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Das Olympische Bildungsmagazin

Südafrika, Tag 22

RUSTENBURG. Musste mich nach der ISL-Nummer erstmal erholen. Das geht auch nach so vielen Jahren nicht spurlos an einem vorbei. Jedenfalls, abends in der Wohnung beim Spanien-Spiel eingeschlafen. Dafür heute wieder einigermaßen fit und in angenehmster WM-Umgebung bisher angekommen. Es ist, wenn ich richtig sehe, auch schon das letzte Spiel in Rustenburg. Auf der Fahrt hierher hatte ich erstmals überhaupt das Gefühl, in Afrika zu sein. Ich meine, es ist mein dritter Aufenthalt hier, ich habe sechs Wochen in Johannesburg, Kapstadt und Durban verbracht, bin aber außer in Fußballstadien, Seminarräumen, Kongresszentren, auf dem Tafelberg und auf Robben Island und natürlich in den Bars der FIFA-Hotels nirgendwo gewesen.

In Rustenburg geht es familiär zu. Das Stadion, natürlich völlig überdimensioniert und in Sachen Nachhaltigkeit eine Katastrophe, steht mitten in einem Wohngebiet, würde man wohl in Deutschland sagen. Herüber weht der Duft vom Grill, und der Andrang zum Achtelfinale zwischen den USA und Ghana ist auch nicht sehr groß. Ganz nett also.

Rustenburg, USA vs Ghana, 26. Juni 2010

Manchmal vermisse ich es, bei solchen Terminen nicht doch etwas tiefer abzutauchen ins normale Leben und andere Geschichten zu erzählen. Ich würde das gern, doch der Schuster in mir bleibt bei seinen Leisten. Weltmeisterschaften und Olympische Spiele erlebe ich immer aus einem sehr kleinen Blickwinkel. Das hat seine Vorteile, ist aber auch ermüdend. So fokussiert wie in diesem Jahr während der Winterspiele in Vancouver und hier in Südafrika war ich noch nie bei derlei Mega Events auf die, sagen wir: Mächtigen. Sehe niemanden, der das ähnlich durchziehen würde. Wird nicht unbedingt belohnt, hat aber auch wiederum Vorteile, automatisch ergeben sich Kontakte, selbst zu Leuten aus der FIFA, die eigentlich nicht mit einem reden wollen und dürfen. Allerdings lassen sich da eben nicht täglich nette Geschichten schreiben. Aber, ich wiederhole mich, dieser Job ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Mit Sepp und der ISL-Sache befasse ich mich nun schon ewig, und da die Kameraden nicht abtreten wollen, werde ich auch noch eine Ewigkeit dabei bleiben. Ich denke, dass ich hier den letzten Kick bekommen habe, ein, zwei Projekte, die ich zu lange nicht energisch genug angegangen bin, nun endlich voran zu treiben. Ich habe es mehrfach erwähnt, es ist doch sehr erstaunlich, wer so ein kleines Fachblog alles verfolgt und welche Wirkung das haben kann.

Zum Thema „Wie sieht es eigentlich in Südafrika abseits der Stadien aus“ empfehle ich, falls ich es nicht schon getan habe, eindringlich drei andere Blogs, die ich gestern an meinem kurzen Ruheabend endlich mal etwas studiert habe. Bitte vorbei schauen, ein ganz anderer Blickwinkel:

  • Christian Frey und Kai Schächtele: Wintermärchen 2010. Eine Reise von Kapstadt nach Johannesburg
  • Jakblog von Christian Jakubetz, der …
  • … von öffentlich-rechtlichen Institutionen gesponsert auch das internationale Projekt Africangoals2010 betreut

Ehrlich gesagt – nein, kein Neid, nur eine Feststellung -, ich wünschte mir, öffentlich-rechtliche Institutionen würden auch einmal investigativen Journalismus fördern. Zu tun gibt es genug.

