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Das Olympische Bildungsmagazin

#London2012 (XXXI): THE LEGEND @UsainBolt

The Times, cover vom 10. August 2012. So etwas habe ich in einer deutschen Zeitung noch nicht gesehen. Die haben es durchaus drauf, diese Briten.

LONDON. Olympic Stadium, Block 213/214, Row 67, Seat 312. Leichtathletik, letzter Tag. Einige Entscheidungen noch, mit dabei natürlich der Witzbolt The Legend Usain Bolt. Das Double Triple steht an. Anyone with me? Schauen noch Leute zu, da draußen am Fernsehen. Wenn ja, dann verbringen wir die nächsten zwei Stunden gemeinsam. (Parallel dazu trage ich weitere Notizen von der Abschluss PK des DOSB nach.)

Zur Einstimmung, meine Dichtung von gestern Nachmittag, erschienen u.a. in der Berliner Zeitung, über jenen Mann, den wir hier seit Peking Witzbolt nannten – und nun umtaufen müssen. „Excellent for our sport“, sei der Witzbolt, hat IAAF-Präsident Lamine Diack unten im Stadion gerade gesagt.

* * *

LONDON. „I am a legend!“ Wie oft hat Usain Bolt diesen Satz ausgesprochen?

Tausendmal?

Zehntausendmal?

„Schreibt das alle auf“, rief er den Journalisten zu, nachdem er als erster Sprinter die 100 und 200 Meter bei zwei Olympischen Spielen gewonnen hatte. Das Double Double wie die Engländer sagen. Das doppelte Doppel, aus dem in der Sprintstaffel am Wochenende schnell ein doppeltes Triple werden soll – und in vier Jahren in Rio de Janeiro vielleicht ein dreifaches Triple.

Ich bin eine Legende“, diktierte er also. „Wenn ihr das nicht aufschreibt, geben ich euch keine Interviews mehr, Jungs.“

Dann verließ er nach einem zwei Stunden währenden Interview in der Nacht zum Freitag den Pressesaal in den Katakomben des Olympiastadions.

Es war lustig mit Usain Bolt (26) und seinen ungleichen Gefährten Yohan Blake (22) und Warren Weit (22), denen der Dreifachsieg über 200 Meter gelungen war. Die meisten Journalisten waren freundlich drauf und wollten sich mit den Jamaikanern freuen.

„Im Name von hundert Millionen Indern“, gratulierte einer. Es wurde über seine Cricket- und Fußballkünste geredet. Darüber, ob er der perfekte Partner für Wayne Rooney bei Manchester United wäre. Einer fragte nach, ob Bolt, sorry: die Legende, oder Bob Marley der berühmteste Jamaikaner aller Zeiten sei. Marley, Muhammad Ali, Michael Phelps, Carl Lewis? „Ich bin der Größte meines Sports! Ich bin in dieser Kategorie! Ich bin eine Legende!“

Klar doch.

Eine Italienerin wollte schließlich wissen, wie die Frau an der Seite der Legende beschaffen sein müsse: „Eine berühmte Schauspielerin, eine Königin, eine Sängerin oder das schnellste Mädchen der Welt?“

Sag schon, Legende: „Welche Frau kann diesen Status bekommen?“

Die Legende antwortete selbst auf diese dämliche Frage, auch wenn sie mitunter den Kopf schüttelte, durchaus zurückhaltend und überlegt. Wenn sie sich verliebt habe, sei alles egal. Es zählen andere Werte, sagte die Legende.

Die Legende ist Vollprofi. Perfekt im Vermarkten. Durchdacht und spontan: Etwa für dem Start des Finales, als die Legende mit einer Helferin plauderte, die seine Klamotten von der Bahn trug. „Bist du nervös“, erkundigte sich die Legende. Klar, sagte die junge Frau. „Warum“, fragte die Legende und gab dann mit hoher Frauenstimme die Antwort der Helferin wieder: „Ich bin so aufgeregt!“

Ach, war das heiter im Presse-Kabuff. Bevor einige Reporter um Autogramme baten (auch das passiert ständig), sorgte jemand für ganz heftige Lacher – und für ernste Blicke der Legende. Ein Kolumnist aus Chicago fragte, ob Bolt seine Hand dafür ins Feuer legen könne, dass das „jamaikanische Drug-Team“ sauber sei.

„Drug-Team“, ein klassischer Freud’scher Versprecher.

