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Das Olympische Bildungsmagazin

The day after, Olympic Congress: IOC sperrt Journalisten aus*

Rios Olympiagastgeber, Bewerber sind sie ja nicht mehr, haben eine hübsche Weltkarte der neuen olympischen Ordnung erstellt:

rio 2016 on the olympic world map

10.05 Uhr: Moin. Das Bella Center hat sich geleert. Mehr als 1000 Reporter, die gestern nur wegen Obama und der Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2016 gekommen waren, sind längst wieder verschwunden. Für das olympische Tagesgeschäft interessieren sich weltweit nur wenige Dutzend Journalisten. Immerhin einige mehr, als gewöhnlich die Sitzungen des IOC-Exekutivkomitees, der FIFA-Führung und anderer wichtiger Weltverbände verfolgen. Aber doch eine erschreckend kleine Zahl.

(Ich werde übrigens bis zum Ende des zweiten Teils der IOC-Session, die sich dem Kongress anschließt, also bis 9. Oktober, hier bleiben und dauerbloggen.)

Absurd wird es, dass diesen Journalisten (zumindest dem Fußvolk, nicht etwa allen Mitgliedern der IOC-Pressekommission oder den Topleuten der Olympic Journalists Association) der Zugang zum Kongress verwehrt wird. Wir dürfen nur Fernsehen schauen und ab und zu in die Mixed Zone rennen. Das nennt sich Kommunikation im 21. Jahrhundert.

Unter Samaranch, beim bislang letzten Olympischen Kongress 1994 in Paris, durfte man sich noch frei bewegen. Erst recht natürlich beim wichtigsten Olympischen Kongress der vergangenen hundert Jahre: dem 1981 in Baden-Baden (sagt der altgediente Fahrensmann neben mir).

Also kann ich nur wiedergeben, was ich über Kopfhörer wahrnehme. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Frankie Fredericks aus Namibia, den ich seit Jahren vergeblich zum Interview überreden will (oder wenigstens zu einem Gespräch unter Männern, einfach so, um ihn besser kennenzulernen), der seit Jahren freundlich ausweicht und den ich deshalb nicht wirklich mehr ernst nehmen kann, hat dieser Frankie Fredericks, der mehrfache Olympiamedaillengewinner im Sprint, also gefordert, Betrüger müssten lebenslang gesperrt werden.

Beifall habe ich dafür nicht vernommen. Wäre auch blöd, denn würde Fredericks‘ Forderung umgesetzt, hätte bis auf winzige Ausnahmen der komplette Saal evakuiert werden müssen.

11.35 Uhr: Zweites Frühstück für die Auserlesenen im Kongress. Am Tisch hinter mir hält Kronprinz Willem Alexander Hof und beantwortet Fragen holländischer Journalisten. Seine drei Bodyguards halten sich gepflegt zurück, in fünfzehn Metern Entfernung.

12.54 Uhr: Wenn der Kollege neben mir richtig hingehört hat, dann hat Prinzessin Haya von Jordanien – Präsidentin des Reiter-Weltverbandes, Gemahlin eines dopenden Reiters, der gleichzeitig Herrscher von Dubai ist – eben gefordert, jeder Trainer, der im kommenden Jahr zu den Olympischen Jugendspielen in Singapur kommt, müsse überprüft werden bzw. es müsse sichergestellt werden, dass es sich nicht um „Kinderschänder“ handelt. Der Kollege neben mir, der mir über die Schulter schaut, ist beleidigt: „Von wegen richtig hingehört“, sagt er: „Haya hat das dreimal gesagt und richtig insistiert!“

Diskutiert wurde u.a. auch über Caster Semenya. Arne Ljungqvist sagte, man dürfe nichts verallgemeinern, er wolle keinen Einzelfall diskutieren. Das IOC habe einige solcher Fälle bei Olympischen Spielen gehabt – und alle vertraulich behandelt.

13.19 Uhr: Blöde Sache, dies: Der Vorsitzende eines Panels gibt die letzte Frage an „den Gentleman dort hinten“. Er meint: Manuela di Centa. Olympiasiegerin, ehemaliges IOC-Mitglied und stets des Blutdopings verdächtigt.

14.58 Uhr: Hatte gerade lange Diskussionen mit Kollegen aus Deutschland, Dänemark, Frankreich, Holland, der Schweiz und Italien. Sie alle finden die Restriktionen des IOC empörend und wollen kollektiv protestieren. Einige Reporter, etwa Alain Lunzenfichter, Präsident der OJA, der die offizielle Biografie von Jacques Rogge geschrieben hat, sind zugelassen. Gianni Merlo, Präsident der International Sports Press Association (AIPS), versucht sich einzusetzen, kann aber keinen IOC-Offiziellen erreichen – schon gar nicht Kommunikationsdirektor Mark Adams, der selten ans Handy geht und für kaum jemanden erreichbar ist, wie mir etliche Kollegen berichten.

