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Jens Weinreich

Roland Rino Büchel: Offener Brief an FIFA-Boss Joseph Blatter

LAUSANNE. Der ehemalige ISL-Manager und heutige SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel hat Seiner FIFA-Heiligkeit Joseph Blatter einen Offenen Brief geschrieben, den ich mit Büchels Zustimmung gern zur Kenntnis gebe.

via Nation of Swine/Carlos Hanimann, vielen Dank auch für das schöne Wort „Wahrheitsallergiker„, das ich flink mal in meine Tag-Liste aufnehme

Internationale Sportfunktionäre sind schwer korrupt

Die Weltwoche gab FIFA-Präsident Sepp Blatter vor Weihnachten die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge auf einem halben Dutzend Seiten auszubreiten. Die FIFA sei nicht korrupt, war seine Kernaussage.

Eine Replik ist angebracht. – Der Brief an FIFA-Präsident Sepp Blatter:

Bern, 11. Januar 2011

Geschätzter FIFA-Präsident, lieber Sepp

Kürzlich gaben Sie der Weltwoche ein Mammut-Interview. Als ob das nicht genug wäre, doppelten Sie in den Schweizer Tageszeitungen flächendeckend nach. Am Tag vor Weihnachten sagten Sie auf DRS 1, dass Sie auf den Friedensnobelpreis aspirierten. Genauer: nicht Sie selbst, sondern die FIFA.

Ich beziehe mich nicht auf das lange Gespräch am Radio, sondern auf das Geschriebene. Dazu gehört auch Ihr grosses Interview vom Berchtoldstag: In der Sonntagszeitung kündigten Sie allerhand an. Von all dem wären zwei Aussagen relevant. Falls sie den Tatsachen entsprächen.

Behauptung Nummer eins: „Roland Büchel fordert mehr Staat im Sport.“ Das ist Humbug. Ich richte mich auf Walliserdiitsch an Sie und frage: Wer hat Ihnen diesen „blaggruschtig“ erzählt?

Was ist eigentlich Sache? – Genau das Gegenteil von dem, was Sie vermelden. Staatliche Hyperaktivität ist nicht das, was ich will. Sondern mehr Eigenverantwortung bei den internationalen Sportverbänden. Meine Motion gibt den Milliardenkonzernen FIFA, IOC und, falls nötig, UEFA bis Ende 2011 Zeit, das leidige Problem mit ihren korrupten Spitzenfunktionären anzugehen und zu regeln.

UEFA-Präsident und FIFA-Vize Michel Platini will die Arbeit auslagern. Er verlangt eine Anti- Korruptions-Sport-Polizei: „Was wir brauchen, ist ein länderübergreifendes Instrument, eine internationale Sportpolizei“, liess er deutsche Medien wissen. Wir sind uns einig: Die Version Platini würde definitiv mehr Staat im Sport bedeuten.

FIFA-Funktionäre sind korrupt

Behauptung Nummer zwei: „Die FIFA ist nicht korrupt.“ Ihnen ist klar, wie wenig ich von dieser Aussage halte. Bern denkt gleich. Sowohl der Bundesrat als auch der Nationalrat. Nur nebenbei: Im Nationalrats-Saal werden an den Sessions-Donnerstagen jeweils zuerst die WOZ und die Weltwoche gelesen. Das berühmte Exemplar des Köppel-Magazins mit Ihrem Bild auf der Titelseite lag ganz oben auf den Pulten der Parlamentarier. Ihr Blick, Sepp, ist in die Ferne gerichtet. An allen vorbei. Und an allem. Die Schlagzeile darunter: „In der FIFA gibt es keine Korruption.“ Das war im Dezember 2010.

Im Interview geben Sie sich nuancierter als auf dem Titelblatt: „Es gibt keine systematische Korruption in der FIFA“, lauten ihre Worte dort.

Macht es Sinn, gemäss Chaosprinzip zu schmieren, anstatt mit System? Ich weiss es nicht. Bestechung ist so oder so ein diffiziles Business. Vor ein paar Wochen lief bei der FIFA so ziemlich alles aus dem Ruder: Journalisten von der Sunday Times liessen einen Nigerianer und einen Fussballfunktionär aus Tahiti, beide Mitglieder Ihres Exekutiv-Komitees, in die Falle tappen. Zur Hälfte wenigstens. Der Afrikaner hätte seine Stimme für rund 800‘000 Franken verkauft, der Mann aus der Südsee für drei Millionen Neuseeland-Dollars. Soviel zu den Fakten.

