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Das Olympische Bildungsmagazin

Der Garcia-Report

Wer es noch nicht gesehen haben sollte: Der Garcia-Report ist öffentlich. So richtig aber auch nicht, denn außer diesen 434 Seiten hat die FIFA tausende dazugehörige Dokumente nicht online gestellt.

Anyway, knapp drei Jahre nach seiner Fertigstellung konnte nur jemand Sensationen erwarten, der einige Jahre auf dem Mond verbracht oder das Denken eingestellt hat. Es handelt sich um interne Ermittlungen, die damals das von Joseph Blatter gewünschte Ergebnis erbrachten: Freibrief für Russland und Katar.

Natürlich enthält der dreiteilige Bericht viele interessante Details, die auch mich amüsieren und immer mal wieder zitiert werden, die vielleicht sogar zu weiteren Recherchen anregen. Doch in Sachen Hard Facts wird nahezu nichts geboten. Wer harten Tobak will, muss sich schon durch die Anklageschriften und andere Dokumente des DOJ kämpfen.

Zunächst die drei Teile des Berichts, dann meine erste Analyse dazu.

Der Hauptteil. 359 Seiten:

Russland, 39 Seiten, sehr lustig:

USA, 36 Seiten:

Meine erste Einschätzung, kleiner Kompass durch den Schlagzeilen-Dschungel:

Nachdem sich die Aufregung ein wenig gelegt und die FIFA die drei Teile des sogenannten Garcia-Reports veröffentlicht hat, ist es Zeit für eine Einordnung. Von Mitte 2012 bis zum Herbst 2014 hat der ehemalige US-Staatsanwalt Michael Garcia, heute Richter am Berufungsgericht des Bundesstaates New York, gemeinsam mit dem Schweizer Juristen Cornel Borbély, im Auftrag der FIFA intern zur Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar ermittelt. Über die teils hanebüchenen Umstände dieser Ermittlungsarbeit, ohne Zwangsbefugnisse wie bei Strafermittlungen, ist seither umfangreich berichtet wurden. Am Ende, im November 2014, fällte der Münchner Strafrichter Hans-Joachim Eckert als Vorsitzender der Richterkammer der FIFA-Ethikkommission eines seiner mitunter merkwürdigen Urteile im fürstlich entlohnten FIFA-Nebenjob: Katar und Russland wurden quasi Freibriefe erteilt. Wieder einmal wurde der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter, Drahtzieher dieser obskuren doppelten WM-Vergabe und Architekt des globalen korrupten FIFA-Netzwerks, mit einer Art Heiligenschein ausgestattet. Gebrandmarkt und verleumdet wurden im Eckert-Papier allerdings zwei Whistleblowerinnen: Bonita Mersiades aus Australien und Phaedra Al Majid aus Katar, die beide ihre Existenz aufs Spiel gesetzt hatten – zeitweise musste Al Majid sogar um ihr Leben fürchten und flüchtete in die USA, wo sie unter FBI-Schutz stand.

Michael Garcia war in der einflussreichen juristischen Society der Ostküste, die sich die besten Jobs in Regierung, Justiz und Geheimdiensten zuschustert, wegen seines weichen FIFA-Kurses längst in die Kritik und damit in Gefahr geraten, von der Karriereleiter zu fallen. Also lancierte er 2014 einige Medienberichte, die ihn als Opfer einer Verschwörung darstellten und Eckert den schwarzen Peter zuschoben. Angeblich sollte Eckert grandiose Ermittlungsergebnisse kolossal fehlinterpretiert haben. Dies war schon damals als billiges Manöver Garcias zu erkennen, ohne mit dieser Feststellung Eckert für seinen partiellen FIFA-Dilettantismus schützen zu wollen. Gemeinsam mit den FIFA-Exekutivmitgliedern, die meisten nachweislich korrupt, einige nachweislich schwer kriminell, verhinderte Eckert routiniert eine Veröffentlichung des Garcia-Reports.