15.50 Uhr: Dazu noch einige Links:

15.56 Uhr: Noch zwei Punkte, die ich bisher glatt vergessen habe:

  • Journalisten erhalten keine Kongress-Unterlagen
  • Eine Übersicht der Redner gibt es nicht
  • Verschriftete Reden wie etwa des UN-Generalsekretärs gibt es ebenfalls nicht

16.32 Uhr: Mark Adams antwortet etwas schnippisch auf meine Fragen. Ich fragte:

  • Why are journalists not allowed to attend the Congress?
  • Why are journalists not allowed to have full access?
  • Why do journalists not even get the Congress Documentation?
  • By the way: Journalists do not even get the written speech of the UN General Secretary. They do not even get information about the detailed schedule and all speakers at the Congress.

Er antwortete:

On the access question – the rules were made like that I think when we had 2000 journalists in attendance – I realize that has changed now and I’m working on at least allowing some access.

As for documentation – please let me know what it is you are missing and I will try to provide it.

You can appreciate that logistics at such events are always a little fraught!

16.45 Uhr: Plötzlich haben einige Kollegen ein mintgrünes Armband erhalten, dass Zugang zur Pausenzone der Delegierten erlaubt, nicht aber zum eigentlichen Kongress. Nachdem mir eine Mitarbeiterin zweimal sagte, ich stehe nicht auf der Liste, steht mein Name plötzlich doch auf einer Zugangs-Liste. Ich erhielt ein Armband, finde aber, das ist nicht genug: Zugang sollte jeder Berichterstatter haben, und zwar vollen Zugang. Einige Kollegen neben mir, u.a. Deutschlandfunk, Süddeutsche Zeitung und Sportinformationsdienst, haben noch kein, nun ja: Armband.

* 16.56 Uhr: Ich überlege, ob ich die Überschrift des Eintrags jetzt, da neben mir ein Armband liegt, ändert sollte. Bisher steht dort „IOC sperrt Journalisten aus“. Ich wollte das ändern in „IOC sondiert Journalisten aus“. Aber ich finde ebenso wie einige Kollegen: So lange nicht jeder aus der überschaubaren Zahl der Berichterstatter vollen Zugang hat, kann die Überschrift stehen bleiben. Gerade fragen mich Kollegen aus Holland, was es mit dem Armband auf sich hat. Sie wissen von nichts. Und sie sind ebenfalls langjährige IOC-Berichterstatter.

17.54 Uhr: Vom den oben geschilderten chinesischen IOC-Bedingungen mal abgesehen. Derzeit laufen drei Panels gleichzeitig mit einigen meiner Lieblingsfunktionären: Blatter/Gosper – Pound/Pescante – Smirnow/Verbruggen/Willem Alexander. In eines der Panels zu gehen, ist mir untersagt. Leider habe ich nur zwei Laptops dabei, um auf dem einen ein Panel laufen zu lassen und mit der TV-Karte aufzunehmen, und auf dem anderen ein anderes Panel rudimentär zu verfolgen. Ich switche immer mal zwischen den Panels, womit gewährleistet sein sollte, wie beim Lotto, dass ich keinen Hauptgewinn lande und garantiert das Wichtigste verpasse. All die bahnbrechenden Initiativen, grandiosen Ideen und umwälzenden Beschlüsse.

Nein, jetzt ganz ernsthaft: Es ist eine Schande, dass dieser Kongress, der erste seit 15 Jahren!, auf drei Tage gequetscht wird, von den Zugangsrestriktionen, für die die dänischen Gastgeber nicht verantwortlich sind, ganz abgesehen.

Dieser Kongress hätte meinetwegen auf vier oder fünf Tage verteilt werden sollen, wenn die Themen wirklich so wichtig sind. Dann hätte man alle Themen, vielleicht auch die, die rausgelassen werden, ansprechen können und – dies mal eine Überlegung für die PR-Abteilung des IOC, obgleich das nicht meine Aufgabe ist – hätte überdies eine weit umfangreichere Berichterstattung weltweit garantiert.

Ich meine: Welchen Sinn macht dieser Ablauf? Ein Kongress am Tag nach dem 2016-Beschluss, der weltweit nachgearbeitet wird und die Schlagzeilen bestimmt. Ein Kongress am Wochenende, wo weltweit der Ligensport dominiert in den Medien, wo also kaum Platz ist für diese wirklich interessanten und wichtigen Themen (unabhängig davon, s.o., dass ich viele extrem wichtige Themen vermisse). Das ist nicht nur eine ungeschickte, sondern dumm-fahrlässige Planung.

Eine Planung, die möglicherweise vom Gedanken dominiert wird, dass man gar keine Berichterstattung wünscht, die zu tief geht?

21 Gedanken zu „The day after, Olympic Congress: IOC sperrt Journalisten aus*“

  1. Ist ganz interessant, kann man mal durchspielen. Bin ja ein Freund von Statistiken, die sich zu interpretieren lohnt. Habe das kürzlich nach der Leichtathletik-WM, ein anderes Thema, ich weiß, auch mal gemacht – und einige Leser damit verwirrt.

