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Das Olympische Bildungsmagazin

Südafrika, Tag 4: Der Heilige Sepp

JOHANNESBURG. Darf ich vorstellen: Der Weltmeister. Joseph Sepp Blatter, 74, auf dem Gipfel des Ruhms, bei einem von einem Dutzend Freundschaftsfotos auf einem Fußweg von zwanzig Metern, den er gerade gemeistert hat, um zum nächsten wichtigen Termin zu sausen. Ich weiß gar nicht, welchen Orden er heute empfängt, hat er nicht schon alle?

Ruhm, darf ich diese Vokabel benutzen? „Ich lege mich einfach mal fest“, so wie TV-Reporter beim Fünfnull drei Minuten vor Schluss formulieren: Sollte ihm nicht Eyjafjallajökull die Schau stehlen und mit neuerlichen Aschewolken sogar ganz Südafrika lahmlegen, wird diese WM ein emotionaler Kracher und Sepp in den Olymp befördern. Da braut sich etwas zusammen, und es wird sich zunächst am Freitag entladen in Gebrüll und Tränen und Gänsehaut, wenn Nelson Mandela zur Eröffnungsfeier ins Stadion kommt.

Keine Angst, ich bleibe bei der sportpolitischen Beschreibung und werde mich nicht an einem Besinnungsaufsatz über die Bedeutung dieser WM für Südafrika versuchen. Das sollen, beispielsweise, die Korrespondenten übernehmen, die schon lange hier leben. Ich habe da so eine drittklassige Bildung aus Film und Fernsehen vor allem, habe einiges gelesen, habe vor einigen Monaten auf Robben Island natürlich nicht nur die Propaganda der FIFA beschreiben wollen, sondern war selbstverständlich auch ergriffen. Das eine schließt das andere nicht aus, finde ich. Kann mich noch gut an die TV-Übertragung erinnern, als Mandela Präsident wurde. Was für ein Tag. Oft aber sind es kleine Momente, die einem mehr geben, als ganz große. Vorhin zum Beispiel, als wir durchs Township Tembisa fuhren und Sello, der 31jährige Taxifahrer mit größter Ehrfurcht von „Mr. Nelson Mandela“ erzählte, da war nichts inszeniert. Es wird noch viele solcher Momente geben. So wie ich gerade vor einem Jahr, als ich eine Woche durchs Land touren durfte, Journalisten-Seminare über die FIFA gab und Tag und Nacht diskutierte, vor allem viel erfahren habe über das, was in diesem Land eben nicht läuft und was durchaus in einer mittleren Katastrophe enden könnte. Die Fußball-WM wird, bei aller Emotionalität, diese Probleme nicht lösen.

Mandela kommt also am Freitag. Das war ein ganz wichtiger Deal für Sepp. Ich traf ihn gerade am FIFA Club in der ersten Etage des Michelangelo Hotels. Sepp ist nichts als glücklich und zufrieden, und grinste mich mit seinem unvergleichlichen Sepp-Grinsen an. „Sehen Sie?“ Typische Wort aus seinem Mund. Sehen Sie! Schauen Sie! Sie waren Zeuge, als … das hat er mir schon öfter gesagt, wenn es die Bilder und Szenen in seinem Sinne zu würdigen galt. Eben zum Beispiel hat er Mohamed Bin Hammam umarmt, demonstrativ.

Bin Hammam war der vorerst letzte in der langen Reihe der Herausforderer, die auf eine Sepp genehme Größe zurechtgestutzt wurden. Das hat viele Gründe, etliche wurden hier ausführlich besprochen. Fürs erste hat sich Sepp durchgesetzt, wird im kommenden Jahr bis 2015 als Präsident verlängern. Das geht schon in Ordnung. Er ist ein gerissener, aber auch ein angenehmer Gegner. Ich werde ihn in den kommenden Wochen dennoch weiter piesacken.

P.S. Was ich endlich mal los werden wollte, weil doch einige FIFA-Bedienstete mitlesen und ich mich gerade die Tage oft in Gesprächen mit Blauanzugsträgern gegen den Vorwurf verteidigen musste, ich würde immer nur alles runtermachen, was die FIFA so produziert und macht und tut und unermüdlich erschuftet. Ach Gottchen. Wenn es wichtig ist, gern sei auch das gesagt: Mich interessieren eigentlich nur die Großen, ganz ehrlich. Damit habe ich genug zu tun, Mann kriegt sie ja dummerweise kaum zu fassen. Die Kleinen lasse ich laufen :)

Und dass ich es für eine grandiose und gute Idee von Sepp hielt, die WM nach Südafrika zu holen, habe ich oft genug gesagt, seit mehr als zehn Jahren. Ich glaube sogar, damit schafft er sich sein Vermächtnis unter den ganz großen Sportfunktionären. Ich weiß, wie sehr er das Wort Funktionär hasst. „Funktionäre funktionieren“, pflegt er zu sagen: „ich aber funktioniere nicht. Ich gestalte.“

13 Gedanken zu „Südafrika, Tag 4: Der Heilige Sepp“

  1. Moin und von meiner Seite noch einen Gruß an den Hausherrn: Ich freue mich auf die 4 Wochen live aus SA mit und von dir. Danke im Voraus.