Was ich vor dem Spiel USA vs Ghana anbieten werde, sind einige Statistiken zum Achtelfinale bzw. zum Abschluss der Vorrunde. Die finde ich ganz interessant, habe heute morgen drei Stunden gerechnet und gebastelt und einen kleinen Text verfasst, den ich in Kürze mit einigen Grafiken anreichern will. Wenn jemand was Passendes findet auf anderen Webseiten, nur her damit. Ich bin kein Statistik-Fetischist, ich glaube nicht, dass die Zahl der Einwürfe von links in der Bundesliga oder die Zahl der von rechts hinter das Tor geschlagenen Flanken so entscheidend ist. Aber alle paar Jahre bei großen Events bin ich schon dafür, dass auch mal statistisch aufzubereiten. Ich weiß noch, wie mich diese Statistiken hier jeweils einen Tag Arbeit gekostet haben, ja, ganz was anderes, kein Fußball, erinnere nur deshalb daran, weil auch das zeigt, was man sportpolitisch so alles machen/bloggen kann:

Heute morgen habe ich in der Schnelle dies hier gedichtet:

Nach dem 48 Vorrundenspielen dieser WM erhält der immer währende Streit um die Aufteilung der Endrundenplätze neue Nahrung. Die Verlierer der Vorrunde sind Europa und Afrika. Die Gewinner heißen Südamerika und Asien.

Seit die Fußball-Weltmeisterschaften wirklich ein globales Ereignis sind und umfangreiche Qualifikationen ausgespielt werden, also seit etwa 40 Jahren, bestimmt der Streit um die Endrundenplätze die sportpolitische Szene. Bis 1978 wurde die WM noch mit 16 Teams ausgetragen, danach mit 24 Mannschaften, seit 1998 mit 32 Teams.

Im Streit um die Finalplätze zwischen den sechs Kontinentalverbänden der FIFA wurde sogar schon der automatische Startplatz des Titelverteidigers geopfert. Auch der Weltmeister muss in die Qualifikation. Größte Nutznießer waren in den vergangenen Jahren die Afrikaner. Dort werden stets FIFA-Wahlen entschieden – und das Wahlvolk wird immer auch mit WM-Startplätzen geködert. Inklusive des automatisch qualifizierten Gastgebers waren diesmal sechs afrikanische Teams dabei.

Die Aufteilung unter den FIFA-Konföderationen: Europa 13, Afrika 6, Südamerika 5, Asien 4, Nordamerika 3, Ozeanien 1. Wobei je ein Startplatz in Play-Offs zwischen Nordamerika und Südamerika sowie zwischen Asien und Ozeanien ausgespielt wurden.

Aus Afrika steht nur Ghana spielt im Achtelfinale. Afrika lieferte nun die schlechteste Bilanz ab, seit mit WM-Turniere in diesem Modus ausgetragen werden: 3 Siege, 5 Remis, 10 Niederlagen. Niederschmetternd. Wenngleich das wohl beste afrikanische Team, die Elfenbeinküste, wie schon 2006 in die schwerste Vorrundengruppe gelost wurde.

Die Plätze im Achtelfinale teilen sich so auf: Europa 6, Südamerika 5, Asien und Nordamerika 2, Afrika ein Team.

Europa hatte zuletzt zehn Mannschaften im Achtelfinale, nun sechs – das ist ein Desaster. Auch im Vergleich mit nichteuropäischen Mannschaften ist es die schlechteste Bilanz überhaupt. Wurden vor vier Jahren noch zwei Drittel dieser direkten Duelle gewonnen, sind es diesmal gerade ein Drittel. 2006 gewann Europas Teams 19 von 30 Vorrundenspielen gegen Nichteuropäer – nun gerade mal 10.

Die beste Bilanz aller Zeiten verzeichnen dagegen die Südamerikaner: Alle fünf Teams, darunter die Top-Favoriten Brasilien und Argentinien, kamen eine Runde weiter. Nur eine Niederlage in fünfzehn Spielen – Südamerika wird für 2014 nicht nur die Aufstockung für den WM-Gastgeber Brasilien beantragen, sondern mehr.

Auch Asien, mit zwei Teams weiter, wird versuchen, Afrika und Europa einen Endrundenplatz anzunehmen. Wie ernst es die Asiaten meinen, bewiesen sie vor einigen Jahren, als sie einen FIFA-Kongress in Los Angeles platzen ließen und geschlossen ausmarschierten, weil ihre Wünsche nicht erfüllt worden. Der FIFA stehen heiße Zeiten bevor.

15 Gedanken zu „Südafrika, Tag 22“

  1. Wenn es der FIFA darum ginge, die Plätze leistungsentsprechend zu veteilen, gäbe es doch sicher eine Kontinentalrangliste nach der sie verteilit würden. (Wie z.B. die UEFA das mit CL-Startplätzen macht).

    Oder ist das jetzt zu naiv?

