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Das Olympische Bildungsmagazin

Ten years after: IOC-Krisensession im März 1999

Vor vielen Worten zunächst zwei Dokumente.

Es jährt sich zum zehnten Mal eine IOC-Session, die als die schwierigste in der Geschichte des Internationalen Olympischen Komitees gilt. Am 17./18. März 1999 ging es ums Überleben. Das IOC war schwer gezeichnet von der Bestechungskrise um die Winterspiele in Salt Lake City. Es traf sich außerplanmäßig in Lausanne zu seiner 108. Vollversammlung. Die Sitzung im Palais de Beaulieu wurde den Medienvertretern im Kinosaal live übertragen – das war neu. So sah man einen tief getroffenen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch, der sich entschuldigte: bei den Sportlern, den Einwohnern von Salt Lake City und bei den, wie er sagte, Millionen Fans weltweit. Erstmals stellte ein IOC-Präsident die Vertrauensfrage. 86 Mitglieder hielten ihm die Treue, eines enthielt sich der Stimme, zwei stimmten gegen ihn. Der Spanier war gerettet.

Die Krise, die im Dezember 1998 (Link zu einem Kapitel aus „Der olympische Sumpf“) mit Enthüllungen über die Bestechungspraktiken der Olympiabewerber von Salt Lake City begann, hatte nicht nur Samaranchs Amt erschüttert. Zeitweise wurde über eine Auflösung des olympischen Dachgremiums diskutiert. Samaranch, der die Kultur des Geben und Nehmen im IOC kultiviert und die strukturellen Fehlentwicklungen zu verantworten hatte, verlor die Handlungshoheit. In diesen Monaten rettete der Kanadier Richard Pound das IOC. Pound war Chef der hausinternen Prüfungskommission, die sich mit den Akten von Salt Lake City befasste. Zu diesen Privatdetektiven gehörten auch der heutige IOC-Präsident Jacques Rogge und sein heutiger Vizepräsident (UDIOCM), der 1995 die Evaluierungskommission zu Salt Lake City geleitet und nichts von Bestechungen mitbekommen hatte.

Pound heuerte, gemeinsam mit IOC-Generaldirektor Francois Carrard und Marketingchef Michael Payne, eine der weltweit führenden PR-Agenturen an: Hill & Knowlton, Weißwäscher vom Dienst, skandalumwobene Experten im Krisenmanagement. Für viele Millionen Dollar erarbeitete Hill & Knowlton einen Rettungsplan. Liest man zehn Jahre später die Bücher von Pound, Payne und anderen, wird klar, wie sie die Krise seinerzeit betrachteten: Als PR-Schlacht um das Überleben. Es ging darum, die öffentliche Meinung zu beeinflussen – und die Geldgeber bei der Stange zu halten. Sogar der treueste IOC-Sponsor, Coca-Cola, hatte eine Trennung erwogen: Payne düste im Privatjet nach Atlanta in die Firmenzentrale des Brausebrauers, der seit 1928 Olympia-Sponsor ist, und klärte die brenzlige Situation.

Samaranch hatte Monate zuvor auch durch haarsträubende Verharmlosungen des Dopingsystems im Radsport für Schlagzeilen gesorgt. Parallel zu den Korruptionsenthüllungen führte das IOC im Februar 1999 die erste weltweite Antidopingkonferenz durch, ebenfalls unter dem Druck der Öffentlichkeit, auf der die Gründung der Wada beschlossen wurde.

Am 17. und 18. März 1999 traf man sich erneut in Lausanne, um Selbstreinigung zu suggerieren und Opfer zu bringen. Charles Mukora (Kenia), Pirjo Häggman (Finnland), David Simbandze (Swaziland) und Bashir Attarabulsi (Libyen) waren bereits zurückgetreten, der ebenfalls belastete René Essomba (Kamerun) in der Zwischenzeit verstorben. Nun sollten sechs Mitglieder ausgeschlossen werden. Samaranch trug den Antrag vor: „Ich ermutige jeden Einzelnen, nun von sich aus zurückzutreten. Warten sie nicht, bis sie hinausgeschmissen werden. Setzen sie diesem hässlichen Kapitel in der olympischen Geschichte ein Ende.“

Der klarste Rausschmiss, der des Kongolosen Jean-Claude Ganga, erfolgte mit 88:2 Stimmen. Das knappste Resultat war das des Ekuadorianers Augustin Carlos Arroyo: 72:18. Die anderen Bauernopfer: Abdel Gadir (Sudan), Paul Wallwork (Samoa), Lamine Keita (Mail) und Sergio Santander Fantini (Chile). Zehn weitere Mitglieder wurden verwarnt, obwohl einige – wie der Russe Witali Smirnow oder der Koreaner Kim Un Yong – als schwere Kaliber galten.

