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Das Olympische Bildungsmagazin

Was vom Tage übrig bleibt (27)

Tut mir leid, aber zu mehr als einer Zweitverwertung meiner Texte vom Gipfeltreffen der Sportfamilie aus Denver reicht es momentan nicht. Die vielen Ideen lassen sich aus zeitlichen Gründen gerade nicht umsetzen. Für Nachschub ist aber gesorgt, der Trip hierher hat sich in dieser Hinsicht zweifellos gelohnt.

Beitrag vom 25. März

DENVER. Hein Verbruggen war wütend. „Diese Arroganz“, schimpfte der langjährige Präsident des Radsport-Weltverbandes, „die wollen einfach nicht mit uns reden. Diese Arroganz, die ist total!“ Nein, Verbruggen sprach nicht über einen gewissen Verbruggen, der über die Jahre alle Vorwürfe an seiner Amtsführung mit der ihm eigenen Impertinenz abprallen ließ, der Holländer tadelte den eigentlichen Gastgeber des Weltsportgipfels in Denver: das Nationale Olympische Komitee der USA (USOC). Seit vier Jahren versuchen Verbruggen und sein Verbündeter Denis Oswald, Präsident des Ruder-Weltverbandes und Chef der Vereinigung der Olympischen Sommersportverbände (ASOIF), das USOC dazu zu bewegen, auf einen Teil seiner olympischen Marketingeinnahmen zu verzichten. Nun forderten die 26 Verbände das IOC geschlossen auf, die USOC-Verträge zu kündigen. 

Gemäß Abmachungen aus den 1980er Jahren, die zuletzt 1996 verlängert wurden, erhält das USOC pauschal 12,75 Prozent der milliardenschweren amerikanischen TV-Rechte und 20 Prozent aus den Sponsorenverträgen des IOC. So kassiert das USOC im vierjährigen Olympiazyklus bis 2012 insgesamt 450 Millionen Dollar. „Etwa soviel wie alle olympischen Verbände und die anderen 204 NOK zusammen“, sagt Oswald, der sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht hat, gegen das USOC vor Gericht zu ziehen. Oswald trägt die Forderung der ASOIF am Donnerstag dem IOC-Exekutivkomitee vor. Die sieben Wintersportverbände werden die Resolution vorerst nicht unterstützen, sagt Ski-Weltpräsident Gian-Franco Kasper: „Die Sommerverbände haben uns nicht gefragt.“

Oswald verlangt vom IOC-Exekutivkomitee und vom Präsidenten Jacques Rogge, sich ultimativ zur USOC-Causa zu äußern, die längst die Olympiabewerbung von Chicago überschattet. Ohne ein finanzielles Zugeständnis der Amerikaner hat Chicago keine Chance auf die Sommerspiele 2016, die am 2. Oktober vom IOC vergeben werden. Den ehemaligen USOC-Präsidenten Peter Ueberroth verspottete Oswald: „Er hat auf unsere schriftlichen Vorschläge nicht einmal reagiert. Er denkt, er weiß alles. Und alles, was er sagt, ist richtig. Es fällt schwer, mit solchen Menschen zu verhandeln.“ Auch der neue USOC-Boss Larry Probst, der Oswald und der eigens eingerichteten Verhandlungskommission (mit IOC-Marketingchef Gerhard Heiberg und ANOC-Präsident Mario Vazquez Rana) ständig ausweicht, bekam sein Fett weg. Monatelang hat das USOC sich einem Treffen verweigert. „Gestern sollten wir uns nun plötzlich mit dem USOC in San Francisco treffen, oder in Los Angeles, ich weiß auch nicht. Dabei sind wir doch hier alle in Denver. Ich weiß nicht, was das soll!“

Die 26 Sommersportverbände fordern in ihrer Resolution vom USOC rückwirkend ab 2005 bis 2020 für jede Olympiade:

  • 14 Millionen Dollar Kostenbeteiligung an der Olympiaorganisation,
  • 12 Millionen für die ASOIF und
  • 12 Millionen für die ANOC.

Insgesamt also 152 Millionen Dollar.

