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Das Olympische Bildungsmagazin

Grüße aus Usbekistan und Südamerika: die Schiedsrichter der ersten sechzehn WM-Spiele

JOHANNESBURG. Soeben hat die Fedération Internationale de Football Association (FIFA) die Schiedsrichterteams für die ersten sechzehn Spiele bekannt gegeben. Das Eröffnungsspiel leitet also der Sportkamerad Rawschan Irmatow aus Usbekistan. Im ersten Viertel der WM-Begegnungen dabei: Zweimal Mexiko, Brasilien, Chile, Argentinien, Uruguay – und die Seychellen. Fünfmal Europa, darunter Wolfgang Stark (DFB) und Howard Webb (England)

Ich weiß, ich sehe Gespenster, und es ist sicher total ungerecht, aber ich habe da so ein komisches Gefühl. Tut mir leid, aber ich fühle mich da sehr an die Aussagen von Lord Triesman erinnert, die der kürzlich (unwissentlich) zu Protokoll gegeben hat, von denen er aber später nichts mehr wissen wollte:

‘My assumption is that the Latin Americans, although they’ve not said so, will vote for Spain. And if Spain drop out, because Spain are looking for help from the Russians to help bribe the referees in the World Cup, their votes may then switch to Russia.’

At this point, Miss Jacobs asks: ‘Would Russia help them with that?’

Lord Triesman: ‘Oh, I think Russia will cut deals.’

Miss Jacobs: ‘Why will Russia help? Are Russia in the World Cup?’

Lord Triesman: ‘No, they’re not.’

Miss Jacobs: ‘Oh no they’re not, they’ve got nothing to lose?’

Lord Triesman: ‘Absolutely nothing at all to lose. Exactly.’

Ich behaupte überhaupt nichts. Ich sage nur, dass es manchmal Dinge gibt, die miteinander zusammenhängen. Oder anders herum: Nicht alles, was passiert in diesem oder in einem anderen Leben, geschieht völlig zusammenhangslos.

Ich hätte mir andere Schiedsrichter-Ansetzungen vorstellen können. Jedenfalls, die berüchtigsten Sportkameraden aus dem totaldemokratischen Wunderland Usbekistan heißen: Alimsan Tochtachunow, den Blatter trifft und sich offiziell nicht daran erinnert, Alisher Usmanow und Gafour Rachimow. Allein diese Aufzählung sollte reichen, um gesundes Misstrauen zu hegen.

Kürzlich habe ich in einem Beitrag für den Deutschlandfunk gedichtet:

:

Im Magazin der Badischen Zeitung habe ich ebenfalls an die Zusammensetzung der FIFA-Schiedsrichterkommission erinnert:

Selbst die von Triesman erwähnte Beeinflussung der WM-Schiedsrichter 2010 scheint nicht aus der Luft gegriffen, wenngleich es für die These keine Beweise gibt. Allerdings sitzen in der von Spaniens Verbandschef Ã?ngel María Villar Llona geleiteten Fifa-Schiedsrichterkommission einige Gestalten, die kaum für Seriosität bürgen: Zur Kommission gehört etwa der Pole Michal Listkiewicz, daheim als ehemaliger Verbandschef für Korruption, Schiedsrichterbestechung und etliche anderer Skandale mitverantwortlich (Ich sage: „mitverantwortlich“, das ist er als Verbands-Präsident automatisch, ohne dass ich sage, er persönlich sei korrupt). Blatter hat Listkiewicz stets gestützt – über ihn lernte er einst seine langjährige Geliebte Ilona Boguska kennen. Noch so eine Familienbande.

Vizechef der Schiedsrichterkommission ist Brasiliens Verbandpräsident Ricardo Teixeira, ehemals Schwiegersohn des Fifa-Ehrenpräsidenten Havelange. Auch Teixeira gehört zum Exekutivkomitee. Seine Vergehen sind Legende, allein die parlamentarischen Untersuchungsberichte über das Verschwinden Dutzender Millionen Dollar füllen tausend Seiten Akten (hier finden sich die Links dazu und eine Grafik, die zeigt, wie er mal flink Millionen macht). Obgleich Teixeiras Mitwirkung an dubiosen Finanztransaktionen bestens dokumentiert ist, wurde er von seinen Freunden in der Politik rausgepaukt, etwa von Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula.

