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Das Olympische Bildungsmagazin

Doping in Freiburg: das Gutachten zu Herbert Reindell

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Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat nach ewigem Gezerre vor wenigen Minuten ein weiteres Doping-Gutachten veröffentlicht. Wer hier im Blog Tags und/oder die Suchfunktion nutzt, findet Dutzende Beiträge und Dokumente zum Hickhack um die inzwischen aufgelöste bzw durch Rücktritte aufgelöste Doping-Evaluierungskommission und die eigentlichen Sachverhalte.

Das nun veröffentlichte Gutachten trägt den Titel: „Herbert Reindell als Röntgenologe, Kardiologe und Sportmediziner: Wissenschaftliche Schwerpunkte, Engagement im Sport und Haltungen zum Dopingproblem“. Dazu gibt es eine Zusammenfassung von Andreas Singler und einen Zusatz von Gerhard Treutlein. Am Gutachten hat Lisa Heitner mitgewirkt. Die Autoren Singler und Treutlein haben sich inzwischen heillos und unschön zerstritten. Den Stand dieser Streitigkeiten, auch zwischen Uni und Letizia Paoli, hat Grit Hartmann heute in der Berliner Zeitung zusammengefasst. Zunächst wie gewohnt Ihr Beitrag, danach folgen die Dokumente:

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Freiburger Kulissenschiebereien

von Grit Hartmann

Die Veröffentlichung von Gutachten zu den Breisgauer Dopingärzten verzögert sich, aber daran ist nicht die Universität schuld

Es war lange still um die Freiburger Dopingskandale und ihre Aufarbeitung. Zuletzt, seit März 2016, seit sich die mit dem Job betraute Evaluierungskommission um die belgische Mafia-Expertin Letizia Paoli geräuschvoll aufgelöst hatte, war das größte Aufklärungsprojekt der deutschen Dopinghistorie sogar für gescheitert erklärt worden. Es schien perfekt zur Skandalchronik aus dem Breisgau zu passen, dass der Auftraggeber, die Universität, weiteren Imageschaden abwenden wollte und deshalb, im Bund mit subtilen Kräften aus Sport und Landespolitik, die Kommission zermürbt hatte. Ein Ruf, den sich die Uni über Jahre tatsächlich verdient hat. Und nun? Das Bild ist längst nicht mehr so klar:

Fünf noch unveröffentlichte Gutachten liegen vor, rund 1500 Seiten. Nach Informationen dieser Zeitung hat die Universität jetzt grünes Licht gegeben wenigstens für die Expertise zu Herbert Reindell, zum 1990 verstorbenen Nestor der deutschen Sportmedizin. Sie soll in diesen Tagen publiziert werden, obwohl die Autoren – der Mainzer Dopinghistoriker Andreas Singler und der Heidelberger Sportpädagoge Gerhard Treutlein – heillos zerstritten sind. Das Gutachten ist lange überfällig, nicht nur, weil es schon 2014 von der Kommission angenommen wurde. Die Autoren präsentieren auch mindestens einen brisanten neuen Fund: Untersuchungen bei Gewichthebern in Freiburg ergaben schon in den 70er Jahren verdickte Herzkammer-Wände, und Reindell deutete dergleichen als „unbedenklichen Anpassungsvorgang“. Tatsächlich aber handelt es sich um eine hoch gefährliche Folge von Anabolika-Doping. „Bis heute“, so kritisieren Singler/Treutlein, seien in Freiburg „keinerlei Konsequenzen“ gezogen worden – „etwa in Richtung einer dringend erforderlichen systematischen kardiologischen Nachsorge von ehemaligen Kraftsportlern.“

Und wann kommen die Gutachten zu den Reindell-Schülern Joseph Keul und Armin Klümper, den eigentlichen Freiburger Doping-Gurus (Autoren: Singler/Treutlein), und die Sondergutachten zum Telekom-Radstall und zum Klümper’schen Doping im Fußball und Radsport (Autor: Singler)? Die Universität verweist auf noch fehlende Veröffentlichungsgenehmigungen, u.a. von Staatsanwaltschaften. Man wolle aber „möglichst vollständig und zügig“ publizieren.