Schon lange vor den hausinternen FIFA-Ermittlungen hatte die US-Justiz – Staatsanwälte, die Bundespolizei FBI und die Steuerbehörde IRS – auf der Grundlage des RICO-Gesetzes zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität erste Verfahren eingeleitet. Ausgangspunkt dafür waren Enthüllungen in Medien, etwa durch den Briten Andrew Jennings. Der erste Kronzeuge des FBI, das langjährige FIFA-Exekutivmitglied Chuck Blazer, zeichnete schon im Sommer 2012 bei den Olympischen Spielen in London seine Gespräche mit anderen Sportganoven für das FBI auf. Da hatten Garcia & Co kaum mit der Arbeit begonnen, die viele Millionen Dollar verschlingen sollte. Insofern ist die Behauptung, Garcias sogenannte Ermittlungsergebnisse hätten die US-Strafverfahren entscheidend vorangebracht, völliger Unsinn. Es gab Parallelen, gewiss. An der US-Ostküste kooperieren große Anwaltskanzleien (Garcia war seinerzeit Partner bei Kirkland & Ellis), Privatermittler, Behörden und Geheimdienste schon deshalb, weil ihre Führungskräfte munter von einer Position in die andere wechseln. Garcia war auch schon für das FBI und die NSA tätig und erhielt als Terrorismus-Ermittler eine Verdienstmedaille der CIA. Natürlich wurden Informationen ausgetauscht. Doch die Qualität dessen, was Garcia im September 2014 vorlegte und was bis Juni 2017 nicht öffentlich wurde, ist eher beschämend.

An den Garcia-Bericht war nun die Bild-Zeitung gelangt. Manche Indizien weisen auf die FIFA als Quelle hin, wo sich Präsident Gianni Infantino, ein erwiesener Reformblocker (schon zu seinen Zeiten als UEFA-Generaldirektor), einen PR-Schub erhoffte. Die Quellen können aber auch im arabischen Raum liegen, wo ein saudischer Spin-Doktor einige Tage vor der Vorab-Meldung der Bild-Zeitung auf Twitter von Zürich aus „good news“ ankündigte. Parallel stellte der Mann ein dürres, sogenanntes Dossier gegen den vermeintlichen Sport- und Terror-Schurkenstaat Katar online. Und auf Katar und die dubiose WM-Vergabe sollte sich, nach einer eher allgemeinen Einleitung, auch der inhaltlich fokussierte Teil der großspurig angekündigten Bild-Serie fokussieren. Bild bezeichnete den Garcia-Bericht als „brisantestes Dokument der Sport-Gegenwart“. Wer so etwas behauptet, hat noch nie in die Anklageschriften und andere Unterlagen der US-Justizbehörden geschaut. In diesen Papieren wird der Nachweis eines schwer kriminellen Systems geführt. Zahlreiche ehemalige FIFA-Vorständler erwarten Haftstrafen von mehreren Jahrzehnten. Schon beinahe 300 Millionen Dollar einer gigantischen Schadensumme haben die angeklagten Funktionäre und Firmen zurückgezahlt. Und die Ermittlungen erstrecken sich mittlerweile in den Machtbereich des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), wo Ende April 2017 einer der mächtigsten Funktionäre des Weltsports, Scheich Ahmad Al-Sabah von der US-Justiz als Schmiergeldzahler enttarnt wurde – was Ahmad, der wichtigste Verbündete des IOC-Präsidenten Thomas Bach, natürlich bestreitet.

Schon 2014 war also klar, dass der Garcia-Report die Aufregung nicht wert sein würde. Nachdem die Amerikaner dann mit der Schweizer Bundesanwaltschaft kooperierten, Ende Mai 2015 in Zürich die spektakuläre erste Verhaftungswelle von FIFA-Funktionären durchgezogen und die Anklageschrift veröffentlicht wurde, verkam der Garcia-Report eher zu einer sporthistorischen Fußnote. In Sachen Katar bleibt Garcia, zum Beispiel, auch weit hinter den Enthüllungen der Sunday Times aus dem Jahr 2014 zurück. Das gigantische Schmiergeldsystem des ehemaligen katarischen FIFA-Vorstands Momamed Bin Hammam habe laut Garcia-Report nichts mit der WM 2022 zu tun gehabt. Absurder geht nimmer.

Da die WM-Gastgeber Katar und Russland aber die Hauptaufgabe der internen Ermittlungen waren, muss die Arbeit von Garcia als gescheitert betrachtet werden. Vieles war über die Jahre bereits in Medien zu lesen. Im Grunde war Garcias Verpflichtung ein gigantisches Rettungsmanöver von Blatter, das ebenso erfolglos blieb. Blatter musste 2015 abtreten, wurde inzwischen von Eckerts Ethikkammer gesperrt, die Schweizer Bundesanwaltschaft führt ein Strafverfahren gegen Blatter, womöglich steht er bald auch in den USA unter Anklage. Eckert wiederum wurde von Blatters Nachfolger Infantino abserviert. Die FIFA versucht in enger Kooperation mit dem Department of Justice weiterhin, den Opfer-Status zu erhalten – anders als Dutzende ehemalige Führungskräfte, die als Täter geführt werden. Diese juristische Feinheit bleibt überlebenswichtig für den Fußball-Weltverband. Die Veröffentlichung des Garcia-Reports, mit der urplötzlich alle vorherigen angeblichen juristischen Bedenken über Bord geworfen wurden, ist auch ein erneutes Betteln um das Wohlwollen der US-Justiz.