Ich lese also die Ansetzungen der ersten sechzehn WM-Spiele und schaue mir die Zusammensetzung der FIFA-Refereekommission an – und mache mir so meine Gedanken. Aber sicher völlig unbegründet, denn in Sepps Reich geschehen unter Mitverantwortung von Ricardo Teixeira bestimmt auch Zufälle.

Kleiner Nachtrag zum Thema Teixeira und Schiedsrichter. Für unser Buch „Das Milliardenspiel“ haben Thomas Kistner und ich vor vielen Jahren mal diese Passage gedichtet, eine Summary nur, allein die Schiedsrichter-Nummern im brasilianischen Fußball, den Teixeira beherrscht und auch von der WM 2014 profitieren darf, geben Stoff genug für Fortsetzungsromane:

Faule Tricks wie diese gehören zum Grundrepertoire des umtriebigen Eidams Ricardo Texeira. Als er 1997 erfuhr, daß Pelé, mittlerweile zum brasilianischen Sportminister ernannt, ein Gesetz plane, das eine Umwandlung der Fußballklubs in Kapitalgesellschaften ermöglichen soll und deren Kontrolle durch eine unabhängige Komission vorsieht, reagierte er konsequent. Das Gesetz lief ja schnurstracks auf eine Entmachtung seines Verbandes hinaus. Also eröffnete Teixeira, statt den Diskurs mit dem Sportminister zu suchen, ein luxuriöses Verbandsbüro in der Hauptstadt Brasilia, um Lobby zu machen. Auch dies erfuhr Pelé nur zufällig bei einer Begegnung mit einem Kongreßabgeordneten: “Der erzählte mir, der CBF habe alle Abgeordneten aus Minas Gerais zum Abendessen eingeladen.� Bei den rauschenden Empfängen am neuen CBF-Sitz hatte es keinen Mangel an Speis und Trank, auch nicht an netten Damen. Denn in angenehmer, entspannter Atmosphäre lassen sich Problemchen und Sorgenfälle der Sportpolitik viel gründlicher lösen. Das weiß so mancher alter Fahrensmann in der internationalen Sportpolitik.

Auch Havelange kennt diese besonderen Kommunikationsrituale, und offenbar hält er sie für probat. Jedenfalls sah der Chef des Weltfußballverbandes keinen Anlaß, in seiner Heimat, im Lande der erfolgreichsten und begehrtesten Fußballspieler der Welt, eine sachliche Problemerörterung einzugehen. Stattdessen drohte er drolligerweise im August 1997 an, Brasiliens Nationalmannschaft von der Weltmeisterschaft in Frankreich auszuschließen, falls das Gesetz verabschiedet würde: “Der brasilianische Verband ist der FIFA seit achtzig Jahren angeschlossen. Sollte dies jetzt nicht mehr der Fall sein, ist die Mannschaft automatisch ausgeschlossen.�

Natürlich fehlte bei seinen Statements auch die grollende Gekränktheit des Patriarchen nicht. Ein paar Kostproben: “Ich bin in der ganzen Welt eine Respektsperson, habe viel gearbeitet und pro Tag höchstens fünf Stunden geschlafen, und ausgerechnet in meinem eigenen Land richtet sich nun die Regierung gegen die Institution, die ich leite.� Havelanges übliche Strategie: unliebsame Fachdiskussionen werden sofort auf eine persönliche Ebene umgeleitet. Das hat den unschätzbaren Vorteil, weil es plötzlich nicht mehr um Sachinhalte, sondern allein um die Vertrauensfrage geht. Weiter im Text: “Im brasilianischen Fußball ist alles in Ordnung, das ist ein effizienter Verband. Die Funktionäre sind alle ehrenwerte Männer mit Familie.� Na bitte. Warum die ganze Aufregung? Vertrauen ist besser, liebe Gemeinde! Havelange sah die Skandalfülle, die diese ehrenwerte Gesellschaft aus angesehenen Familienvätern evoziert hat, als “kleinere Zwischenfälle, die überall passieren�.