Die USOC-Verträge sollen beendet und neu verhandelt werden. Verbruggen hat dem Olympischen Kongress, der im Oktober tagt, einen Vorschlag über die Neuverteilung aller IOC-Einnahmen unterbreitet. Verbuggen kritisierte anschließend den mangelnden Rückhalt der ASOIF-Initiative im IOC und unter NOK-Präsidenten. „Mich ärgert besonders, wie sich Thomas Bach verhält“, sagte Verbruggen. „Er ist ja nicht nur IOC-Vize, sondern auch DOSB-Präsident. Da müsste ihn doch interessieren, dass sein NOK mehr bekommt und die Amerikaner nicht so unverschämt viel.“

Während die ASOIF also am Dienstag in Denver mit einer historischen Initiative aufwartete, die Amerika schwer unter Zugzwang bringt, verblüffte die Organisation wenige Stunden später, auf dem zweiten Teil ihrer Vollversammlung, mit einer unglaublichen Narretei: Der von Korruptionsvorwürfen belastete Handball-Präsident Hassan Moustafa (Ägypten) zog nach skurriler Diskussion überraschend seine Kandidatur für den ASOIF-Chefposten zurück, weil sein Antrag, eine geheime Abstimmung in Wahlkabinen durchzuführen, nicht genehmigt wurde. Stattdessen falteten die 26 Verbandschefs ihre Zettelchen und warfen sie in Einkaufstüten, die von zwei Helfern herumgereicht wurden. Ohne Gegenkandidaten wurde Oswald mit 19 von 26 Stimmen im Amt bestätigt.

Zuvor hatte man fast eine halbe Stunde lautstark in verschiedenen Sprachen aneinander vorbei debattiert und sich gegenseitig beleidigt. Ausgerechnet Moustafa warf Oswald und Verbruggen vor, sich nicht an demokratische Gepflogenheiten zu halten. Man darf gespannt darauf sein, wie er im Juni auf dem IHF-Kongress in Kairo die Wahlen organisiert, wenn der Luxemburger Jeannot Kaiser und der Isländer Gudmundur Ingvarsson gegen ihn antreten.

Der Tübinger Sportwissenschaftler Helmut Digel verfolgte das Tohuwabohu und sagte: „Wir sprechen so oft über Professionalität und die hohen Anforderungen an Sportfunktionäre. Für das hier aber gibt es nur ein Wort: Kindergarten.“ Der Kindergarten von Denis Oswald hat sich ziemlich viel vorgenommen, will er die ungeheuer werthaltigen olympischen Marketingverträge der Amerikaner tatsächlich aufkündigen.

Beitrag vom 24. März

DENVER. Immer aufmerksam. Immer auf der Lauer. Die beiden Geschäftsführer der Münchner Olympiabewerbung streunen durch die Gänge des Hyatt Regency Hotels. Bernhard Schwank lässt sich von Sir Craig Reedie, IOC-Mitglied aus Großbritannien, zu seinem neuen Job gratulieren. Richard Adam ist mit dem Amerikaner George Hirthler unterwegs, der ihn einführt in diese fremde Welt. Hirthler unterhält eine Firma für olympische Strategieberatung und erstellt olympische Bewerbungsbücher. München hat den Kontakt zu Hirthler schon vor längerem aufgebaut. Vor Ort sind auch die Planer von Albert Speer & Partner, wie in jedem Jahr, wenn sich beim Kongress Sportaccord die Branche trifft, begleitet von Sitzungen des IOC und sämtlicher Weltsportverbände.

Schwank und Adam können einiges lernen in Denver, Colorado. Die Bewerber aus München trommeln ja damit, die Winterspiele 2018 kostengünstig auszutragen, weil ein großer Teil der Sportstätten bereits vorhanden sei. Diese Idee ist nicht neu. Sie wurde schon einmal propagiert – und auf spektakuläre Weise verworfen.