Eine wirkliche Aufarbeitung aller Vergehen über die Bewerbung von Salt Lake City hinaus konnte und durfte nicht erfolgen. Das IOC fürchtete kriminalistische Ermittlungen und wollte verhindern, dass gescheiterte Olympiabewerber Staatsanwälte und Gerichte bemühten. So wurde Salt Lake City zum Einzelfall erklärt. Die Amerikaner durften die Winterspiele 2002 behalten. Samaranch, auch das war eine PR-Maßnahme, schrieb allen Städten, die sich seit 1990 um die Spiele beworben hatten, und bat um Auskünfte, ob Unregelmäßigkeiten aufgetreten waren. Dokumente aber – wie etwa aus dem Untersuchungsausschuss der Olympiabewerbung von Berlin – wurden ignoriert. Die offizielle Sprachreglung lautete: Es handelt sich um bedauerliche Einzelfälle, nicht um Korruption.

Sogar Pound behauptete: „Wir klagen keines dieser Mitglieder der Korruption oder Bestechung an. Wir unterstellen auch keine kriminellen Handlungen.“ Das IOC hat sich diese Haltung bis heute bewahrt.

So oder so: Aufregende Wochen waren das damals. Für Feinschmecker:

  • Der erste Bericht der ad-hoc-Kommission (Pound-Kommission) vom 24. Januar 1999
  • Der zweite Bericht der Pound-Kommission vom 11. März 1999

Wem das nicht reichen sollte – einige meiner Berichte aus der Berliner Zeitung aus jenen Tagen:

Zweierlei Maß bei Bewertung der Sünden

IOC-Mitglieder erregen sich über ungleiche Behandlung

LAUSANNE, 14. März. Sonnenschein über Lausanne. Still ruht der Genfer See. Es glitzert der Glaspalast des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Am anderen Seeufer locken die schneebedeckten Berge. Kein Ambiente für einen rigorosen Frühjahrsputz. Erwartungsgemäß hat sich die Putzkolonne, die das Ansehen des IOC aufpolieren soll, für schonende Reinigung entschieden.

24 Namen werden im Abschlußbericht der vom Kanadier Richard Pound geführten Kommission genannt. Die IOC-Sondersession soll nun am Mittwoch mit Zweidrittelmehrheit den Ausschluß von sechs Mitgliedern beschließen. Der 55 Seiten starke Bericht und die darin enthaltenen Empfehlungen seien „keine Weißwäscherei“, verteidigte sich IOC-Vizepräsident Pound auf einer Telefon-Pressekonferenz.

Dabei wurde gegen Dutzende Olympier gar nicht erst ermittelt. Zum Beispiel nicht gegen den Finnen Peter Tallberg, obgleich der doch unter dem Druck der Fakten vor wenigen Wochen zugeben mußte, daß seine drei Söhne in insgesamt fünf Bewerberstädten gearbeitet hatten. Peik in Toronto, Mathias in Sydney, Andreas in Stockholm, Atlanta und Amsterdam.

Ist es ohnehin schon absurd, daß das IOC über sich selbst zu Gericht sitzt, so verdeutlichen auch andere Fälle, daß in dem Gremium mit zweierlei Maß gemessen wird: Eines für jene Nationen, die Sponsoren stellen und die Spiele ausrichten und eines für den Rest des olympischen Universums. „Die wenig einflußreichen kleinen Nationen sollen die Sündenbökke sein“, schimpft nun Paul Wallwork aus West Samoa, der seinem Ausschluß mit einem Rücktritt zuvorkommen will. Der reiselustige Wallwork, der einst auch in Berlin auffällig geworden war, hatte in Salt Lake City Reisekosten in Höhe von etwa 67 000 Dollar verursacht. Seine Frau ließ sich außerdem ein Darlehen von 30 000 Dollar auszahlen.

Dagegen kommt der Australier Phil Coles, der mit Reise- und Vergnügungskosten von 60 000 Dollar zu Buche steht, mit einem strengen Verweis davon. Coles trat schon von seinem bezahlten Posten im australischen NOK zurück, nun forderte Australiens Olympiaminister Michael Knight seinen Abschied aus dem Organisationskomitee für Sydney 2000. Im IOC aber hat Coles weiterhin seinen Platz, und seine Reiselust darf er als Generalsekretär der Internationalen Triathlon-Union auch künftig befriedigen.