  2. Hihi, in der Tat, Jens!
    Was nun die gestrige Abstimmung betrifft, sollte meiner Meinung nach das erste Voting im Zentrum des Interesses bleiben. Dort sieht man den direkten Einfluss der Kampagnen am besten. Und, ganz ehrlich: 28/26/22/18 ist ja wohl eine ziemlich ausgeglichene Sache.
    Insofern würde ich die Niederlage Chicagos nicht dramatisieren. Die waren durchaus auf Augenhöhe. (Berlin hatte für 2000 ganze 9 Stimmen und ist damit sogar in Runde 2 gekommen, weil Istanbul nur 7 hatte. So sehen richtige Klatschen aus.)

    Spannender ist die Konstanz von Madrid in allen drei Wahlgängen. Dass Samaranch einen festen Freundeskreis hat, ist von dir, Jens, oft gesagt worden, aber offenbar ist sein Feindeskreis nicht weniger konstant und sogar noch größer. Fast kein Ausgeschiedener ist an seine Seite geschwenkt.

    Rio de Janeiro („Januarfluss“ klänge nicht halb so senhnsuchtsvoll exotisch, scheint mir) rückt nun Südamerika erstmals auf die Olympiakarte. Und auch wenn wir die Motive der IOC-Mitglieder mit einigem Recht immer wieder in Zweifel ziehen, wird das dort viele Menschen freuen. Da freue ich mich eben mal mit.
    (Kleine Spitzfindigkeit zu deinem SPON-Artikel noch, Jens: Eine Hemisphäre ist eine Halbkugel – und egal, ob du die Welt längs oder quer teilst: Vernachlässigt wurde Rios Hemisphäre zuletzt nicht besonders. 1996 für die Längs-, 2000 für die Querteilung.)

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  4. Hey Jens! Danke für die Berichterstattung! Konnte zwei Tage nichts lesen, hab aber jetzt alles durch. Da ich ja immer sehr aufmerksam lese hab ich noch eine Frage:

    Gibt es schon irgendwelche Informationen zu (kuriosen, seltsamen) Immobiliengeschäften in Rio?

    Du hast mal irgendwie sowas angedeutet, ich weiß jetzt nicht mehr, ob das sarkastisch, zynisch oder doch ernst gemeint war…

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  9. Irgendwas muss das IOC ja aus Peking mitgenommen haben. Lassen sich vor Ort eigentlich noch alle Internet-Seiten aufrufen? Und werden die Panels wirklich live übertragen oder zur Sicherheit nicht doch ein bisschen zeitversetzt…?

  10. Naja, wenn Jens schreibt, es gibt da „wirklich wichtige und interessante Themen“, dann ist das nicht wie Politbüro bzw. Parteitag der SED. Andererseits: Wenn den „Empfehlungen“, die bei diesen Panels ausgesprochen werden, nichts folgt – dann ist es doch wieder so …

  11. @ Alex: You made my day! Es ist schlimmer: Gerade sagte ein Journalist in der Pressekonferenz, er habe zehn Jahre in Peking gelebt. Selbst beim Volkskongress könne man alle Diskussionen verfolgen (nur nicht mitdiskutieren), erhalte auch alle Reden, den Zeitplan und Infos zu den Rednern – also alles, was man hier nicht bekommt. Dazu gleich noch ein bisschen mehr.

  12. Pingback: IOC-Direktor Mark Adams sagt: “They want to have a quiet meeting to discuss their issues” : jens weinreich

  13. Da gilt wohl beim IOC noch dringlicher als in China die (alles begruendende) Rechtfertigung: „Keep the system stable“.

  14. Pingback: Olympic bidding race 2018: noch 4 Tage : jens weinreich

  15. Thomas Hahn und Raiko Häyrinen in der SZ (Printausgabe vom 20.06.): Die ewige Affäre

    Kyrö steht also vor den Journalisten, ein Reporter des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders YLE fragt was zu dem großen, finnischen Doping-Chaos. Da schaut Kyrö dem Reporter mit seinem eisigen Blick in die Augen und sagt: „Der finnische Rundfunk hat überhaupt nicht die moralische Integrität, um darüber zu berichten.“

    „Warum?“, fragt der YLE-Reporter.

    Und Kyrö antwortet: „Weil ihr mit Steuergeld einen der schlimmsten Epo-Verbrecher seiner Zeit schützt.“
    […]
    Kyrö erinnerte sich an ein Gerücht, wonach 1995 beim Weltcup in Kiruna eine Läuferin mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht wurde, weil sich ihr dickes Blut verklumpt hatte und tödlicher Gefäßverschluss drohte. Vor dem Gerichtssaal sagte er dann, wer die Läuferin gewesen sein soll: Manuela di Centa

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