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Das Olympische Bildungsmagazin

Was vom Tage übrig bleibt (16): „Auferstanden aus Ruinen“

Kleines Special zum Fall Werner Goldmann. Die aktuellen Reaktionen der Holzpresse:

Gestern bereits verlinkt:

Ein älterer Blogbeitrag:

Und ein Lesebefehl – die zwei Wochen alte zackige Analyse von Jürgen Ahäuser in der Frankfurter Rundschau, „Auferstanden aus Ruinen“, komplett mit freundlicher Genehmigung der FR:

Vor einer Woche hat der deutsche Sport mit großem Pomp seine größten Athleten gefeiert. In Baden-Baden standen die Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen und Goldmedaillengewinner Matthias Steiner strahlend im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Zum Ruhm, Sportler des Jahres zu sein, waren die Schwimmerin und der Gewichtheber vor allem durch die Arbeit ihrer Trainer Norbert Warnatzsch und Frank Mantek gekommen. Im Kurhauses badeten beide im Applaus.

Mitgefreut hat sich der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach. Dabei hätte Deutschlands oberster Sportfunktionär eigentlich verschnupft reagieren müssen. Denn wenn es nach der hohen Moral gegangen wäre, die der DOSB vor den Olympischen Spielen plötzlich entdeckt hatte, dann hätte Norbert Warnatzsch in Peking gar nicht dabei sein dürfen – und die vor ihrem Doppel-Coup noch sehr zerbrechliche Steffen wäre im Wasser-Würfel wohl kaum in der Lage gewesen, den Deutschen Schwimmverband vor dem Untergang zu retten.

Die deutschen Leichtathleten waren in der chinesischen Hauptstadt so erfolglos, dass weder DLV-Sportler, noch der eine oder andere Trainer in den Genuss eines bigotten öffentlichen Auftritts kamen. Dennoch ist Werner Goldmann nun der Erste, den die Moralkeule erwischte. Der Trainer von Robert Harting, dem WM-Zweiten im Diskuswurf, wird nach einer Empfehlung der DOSB-Doping-Komission nicht weiter beim DLV beschäftigt.

Unmittelbar vor Peking hatte Goldmanns Ex-Schützling Gerd Jacobs den Coach beschuldigt, ihm Anfang der 80er- Jahre das in der DDR weit verbreitete Anabolikum Oral-Turinabol verabreicht zu haben. Jacobs ist anerkanntes Dopingopfer. Vor fünf Jahren musste er sich einer Herztransplantation unterziehen. Am 21. November hat Jacobs beim DOSB die Anschuldigungen bekräftigt, die Goldmann nun den Job als Bundestrainer kosteten. Gegen die DLV-Trainer Klaus Schneider und Klaus Baarck wird, wie auch gegen Warnatzsch, weiter ermittelt. Am 19. Januar will das DOSB-Präsidium sowohl über die Personalien als auch über die Rückforderung von Reise- und Aufenthaltskosten für Peking beraten.

Auch das Märchen vom trauernden Koloss Matthias Steiner hätte wohl kaum ein Happyend in der Raumfahrtuniversität der Volksrepublik gefunden, falls Steiners Mentor Mantek in Leimen hätte zuschauen müssen. Da aber hätte der Cheftrainer und Sportdirektor des Deutschen Gewichtheberverbandes nach dem scharfrichterlichen DOSB-Beschluss hingehört. Alle Ärzte und Betreuer der Olympiamannschaft mussten vor der Abreise nach China die Ehrenerklärung unterschreiben, nie mit Doping zu tun gehabt zu haben. Gegen Warnatzsch und andere DDR-Schwimmtrainer war 1997 ein Dopingverfahren wegen geringer Schuld eingestellt worden.

Das ZDF hat kurz vor Ende der Spiele den neuen Vorwurf erhoben, der Berliner Trainer sei 1977 an einem Versuch beteiligt gewesen, bei dem auch minderjährigen Athleten verbotene Mittel verabreicht worden seien. Frank Mantek, Bronzemedaillengewinner von Moskau, wird in dem Enthüllungsbuch „Doping – Von der Forschung zum Betrug“ von Brigitte Berendonk als Teil des DDR-Staatsplanthemas 14.25 (Einsatz unterstützender Mittel) genannt.

Auf die Frage der FR, ob es fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht ein wenig zu spät sei, um die ja eigentlich schon lange bekannte Dopingvergangenheit des gesamtdeutschen Sports aufzuarbeiten, reagierte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper gestern mit einer Gegenfrage: „Will man solche Leute denn bei Olympischen Spielen dabei haben?“ Klaus Schneider hatte diese Frage zuvor schon beantwortet: „Ich war viermal bei Olympia, ohne dass sich jemand daran gestoßen hat. Ich verstehe nicht, warum das jetzt wieder aufkommt.“ Mehr wollte der Kugelstoßbundestrainer wegen der laufenden Ermittlungen nicht sagen.

Sinnigerweise soll der Magdeburger den in Ungnade gefallenen Goldmann kommissarisch vertreten. Nach Auskunft von DLV-Cheftrainer Herbert Czingon trifft Goldmann zwar der Bannstrahl des Verbands, seine Sportler kann er aber weiter betreuen: „Er hat ja kein Berufsverbot.“ 2009, bei der WM in Berlin, will Goldmann Robert Harting wieder zu einer Medaille führen – wieder unter dem Beifall der DOSB-Führung? DLV-Präsident Clemens Prokop sagte, der Verband habe keine Wahl gehabt und der DOSB-Empfehlung folgen müssen. Der Amtsrichter räumte aber ein, dass „versäumt wurde, frühzeitig Kriterien für den Umgang mit belasteten Trainern zu entwickeln“.

Sinnbild für die Doppelmoral und den verpassten Schnitt ist Schwimm-Ikone Franziska van Almsick. Die Ex-Weltrekordlern hat ihre gesamte Karriere unter Trainern bestritten, die mehr oder weniger tief in das DDR-Staatsdoping verstrickt waren (Dieter Lindemann, Gerd Eßer und Norbert Warnatzsch). Zuletzt stieg sie unter großem öffentlichen Applaus zur stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Sporthilfe auf.

7 Gedanken zu „Was vom Tage übrig bleibt (16): „Auferstanden aus Ruinen““

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  4. auch zum thema doping, im speziellen zum handball gibt es ein interessantes interview mit hans holdhaus bei der sportschau, in welchem über das hin- und her des ihf im vorfeld der handball-wm gesprichen wurde. keine ahnung ob das von herrn holdhaus angekündigte treffen mit dem präsidenten des ihf stattgefunden hat und irgendwelche ergebnisse erbrachte …

    cio derde

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