Nun zum Amüsanten. Oder zum Traurigen, je nach Sichtweise. Kürzlich traf ich einen westafrikanischen Minister. Er trat mit ernster Miene auf mich zu: „Ich schäme mich für Afrika.“ Ich verstand nur Bahnhof. Denn für mich war klar, dass wegen eines einzigen käuflichen Funktionärs nicht ein ganzer Kontinent an den Pranger zu stellen ist.

Doch Son Excellence insistierte. Der Mann schämte sich wirklich abgrundtief. „Es ist ein Skandal. Schauen Sie, Monsieur Roland, unser Freund aus dem riesigen Nigeria wollte seine Stimme tatsächlich für drei Mal weniger Geld hergegeben als der Typ aus dem kleinen Tahiti in der Südsee. Wir Afrikaner kennen unseren Wert nicht. Es ist eine Schande.“

140‘785‘618.93 Franken Schmiergeld

Nehmen oder nicht nehmen? Diese Frage stellen sich hohe Sportfunktionäre seit ein paar Jahren. Und, falls ja, wie viel? Wie gross ist der Kuchen, und wie wird er aufgeteilt? Dazu wissen wir heute: In den letzten zwölf Jahren ihrer Existenz zahlte allein die Sportrechteagentur ISL 140‘785‘618.93 Franken reines Schmiergeld. Die Gegenleistung? Null. Über diese Tatsache müssen wir nicht lange diskutieren; alles ist gerichtsfest bewiesen. Hohe und höchste Sportfunktionäre haben genommen. Die ISL gab und ging bankrott.

Am 30. November 2010 brachte die Sendung Panorama auf BBC 1 eine Liste mit Namen von korrupten Spitzenfunktionären an die Öffentlichkeit. Jemand hatte sie dem wohl bekanntesten aller journalistischen Wadenbeisser zugespielt: Auf Andrew Jennings‘ Tabelle sind 175 Zahlungen fein säuberlich aufgelistet. Unter dem Strich resultiert eine dreistellige Millionensumme für Repräsentanten des Sports.

Mindestens drei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees und drei IOC-Mitglieder nahmen Bakschisch aus der Schweiz entgegen. Der OK-Präsident der kommenden Fussball-WM in Brasilien, um nur ein Beispiel zu nennen, erhielt einen zweistelligen Millionenbetrag: Ricardo Teixeira gehört zu den Mächtigen unter den 24 FIFA-ExCo-Mitgliedern. Doch das muss ich Ihnen nicht erklären.

Akute Wahrheits-Allergie im FIFA-Reich des Joseph Blatter

Kommt mir so vor, als hätte ich diese Überschrift schon tausend Mal geschrieben.

Journalisten-Darsteller Roger Köppel, Chefredaktor der Weltwoche und Stammgast in deutschen öffentlich-rechtlichen Talkshows, hat sich mal wieder als Stichwortgeber des FIFA-Präsidenten Joseph Blatter betätigt. Co-Stichwortgeber war Walter de Gregorio. Ungefährdet durfte Blatter der kleinen Lesergemeinde der Weltwoche allerlei bizarre Behauptungen auftischen:

[So weit ich sehe, ist das Textlein hinter einer Paywall verschwunden, das ist vielleicht ganz gut so.]

Ich weiß gar nicht, ob de Gregorio noch für den Blick tätig ist, der längst wieder zur Blatter-Liebespostille verkommen ist. Nachdem dort zwischenzeitlich auch solche Doppelseiten zu lesen waren („Das perfekte Verbrechen“), wird im Blick so gedichtet, wie ich es jüngst bereits zitierte:

Blatters Erfolgsrezept ist ein anderes. Was ihn so unwiderstehlich charismatisch macht, sind zwei Dinge: Bescheidenheit und Demut.

Bescheidenheit und Demut. Es sind die einfachen, die banalen Dinge, die sein gewaltiges Charisma ausmachen.

Diesen Geist trägt er ins FIFA-Haus. Der Verband wird zur Familie.

Natürlich weiß auch ich um die Bestechungsvorwürfe in diesem Haus. Doch das ist ein anderes Thema, dessen Hintergründe ich nicht kenne. Deshalb lasse ich die Finger davon.

In diesem Sinne ist gewiss auch das Elaborat der Weltwoche zu verstehen. Denn im Kern geht es doch wohl um diese Behauptung des Patrons aus dem Wallis:

Es gibt keine systematische Korruption in der FIFA. Das ist Unsinn.

Oh.