Neben Coles wurde auch der südkoreanische Geheimdienstler Kim Un Yong mit einem strengen Verweis bestraft, obwohl die Olympische Charta so etwas gar nicht vorsieht, wie Kim süffisant bemerkt. Aber er werde nicht dagegen vorgehen, sagte Kim in Seoul generös. „Wenn sie mich nicht weiter provozieren.“ Kim gilt als einer der Urheber jener anonymen Briefe (Sex and Crime), die seit Wochen in IOC-Kreisen kursieren. Und wenn von den anonymen Morddrohungen die Rede ist, die es gegeben hat, wird immer auch Kims Name gezischelt.

Am Sonntag lachte die Sonne noch über der olympischen Kapitale, und vor der IOC-Absteige „Lausanne Palace“ hat die Polizei, entgegen früheren Ankündigungen, noch keine Absperrungen errichtet.

„Nach dieser Sache werde ich sterben“

Abdel Gadir droht der Ausschluß aus dem IOC wegen Transaktionen, die er zum olympischen Tagesgeschäft rechnet

LAUSANNE, 15. März. So viel Pech hat man nur einmal im Leben. Nach einer langen Luftreise von Khartum über Frankfurt am Main nach Genf erreichte der kleingewachsene Herr das Lausanner Hotel „Palace“ mit einem Stück Handgepäck. Bloß ein Kosmetiktäschchen, das von einem Lufthansa-Flug in der ersten Klasse zeugte, hatte der Sudanese Zein El Abdin Abdel Gadir dabei, als er zum vielleicht letzten Mal in die noble IOC-Absteige eincheckte. Gadirs Koffer aber blieben verschollen.

So viel Ärger, und dann störten auch noch die spätabends in der Lobby lauernden Reporter. Der 58 Jahre alte Gadir gehört zu jenen sechs Mitgliedern, über deren Ausschluß die IOC-Vollversammlung am Mittwoch befinden muß. Das Bewerbungskomitee von Salt Lake City hatte Gadirs Sohn Zuhair insgesamt 18 000 Dollar für dessen Studium an der Southern Mississippi University gezahlt. An Gadir selbst überwiesen die Mormonen vom Oktober 1994 bis Juni 1995 monatlich 1 000 Dollar auf ein Konto in London. Die letzte Zahlung datiert vom 7. Juni 1995 neun Tage später wurde Salt Lake City in Budapest zum Olympiaort 2002 gekürt.

Er habe das Geld gebraucht, um seine zehnköpfige Familie zu ernähren, erklärte Gadir der IOC-Untersuchungskommission. Dies sei für ihn, der seit 1990 dem IOC angehört, ein Akt olympischer Solidarität gewesen. Es habe sich um übliche finanzielle Transaktionen gehandelt, sagte er in Lausanne. „Ganz offiziell, von Bank zu Bank.“ IOC-Präsident Samaranch und das Exekutivkomitee seien jederzeit darüber unterrichtet gewesen, genauso wie über die vielen Sach- und Geldspenden, um die Gadir für die Olympische Akademie des Sudan bei Bewerberstädten (u.a. Sydney, Peking, Berlin) gebeten hatte. „Ich habe sie gefragt, sie haben es getan, ist das Bestechung?“ fragte Gadir. „Was ist das schon im Vergleich zu den großen Summen, die sonst bewegt werden? Das Geld ist ja für sinnvolle Dinge benutzt worden und nicht dazu, um ins Kabarett oder zu Prostituierten zu gehen.“

Was im IOC zum Tagesgeschäft gehörte, soll nun Gadirs olympisches Ende sein. Das kann er nicht verstehen. „Das Exekutivkomitee opfert einige kleine Mitglieder, dabei trägt es die Verantwortung.“ Von den zehn Olympiern, die bereits zurückgetreten sind oder denen der Ausschluß droht, kommen sechs aus Afrika, zwei aus Südamerika, einer aus Ozeanien und eine Vertreterin aus Europa. Anders als seine Sportkameraden Wallwork (Samoa) und Ganga (Kongo) greift Gadir aber öffentlich keine Kollegen an. Am Mittwoch jedoch, wenn sich jeder Sünder zwanzig Minuten vor der IOC-Session verteidigen darf, wird Gadir reden. Er wird seinen Kollegen erklären, daß er sich nichts habe zu schulden kommen lassen. Er wird sagen, „daß sie endlich ihre Verantwortung akzeptieren sollen. Das IOC braucht Reformen bis tief in seine Führung hinein.“