    Was soll man zum Sepp noch sagen. Es gibt so vieles, aber diese 4 Wochen entschädigen ihn für die vergangenen 4 Jahre und die Grabenkämpfe usw. Einmal durch die Lobby marschieren und dann können Bin Hammam und all die anderen kommen, die grinst er einfach weg.

    Im Zusammenhang Apartheit und Befreiung von SA fiel mir beim Lesen ein kurzer Radiointerview von Radio1 (rbb) mit einem ARD Korrespondenten vor Ort ein. Dieser sagte auf die Frage der Ticketverkäufe und den 100 Mio vom Sepp, dass Zuschauer aus aller Welt genügend kommen würden, nur die Deutschen blieben diesmal aus, wobei er hier aber eher vergleichbare Zahlen mit Japan/Südkorea 2002 anführte. Wer allerdings en masse erscheinen würde wären die Amis, die ein Stück Afrika erleben wollen und den Flair von Mandela und der Befreigung von der Apartheit. Das würde auch die Trailer von ESPN erklären (beim Kollegen dogfood zu sehen: Screensport von Dienstag (8.6.10)). Erlebnistourismus für die Amis.

    Kannst du das bestätigen? Von woher kommen all die Ticketkäufer?

  2. enrasen: Habe gerade einen Beitrag geschrieben, in der das Problem angerissen wird. Hatte dazu mit Enrique Byrom gesprochen, einem der mexikanischen Brüder, die das Geschäft monopolisiert haben mit ihrer Agentur MATCH.

    Grobe Reihenfolge:

    1) USA
    2) Mexiko
    3) England
    4) Brasilien

    gaaaaanz weit weg: Frankreich, Deutschland etc.

    Ich sehe mal, ob ich eine der Statistiken aus einem MATCH-Dokument reinstelle, die ist zwar ein halbes Jahr alt – vom Januar, als die Panik groß wurde, weil kaum Tickets und Hospitality-Pakete gekauft wurden -, sollte aber im Grunde die Reihenfolge wiedergeben.

  3. Servus!

    Eine kurze off-topic-Frage: Wird die Kammer des Schreckens in Kürze wieder aktualisiert? Oder wäre das diemal endgültig zuviel zugemutet? Würde mich bei dem WM-Maskottchen jedenfalls nicht wundern.

  4. @ Laie: Alle klar. Mein Etablissement ist eigentlich gut bewacht, aber das war das Hotel sicher auch. Momentan kann ich mich nicht bewegen, weil der Verkehr rund um Sandton zum Erliegen kam, kein Taxi fährt und ich meine Pläne kurzfristig ändern musste.

  5. @ JW: Du kannst Dich nicht bewegen? Das klingt ja fast kafkaesk… (Gregor Samsa).
    Meine (rhetorische) Nachfrage war natürlich eher als Information an Dich gedacht – in Südafrika wird diese Nachricht ja vermutlich eher heruntergespielt worden. Ganz sicher aber ist nicht die FIFA verantwortlich!

  6. P.S. Was ich endlich mal los werden wollte, weil doch einige FIFA-Bedienstete mitlesen und ich mich gerade die Tage oft in Gesprächen mit Blauanzugsträgern gegen den Vorwurf verteidigen musste,ich würde immer nur alles runtermachen, was die FIFA so produziert und macht und tut und unermüdlich erschuftet. Ach Gottchen. Wenn es wichtig ist, gern sei auch das gesagt: Mich interessieren eigentlich nur die Großen, ganz ehrlich. Damit habe ich genug zu tun, Mann kriegt sie ja dummerweise kaum zu fassen. Die Kleinen lasse ich laufen :)

    Das beantwortet nicht wirklich den Vorwurf, dass du nicht über die guten Seiten der FIFA berichtest. Oder ist es so zu verstehen, dass die kleinen auch von dir Erwähungung finden wollen?

  7. @ Laie: Da die Journalisten nur WM-Journalisten sind, aber irgendwo im Lande wohnen, also nicht in Medienhotels, kann die FIFA dafür gar nicht verantwortlich sein.

    @ mw: Ich verstehe nicht, was Du meinst. Ich habe schon viel Gutes über Sepps Wohltaten berichtet. Wer in Deutschland wüsste ohne die Dauerberichterstattung zweier Journalisten, was das Financial Assistance Programme und das GOAL Programme sind – und etliches mehr?

  8. zweier journalisten? der andere ist kistner?

    Ich weiß gar nicht, welchen Orden er heute empfängt, hat er nicht schon alle?

    es gibt da noch so eine hübsche kleine auszeichnung, die einmal im jahr in oslo verliehen wird.

    zu den wm-touristen: ich weiß nicht, wie es in anderen ländern aussah, aber gefühlt haben die dt. journalisten im vorfeld ja über fast nix anderes als kriminalität berichtet. dazu kamen dann noch so vollblicker wie u. hoeneß, der die vergabe nach afrika einen großen fehler nannte – all das hat sicher nicht zu begeisterungskäufen geführt.

  9. Ich kann mich jetzt nicht direkt in WM-Urlauber hineindenken, könnte mir aber vorstellen, dass die Zeitzone, also die Anstoßzeit im heimischen Fernsehen, bei der Reisemotivation auch eine kleine Rolle spiele kann.

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