Flink nochmal die alten Bestechungszahlen aus dem ISL-Komplex, die folgenlos blieben, die neuen kennt man noch nicht:

ISL Schmiergeldbilanz

Ob der Sepp, der gerade ein weiteres Interview lancieren ließ und das FIFA-Image gern aufpolieren würde, schon an Pseudologie leidet? Keine Ahnung, dann wäre dringend ein Besuch beim Arzt seines Vertrauens oder beim Generalstaatsanwalt angebracht. Sagen wir es mal so, vorsichtiger: Die Wahrheitsbeugungen, die Blatter begeht, müssen erst noch gezählt werden.

Zum Beispiel jammert er ja, man würde ihn nicht zum ISL-Komplex fragen. Sepp greint:

Die Unseriosität der Angriffe zeigt sich darin, dass man mich gar nicht erst fragt. Die Anti-Fifa-Journalisten sind nicht an der Wahrheit interessiert, sondern an der Fortschreibung ihrer falschen Vorurteile.

Oh.

Wie oft ich ihn dazu seit 2001 befragt habe, das zu zählen, würde mich Jahre kosten.

Mensch, Sepp, wir haben das doch sogar beim Bier (Radeberger) besprochen, schon vergessen?

Egal, ich kann mich noch sehr gut an ein echtes Interview erinnern, das wir im Mai 2001 in Zürich geführt haben, und das ihn so mitnahm, dass er eine Pause machen musste. Damals hat er mir, darf man sagen: versprochen?

Ich bin nicht bestechlich. Da können Sie mir beide Hände abhacken.

Was der Sepp so sagt.

Hoffentlich hören sie das nicht in Katar. Nicht dass da noch jemand zum Beil greift.

Mehr möchte ich gar nicht verlinken. Das Blog ist voll von Beispielen, dass Sepp regelmäßig gefragt wurde. Auf Youtube habe ich im Laufe der Zeit auch einiges hochgeladen. Und in meinem Film „The Untouchable“ (Schweden/Dänemark 2004), aus dem sich gerade wieder viele Szenen in der jüngsten Dokumentation des Schweizer Fernsehens finden (wie auch einer meiner Youtube-Clips), spielte das ISL-Thema selbstverständlich eine Rolle.

Bitte mal lesen:

Sepp sagt zum Beispiel:

(…) Es gibt vor allem einen Mann, den Engländer Andrew Jennings, einen besessenen Anti-Blatter-, Anti-Fifa-Journalisten. Er verfolgt mich seit zwölf Jahren. Und er hört nicht auf, gegen mich und die Fifa zu schiessen. Es ist jedoch nicht an mir zu beurteilen, ob seine Berichterstattung einen Einfluss auf den Ausgang der WM-Vergabe hatte.

[Stichworte von Köppel/de Gregorio] Warum gehen Sie nicht gerichtlich gegen die Verunglimpfungen vor?

Es ist systematisch. Das System wirkt über den englischen Kanal hinweg. Im Schlepptau von Jennings schreiben die deutschen Journalisten Jens Weinreich und Thomas Kistner. Dann gibt es ein paar Schweizer, die das kritiklos nachbeten. Was kann man dagegen unternehmen? Ich argumentiere, es gibt Gerichtsentscheide, die Klartext reden, aber die Argumente werden von diesen Kritikern nicht einmal zur Kenntnis genommen. Sie wärmen uralte Vorwürfe auf und wiederholen sie. Doch die Vorwürfe stimmen nicht. Die jüngste, glasklare Wahl der WM-Orte hat aufgezeigt, wie sehr sich diese extreme Fifa-Kritik auf dem Holzweg befindet. Ich finde es so kleinlich, was hier geschrieben wird. Ich staune, dass sogar qualitativ anspruchsvolle Verlage das überhaupt noch abdrucken.

[Stichworte von Köppel/de Gregorio] Das Schweizer Fernsehen versuchte kürzlich in einer Dokumentation nachzuweisen, dass in der Fifa bestochen und betrogen wird.

Man stürzt sich auf uralte Kamellen im Zusammenhang mit dem Konkurs der Sportvermarktungsfirma ISL/ISMM. Ich wüsste nicht, was man der Fifa vorwerfen könnte. Nichts, was von juristischer Bedeutung wäre, ist dort geschehen. Die Unseriosität der Angriffe zeigt sich darin, dass man mich gar nicht erst fragt. Die Anti-Fifa-Journalisten sind nicht an der Wahrheit interessiert, sondern an der Fortschreibung ihrer falschen Vorurteile. (…)

Quelle: www.weltwoche.ch

Ganz davon abgesehen, dass mir Blatter offenbar die Honorare nicht gönnt: Die Chuzpe vom Sepp und seinem als Generalsekretär schauspielernden Lügenbaron (diese Bezeichnung trifft für sein Verhalten in der Visa/Mastercard-Sache gewiss zu) Jérôme Valcke sucht schon seinesgleichen. Die Herren drehen nach der Skandal-Entscheidung vom vergangenen Donnerstag völlig ab, bezeichnen die WM-Vergabe als totaltransparent und wähnen sich als Sieger der Geschichte. Als Herren des Universums.

