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Das Olympische Bildungsmagazin

Hansjörg Kofink sagt …

… zur angeblichen, von dpa wieder einmal zielgerichtet geförderten „Initiative“ des DLV-Präsidenten Clemens Prokop:

Diese Meldung macht mich fast genau so wütend wie das verantwortungslose Geschwätz des NOK-Ehrenpräsidenten Tröger. Wer hat denn die „West-Trainer“ eingestellt, wer war verantwortlich für ihre Arbeit?

Ich war einer von Ihnen, und ich habe 1971/72 aus gegebenem Anlass mit Präsidiumsmitgliedern des DLV die Situation „Doping“ mündlich und schriftlich diskutiert. Schriftlich gab es nie eine Antwort. Die damalige, heute noch lebende Frauenwartin, die mich – eigentlich müsste ich sagen – gekeilt hat, wusste über die Situation genau Bescheid, vor allem über meinen Nachfolger, der mit der Antibaby-Pille arbeitete.

Es ist doch zutiefst heuchlerisch heute in der Öffentlichkeit um „geständige Westtrainer“ zu betteln, wenn man handfeste Aussagen über die Medien schon seit Jahrzehnten kennt.

Hier eine fast zufällige Auswahl von Fernsehmitschnitten von 1991 bis 2000, der die wirklich Verantwortlichen, die jeweiligen Präsidien des DLV deutlich genug benennt. Vielleicht gibt es unter Sportfunktionären auch eine Rechtsnachfolge – oder wenigstens ein Archiv mit Protokollen, um nicht weiter nach West-Trainer-Geständnissen mit Krokodilstränen in den Augen gieren zu müssen. Meine Korrespondenz mit NOK und DLV 1972 liegt noch vor, von Seiten des DLV allerdings Fehlanzeige: Er hat nie geantwortet!

Mit besten Grüßen und immer noch mit der Hoffnung, dass sich die Verantwortlichen bekennen. Immerhin hat Manfred von Richthofen nach knapp 20 Jahren gesprochen (Daume!).

Hansjörg Kofink war einmal Bundestrainer Kugelstoß/Frauen und ist Ehrenvorsitzender des Deutschen Sportlehrerverbandes. Auch weil mich Gerhard Treutlein, der ja Prokop bereits einen offenen Brief geschrieben hat, darum bat, kopiere ich hier noch einmal einen Text von Hansjörg Kofink hinein, den manche als herausragenden Beitrag in der West-Doping-Debatte bezeichnen.

(Ich wurde in den vergangenen Tagen ohnehin mehrfach gebeten, manche wichtigen Kommentare, die vielen Lesern nicht auffallen, als Blogbeitrag nachzutragen, das finde ich okay.)

Im Westen – noch immer – nichts Neues

oder frei nach Brecht

Erst die Medaillen und dann – vielleicht – die Moral

Walter Tröger, der im Februar 80 wurde, verkörpert wie kaum ein anderer den (west)deutschen Sportfunktionär der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts: seit 1961 Geschäftsführer, dann Generalsekretär des NOK für Deutschland, 1972 Bürgermeister im Olympischen Dorf in München, ab 1976 achtmal Chef de Mission bei Olympischen Winterspielen, seit 1989 Mitglied des IOC, von 1992-2002 Präsident des NOK, seit 2003 Ehrenpräsident.

Der alte Mann des deutschen Sports sagt heute, über die DDR-Dopingvergangenheit von Trainern, die heute noch tätig sind:

„Die ist irrelevant und die ist vergeben.“

Diese Aussage ist so ungeheuerlich, dass es des nachfolgenden geschmacklosen und falschen Vergleichs nicht mehr bedurft hätte.

Mit dieser Aussage trifft Tröger den gesamten Olympischen Sport der beiden deutschen Staaten, auch die sportlichen Leistungen dieser Epoche. Sie wirft auch ein Schlaglicht auf die Repräsentanten des Sports und auf ihre Haltung zur Olympischen Idee, vor allem aber auf den Olympischen Sport in Deutschland.

Die Spitzenfachverbände, der DSB und die Sportpolitik des BMI haben die ihnen zugefallene Vereinigung 1990/91 nach Gutdünken genutzt, benutzt und verwaltet; Medaillen haben interessiert, Menschen nicht.

Die Schande, dass man nach 20 Jahren Trainerverträge in Frage stellen muss, haben ausschließlich die Führungsgremien der betroffenen Verbände seit den 90er Jahren zu verantworten.

