüglich habt Ihr in den letzten Tagen auch eine Mail von permitto erhalten mit einer Einladung zu einem „congrid Interview“ (das ist die verwendete Methodik), die leider ohne weitere Hintergrundinformationen an Euch verschickt worden ist. Die Interviews mit Präsidium und Vorstand werden von den beiden Inhabern des Unternehmens geführt, Herrn Savo Klingen und Frau Beate Weber von Koslowski. Sie haben bereits erste Termine für die Gespräche mit den Präsidiumsmitgliedern reserviert, die in der Mail enthalten waren und sich vorwiegend auf den 09.08. bezogen, da wir hoffen, dass viele von Euch zur Willkommensfeier und zur anschließenden Präsidiumssitzung nach Frankfurt kommen. (…) Wir finden es sehr wichtig, dass sich alle Mitglieder des Präsidiums und des Vorstandes an der Analyse beteiligen. (…)

Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sie im DOSB dabei sind, irgendwelche Agenturen und Wirtschaftsberater zu verpflichten. Was das nur kostet. Dafür ist Geld da.

Erinnern Sie sich noch an die viel diskutierte Tätigkeit von Ernst & Young für den DOSB? Das war bis Ende 2016 und brachte einige katastrophale Ergebnisse für den olympischen Dachverband, lief übrigens parallel zu den Vorbereitungen der (schon vergessen?) Leistungssportreform, die in jenem Jahr im November in Magdeburg verabschiedet wurde. In der Präsentation von E&Y hieß es damals u.a

Aufgaben-_und_Effizienzanalyse_des_DOSB_Ergebnisbericht-verschoben

Ich weiß ad hoc nicht, wie viel Geld E&Y gekostet hat. Viel geändert hat sich seither offensichtlich nicht, nachhaltig kann das alles nicht gewesen sein, wenn wir den Offenen Brief eines Teils der Belegschaft vom Mai (Klima der Angst”) und den anschließenden Bericht der Ethikkommission von Thomas de Maizière und allerlei andere Dinge zum Maßstab nehmen. Die Hauptverantwortlichen, die Vorstandsvorsitzende und der Präsident, ziehen noch immer die Fäden und wollen nun also unbedingt ganz schnell einen Culture-Change-Prozess einleiten. So schnell, dass sogar während der Tokio-Spiele in Frankfurt in der Zentrale Interviews geführt werden mussten.

Ich meine, okay, vielleicht muss nicht jeder in Frankfurt für Team D arbeiten, kann vielleicht Urlaub machen oder eben permitto Interviews geben.

Aber echt jetzt, warum diese Eile? Während der kompliziertesten Spiele aller Zeiten? Und warum soll das unbedingt alles im August/September schon abgeschlossen sein?

Weil da vielleicht jemand doch nicht nicht wieder als DOSB-Präsident antreten will?

Letzteres glaube ich nach meiner umfangreichen Recherche hier nicht mehr. Aber man soll ja nie nie sagen. Jedenfalls, wenn Sie wissen möchten, was die jüngste Agentur-Verpflichtung dieser Tage so macht in der DOSB-Zentrale und was für die nächsten Wochen geplant ist, voilà, dafür gibt es diesen Newsletter:

DOSB_DV_20210722-verschoben

Und gleich nochmal verschriftlicht, nicht als Foto:

  1. Standortbestimmung und Aufarbeitung der DOSB Kultur
    Wo kommt der DOSB her? Wo steht er heute? Wo will er hin?
    Was soll der DOSB weglassen? Was behalten? Was dazugewinnen? Was sind Stellhebel und Handlungsfelder?
  2. Differenziertes Bild über die Führungs- und Organisationskultur
    Wo stehen die Teilsysteme (Präsidium, Vorstand, Führungskräfte und Teams, Organisation).
  3. Entwicklung eines DOSB Zielbildes und einer Soll-Kultur
    Orientierung geben: Welches Zukunftsbild soll den DOSB prägen? Und wie kann der DOSB das Zielbild messbar erreichen?
  4. Entwicklung einer Veränderungsarchitektur für die Selbstorganisation
    Für alle Teilsysteme und für die DOSB Organisation, Einbeziehung aller Mitarbeiter
  5. Monitoring des Erfolges
    Kontinuierliche Messung und Evaluation des Veränderungserfolges auf auf allen Systemebenen, ggf. Anpassung von Maßnahmen

Ehrlich gesagt, wenn man nicht weiß, wo der DOSB her kommt und wo er hin will, dann kann man den Laden auch gleich zumachen. Gibt es nicht doch jemanden im deutschen Sport, der diesen teuren Quatsch abblasen könnte?

Wahrscheinlich nicht. Die Agentur ist verpflichtet und macht nun irgendeine Arbeit.

Dabei ist es doch viel wichtiger, zunächst einmal einen Plan zu entwickeln und zu debattieren, wo der deutsche Sport insgesamt hin will. Nicht diese DOSB-Nabelschau. Martin Engelhardt, Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU), nennt das Nationalen Sportplan. Diese Frage, die viele Funktionäre abseits des DOSB umtreibt, in LSB und Spitzenverbänden, die teilweise seit Jahren Bypässe zum DOSB legen, wie es mir Thomas Konietzko so schön gesagt hat, der Präsident des Deutschen Kanuverbandes (DKV) und bald auch Präsident des Weltverbandes ICF. Bei Athleten Deutschland wird man erst recht nicht an diesem Punkt der Selbstbefassung in der DOSB-Zentrale stehen bleiben. Die Athleten werden, das habe ich im Juni schon mal angekündigt und kürzlich wiederholt (Systemversagen des deutschen Verbandssports), garantiert ein Zukunftskonzept vorlegen.

Es wird das beste Konzept sein, was im Herbst das Licht der Welt erblickt. So wie andere Papiere aus der Produktion von Athleten Deutschland seit Jahren die besten und meist auch die einzigen sind, die aus dem Sport zu wichtigen Gegenwarts- und Zukunftsthemen kommen. Darüber muss diskutiert werden. Auf ganz breiter Basis.

Bei DOSB/permitto soll es aber so weiter gehen:

DOSB_DV_20210722-verschoben-2

Und dann gibt es da noch die drei Arbeitsgruppen, die kommende Woche ihre Tätigkeit aufnehmen sollen, besetzt mit den üblichen Verdächtigen: 

  1. AG Personal (Ingo Weiss)
  2. AG Inhalt (Michaela Röhrbein)
  3. AG Struktur (Franz Steinle).

Auch dieses Dokument möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

AG-ZuordnungGESAMT

Es ist kompliziert. Jetzt wissen Sie aber für die nächsten Tage Bescheid. Denn kommende Woche wird in Frankfurt mächtig getagt und gesprochen.

So wie geplant wird das alles nichts bringen.

Da braucht es schon mehr Druck, andere Denker, neue Namen, frische Ideen.

Nach Veröffentlichung des Newsletters habe ich in der Nacht zum Sonntag jedenfalls schon ein halbes Dutzend Zuschriften aus der DOSB-Familie erhalten. Alle finden es durchaus empörend, was Veronika Rücker da wieder vor hat mit dieser merkwürdigen Kulturanalyse, und warum da vorschnell gehandelt und wieder viel Geld rausgeschmissen wird.

Auf der DOSB-Abschlusspressekonferenz am Sonnabend im Olympischen Dorf waren Hörmann und Schimmelpfennig zugegen. Über Machtfragen (wer wird Hörmanns Nachfolger?) sowie Kultur– oder sonstige Analysen wurde nicht gesprochen. Abschließend nur einige Anmerkungen zu Schimmelpfennig, der mich irgendwie belustigte. Ich hatte das auf Twitter bereits gewürdigt:

Die DOSB-Führung bringt es also fertig, die segensreichen Wirkungen der Leistungssportreform auf den 1. Januar 2022 zu verschieben. Ab dann könne das alles erst greifen, erklärte Schimmelpfennig allen Ernstes.

Dabei lautete der Deal von Magdeburg doch: Mehr Geld, mehr Medaillen.

Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Die Bundesmittel sind seither exorbitant gestiegen, wie wohl niemals seit Ende der 1960er Jahre. Die Medaillenzahl wird, trotz mehr als zehn Prozent mehr olympischer Entscheidungen, aber deutlich geringer. Da passt vieles nicht zusammen.

Schimmelpfennig will sich nun “sehr stark auf den Nachwuchsleistungssport” konzentrieren. Die Landessportbünde und Länder sind da in der Pflicht, hat er gesagt. Die werden sich freuen, das zu hören. Und noch etwas: Schimmelpfennig will die Sportförderung “vereinfachen und entbürokratisieren”. Damit man sich “stärker auf die Inhalte des Leistungssports selbst zu konzentrieren” könne.

Ich übersetze das mal schnell:

Mehr Geld, weniger Kontrolle, weniger Medaillen, aber Hauptsache Kulturanalyse.

Sayōnara! Bleiben Sie neugierig!

NACHTRAG vom 2. Februar 2022: Weil Alfons Hörmann (CSU) immer noch jammert, was für ein schlechter Verlierer:


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