„Stellen sie bitte ihre Frage noch einmal“, sagte Bolt, plötzlich ganz konzentriert. Und dann wieder cool: „Wenn Leute an uns zweifeln, ist das hart, aber wir zeigen der Welt, dass wir wirklich sauber sind.“ Eine herrliche Argumentation, die an jenen berühmten Satz eines ehemaligen ARD-Reporters und Biografen erinnerte, der sein Idol und Geschäftspartner Jan Ulrich einst bei der Tour de France „fragte“: „Jan, ich glaube, das beste Argument gegen all diese Verdächtigungen, sind noch immer deine Leistungen.“

19,32 Sekunden war Usain Bolt gerannt im Finale. Er ist ausgetrudelt, hat nach seinem Kumpel Yohan Blake Ausschau gehalten. Wäre er durchgesprintet, hätte er seinen Weltrekord (19,19) gewiss verbessert.

So blieb es bei genau jener Zeit, die mal ein Fabel-Weltrekord war, den Michael Johnson 1996 in Atlanta aufstellte und damit prominente Dopinggegner wie den Franzosen Michel auf der Tribüne zum Weinen brachte. 19,32. Johnson ist Bolts Vorbild. Der US-Amerikaner hat als Co-Kommentator der BBC, wo er mit dem Doping-Thema nicht belästigt wird, den Jamaikaner gerühmt: „Alle laufen Bestzeiten, aber er ist eben besser. Er ist der Chef.“

Es war also, wie so oft, ein Jogging-Gate. Blake (19,44) und Weir (19,84) konnten den Jogger trotz extraterrestrischer Vorstellungen nicht gefährden. Blake wurde kleinlaut, als ihn jemand auf seine dreimonatige Dopingsperre aus dem Jahr 2009 ansprach. War ein Fehler, kommt nicht wieder vor – so etwa murmelte er.

Dann sprach die Legende und wurde sogar etwas wütend, weil jemand an die Aussagen von Carl Lewis erinnerte. Der neunmalige Olympiasieger, der 1988 bei Dopingtests positiv war, die vertuscht wurden, hatte erklärt, dass Bolts Leistungen nicht normal zu erklären wären. Bolt zischte, er habe „jeden Respekt verloren“ vor Carl Lewis.

Was er sagt, ist einfach nur traurig.“

Parallel zu dieser Pressekonferenz, auf der sich die Legende feierte, twitterte Victor Conte, einer der größten Doping-Giftmischer des Planeten, fleißig über eine anrüchige Verbindung zwischen den Jamaikanern und dem weltweit bekannten Doping-Dealer Angel Heredia. Conte, einst Chef des berüchtigten Balco-Labors, bei dem auch der jamaikanische Coach Trevor Graham Stammkunde war, erinnerte an eine Geschichte aus dem vergangenen Jahr. Demnach soll Angel Heredia, der sich jetzt Angel Hernandez nennt, mit Bolt gearbeitet haben.

Es blieb leider keine Zeit, darauf genauer einzugehen. Denn die Legende musste zu den nächsten Interviews und muss sich ohnehin auf die Sprintstaffel vorbereiten. Die Legende hatte im Zieleinlauf übrigens den Zeigefinger vor den Mund gehalten. Ein Gruß an alle Zweifler.

Ihr könnt quatschen, was ihr wollt. Ich bin jetzt“ … klar doch … „eine Legende!“

* * *

19.02 Uhr: #Selbstmitleid. Stehe eh unter Drogen (Grippostad C), und jetzt zieht es auch noch mächtig hier oben. Anfängerfehler: Jacke im Locker im MPC gelassen. Kann ja auch niemand wissen, dass es hier wieder kälter ist als im Olympiastadion während der Winterspiele 2010 in Vancouver.

Morgen übrigens, muss ich prominent extra ankündigen, ein feiner live-Blog zur Schlussfeier.

19.25: Wow. Ein Haufen Franzosen im Stadion. Müssen Tausende sein. Sie schmettern die Marseillaise für Renaud Lavillenie, den Olympiasieger im Stabhochsprung.

19.27: Es wird laut. Mo Farah zum Zweiten. 5000 Meter. Die BBC zeigt ständig seine schwangere Frau auf der Tribüne.

19.45: Rekordlärm. 200 Meter to go für Farah.

19.46: Die flippen aus, die Briten. Habe kein Lärmometer dabei, aber das ist schon fußballmäßig, als hätten die mal wieder eine WM gewonnen (was natürlich nie wieder vorkommen wird). Mo Farah tatsächlich zum Zweiten.

Und wieder, natürlich, Bowie.

20.04: Die Notizen von der DOSB-Bilanz-PK sind jetzt komplett ergänzt.

