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Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, Tag 9

00.56: Kleiner Nachtrag aus dem Olympiastadion. Der Kollege G und ich sind fast die letzten in der Arena. Die Volunteers packen zusammen. Aber es gibt noch Bier. Rückmarsch zum MPC.

02.05: Bus verpasst, der nächste fährt in einer Stunde. Also nochmal den Laptop rausgekramt. Und bei der Gelegenheit bemerkt, dass ich die so genannte IC Card für den Lan-Zugang (kostet wie Wlan 350 Euro) im Stadion in der kleinen Box unter meinem Sitz steckengelassen habe. Der Kollege G übrigens auch. Doch keine Panik: In solchen Momenten zahlt sich das Bloggen aus. Denn hatte ich nicht im Bericht von der Eröffnungsfeier vermerkt, auf welchem Platz ich saß? Genau: Aisle 209, Row 12, Seat 11. Also ab ins Rate Card Centre, dort vorgesprochen und auf das Problem aufmerksam gemacht. Die Volunteers versprechen zu helfen, sagen aber auch: Ersatz gibt es nicht, wenn jemand seine Karte stecken lässt oder verliert, hat er Pech.

03.06: Ich sitze im Bus zum Poly Plaza. Anruf aus dem Rate Card Centre: „Mr Jens, you are a lucky man. Your IC Card has been found and secured.“ Und was für ein lucky man! Ich darf daran erinnern, dass mein Handy vor einer Woche allein eine Stadtrundfahrt unternommen hat und auch wieder wohlbehalten zurückgekehrt ist.

13.20: Der Körper hat befohlen: Schlaf mal aus. Ich habe gehorcht.

13.45: Nach der gestrigen Erfahrung im Olympiastadion habe ich mich heute für Badelatschen entschieden.

13.53: Die Sicherheitsschleuse am Poly Plaza dreht durch. Schlägt Alarm wegen des Fußkettchens der französischen Kollegin vor mir. Immer diese Französinnen.

14.55: Die ersten Gespräch haben ergeben, dass gestern noch einige Kollegen Technik-Probleme hatten. Etlichen sind die Laptops ausgefallen, einem das Handy – nach einer Nacht vor der Klimaanlage war es wieder fit. Muss an der hohen Luftfeuchtigkeit liegen. Wie im Dschungel. Oder, wie mir der weit gereiste Kollege L, eines meiner journalistischen Vorbilder, gerade sagt: „So etwas habe ich bisher nur in Neu Delhi erlebt. In der Monsumzeit.“ Wie gestern schon notiert: Ich weiß nicht, wie das bei der Leichtathletik werden soll. Eine Woche unter diesen Bedingungen, herrje. Das Netzteil meines kleinen Sony (Achtung, Schleichwerbung) glühte gestern regelrecht. Komisch oder Logisch, dass ich angesichts dieser Erfahrung, Schreiben im Dschungel (das kam dabei raus), ständig an Lillehammer denken muss, an die Winterspiele 1994. Damals habe ich die erste Woche ím Wohnwagen auf einem Zeltplatz an der Bobbahn in Hunderfossen verbracht. Bei 25-30 Grad Minus.

15.30: Mal ein Wort zur Ticketvergabe für Journalisten. Denn die Akkreditierung für so ein Großereignis heißt ja nicht, dass man damit in jedes Stadion zu jedem Wettbewerb kommt. Bei einer Fußball-WM oder Fußball-EM bedeutet das beispielsweise nur, dass man sich in Pressezentren aufhalten, Pressekonferenzen und die offiziellen Termine in den Teamquartieren besuchen darf. Manchmal nicht mal das. Für jedes Fußballspiel muss man sich neu bewerben, auch für den Zugang zur Mixed Zone und zu Pressekonferenzen nach den Spielen. Bekommt man ein Spielticket zugeteilt, heißt das noch lange nicht, dass es auch Mixed Zone-Zugang und PK-Ticket gibt. Wer, was, wann und wie zuteilt, darüber wird mitunter verbittert gestritten. Der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) versucht hier, seiner Rolle als Serviceagentur gerecht zu werden. In Peking kümmert sich VDS-Geschäftsführerin Ute Maag darum, Tickets für die High-Demand-Veranstaltungen (Eröffnungsfeier, Schlussfeier, Schwimmen etc) zu akquirieren und diese Tickets möglichst gerecht unter den akkreditierten Journalisten und Fotografen zu verteilen. Ansprechpartner für sie wiederum sind BOCOG, IOC und der Sportjournalisten-Weltverband AIPS. Es gibt, wie bei der Akkreditierung, auch bei der Ticketvergabe Länderquoten.

15.58: Was soll ich sagen: Unsere IC Cards sind wieder da. Der Kollege G wird sich freuen. Wurden uns sogar ins Hauptpressezentrum gebracht. Mal sehen, was ich in den nächsten zwei Wochen noch alles liegen lasse. Irgendwann gehts es mal schief.

16.43: Immer wieder gern erzählt: Die Geschichte, wie deutsche Reporter die erste deutsche Medaille jagen. Das muss heute sehr lustig – und ärgerlich – gewesen sein. Denn traditionell sind ja Deutschlands Medaillenhoffnungen bei den Luftgewehrschützinnen und anderen Pistoleros besonders groß. Also machten sich viele zum Auftritt der Weltranglistenersten Sonja Pfeilschifter auf den Weg. Wenn ich die Erlebnisse der Kollegen richtig rekapituliere, lief das ungefähr so: Am Schießstand waren die Chinesen erschrocken über den deutschen Andrang, weshalb sie einigen Kollegen den Zutritt zum Presseblock in der Halle verwehrten, mit der Begründung, es sei überfüllt. Was aber nicht stimmte. Jedenfalls: viel Ärger. Und Frau Pfeilschifter traf auch nicht so recht. Weshalb viele Kollegen nach dem Vorkampf gemeinsam mit der ausgeschiedenen potenziellen Heldin wieder vom Schießstand verschwanden. Andere, die erst zum Finale kamen, waren fast allein und kamen problemlos in den Presseblock. Wer abgereist war, ärgerte sich gleich noch mehr: Denn mindestens ein Busfahrer verfuhr sich, irrte in Peking herum und fand erst nach großen Trara und beträchtlichem Zeitverlust wieder den richtigen Weg. Das sind typische Olympia-Geschichten. Freud und Leid der Journalisten. Wenn ich mich recht erinnere, war das 1996 in Atlanta mal so: Ein Bus mit Reportern machte sich zu Kanuslalom-Strecke auf, irrte ein paar Stunden in Amerika herum – und schüttete seine Fracht ein paar Hundert Meilen vom anvisierten Zielort entfernt aus. Irgendwo in Tennessee, ich meine an der Ruderstrecke, weiß es aber nicht mehr genau. Auf jeden Fall nicht beim Kanuslalom.

17.15: Relative of U.S. volleyball coach killed

18.47: Der Rest des Tages geht mit Schwimm-Watching (Vorläufe mit Michael Phelps und Britta Steffen in der Sprintstaffel) drauf und mit Recherchen zu den sportlichen Aspekten des russischen Überfalls in Südossetien. Außer einem mündlichen Statement von Giselle Davies hat es keine offizielle Erklärung des IOC gegeben. Mir ist keine Aussage von Rogge bekannt. Am Freitag hat sich Rogge mit Putin getroffen, offenbar vor dem Bombardement, denn Davies sagte, über die Krise habe man nicht gesprochen. Dass ich Putin für eine der größten Gefahren des olympischen Weltsports halte, habe ich in diesem Blog und anderswo oft genug beschrieben. Zum Mord am amerikanischen Trainer gab es eine Erklärung des IOC:

The International Olympic Committee (IOC) is deeply saddened to learn of a tragic incident which occurred earlier today involving two relatives of a coach for the United States Olympic Men’s Indoor Volleyball Team.

Ich frage mich, ob das IOC nicht auch „deeply saddened“ über die Toten am Kaukasus ist? Ich weiß es nicht. Warum wird der Angriff nicht scharf verurteilt? Judoka Putin greift man nicht an. Oder man traut sich nicht. Es ist unglaublich. Unwürdig.

21.10: Eine kleine LIste der Länder, deren Sportjournalisten Nationaltrikots oder andere Insignien ihrer Olympiateams tragen. Bisher habe ich gesehen Kollegen und Kolleginnen aus: Weißrussland, Russland, Litauen, Estland, Polen, Tschechien, Ungarn, Schweiz, Frankreich, Italien, Eritrea, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Angola, Äthiopien, China, USA. Schätze, habe noch nicht viel gesehen. Manche laufen wie Sportler herum, vielleicht wurden sie mit dem Team eingekleidet.

17 Gedanken zu „Peking, Tag 9“

  1. Danke für diese tollen Anekdoten und „Behind the Scenes“-Berichte. Wann liest mant schon mal, was die Sportjournalisten so alles erleben, während wir die Artikel geliefert bekommen, die nichts von den Anstrengungen dahinter erahnen lassen.

  2. Kann mich nur anschließen. Der Blog ist echt ne Bereicherung zur übrigen Berichterstattung. Vielen Dank dafür…undalles Gute für den Laptop-Akku ;-)

  3. Die Innenansichten des Herrn JW sind in der Tat recht amüsant, wenn auch ein bisschen zu oft an Berichte von Klassenfarten erinnernd. Vielleicht bin ich auch nur neidisch ob der Tatsache nicht in Peking weilen zu dürfen und all die einmaligen Sportereignisse live miterleben zu dürfen?
    Ohne journalistischen Hintergrund muss ich mich wundern, sowohl bei spiegel-online als auch in der SZ sehr, sehr ähnliche Berichte eines uns hier bekannten Autors lesen zu müssen. Irgendwie kommt man sich da vergackeiert vor, wenn in unterschiedlichen Blättern bzw. Medien die gleiche Suppe des gleichen Kochs verkauft werden…

    Alles in allem, ich werde dran bleiben – und wünsche weiter viel Spass beim Dabeisein und Bloggen!

  4. das liegt wohl daran, dass der koch die zutaten, die er für die suppe braucht, bezahlen muss und dass er seine suppe dann verkaufen und vielen kunden anbieten muss, sonst würde er ja auf den kosten für die zutaten sitzen bleiben und konkurs anmelden müssen. ein ganz normaler vorgang in der branche. das machen dutzende olympiaberichterstatter so, und fußballreporter und überhaupt. es war dasselbe thema, nicht derselbe text. schöne grüße von der klassenfahrt. jw

  5. irgendwie habe ich das gefühl, wenn ich ihre posts lese, dass sie die möglichkeit des mitfahrens bieten. dafür danke ich ihnen.
    tagesbefehl: weiter so ;-)

  6. …ich will auf keinen fall dem koch die suppe versalzen und verstehe die beweggründe vor allem finanzieller art…
    …auf hoffentlich weitere schöne beiträge aus der küche!

    herzlichst, pk

  7. Ich find es gut, dass sich Medien wie Spiegel Online oder die Süddeutsche neben den hauseigenen Köchen vor Ort auch die andere Geschmacksrichtung des uns bekannten Autors gönnen. Spricht dann einfach mehr Geschmacksnerven an… ;-)

    P.S.: Mir gefällt der Klassenfahrt-Vergleich. Und natürlich sind wir daheim gebliebenen Schreiber neidisch… ;-)

    P.P.S.: RSS-Feed klappt ohne Probleme.

  8. In der Tat, dieser Blog ist jeden Tag wieder eine Bereicherung. Nicht nur amüsant geschrieben, sondern auch informativ – denn so wirklich viel bekommt man ja von der Arbeit der Journalisten hinter den Kulissen kaum mit. Bitte mehr solcher Anekdoten und Hintergrundinfos. Übrigens, als kleiner Tipp für Nebeneinkünfte: Sie könnten ein Tippspiel „welchen gegenstand verliere ich als nächstes“, hier im Blog oder vor Ort unter Kollegen, einrichten. Hätte sicher Potential zum Kultformat aufzusteigen ;)
    Faszinierend finde ich übrigens, wie wenig sie zu schlafen scheinen. Und das bei diesen kilmatischen Bedingungen. Nett…
    Haben Sie eigentlich zwischendurch auch mal so etwas wie, ich wage kaum, es auszusprechen, „freie Minuten“?
    Bitte weiter so!

  9. zum thema teamkleidund
    ich weiß nur dass bei der österreichischen national mannschaft zur euro08, alle wirklich alle mit dem team stuff eingekleidet wurden. vom bussfahrer bis zum fotografen, vom presse assi assi bis wahrscheinlich zum mannschaftskoch. wird bei den journalies ähnlich sein…..

  10. @ Jonas: Schlafen? Geht schon. Ich habe zweimal gepostet, dass sich der Körper die Auszeit nimmt. Diesen Sonnabend und vergangenen Sonnabend jeweils so neun bis zehn Stunden. Gestern wieder vier. Geht den meisten so. Auch wenn ich zugebe, dass dieses Bloggen doch einige Stunden mehr Zeit verlangt.
    @ Lukas: Ich meine, bis 1998 in Nagano hat das deutsche NOK mit der DSM auch immer mal was an Journalisten verteilt. Keine Kleidung, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Gebe aber zu: den kleinen niedlichen Rucksack habe ich genommen und einige Zeit benutzt. Aber mit dem Deutschland-Trikot rumzurennen, würde mir nicht einfallen.

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