Billige Spiele in der Großstadt versprachen im Frühjahr 1970 auch die Stadtväter von Denver dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Das hörte sich alles ganz prächtig an: 80 Prozent der Sportstätten seien vorhanden, hieß es. Nur 14 Millionen Dollar sollte das Abenteuer kosten. Im IOC, damals noch dem Amateurgedanken verfallen und chronisch klamm, war man hoch erfreut. Im Mai 1970 erhielt Denver auf der IOC-Session in Amsterdam den Zuschlag für die Winterspiele 1976. Mit 39:30 Stimmen gewannen die Amerikaner gegen Sion. Tampere und Vancouver wurden in den ersten Runden eliminiert.

Was für ein Märchen. Bereits ein Jahr später war der Zauber verflogen, der Etat hatte sich mehr als verdreifacht, die Idee von drei Clustern ward geboren. Drei Cluster – wie heuer in München und Partnergemeinden. Privat finanziert wurde damals in Denver allerdings nichts. Stattdessen zweigte man die Millionen aus Steuermitteln ab, wogegen sich rasanter Widerstand regte und in einer Initiative „Bürger für Colorados Zukunft“ mündete. Es kam zu einem Referendum: Am 9. November 1972 stimmten mehr als 60 Prozent gegen weitere Finanzspritzen aus öffentlichen Kassen. Sechs Tage später gaben die Amerikaner die Spiele zurück. Das IOC war schockiert und fand in Innsbruck einen Ersatzausrichter.

Gewiss, die Episode ereignete sich in einer anderen Epoche. Erst ab 1981 wurden die Olympischen Spiele vermarktet. IOC-Mitglieder werden nicht müde, dies zu betonen. In Krisenzeiten wie diesen ist es dennoch hilfreich, an Erfahrungen aus Denver zu erinnern. Denn die kommenden Olympiastädte – Vancouver, London und Sotschi – ächzen alle unter der Last der Milliarden. Längst entlarvt sind die halsbrecherischen Versprechen und hanebüchenen Etat-Kalkulationen.

Nichts ist normal in Zeiten wie diesen, wo selbst die Rücklagen des IOC – rund 400 Millionen Dollar – minimal schmelzen, weil man sich auf dem Finanzmarkt verzockte, etwa beim Betrüger Bernard Madoff. Auch Fachverbände haben Millionen an Madoff und Lehman Brothers verloren. Gespannt werden in Denver die Auftritte von NBC-Sportchef Dick Ebersol und CNN-Gründer Ted Turner erwartet. Die Branche braucht positive Nachrichten. Das IOC wird, gut getimt, eine solche verkünden: Marketingchef Richard Carrion, als Banker daheim in Puerto Rico mächtig ins Schlingern geraten, wird einen TV-Vertrag in China präsentieren, der weit über jenem liegt, den das chinesische Staatsfernsehen für Peking 2008 unterzeichnete.

Die großen Fragen aber bleiben weiter offen: Ein neuer TV-Vertrag in den USA, gültig ab 2013, ist nicht in Sicht. Carrion und sein Gönner, IOC-Präsident Jacques Rogge, pokern und wollen die Entscheidung über die Sommerspiele 2016 abwarten. Wogegen andere Kräfte im IOC, zu denen der deutsche Vizepräsident Thomas Bach zählt, lieber heute als morgen abschließen würden. Chicago will die Spiele 2016, ebenso Rio de Janeiro, Madrid und Tokio. Nie zuvor wurde eine Bewerbung so laut und offen mit möglichen Milliardenverträgen kombiniert. Die Amerikaner versprechen höhere TV-Einnahmen und machen sich damit, so merkwürdig das klingt, nicht wirklich Freunde – denn das Versprechen ist eher eine Erpressung.

Gleichzeitig will das IOC, wollen auch die 33 olympischen Weltverbände und 204 Nationale Olympische Komitees das NOK der USA schröpfen: Denn das USOC erhält aus einer zwei Jahrzehnte alten Abmachung etwa soviel Geld aus dem IOC-Marketingverträgen (TV und Sponsoren), wie alle anderen zusammen. Allein zwischen 2009 und 2012 sind das 450 Millionen. Diskutiert wird darüber seit Jahren, ohne Ergebnis.

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