Manfred von Richthofen, ein weiterer Spitzenfunktionär, der sich derzeit fast täglich zu Wort meldet – warum eigentlich erst jetzt? – berichtet von der Unfähigkeit, der Unwilligkeit der Spitzenfunktionäre jener Tage eigene sportliche Regeln zu befolgen

„Doping macht vergesslich“

Unter diesem Titel hat die ZEIT schon 1998 die gesamte Problematik in aller Ausführlichkeit behandelt; Dr. Höppner (Sportmedizinischer Dienst der DDR) legte seine medizinischen Beweggründe offen und mit Klaus Huhn (Chefredakteur Ressortleiter Sport der SED-Zeitung „Neues Deutschland“): Jetzt rächen West-Richter ihre schwachen Sportler kam auch die Gegenseite zu Wort.

Alles ist seit langem bekannt; doch die Spitzenfunktionäre des deutschen Sports waren unfähig, ihre Vereinigung sportlich fair und unter Beachtung eigener Regeln so zu vollziehen, dass sie nicht vor jeder internationalen Sportveranstaltung ins Wanken geriet. Besonders beispielhaft dafür ist die Galerie der DLV-Präsidenten dieser Jahre.

Sportsystem und sportliche Regeln

„Der Sport ist gelebtes Bekenntnis zu Leistung und Eigenverantwortung. Der Spitzensport hat Vorbildwirkung hinsichtlich des Leistungsgedankens und vermittelt einen positiven Elitebegriff“

Diese Feststellung im Positionspapier des DOSB Staatsziel Sport hat wohl fundamentale Schwierigkeiten mit dem Verweis auf Befehlsnotstand, mit dem die fünf DLV-Trainer ihren Dopingmitteleinsatz einräumen.

Das durch Sport gelebte Bekenntnis zur Eigenverantwortung kollidiert mit der Pauschalentschuldigung:

Haben internationale Sporterfolge zum Ruhme eines Staatssystems das Recht, sportliche Regeln außer Kraft zu setzen? Gilt Trögers „Irrelevant“ auch für Medaillen, die unter solchen Bedingungen errungen wurden?

Während der Sportminister „das Eingeständnis, die Reue und Entschuldigung der Täter“ einfordert, stellt IOC-Mitglied Tröger knallhart fest: „Das Einbringen von Reue in diese Geschichte finde ich absurd. Wir sind keine Richter, ich fühle mich überhaupt nicht veranlasst, jemand zu fragen, ob er bereut, was er getan hat.“

Wie nun, wer hat recht? In der ehemaligen DDR wüsste man das genau.

Auch Dr. Schäuble hat in der Dopingbewältigung schon eine 30jährige Geschichte. Man wird es ihm dieses Jahr noch danken. Seinem inzwischen legendären „kleines bisschen Doping unter ärztlicher Verantwortung“ (DB 1977, 101f.), das wohl ein Kompromiss zwischen erfolgsbesessenen Sportfunktionären, Sportmedizinern und Sportpolitikern sein sollte, folgten die Querelen der Vereinigung 1990/91, die er als verantwortlicher Minister begleitete unter besonderer Berücksichtigung der Dopingbrutstätten FKS und Kreischa im Einigungsvertrag. Damals, vor den OS in Barcelona, stand eine 10%ige Mittelkürzung für die Sportverbände im Raum, weil nur drei (!) von 50 Verbänden auf Anfragen der Reiter-Kommission zur Trainer-Situation geantwortet hatten. Gekürzt wurde nie, aber eingestellt!

Nach 18 Jahren noch immer Trainerprobleme!

Erfolgreicher war der Zahn der Zeit. In den 90er Jahren war eine Wiederverwendung von Trainern, Funktionären und Ärzten mit Dopinghintergrund kategorisch ausgeschlossen. Heute feiern DOSB und DLV per Pressemitteilung das Bekennen von fünf ehemaligen DDR-Trainern zu ihrer Dopingvergangenheit als einen Durchbruch, als „sportethischen Schritt“ (Steiner-Kommission), der ihre Weiterbeschäftigung beim DLV erlaubt.

Wem sind da die Maßstäbe verrutscht?

Wer trägt Verantwortung im Sport?

Die Pressemitteilung des BMI „begrüßt die Geständnisse“. Die Weiterbeschäftigung sei eine Angelegenheit des Sportes selbst. Seine Bewertungen durch Steiner-Kommission, DOSB und DLV „kommen insbesondere auch wegen der langen Tätigkeit der Trainer nach der Wende mit ihrem Bekenntnis zur Anti-Doping Politik im deutschen Sport zu dem Ergebnis, die Trainer weiterzubeschäftigen.“

Dazu der Minister: „Dies nehme ich zur Kenntnis und sehe keine Veranlassung zu einer anderen Entscheidung“.