Doch es gibt wenig Anzeichen dafür, dass die Ermittler nachlassen. Die Anklageschrift gegen einen ozeanischen FIFA-Funktionär vom April, in dem der IOC-Scheich und der Vizepräsident des Schwimm-Weltverbandes FINA als Schmiergeldzahler enttarnt werden, gibt die Richtung vor. Die Ermittlungen werden vernetzt, auch mit den Strafverfahren in Brasilien und Frankreich zur olympischen Korruption und zur Bildung von kriminellen Netzwerken. In der Schweiz, eigentlich bekannt als sicherer Hafen für Sportganoven, hat die Bundesanwaltschaft zahlreiche Verfahren auf dem Tisch, darunter gegen die deutsche Ikone Franz Beckenbauer und dessen Adlatus Fedor Radmann. Wer nach Illustrationen und pikanten Details dafür sucht, wie Beckenbauer und Radmann ihre lukrativen Geschäfte im FIFA-Umfeld durchgezogen haben, der wird im Garcia-Report durchaus fündig. Letztlich hat dieser Report, selbst wenn er in Teilen auf Geschwätzigkeiten beruht, doch eine Stärke: Aus diesen vielen Episoden, die das Bild vom FIFA-Reich vervollkommnen, sollten sich weltweit neue Ermittlungen von Medienvertretern ergeben, die im besten Falle wiederum strafrechtliche Verfahren befruchten könnten. Dazu müsste die FIFA allerdings auch tausende Dokumente veröffentlichen, die Garcia & Co als Anhänge zu ihren drei Berichten auf insgesamt 434 Seiten erstellt haben. Diese Anhänge aber bleiben unter Verschluss. Soweit geht die Transparenz nun doch nicht.

Schamlos bleibt im Garcia-Report nach wie vor der Umgang mit Whistleblowern. Bonita Mersiades aus Australien wird hemmungslos diskreditiert. Einerseits baut Garcia jene Dokumente und Informationen ein, die er von ihr bekommen hat. Andererseits vernichtet er sie verbal geradezu und bezweifelt ihre Glaubwürdigkeit. „Alles was ich ihm berichtet habe, ist nachweislich korrekt“, sagt Bonita Mersiades, inklusive der sogenannten Entwicklungshilfe von WM-Bewerbern, die verkappter Stimmenkauf war. Bonita Mersiades ist erneut schwer getroffen. „Garcia verfälscht unsere Konversation. Ich habe von einem Mann, der in Blatters Auftrag handelt, aber nichts anderes erwartet. Das letzte Wort wird die Strafjustiz in den USA und in der Schweiz haben!”

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4 Gedanken zu „Der Garcia-Report“

  1. Pingback: [sport and politics] Der Garcia-Report – #Sport

  2. Wie Thomas Kistner schon vor fünf Jahren nachzeichnete: Garcia war einer von Blatters Buddys mit gewissen Vorzügen. Recht launisch immerhin, wie die Fifa in der auferzwungenen Stellungnahme die Veröffentlichung „begrüßt“. Erinnert ein bisschen an die ISL-Einstellungsverfügung. Die Formulierungen dürfte sogar identisch sein. Alte Herren, alte Begrüßonkels, alte Muster.

  3. Klar, Jens. :-) Konnte er sich ja leisten bei Garcias Prioritäten und nennenswerter Bereitschaft, die offensichtlichsten Fragen nie zu stellen. In Fifa’schen „Transparenzoffensive“ ein weiterer nützlicher Depp für den Sepp.

    Das ist die Vergangenheit. Mal sehen, was die beiden skandalumtwitterten Verbände in der Türkei und Deutschland demnächst so mit der Uefa drehen. Transparenz und so wird da ja auch überall ganz Grindel geschrieben. Der DFB wird sich strecken müssen. Wie man bei vielen Vergaben sieht: Je undemokratischer das System, desto kompatibler ist es mit den Sonderwünschen der Funktionärskaste. #em2024

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