Es war ein Bild des Jammers, wie Gadir in den Kissen des Kanapees versank. „Für mich ist alles vorbei. Nach dieser Sache werde ich sterben. Mein Leben ist beendet, mein Ansehen ist ruiniert.“ Immer wieder wischte sich der Generalmajor und Staatsminister a. D. Tränen aus den rot unterlaufenen Augen. Die Worte gingen ihm nur schwer von den Lippen, Gadir hatte sich an der Bordbar seines Fliegers getröstet. „Ich bin kein schlechter Mensch“, preßte er noch heraus, „ich befinde mich nur in einer dummen Situation.“

Das Gerücht vom Königsmörder

Weichenstellungen vor der Sondersession des IOC zu den Korruptions-Vorwürfen

LAUSANNE, 16. März. Es ist ein rechtes Schmierenstück, was sie da wieder fabrizieren am Lac Leman. Im gläsernen Palast des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gebe es einen Königsmörder, hat Präsident Juan Antonio Samaranch (78) erklären lassen. Jemanden, der ihm und der olympischen Bewegung an den Kragen wolle. Verbreitet wurde die Botschaft weltweit über die amerikanische Nachrichtenagentur „AP“.

Darüber tuscheln die IOC-Mitglieder nun im edlen Palace Hotel, und in dem weitgehend einem Geheimbund ähnelnden Gremium nehmen die Dinge ihren Lauf. Pünktlich zum Auftakt der Krisensitzung im Palais de Beaulieu strikken Berichterstatter die Legende, im IOC drohe eine Palastrevolution. Die Prätorianer des Präsidenten reiben sich erfreut die Hände, denn auf solche Botschaften reagieren die olympischen Schäfchen gewöhnlich mit einem pawlowschen Reflex: Sie scharen sich eng um ihren Anführer, den spanischen Edelmann Marques de Samaranch.

Es müßte jedoch mit dem Teufel zugehen, sollten die 90 in Lausanne erwarteten Sport- und Geschäftskameraden Samaranch am Mittwoch nicht ihr Vertrauen aussprechen. Der krisenerfahrene Brasilianer Joao Havelange (80), der die Funktion des IOC-Doyen ausübt, will sich dafür sogar die Hände wund klatschen. Per Akklamation, wie dieser Dauerbeifall im Konvent-Wörterbuch heißt, ist Samaranch seit 1988 schon dreimal im Amt bestätigt worden. Gewählt, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann, wurde er lediglich 1980 in Moskau unter Mithilfe zahlungskräftiger Sponsoren und seines französischen Kumpanen André Guelfi, einer dubiosen Gestalt, die sich in der Halbwelt von Geheimdiensten und Schmiergeldern bewegt.

Die Sonder-Session soll, das hat Samaranch mehrfach betont, die wichtigste Sitzung in der Geschichte des 1894 gegründeten IOC sein. Beantwortet werden muß nicht nur die Vertrauensfrage des Präsidenten, auch will das IOC seinen Geldgebern und der Öffentlichkeit Reformfähigkeit demonstrieren. Deshalb sollen sechs kleine Sünder ausgestoßen und der Wahlmodus bei der Vergabe Olympischer Spiele leicht modifiziert werden. Zu mehr wird man sich nicht durchringen können. An einen Rücktritt des Exekutivkomitees, das schließlich die Verantwortung für flächendeckende Bestechungspraktiken trägt, ist schon gar nicht zu denken. Samaranchs Garde, die zuletzt so oft gehöhnt hatte, auch die Europäische Union sei korruptionsverseucht, und niemand ziehe Konsequenzen daraus, wird sich jetzt keinesfalls an der EU-Kommission orientieren, die in der Nacht zum Dienstag geschlossen demissionierte.

Als getreue Helfer Samaranchs haben sich in den vergangenen Wochen zwei alte Kampfgefährten hervorgetan. Der Italiener Primo Nebiolo (75), von Samaranch 1992 gegen große Widerstände ins IOC gehievt, sprach dem IOC-Präsidenten als Chef der Vereinigung Olympischer Sommersportverbände (ASOIF) das Vertrauen aus. Der Südkoreaner Kim Un Yong (67), ein ehemaliger führender Geheimdienstler, tat gleiches als Boß der Vereinigung aller Welt-Sportverbände (AGFIS). Bei seinem Versuch, sich gleich auch selbst einen Persilschein auszustellen, scheiterte Kim jedoch.