Und wie kam es zu dieser „langen Tätigkeit nach der Wende“?

Das darf man sich wohl genauso wie diesmal vorstellen. Anstelle der langen Tätigkeit gab es eine mündliche oder vielleicht sogar eine schriftliche Versicherung der Betroffenen gegenüber dem interessierten Fachverband.

Nachzulesen ist das im Spiegel 8/1993, S. 194ff. unter dem Titel „Schlimme Finger“, der die Reformerin Heide Rosendahl schwer enttäuscht im ‚Haifischbecken DLV‘ sieht.

In der Bundesrepublik gibt es keine strenge Hierarchie des Sportsystems. Das BMI bezahlt, der DOSB gibt Grundsatzerklärungen heraus und der Fachverband entscheidet. Natürlich kann keiner Verantwortung übernehmen, wenn irgendwann irgendwo irgendetwas herauskommt („organisierte Unverantwortlichkeit“, Singler/Treutlein).

Der Leiter der DLV-Trainerschule Dr. Killing hat in der Zeitschrift ‚Leichtathletik‘ Bedenkenswertes dazu in Erörterung des Falles Goldmann zu Papier gebracht:

„Denn nicht Trainer haben über die Vorwürfe gegen ihn und über seinen Ausschluss befunden, sondern Juristen, Politiker, Verwaltungsfachleute – allesamt trainerische Laien. Dies wird wie selbstverständlich hingenommen.“

Trainerprofis haben 2002 Thomas Springstein zum Trainer des Jahres im DLV gewählt!

Jetzt darf die Wissenschaft: Studie „Doping in Deutschland“

Zur Aufarbeitung der Dopingfälle in Ost und West soll eine Studie ‚DOPING IN DEUTSCHLAND‘ einen wichtigen Beitrag leisten. Der Innenminister hat damit das Bundesinstitut für Sportwissenschaft beauftragt. Dem oder den zukünftigen Bearbeitern schlägt riesiges Interesse entgegen. Welche Materialien stehen zur Verfügung: DSB-Kommission 1977, Unterlagen des BISP seit 1972, Reiterkommission, Kommissionen der Fachverbände, Dopingakten, Unterlagen der internationalen Fachverbände, des IOC, Presse seit 1969 und ein gewaltiger Bestand an wissenschaftlicher und anderer Literatur.

Ein Halbjahrhundertwerk! Der Augiasstall wartet auf seinen Herkules! Erfolg eher unwahrscheinlich – warum sollen Personen, die seit Jahrzehnten schweigen, mitvertuschen und lügen, jetzt plötzlich auspacken? Wo bleiben die Geständniswilligen im Westen?

Hansjörg Kofink
7. April 2009

p.s. Vor 40 Jahren hat Brigitte Berendonk die erste Athletensprecherin des DLV – eben gewählt nach der Katastrophe bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Athen – ihren Artikel „Züchten wir Monstren“ in der ‚ZEIT‘ veröffentlicht. Das war die erste Veröffentlichung über den Anabolikamissbrauch im Hochleistungssport. Berendonk nahm an den Olympischen Spielen in Mexiko und in München teil.

21 Gedanken zu „Hansjörg Kofink sagt …“

  1. Also ich finde die Äußerungen von Herrn Prokop klasse,mal sehen wer sich traut.

    Als gesellschaftliches Problem läßt es sich,vielleicht liege ich da falsch oder verstehe es nicht,nur im Dialog lösen.

    Schließlich hat Mandela auch dem Botha die Hand gegeben.

  2. Schließlich hat Mandela auch dem Botha die Hand gegeben.

    Walter, aber da ging es ja auch um Bürgerkrieg oder nicht.
    Leider scheint der Mensch immer nur in Extremsituationen sich zu wagen, das Einfache und Vernünftige zu tun. Ich weiß ja auch nicht, worauf man angesichts der Probleme noch wartet.
    Dialog scheint jedenfalls zurzeit keine Option zu sein. Wir geben mal lieber weiter Butter bei die Fische.

  3. Dopingopfer reichen Petition beim Bundestag ein

    : http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/04/26/dlf_20090426_1944_3e072c42.mp3

    Ich unterstütze dieses Vorgehen ausdrücklich.