20.17: Dass die Jungs aus Trinidad & Tobago Weltmeister im Selbstbedienen (Jack the Ripper) sind und dass sie schnell laufen, das wusste ich. Aber nun haben die sogar einen Speerwerfer. Keshorn Walcott auf Gold-Kurs. Was ist das denn?

Eine Geschichte für mich.

Morgen.

20.27: Er ist tatsächlich Olympiasieger, dieser Keshorn Walcott. Gibt nicht viel Infos über ihn. 7. bei den Panam-Games 2011 in Guadalajara. Junioren-Weltmeister gerade in Barcelona, trainiert von einem Kubaner.

Und was sagt er laut Athleten-Profil, warum er zu seinem Sport gekommen ist?

I was no good at sprinting!“

Klar doch.

Jetzt noch die Rundenstaffel der Frauen, Hochsprung-Entscheidung – und dann: THE LEGEND.

Dann bin ich hier auch erfroren. Wenn nicht: morgen 40 Grad Fieber.

Die verdammten Burger, die ich hier fast jeden Tag in mich hinein stopfe, heißen übrigens: chicken LEGEND.

20.32: Gabs in der 4 x 400 schon mal eine Überrundung? Koch? Kratochvilova?

20.35: Hochsprung entschieden: Tschitscherowa. Rundenstaffel an USA.

20.53: Da isser.

Und ich möchte nur deshalb mit ihm tauschen, weil er warm angezogen ist wie für eine Polarexpedition.

20.55: Im TV in Trinidad sah das übrigens so aus:

20.56: Die lassen sich ganz viel Zeit. Müssen alle erst auftauen.

20.57:

An now we come to the final athletics event of London 2012!

And now we come to – the LEGEND.

Carter, Frater, Blake, Bolt vs Kimmons, Gatlin, Gay, Bailey.

21.00: Ab jetzt. Will raus hier. Ist kalt.

21.01: Weltrekord. 36,84. The LEGEND. Double Triple.

Sie nehmen ihm den Stab weg. Und überlegen noch, wegen des letzten Wechsels?

Bisschen sehr viel Ratlosigkeit hier gerade.

Vielleicht stehe ich ja auf der kalten Leitung.

Nein: Jetzt. Jamaika, USA, Trinidad.

Die Kanadier sind geschockt. Sie rannten schon die Ehrenrunde mit Fahnen. Nun liegen sie auf der Erde. Tränen.

Und ich verschwinde mal nach unten in den Bauch des Stadions, da ist es wärmer.

Morgen auf jeden Fall: live-Blog von der Schlussfeier!

TBC

26 Gedanken zu „#London2012 (XXXI): THE LEGEND @UsainBolt“

  1. Ach mich freut das für die Briten! Und wenn die das auch noch halbwegs mit der Nachhaltigkeit der Sportstätten hinbekommen, wären selbst mir die vorher explodierten Kosten egal.

  2. Der ZDF Live-stream (wie schön: ohne Ton!) ist ca. 30 Sekunden verspätet zum Live-Bild von Eurosport. Das ist doch verrückt, wenn nachhher die gelbgrüne Bananen-Staffel schon im Ziel ist, obwohl sie beim ZDF-Live-Stream noch nicht mal gestartet ist.

  3. Jens, willst du mal eine #Kosten-#Nachhaltigkeits-#InsiderInformation haben:
    Wird nichts mit Olypia 2022 in Deutschland (zumindest nicht in München), weil Seehofer doch Bayern bis 2030 Schuldenfrei haben will. ;)

  4. Eins der „dichtesten“ Speerfinale denke ich – nur gut 3m zwischen Gold und Platz acht (Tino Haber – alle Achtung)

  5. @ mb: Hier in der Pressekonferenz sitzt eine doppelte dreifache Goldmedaillengewinnerin, sie heißt laut Namensschild: Felis Allyson.

    Meinst Du, die hat was mit der über die Bahn schwebenden Allyson Felix zu tun?

    Habe mal sicherheitshalber ein Foto gemacht, vielleicht erkennst Du sie.

  6. @jw: Kriegt man als Medienvertreter zumindest die Chicken Legend verbilligt – oder ist das McDonalds-Restaurant im MPC nicht nur Werbung, sondern auch lukrative Einnahmequelle für die Burgerbräter?

  7. Pingback: #London2012: “How The Times made Olympic history” : jens weinreich

  8. Pingback: From Russia with love (II): Bolts Hebel … : sport and politics

  9. Pingback: From Russia with love (III): live-Blog mit Usain Bolt, Wasserstandsmeldungen zum IOC-Wettrennen : sport and politics

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