Schaun mer mal.

P.S. Auch wenn das jetzt vielleicht etwas zu weit führt, aber den Begriff Lügenbaron würde ich doch flink mal mit einigen Passagen und Links zum Visa-Mastercard-Skandal unterminieren. Warum eigentlich nicht. Denn dieser Fall verdeutlicht doch einmal mehr, dass diesen Typen einfach nicht zu trauen ist. Achtung, Kommentar, Meinungsäußerung, nachfolgend belegt: Sie lügen, dass sich die Balken biegen.

Valcke war damals FIFA-Marketingchef, wurde gefeuert, kam wenige Monate später als Generalsekretär wieder, und der Sepp stellte es doch tatsächlich so dar, als sei Valcke nie gefeuert worden.

Eine feine Analyse dazu gab es mal im Independent:

Im Original liest sich das im ersten Urteil so:

  • FIFA’s negotiators lied repeatedly to MasterCard, including when they assured MasterCard that, consistently with MasterCard’s first right to acquire, FIFA would not sign a deal for the post-2006 sponsorship rights with anyone else unless it could not reach agreement with MasterCard.
  • FIFA’s negotiators lied to VISA when they repeatedly responded to the direct question of whether MasterCard had any incumbency rights by assuring VISA that MasterCard did not.
  • FIFA’s negotiators provided VISA with blow-by-blow descriptions of the status of the FIFA-MasterCard negotiations while concealing from its long-time partner MasterCard both the fact of the FIFA-VISA negotiations as well as the status of those negotiations – an action FIFA’s president admitted would not be “fair play.”
  • FIFA’s marketing director lied to both MasterCard, FIFA’s long-time partner, and to VISA, its negotiating counterparty, to both of which FIFA, under Swiss law, owed a duty of good faith. When, pursuant to his engineering, VISA raised its bid to the same level as MasterCard’s, he declined his subordinates’ suggestion to give MasterCard the opportunity to submit a higher bid based on his concern for his own reputation with the FIFA Board. He also declined his subordinates’ recommendation that he recommend to the FIFA Board that it continue with its prior approval of MasterCard as the post-2006 sponsor. Instead, he told the board it was difficult for him to make a recommendation and never mentioned MasterCard’s first right to acquire the post-2006 sponsorship.
  • On the morning of the first of March 2006 FIFA board meetings and after all three FIFA boards had previously approved MasterCard as the post-2006 sponsor, FIFA’s marketing director called VISA to say that if VISA increased its cash bid by $30 million to the level of MasterCard’s bid, VISA “would be the partner.”
  • Even after MasterCard had signed the “FINAL version” of the post-2006 sponsorship agreement and returned it to FIFA, FIFA’s negotiators delayed telling MasterCard that the FIFA Board had chosen VISA; instead they waited for the VISA board to ratify the VISA agreement.
  • After the FIFA boards had approved MasterCard as post-2006 sponsor and after MasterCard had agreed to FIFA’s asking price and agreement had been reached on all other terms and after FIFA’s in-house counsel had solicited FIFA members for items that might be used to claim that MasterCard breached the Agreement, FIFA pointed to a trademark issue that had been present since 2000 or 2001 to justify granting the post-2006 sponsorship to VISA and sent a letter to MasterCard — after the commencement of this lawsuit — purporting to terminate the Agreement and thus MasterCard’s first right to acquire.
  • After MasterCard and FIFA waived, under Swiss law, both the 90-day time periods set out in section 9.2 by their “conclusive conduct”, FIFA now seeks retroactively to revive one of the 90-day periods, but not the other, to justify its choice of VISA for the post-2006 sponsorship.
  • While the FIFA witnesses at trial boldly characterized their breaches as “white lies”, “commercial lies”, “bluffs”, and, ironically, “the game”, their internal emails discuss the “different excuses to give to MasterCard as to why the deal wasn’t done with them”, “how we (as FIFA) can still be seen as having at least some business ethics” and how to “make the whole f***-up look better for FIFA.” They ultimately confessed, however, that “[I]t’s clear somebody has it in for MC.”

Habe den Fall damals selbst nur marginal betreut, wohl aber die Entwicklung beschrieben: