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Das Olympische Bildungsmagazin

Doping in Freiburg: das Telekom-Gutachten von Andreas Singler

Das nächste Gutachten zum Freiburg-Doping ist öffentlich. Andreas Singler (unter Mitarbeit von Lisa Heitner):

Doping bei Team Telekom/T-Mobile: Wissenschaftliches Gutachten zu systematischen Manipulationen im Profiradsport unter Beteiligung Freiburger Sportmediziner. Im Auftrag der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Mainz 2015. Mit einem Nachtrag vom 11. März 2016.

Die Uni dazu vor wenigen Minuten:

Andreas Singler beschäftigt sich in dem Gutachten zunächst mit der Rolle der Sponsoren, der Telekom AG beziehungsweise T-Mobile International. Haben sie von den Dopingaktivitäten gewusst und Doping unterstützt oder vielleicht sogar in Auftrag gegeben?

Manches spreche laut Singler dafür, dass Doping zum Gründungsauftrag des Ende 1991 neu zusammengestellten Teams Telekom gehörte. Und vieles deute darauf hin, dass das Unternehmen vom Doping der Fahrer wusste. Beweisbar sei, dass schon 2006 Kenntnisse um mögliches Erpressungspotenzial im Zusammenhang mit der sportmedizinischen Betreuung bei T-Mobile vorhanden waren.

Singler widerspricht in seinem Gutachten der These, wonach nur zwei Einzeltäter, die Freiburger Sportärzte Dr. Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich, an Dopingmaßnahmen beteiligt gewesen sein sollen. Zum einen seien zwei weitere Klinikumsärzte in Dopingmaßnahmen eingebunden gewesen. Bei einem dieser Ärzte sei die Bestellung von Hämatokritrotoren beweisbar, die für die Bestimmung von dopingverdächtigen Blutwerten und zur Umgehung von damals noch verhängten Gesundheitssperren benötigt wurden. Zum anderen verweist Singler auf Schnittstellen zwischen den am Doping Beteiligten auf der einen Seite und persönlich unbelasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Klinikum auf der anderen.

Hier hätten Gegenmaßnahmen ergriffen werden können, wenn strukturelle Mindestvoraussetzungen für Whistleblower vorhanden gewesen wären. Doch seit den 1970er Jahren sei Prof. Joseph Keul als Abteilungsleiter und Lehrstuhlinhaber maßgeblich für die Etablierung einer Organisationskultur verantwortlich gewesen, die im Bereich der hochleistungssportlich engagierten Sportmedizin von Werten geprägt war, die bei einzelnen Ärzten in der Hochleistungssportbetreuung dopingbegünstigend wirken konnten. Davon sei auch die Wissenschaftskultur in der Abteilung betroffen gewesen, in der teils pseudowissenschaftlich physiologische Normwerte etabliert wurden, die in Wahrheit auf Doping beruht hätten.

Zum anderen würden sich strukturelle Linien aufzeigen lassen, die von den dopenden Ärzten Schmid und Heinrich zurückführten über das Anabolikadoping Georg Hubers in den 1980er Jahren bis hin zu Prof. Armin Klümper, der bereits in den 1960er Jahren Sportler gedopt habe. Daraus folgert er Grundzüge einer Freiburger Schule des Dopings, die sich nicht mit dem Wirken zweier Ärzte alleine erklären lassen.

Im Zuge der rechtlichen Prüfung des Gutachtens hat die Staatsanwaltschaft Freiburg entschieden, in einem Zitat aus Ermittlungsakten einer Namensnennung nicht zuzustimmen. Der Autor hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt. Sofern diese Beschwerde erfolgreich ist, wird die Universität auf ihrer Webseite eine veränderte Fassung des Gutachtens mit besagter Namensnennung veröffentlichen.

Das Singler-Papier:

Die Zusammenfassung zum Gutachten von Andreas Singler:

Drei Hauptfragen sind mit diesem Gutachten zu beantworten.

1) Die erste beschäftigt sich mit der Rolle der Sponsoren, der Telekom AG bzw. T-Mobile International: Haben sie von dem Dopingaktivitäten der Fahrer und der sportmedizinischen Betreuer der Profis gewusst? Haben sie Doping direkt oder indirekt unterstützt oder vielleicht sogar in Auftrag gegeben?