    Persilschein fürs Dopen – Der Protest der Dopingopfer gegen die Amnestie von
    Doping-Trainern. Studiogäste: Die Dopingopfer Ute Krieger-Krause, Ines Geipel, Andreas Krieger und Uwe Trömer sowie Dr. Klaus Zöllig, Vorsitzender des Doping Opfer Hilfe-Vereins.
    Die Fragen stellt Herbert Fischer-Solms

    :
    http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/04/26/dlf_20090426_2330_8dd098f7.mp3

  4. Hier fehlt noch der Brief von Hansjörg Kofink an Clemens Prokop vom 25.4.2009
    link

    er bezieht sich darauf:
    „Ich würde mir wünschen, dass auch die Trainer aus dem Westen, die in solche Praktiken in den 70er und 80er Jahren verwickelt waren, den Mut finden, sich zu erklären“, sagte der DLV-Chef.
    link

  5. Nicola,
    ist schon lustig,dass sich nur noch ein Radsportforum um Öffentlichkeit kümmert,wo doch der Radsport der große Übeltäter sein soll.

    Ansonsten wird dieses Thema nicht wahrgenommen, weil „man“ es nicht wahrhaben will.
    Die Volksseele fühlt sich so wohler.Alle haben sich Mühe gegeben,dass wir nur bei drei Stichpunkten an Doping denken
    Radsport-Ullrich-DDR.

  6. @ Walter: Was soll das heißen? Was heißt „nur noch“? Was heißt „nicht wahrgenommen“? Wer oder was ist „die Volksseele“? Wer hat sich Mühe gegeben? Glauben Sie an eine große Verschwörung? Von wem?

  7. @JW,
    -nur noch,neben dieser Seite
    -nicht wahrgenommen,wenn ich z.B. einen sehr sportbegeisterten,mehr km fahrenden und alle Sportsendungen konsumierenden Freizeitsportler in der Nähe des Bodensees nach Doping in der BRD frage,schaut der mich entgeistert an und erklärt mir,Doping gibt es nur in der DDR,bei Ullrich und im Radsport.(Mühe gegeben)
    -Volksseele wird erschüttert,wenn der Vorschlag von Anno Hecker wahr wird:
    http://jensweinreich.de/?p=3310#comment-8883
    Ich glaube nicht an Verschwörungen,nur an zufällige Übereinstimmungen von verschiedenen Interessen.

  8. Ist ja eine schleppende Diskussion hier,beim Lesen des Briefes von Herrn Kofink v.25.04. fiel mir in der Chronologie der Ereignisse auf,dass die letzte Testosteronstudie,lt. Scharping mit öffentlichen Mitteln bezahlt, in Freiburg wegen des Todes von Birgit Dressel gemacht wurde?

    Ansonsten begann doch 1987 schon die EPO Zeit?

    Scharping sagte allerdings bei Poschmann diese Testosteronstudie wurde für die Nordischen gemacht?

    Für wen hat die also Freiburg bezahlt bekommen?

  9. MDR: Doping im Westen: Tricks, Strafen, Totschweigen

    1977 hat mich ein Trainer damit überzeugt, dass ich mit Anabolika drei bis fünf Meter weiter werfen würde. […] Ich hatte ja mit den DLV-Ärzten in Freiburg gesprochen. Das waren Professor Joseph Keul und Professor Armin Klümper. Beide haben mir damals wortwörtlich gesagt: ‚Du brauchst keine Angst zu haben, denn es gibt keine Nebenwirkungen. Es ist auch kein Doping sondern eine therapeutische Maßnahme.‘ […] Es müssten sich alle bekennen. Von den Athleten unten, über die Trainer und Funktionäre, bis zur Politik und zur Sporthilfe. Es waren alle involviert, alle wussten bescheid. Jeder sollte mal darüber nachdenken, was er damals angestellt hat, und nicht sagen, er wisse von nichts.

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  14. Dieser Monster-Satz steht da so am Ende des Artikels, dabei ist doch die Frage, wie man Monster definiert. Wo fängt das Monster denn an? Waren die muskelbepackten Leichtathletinnen der 80er welche? Frauen, die sich aufgrund von Doping später zu Männern umoperieren? (Bitte nicht persönlich nehmen!) Schwimmer, die eine ungewöhnliche/optimale Oberkörperform haben? Oder was muss passieren, dass Herr Kofink von einem Monster spricht? Oder ist das eine Distanzierung von der eigenen Vergangenheit: „Irgendwann treiben sie es zu weit, aber bei mir früher waren es noch keine Monster“?

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