Ginge es indes nach Letizia Paoli, der einstigen Kommissionsvorsitzenden, dürfte auch das Reindell-Gutachten nicht veröffentlicht werden. Vor knapp drei Wochen formulierte sie massive juristische Bedenken gegen sämtliche Arbeiten – auf 179 Seiten. Den Co-Autor Treutlein (er hatte um Stellungnahme gebeten) warnt sie vor „akutem Prozessrisiko“. Ihre Vorwürfe gehen ausschließlich an den Hauptautor Singler – angeblich hat er Veröffentlichungsgenehmigungen von Zeitzeugen „frei erfunden“, verstößt gegen diverse gesetzliche Vorschriften.

Bizarres Beispiel: Singler zitiert Stasi-Berichte von Manfred Höppner, dem Drahtzieher des DDR-Staatsdopings, zu Keul. Sie kommen aus dem Archiv der Dopingaufklärer Werner Franke und Brigitte Berendonk, sind seit vielen Jahren öffentlich diskutiert worden. Paoli spekuliert nun, Franke habe die Unterlagen „wohl außerhalb des gesetzlichen Verfahrens … zugespielt bekommen“. Auch deshalb drohe bei Nennung des „Klarnamens“ Keul Gefängnis- bzw. Geldstrafe. Zudem: „Ich verweise erneut auf die Erben von Prof. Keul und deren angeblich bereits deutlich gemachte Bereitschaft zum Bestreiten des Rechtsweges.“ Kopfschütteln bei Franke: Er habe sogar das schriftliche Okay der Stasi-Unterlagenbehörde für derlei Verwendung der Dokumente.

In Paolis Ausführungen finden sich überdies Hinweise darauf, dass Zeitzeugen zum Zurückziehen von Aussagen und Unterlagen gedrängt worden sind – ein profunder Substanzverlust, eine Entschärfung der Gutachten. Einige Widerrufe älteren Datums dokumentiert Paoli. Die meisten sind daran geknüpft, dass die Universität die Kommission auflösen würde. Ein Fall, der befürchtet worden war – aber nie eingetreten ist. Werner Franke etwa stellt klar, dass seine Genehmigung, anders als von Paoli behauptet, weiter gilt: „Ich bin Wissenschaftler, das heißt: Ich schaffe Wissen, und ich publiziere Wissen.“

Unumwunden rät Paoli Treutlein auch dazu, Zeitzeugen über Singlers angeblich inkorrektes Vorgehen zu unterrichten. Einzelne Einwände Paolis mögen bedenkenswert sein – insgesamt ist ihr Papier jedoch höchst irritierend. Schließlich war die Kommission zurückgetreten, weil sie „Zensur“ durch die Rechtsprüfung der Universität unterstellt hatte. Und es war ja tatsächlich ein Skandal, dass die Uni das Gutachten über Armin Klümper zunächst einem Anwalt übergab, der einst Rechtsbeistand des Sportmediziners war. Allerdings entdeckte selbst der weniger Risiken als jetzt Paoli.

Der Kleinkrieg um die Veröffentlichung jahrelanger Forschung zur Freiburger Dopinghistorie scheint also noch lange nicht ausgestanden. Der Aufklärung war damit noch nie gedient. Und nicht immer war klar, wer warum welche Kulissen schiebt. Das gilt auch für Paoli, die zu Recht gelobt worden ist fürs hartnäckige Erstreiten von Akten oder für die Aufdeckung von Plagiatsskandalen in der Sportmedizin. Auf Anfrage dieser Zeitung nach dem von Paoli seit Jahren angekündigten Abschlussbericht teilt die Universität Freiburg nun aber lapidar mit: „Frau Paoli hat gegenüber dem Senat im März 2016 erklärt, dass sie es nicht als ihre Aufgabe betrachte, einen Bericht zu verfassen.“

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Hier die Dokumente:

Singler betont in seiner Zusammenfassung des Gutachtens zu Professor Reindell, die die Universität ebenfalls im Internet veröffentlicht hat, Reindells „Leistungen auf dem Gebiet der Forschung zum sogenannten Sportherzen und dessen Identifizierung als gesundes und durch physiologische Anpassung an körperliche Ausdauerbelastung vergrößertes Organ“. Der Freiburger Sportmediziner habe maßgeblich dazu beigetragen, „die wissenschaftliche Basis auch für die Entwicklung des ausdauerorientierten Breiten- und Gesundheitssports hierzulande zu legen“. Die Annahme, Reindell habe anwendungsorientierte Dopingforschung betrieben oder veranlasst, könne nicht bestätigt werden. Auch sei nun durch Aktenfunde der Evaluierungskommission nachweisbar, dass nicht die Politik es war, die in der Hoffnung auf olympische Goldmedaillen die Sportmedizin zur Forschung über pharmakologische Leistungssteigerung gedrängt habe, wie bisweilen behauptet wird. Es sei die von Reindell geführte bundesdeutsche Sportmedizin gewesen, die „den Forschungskomplex zu den Möglichkeiten und Risiken pharmakologisch induzierter Leistungsbeeinflussung […] als Desiderat für sich entdeckte und die damit durchaus legitime wissenschaftliche Fragestellungen verband“.

Dennoch sei Reindell im Zusammenhang mit der Dopingproblematik des bundesdeutschen Sports nicht unbelastet: „Phasenweise schloss er sich der liberalistischen Haltung seines Schülers Joseph Keul an, der einen Unterschied machen zu können glaubte zwischen beherrschbarem ärztlich kontrollierten Gebrauch bestimmter Dopingmittel (Anabolika) auf der einen Seite und eigenmächtigen, gefährlichem Missbrauch durch Athleten auf der anderen. Erschwerend kommt hinzu, dass Reindell noch bis Ende der 1970er Jahre Anträge auf Forschungsförderung durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) gemeinsam mit Keul unterzeichnete – ohne das bei Keul offensichtliche Missbrauchspotential geplanter Vorhaben zu berücksichtigten.“ Allerdings habe der Deutsche Sportärztebund unter Reindells Führung Richtlinien erarbeitet, die sich der bundesdeutsche organisierte Wettkampfsport zu Eigen gemacht habe und die im Kern bis heute gelten: „Danach ist, in Übereinstimmung mit der Berufsordnung für Ärzte oder der 1981 verabschiedeten Deklaration von Lissabon durch den Weltärztebund, jede Form der medizinisch nicht indizierten pharmakologischen Intervention zum Zweck der Leistungssteigerung aus ärztlich-ethischer Sicht klar abzulehnen.“

Das Gutachten zu Reindell:

Zusammenfassung des Gutachtens von Andreas Singler:

Zusatz zum Gutachten von Gerhard Treutlein:

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4 Gedanken zu „Doping in Freiburg: das Gutachten zu Herbert Reindell“

  1. „Und nicht immer war klar, wer warum welche Kulissen schiebt.“ Das ist sicher lediglich als rethorische Frage gemeint.

  2. Sehr aufschlussreich. Hinter den Kulissen scheint ein erbitterter Kampf um die Wahrheit zu laufen. Der Preis dieser Wahrheit ist für viele, auch die Uni-Klinik, unbezahlbar, da existentiell. Wenn Gleichgesinnte zu Gegnern werden, sich in gordische Widersprüche verirren und in nicht nachvollziehbaren Bündnissen finden, ist die Lage zwar hoffnungslos, jedoch noch nicht verloren. ;)
    Der letzte Aufrechte aus einem vormals schlagkräftigen Häuflein scheint Andreas Singler. Danken wir ihm seinem Mut und drücken ihm die Daumen.

  3. Pingback: Doping in Freiburg: das Telekom-Gutachten von Andreas Singler • Sport and Politics

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