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Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, Tag 5

08.19: Das ging alles sehr schnell. Nur 15 Minuten vom Poly Plaza zum IOC-Hotel-Komplex, der aus dem Beijing Hotel, dem Grand Hotel Beijing und dem Raffles Hotel besteht. Die Security-Leute haben ihre Lektionen gelernt. Sehr nett und relaxt spulen sie ihr Programm ab, was immer mit einem maschinenartig vorgebrachten Dank endet: „Thank you for your cooperation.“ Selbst wenn man mal nicht kooperieren sollte. Die professionellen Sicherheitskräfte fallen gar nicht auf, ich denke aber, dass viele unter jenen, die als Volunteers die weiß-blauen Sportklamotten des BOCOG tragen, im Notfall ziemlich energisch und professionell durchgreifen könnten. Irgendjemand sagte mir gestern in verschwörerischem Ton, 210.000 Sicherheitskräfte seien in Peking eingesetzt. Ich glaube alles, ich bin Journalist.

09.04: Die 120. IOC-Session hat bereits begonnen, doch im kleinen Medienraum in der 14. Etage des Beijing Hotels funktioniert der Fernseher noch nicht (Panasonic/IOC-Sponsorenprodukt). Es dauert eine Weile, dann kann man wenigstens die Sitzung beobachten, allerdings ohne Übersetzung, was ich noch nie erlebt habe, seit die wir die Sessionen verfolgen dürfen. Akzeptable Arbeitsbedingungen sind das natürlich nicht. Ein Fernseher, 36 Arbeitsplätze. Das ist alles. Das IOC hat auch nur rund 30 Journalisten, allesamt olympische Dauerberichterstatter, für diese Session zugelassen. Insofern bin ich ein privilegierter Reporter, obgleich der Kollaboration mit dem IOC unverdächtig. Kollegen, die sich hier ausnahmsweise für das IOC interessieren, waren sehr überrascht, als sie erfuhren, dass sie nicht einmal ins Beijing Hotel können. Denn dazu braucht es eine zweite Akkreditierung zur offiziellen olympischen Akkreditierung. Ziemlich kompliziert, das, aber ich kann es nicht ändern. Das Prinzip habe ich vor ein paar Tagen schon mal umrissen:

Vor dem Beijing-Hotel, wo IOC-Exekutive und die 120. IOC-Session tagen, gibt es für langjährige olympische Berichterstatter zusätzlich zur Olympia-Akkreditierung einen “IOC Media-Pass�, der zum Zugang zum Beijing-Hotel berechtigt. Dummerweise finden die täglichen Pressekonferenzen zum Exko und zur Session allesamt im Main Press Center (MPC) statt, rund eine halbe Stunde mit dem Taxi entfernt. Wer also im IOC-Tagungshotel lauert, hat keine Chance, bei der PK rechtzeitig im MPC zu sein. Zudem: Erstmals ist das IOC-Hotel (die Herrschaften nächtigen im Raffles, das mit dem Beijing-Hotel-Komplex vebunden ist) bei Olympischen Spielen für Reporter gesperrt, da helfen auch zwei Ausweise nicht, die mir um den Hals baumeln. Sogar im George-Bush-Land war das IOC-Hotel, das Little America in Salt Lake City, ein halbes Jahr nach 9/11 problemlos zugänglich. Man könnte sagen: Es wird schwerer, im IOC-Machtbereich vernünftig zu arbeiten.

10.46: Er ist noch da. Topfit. Aufmerksam. Sensationell vernetzt. Mächtig. Einflussreich. Erfahren. Klug. Er spielt noch mit, auch wenn er heute auf der Session (links im Hintergrund, wie immer, seine ewige Assistentin Annie) nur über das Olympische Museum referierte, das seinen Namen trägt: Juan Antonio Samaranch. Ich nenne dieses Museum gern: Moneten-Mausoleum der olympischen Idee.

11.17: Ich konnte problemlos durch die marmornen Flure spazieren und in der Kaffeepause mit dem ein oder anderen Olympier plauschen. Unsere Befürchtung, dass in Peking nicht einmal dies möglich sein würde, erwies sich als unbegründet. Wen ich getroffen habe beim IOC? Natürlich, Jean-Marie Weber, einen der Dauergäste in diesem Blog – verantwortlich für den größten Korruptionsskandal der Sportgeschichte. Schon vergessen? 138 Millionen Schweizer Franken hat Webers ehemalige Firma ISL/ISMM zwischen 1989 und 2001 an Schmiergeldern an hohe Sportfunktionäre gezahlt. Das ist nur die Summe, die nun gerichtsfest ist. Sehr wahrscheinlich nur ein Bruchteil der gesamten Bestechungsgelder, die von ISL und anderen Firmen in den vergangenen dreißig Jahren gezahlt worden sind. Aber weitere Ausführungen spare ich mir, denn die Sportkameraden im Beijing-Raffles, wo Jean-Marie herumspaziert, interessiert das ja nicht. Die IOC-Ethikkommission und der Null-Zolerance-Präsident Jacques Rogge („Gegen Doping! Gegen Korruption! Gegen Gewalt!“) schauen schwiegend zu. Ich habe wie immer ein bisschen mit Jean-Marie, den ich persönlich gut leiden kann, geplauscht. Er musste dann weiter, hat schließlich in Peking für Issa Hayatou und Lamine Diack zu tun, für zwei IOC-Mitglieder.