  2. An solche Statistiken hatte ich auch schon gedacht, aber, ehrlich gesagt, war mir das zu anstrengend (kriege ja auch kein Geld dafür). Also schon wieder Dank! Ich werde einfach den Eindruck nicht los, dass das schlechte Abschneiden der Europäer (auch und gerade der Favoriten wie Frankreich, Italien, Spanien oder England) kein Zufall ist: Nein, nein, keine der üblichen Verschwörungstheorien… mich würde interessieren, welche Rolle die Höhe mancher Austragungsorte spielt (ein Punkt, der sich von hier aus nicht wirklich gut nachvollziehen lässt, allein schon, weil ich nicht weiß, auf welcher Höhe die Mannschaften alle ihre Quartiere haben). Und welche Rolle spielt der Winter? Bevor es in Südafrika tatsächlich nachts unter Null Grad war, hat man hier ja kaum darüber berichtet, welcherart Wetter die Mannschaften dort erwartete – ich habe mir afrikanischen Winter irgendwie anders vorgestellt. Kannst Du zu solchen Aspekten noch das ein oder andere beiragen? Du bist ja schließlich dort und Dir war seeeehr kalt…

  3. Ist es wahr, dass die Spielfelder in machen neugebauten Stadien schlicht zu kurz sind, um nachher auch Rugby dort spielen zu können? Wann wollen die denn dann jemals wieder 40.000 Zuschauer zu einem Fußballspiel dort versammeln?

  4. @ Felix: Afrika hat bei dieser WM nicht unterstrichen, dass es mehr Startplätze bekommen sollte. Südamerika kann man auch nicht aufwerten, da dann fast der gesamte Kontinent startet ;-), flächenmäßig gesehen. Die Asiaten wissen selbst, dass sie meist Größennachteile haben (Ausnahme sind die Chinesen, aber dort ist Basketball populärer). Bliebe noch, dem Orient einen Platz aus Europa zu geben. Vielleicht wäre, bevölkerungsmäßig gesehen, eine Unterteilung in Ostasien und Mittelasien bei der Quali angesagt, ähnlich wie in Amerika.

    @ jw: Ich dachte, das Land kennenzulernen sei der eigentliche Reiz der WM. Man kann früher kommen oder später zurückreisen, so als Freier. Dachte ich.

  5. @nocheinjurist: Eine Weltmeisterschaft muss doch zwei Kriterien erfüllen:
    1. Die Teilnehmer müssen aus aller Welt kommen
    2. Die Teilnehmer müssen die best möglichen sein.
    Mir ist auch klar, dass das mitunter nicht miteinander vereinbar ist, aber wenn Südamerika (hypothetisch) mehrere WMs am Stück so stark ist, dann müssen die halt mehr als 5 Startplätze haben – auch wenn’s insgesamt nur 10 Länder sind. Da können die ja auch nichts für.

  6. @ felix: Ja, verstehe ich. Aber es sollte auch ne reelle Chance geben, dass einer der Großen immer um die Fahrt zur WM zittern muss. Bei mehr als 5 sind fast alle durch – und das muss nicht sein. M.E.

  7. Ich weiss nicht, ich finde den Begriff „Desaster“ für das europäische Abschneiden übertrieben. Wenn es so etwas wie eine „optimale Verteilung nach sportlichen Kriterien“ gäbe, dann würde das doch bedeuten, dass pro Konförderation die Hälfte der Starter eine Runde weiter kommt. Da ist 6 von 13 nicht schön, aber doch noch innerhalb der Fehlertoleranz (10 von 13 war letztes Mal einfach überragend).

  8. Aber genau deshalb hat JW ja nicht nur das Weiterkommen bedacht, sondern auch die einzelnen Spielergebnisse einbezogen – so muss man es machen. Und die Art und Weise, wie die Europäer gespielt haben, war ja noch viel schlechter als die Ergebnisse es sind.

  9. Pingback: WM 2010: der Kontinentalvergleich : jens weinreich

  10. Sonst betrachte ich mich hier ja gern als Verteidiger dieser Sportart, aber das ist nun wirklich eine Schande für den Radsport.

  11. :-)
    Stimmt.
    Zu Telekom-Zeiten wären sicher Schwarz-Magenta-Goldene Fahnen und Klatschhände verteilt worden.
    Und die ARD hätte einen zweigeteilten Bildschirm gehabt, wobei Boßdorf beide Hälften kommentiert.

  12. Pingback: WM 2010: der Kontinentalvergleich • Sport and Politics

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