Doch leider haben die kleinen Zwischenfälle bewirkt, daß in und um Brasiliens Stadien Anarchie herrscht. Während Havelange bei Königen und Staatschefs von einer Audienz zur nächsten tingelte, um auch mal den Royals dieser Erde und anderen Großkopferten beizubiegen, was Mores und Fairplay im Weltmaßstab bedeuten, prügelte sich Schwiegersohn Ricardo schon mal vor laufender Kamera mit einem frech gewordenen Vereinschef.

Vergleichsweise läßliche Sünden. Die erste Liga zum Beispiel hat Teixeira auf 26 Klubs aufgebläht. Offenbar kann es sich der CBF-Boß nicht leisten, den einen oder anderen absteigen zu lassen. Im Sommer 1997 waren es Fluminense Rio de Janeiro, Bragantino und Atletico Parana, die er begnadigte. Fluminense zählt zu den Traditionsklubs des Landes und hat Havelange zum Ehrenpräsident. Der Schwiegersohn sprach die Befreiung vom Abstieg aus.

Bei Parana war die Sache schon schwieriger. Immerhin war der Klub gerade wegen erwiesener Schiedsrichter-Bestechung aus der Liga verbannt worden. Doch auch hier machte der Schwiegersohn ohne Angabe von Gründen den Bannspruch rückgängig. Und das, obwohl der Skandal um Schwarzgeldzahlungen im Mai 1997 sogar zur Auflösung der dem Verband unterstellten Schiedsrichterorganisation COBRAF geführt hatte. Dessen langjähriger Chef Ivens Mendes hatte von verschiedenen Vereinsbossen fünfstellige Dollarsummen eingefordert und erhalten, wofür er ihnen bei bestimmten heiklen Spielen wohlgewogene Schiedsrichter zuteilte. Die Sache flog auf, weil dem Fernsehsender TV Globo plötzlich Tonbandaufnahmen zugespielt worden waren, die Senhor Mendes‘ stille Absprachen mit den Klubchefs dokumentierten. Es war deutlich zu hören, wie der oberste Unparteiische des CBF seine Kontonummer nannte. Eine Woche lang konnten die Fußball-Fans dies alles immer wieder via Radio und Fernsehen mitverfolgen.

Natürlich hatte der arme Teixeira auch von den jahrelangen Umtrieben seines engen Mitarbeiters Mendes keine Ahnung, trotzdem raffte er sich zu einer Suspendierung des Betrügers auf. Pelé nahm dem Schwiegersohn die Ahnungslosigkeit nicht ab. Anders als Havelange, der Dinge wie diese für Zwischenfälle hält, wie sie überall vorkommen, bezeichnete der Sportminister die Schiedsrichter-Affäre als “die Krönung aller Skandale.� Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso wandelte Pelés Gesetzesvorlage sogleich in einen Dringlichkeitsantrag um.

Der von bestochenen Schiedsrichtern bevorteilte Verein Parana aber überlebte den Skandal dank Teixeiras Gnadenakt. Warum nur, warum? Zumal er sich damit nur weiteren Ärger einhandelte. Dummerweise klagte nun der Zweitligaklub Nautico aus Recife, dem einer der beiden Aufsteigerplätze zugestanden hätte, beim Obersten Sportgericht STJD. Prompt rief Teixeira den für das Bundesland Pernambuco zuständigenVerbandschef an, Carlos Alberto de Oliveira. Er stellte ihm für den Fall, daß der Verband die Klage gegen den CBF zurückziehe, einen mit rund 75.000 Mark monatlich dotierten Werbevertrag mit dem Sportausrüster Nike in Aussicht. Der empörte Oliveira machte die Sache sogleich publik. Passiert jedoch ist nichts, der mächtige Teixeira sitzt mit vielen Politikern im Boot, die auch ins Fußballgeschäft involviert sind. Bezeichnend hierfür ist, daß auch der korrupte Schiedsrichterboß Ivens Mendes das schmutzige Geld nutzen wollte, um seine Wahlkampagne für einen Parlamentssitz in Brasilia zu finanzieren.