12.50: Flink noch eine Linkempfehlung. Denn dogfood hat mal wieder recherchiert und berichtet Erstaunliches über einen Beitrag des SWR, der mit großem Gedöns angekündigt und verbreitet wurde: „Halbwahrheiten beim SWR“. Darauf müsste der Sender eigentlich reagieren. Und Jürgen Kalwa berichtet, dass auch die Huffington Post in Peking von den Zensoren blockiert wird. Stimmt, ich kann die Seite nicht aufrufen.

20.40: Ich habe gefabelt.

22.20: Es heißt dieser Tage oft, das IOC würde Rekordeinnahmen verzeichnen, weil die Spiele in Peking stattfinden. Das stimmt nicht, Unsinn. Die TV-Verträge mit NBC (894 Mio US-Dollar) und der EBU (443 Mio) wurden zum Jahreswechsel 1995/96 parafiert. Die Entscheidung für Peking fiel im Juli 2001. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Verträge im TOP (The Olympic Programme) bereits unterschrieben. Richtig ist lediglich, dass das IOC seit der Abschaffung des Amateurparagrafen und dem Start der Kommerzialiasierung Olympias in allen Vierjahreszyklen Rekordeinnahmen verzeichnete.

00.27: Nach Mitternacht kommt die Putz-Armada. Lautlos gleitet eine Hundertschaft Frauen in den verwinkelten Arbeitsraum des Hauptpressezentrums, der vielleicht 150 mal 50 Meter misst. In diesen Momenten, das Tsingtao (am zweiten Tag nannte ich es noch Tsintao) steht schon neben einem, weiß man, dass sich der Tag dem Ende neigt. Tag? Fenster gibt es in dem Bunker nicht. Ob draußen 36 Grad oder 18 Grad sind, ob die Sonne brennt oder der Smog dräut, man weiß es nicht. Das wird in den nächsten Tagen anders werden, wenn immer mal Freiluft geatmet werden kann, wenn man von einem Venue zum nächsten oder wieder zurück zum MBC hetzt. In den Bunker. Im 1. Kellergeschoss hat jetzt übrigens neben dem Frittenburger-IOC-Sponsoren auch ein chinesischer Foodcourt geöffnet. Geht in Ordnung.

00.36: Programm für Morgen: Ab 7 Uhr noch ein bisschen arbeiten, es wartet jemand dringend auf einen Text. 9.30 Uhr: Taxi zum Deutschen Haus im Kempinski Hotel, Eröffnungspressekonferenz des deutschen Teams, mit Michael Vesper, dem DOSB-Generalsekretärdirektor, dem Ausputzer vom jüngsten deutschen IOC-Mitglied, das noch auf der IOC-Session sitzt. 12.00 Uhr: Taxi zum MPC, wo um 12.30 Uhr Michael Phelps auftritt, der Supermann, der in Peking erfolgreichster Olympiateilnehmer aller Zeiten wird, das darf man wohl schon sagen. Hat er eigentlich noch einen Zahnspange? Was Phelps allerdings kaum schaffen wird: Mehr Weltrekorde aufzustellen, als er Wettkämpfe schwimmt. Obwohl, man weiß ja nie.

11 Gedanken zu „Peking, Tag 5“

  1. Wie kommt es, dass Sie J-M Weber gut leiden können? Ich dachte Sie seien bei der FIFA zur persona non grata erhoben worden. In einer Arte Dokumentation zum ISL-Skandal kam Herr Weber eher unterdurchschnittlich sympathisch rüber.

    Liebe Grüße nach China…

  2. Pingback: Rochus Wolff

  3. Keine Ahnung. Es waren keine Sportjournalisten, sondern sozusagen Reporter aus dem diplomatischen Korps, die fest aus China berichten. Vielleicht findet man auf den Seiten der chinesischen Regierung die Namen.

  4. Feedburner liefert seit gestern oder vorgestern den Newsfeed nicht mehr aus, weil der Source-Feed zu groß ist (mehr als 512kb). Ist das nur bei mir so oder noch niemand anderem aufgefallen? Bitte korrigieren, falls möglich! Im Newsfeed sind alle Beiträge seit 2007 drin, wie ich vor ein paar Tagen gesehen habe, kein Wunder, dass der zu groß ist!

  5. Vielen Dank für die Beiträge. Sie werfen ein spannendes und erhellendes Licht auf die Spiele. Auch wenn der Feed z. Zt. nicht funktioniert, es gibt ja noch die Homepage.
    Freue mich auf die Berichte!
    Gruss,
    Frank

  6. Lieber Jens. Großartig, was du das aus Peking ablieferst. Weiter so… Wenn ich davon 10 Prozent könnte, wäre ich dankbar.

  7. Pingback: politik-digital.de

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