Manches spricht tatsächlich dafür, dass Doping zum Gründungsauftrag des Ende 1991 neu zusammengestellten Teams Telekom gehörte. Und vieles, wenn nicht alles, deutet darauf hin, dass das Unternehmen vom Doping der Fahrer wusste. Beweisbar ist z.B., dass schon 2006, im Jahr vor dem Untergang des sportmedizinisch unterstützten, dopingbasierten Radsports, Kenntnisse um mögliches Erpressungspotential im Zusammenhang mit der sportmedizinischen Betreuung bei T-Mobile vorhanden waren.

2) Die zweite Hauptfrage berührt die These, nach der es angeblich nur zwei Einzeltäter waren, die da ihr schändliches Treiben entfaltet haben, ohne dass sich irgendeine Chance zur Intervention geboten hätte. Diese These muss klar zurückgewiesen werden. Zum einen waren über Dr. Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich hinaus zwei weitere Klinikumsärzte – Dr. Andreas Blum und Dr. Stefan Vogt – in Dopingmaßnahmen eingebunden. Beiden sind medizinisch nicht indizierten Medikationen vorzuwerfen, die Dopingmaßnahmen begleiteten und die ansonsten unterblieben wären. Außerdem sind Bestellungen von Medikamenten nachweisbar, die zum Doping geeignet waren. Bei einem Arzt ist zudem die Bestellung von Hämatokritrotoren beweisbar, die für die Bestimmung von dopingverdächtigen Blutwerten und zur Umgehung von damals noch verhängten Gesundheitssperren benötigt wurden.

Zum anderen wird aufgezeigt, dass es im Verlauf des sich über 15 Jahre erstreckenden Dopingskandals durchaus immer wieder Schnittstellen zwischen den am Doping Beteiligten auf der einen Seite und persönlich unbelasteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Klinikum auf der anderen gab. An diesen Schnittstellen konnte durch die vermeintlich undurchdringliche Trennungsmembran zwischen beiden Seiten sehr wohl Wissen um deviante Aktivitäten diffundieren. Dieses hätte zu Gegenmaßnahmen führen können, wenn in der Abteilung bzw. im Universitätsklinikum oder an der Universität strukturelle Mindestvoraussetzungen für Whistleblower und eine konstruktive Mitteilungskultur vorhanden gewesen wären.

Überdies ist die bisher ausschließlich vorgenommene isolierte Betrachtung des Telekom- Dopingskandals als geschlossene historische Periode ohne Bezug zu vorangegangenen Ereignissen nicht befriedigend. Es gibt nämlich einen organisationssoziologisch zu begründenden Zusammenhang mit früheren Ereignissen in der Abteilung Sport- und Leistungsmedizin und der dort seit den 1970er Jahren durch Joseph Keul etablierten Organisationskultur. Diese war durch das dopingfreundliche Wirken Joseph Keuls maßgeblich geprägt und führte im Bereich der hochleistungssportlich engagierten Sportmedizin zur Etablierung von Werten, Haltungen und subjektiven Theorien, die bei Ärzten in der Hochleistungssportbetreuung dopingbegünstigend wirken konnten. Betroffen war davon aber auch die Wissenschaftskultur in der Abteilung, in der z.B. teils pseudowissenschaftlich physiologische Normwerte etabliert wurden, die in Wahrheit auf Doping beruhten.

Es ist also kein Zufall, dass sich strukturelle Linien aufzeigen lassen, die von den dopenden Ärzten Schmid und Heinrich zurück zu dem Anabolikadoping Georg Hubers in den 1980er Jahren führen. Von diesem wiederum reichen sie sogar noch weiter zurück bis hin zu Professor Dr. Armin Klümper, der bereits in den 1960er und 1970er Jahren Sportler gedopt hatte. Diese Linien werden durch bestimmte auffällige Medikationssystematiken, auch in kombinatorischer Verabfolgung von Pharmaka, ebenso geprägt wie durch medizinische Haltungen in Bezug auf polypragmatische Behandlungsstrategien oder die dahinter stehenden Einstellungen und Techniken der Rationalisierung sportmedizinischer Devianz. Insofern sind hier klare Grundzüge einer Freiburger Schule des Dopings aufzuzeigen, die sich nicht mit dem Wirken zweier nun mit Sündenbockfunktion ausgestatteter Ärzte alleine erklären lassen.

Aus dieser Perspektive heraus war auch die bisweilen unterstellte völlige Ahnungslosigkeit der drei im Verlauf des Skandals tätigen Abteilungsleiter Joseph Keul, Aloys Berg und Hans- Hermann Dickhuth zum Doping der beschuldigten Ärzte auf den Prüfstand zu stellen oder gar zu revidieren. Es fehlte Keul als Urheber alter strategisch inszenierter Irrtümer (Ulrich Beck), die Medizinern überhaupt erst die ethischen Pseudo-Rechtfertigungen für bestimmte Dopingmaßnahmen mit an die Hand gaben, in seiner letzten Schaffensperiode in den 1990er Jahren nicht an Warnungen vor dem Doping der Radsportprofis. Und Keuls Nachfolger, auch wenn sie selbst des Dopings unverdächtig sind, mussten das von ihnen in Anspruch genommene Nichtwissen zum Doping der Radsportler und dessen Unterstützung durch ihre ärztlichen Mitarbeiter über Maßnahmen aktiven Erblindens wohl erst regelrecht herstellen.

3) Drittens wird in diesem Gutachten über Probleme der Aufarbeitung dieses Dopingskandals berichtet. Es gibt ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass die anfangs versprochene schonungslose Aufarbeitung aus Angst vor kritischen öffentlichen Reaktionen und negativen Konsequenzen für die Hochschulförderung gewissermaßen auf dem Altar der Exzellenzinitiative der Universität Freiburg geopfert werden sollte. Damit ist der Hintergrund allerdings noch immer nur unzureichend ausgeleuchtet. Das Universitätsklinikum und die Universität waren in den vergangenen Jahrzehnten von verschiedensten Skandalen betroffen, die auf problematische Organisationskulturen hinweisen, die mit individueller Devianz oder jeweils abteilungsinternen Bedingungen alleine nicht erklärt werden können.

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7 Gedanken zu „Doping in Freiburg: das Telekom-Gutachten von Andreas Singler“

  1. Habe jetzt die Hälfte des Gutachtens gelesen. Beeindruckend und erschreckend. Aber spannend und die Beweislage so erdrückend. Wow.

  2. Die Herren der Telekom sehen das selbstverständlich anders, las ich irgendwo in einer Agentur-Zusammenfassung. Aber wie das derlei Texte so an sich haben: da kommen meist nur die Dementis, sogar Dementis von längst belegten Sachverhalten.

  3. Unfassbar. Wer das Dokument bereits nur grob liest kann aufgrund der Fakten zu keiner anderen Bewertung kommen. Aber liest halt keiner…

  4. Verstehe ich nicht, LE. Ich stelle nichts kostenpflichtig, was frei verfügbar ist. Ausnahmen: Wenn ich einen Beitrag hinter eine Paywall stelle, dann passiert es automatisch, dass auf pdf’s und andere Dokumente hinter der Paywall stehen – ich verlange aber explizit kein Geld für fremde Leistungen. Was genau also ist Ihr Problem, wo hakt es, was ist möglicherweise in Scribd unachtsam/fälschlicherweise so eingestellt, dass Geld dafür verlangt wird?

    Auch dieser Beitrag hier ist absolut frei erhältlich, oder möchten Sie mich vom Gegenteil überzeugen? Täuschen Sie sich vielleicht und Ihre Anspielung zielt ins Leere?

  5. Hallo Herr Weinreich,
    mit der Bitte um Entschuldigung; mein Kommentar war einfach blöd; es hätte meinerseits auch einfach gereicht, nur den direkten Link von der Uni Freiburg zu posten.
    Ich hatte Ihrem Link folgend nur mit SCRIBD gekämpft…., was letzlich aber dann dazu geführt hatte, daß ich besagten direkten Link finden konnte ;-).
    Grundsätzlich vielen Dank für Ihre gesamte Arbeit und die Teile davon, die sie auch unentgeltlich bereitstellen.

    Beste grüße
    LE

  6. Nun erst Jahre später gelesen, man hätte sich diesen Prozess sparen können. Zu Beginn der 1990iger Jahre überlegte die Telekom die Unterdruckkammer in Kienbaum auf den neusten Stand zu bringen und für ihr Radteam zu nutzen. Kostenpunkt lag bei ca. 1 Mio. D-Mark damals, Unterhalt nicht mit eingerechnet, dann stellte man fest wie günstig EPO war und die Pläne verschwanden in der Schublade. Aber natürlich wusste man von nichts.

    Diese Info habe ich, unabhänig voneinander, von zwei Angestellten des damaligen Teams bekommen.

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