Muss ich hinzufügen, dass sich ähnliche Geschichten über korrupte Schiedsrichter in Texeiras Reich bis heute zutragen? Im Buch „Korruption im Sport“ schreiben Gustavo Poli und Ezequiel Fernandez Moores ganze Kapitel darüber.

15 Gedanken zu „Grüße aus Usbekistan und Südamerika: die Schiedsrichter der ersten sechzehn WM-Spiele“

  1. Warum werden die Schiedsrichter vom ansonsten so geschäftstüchtigen Weltverband nicht einfach in einer kleinen Fernsehshow live und öffentlich ausgelost? Das brächte ein wenig zsätzliches Geld in die Kassen und würde alle Diskussionen schlagartig beenden.

  2. Pingback: Südafrika, Tag 2: on the road : jens weinreich

  3. der brasilianische Fußball und die CBF sind in der Tat äusserst korrupt, man muss imo aber auch anmerken, dass Fluminense zwischenzeitlich in die Serie C abgerutscht war, Corinthians als Team Nr.2 hinsichtlich Fangemeinde 2008 abgestiegen war , außerdem sehr viele andere ziemlich beliebte Mannschaften wie Vasco, Palmeiras oder Gremio zwischenzeitlich zweitklassig waren und die brasilianische Liga heute mit 20 Teams und 4 Auf-und Absteigern spielt und damit durchlässiger als die Bundesliga und andere europäische Ligen ist. So dass diese DEL-mäßige Unabsteigbarkeits-Sache ein Relikt aus der Havelange Epoche ist.

    Auf der anderen Seite sollten brasilianische Schiris natürlich eigentlich nicht bei der WM pfeifen, wegen den Korruptionsskandalen in den letzten Jahren in der brasilianischen Liga, insbesondere 2005 und weil die CBF-Leute eh so agieren, wie es in Schwellenländern und 3.Welt-Staaten üblich ist hinsichtlich Korruption. Wenn sich Staatschefs und Leistungsträger in Südamerika so verhalten wie vor dem Argentinien Crash 2001, generell kaum Steuern zahlen oder Staatschefs der ärmsten afrikanischen Staaten noch ständig mit Rolls Royce und Rolex unterwegs auf Shoppingtour in London sind, ist es nun nicht so verwunderlich, wenn bei der CBF nur Leute sitzen, denen es primär darum geht den Hype um die Selecao zusammen mit Nike optimal zu vermarkten und die Folklore die der Fußball in Brasilien symbolisiert bestmöglichst in eine Gelddruckmaschine zu verwandeln. Wenn es Lula gelingt, dass einige Millionen wirklich dauerhaft den Sprung aus den Favelas in die Mittelschicht gepackt haben ohne dass er die ausländischen Investoren, Autobauer und Großkonzerne in Sao Paulo durch einen Sozialismus venezolanischer Prägung vergrault hätte, müsste man ihm daher in der Retrospektive auch Tribut zollen trotz der zahlreichen Korruptionsfälle während seiner Amtszeit.

    Aber gut, China ist auch ziemlich aktiv in Brasilien. Mit so einer Weltmacht im Rücken geht es auch leichter, wie man in Sudan sieht, wo man sich deswegen nicht mal auf die internationale Ächtung wegen Darfur sorgen muss.

  4. Das Eröffnungsspiel leitet also der Sportkamerad Rawschan Irmatow aus Usbekistan

    und er hat es richtig gut gemacht! Die Doku im WDR bestärkt mich darin zu glauben, das zumindest die Schiedsrichter nicht bestochen sind.

  5. Pingback: Südafrika, Tag 17: Schiedsrichter & more : jens weinreich

  6. Gut dass Spanien als Gruppenerster weitergekommen ist. Ich wäre sonst sehr von der Schiedsrichterleistung enttäuscht gewesen.

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