Nach der „Berliner Zeitung“ vorliegenden Dokumenten hat Kim am 23. Februar versucht, dem AGFIS-Council eine Ehrenerklärung unterzujubeln. „Die Council-Mitglieder weisen geschlossen jegliche Anschuldigungen und Gerüchte“ gegen bzw. um den ehrenwerten Kim Un Yong zurück, hieß es in dem vorbereiteten Text. Die Funktionäre sollten jene Vorwürfe, die gegen Kim in Zusammenhang mit der Olympiabewerbung Salt Lake Citys erhoben worden, ins Märchenreich verbannen. Darauf mochten sich Tamas Ajan (Ungarn/Generalsekretär des Welt-Gewichtheberverbandes IWF) und Les McDonald (Kanada/Präsident der Welt-Triathlon-Union UTI) nicht einlassen. Kims „Integrität“ und dessen „beispielhafte Leistungen für den demokratischen Sport“ mochten sie nicht preisen, wo doch Kim in anonymen Briefen Gerüchte über andere IOC-Mitglieder verbreitet hatte.

Gegen den einflußreichen, aber äußerst unbeliebten Kim hatte die IOC-Prüfungskommission wegen der Begünstigung seiner Kinder durch die Mormonenmetropole Salt Lake City ermittelt. Nur knapp entging der IOC-Exekutivler einem Ausschluß. Er wurde mit einem strengen Tadel bedacht, wobei in dem Abschlußbericht ausdrücklich erwähnt wird, daß Kim seinen Platz im IOC verliert, sollte sich herausstellen, daß er doch davon Kenntnis hatte, daß Filius John Kim vom Bewerberkomitee aus Salt Lake City mehr als 75 000 Dollar erhielt.

Die Gefolgschaft des Olympiers

Präsident Juan Antonio Samaranch ist es gelungen, sich im größten Skandal der Geschichte des Internationalen Olympischen Komitees ein überwältigendes Vertrauen zu sichern

LAUSANNE, 17. März. Die Krisensitzung im Palais de Beaulieu hatte gerade erst begonnen, da setzte die Presseabteilung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bereits ein Schriftstück in Umlauf, das mit dem Satz endete: „Der Präsident bestätigte seine Absicht, bis zum Jahr 2001 im Amt zu verweilen.“ Hätte in dem Bulletin gestanden, der IOC-Papst Juan Antonio Samaranch wolle „bis zum Jahr 3001“ amtieren, wäre wohl auch dies ohne Verwunderung zur Kenntnis genommen worden.

Der erste Tag der olympischen Notstandssitzung am Genfer See brachte die erwarteten Ergebnisse. Samaranch wurde im Amt bestätigt. Sechs kleine Sünder, vornehmlich aus Ländern der dritten Welt, wurden aus dem Gremium verbannt. Zu Beginn hatte Samaranch in einer Rede seine Verdienste gepriesen. Er beschwor die „politischen und kommerziellen“ Bedrohungen der olympischen Welt und verdrehte den kausalen Zusammenhang dieses Bestechungsskandals. Als eine der Ursachen nannte er ein Informationsdefizit: „Die letzten paar Monate haben gezeigt, wie wenig die Öffentlichkeit die Arbeit des IOC versteht.“

86 Olympier haben für jenen Mann votiert, der dem IOC seit 1980 präsidiert und der sich sein Wahlvolk im Laufe der Jahre selbst zusammengestellt hat. Vier Fünftel aller Mitglieder hat Samaranch während seiner Präsidentschaft ins Gremium geholt.

Zwei Gegenstimmen und eine Enthaltung muß er verkraften. Kommunistische Parteifürsten hätten so eine Abstimmung nicht besser organisieren können.

„Wir sind am Ende des Anfangs, unser Haus zu säubern“ mit dieser merkwürdigen Wortkombination kommentierte IOC-Vizepräsident Richard Pound die ersten Entscheidungen der Vollversammlung. Am Donnerstag wird sich das IOC noch mit Fragen künftiger Olympiawahlen und mit der Gründung einiger Arbeitsgruppen beschäftigen. Man ist bemüht, sich einen guten Ruf zu borgen. Einige routinierte Vertreter der Politik, wie der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäkker, ein Schulfreund des IOC-Exekutivlers Marc Hodler, haben jedoch kein Interesse an einer Arbeit in den neuen Gremien. Weder an der „Ethik-Kommission“ noch an der Reformgruppe „IOC 2000“, die demnächst ihre Arbeit aufnehmen sollen.

Das IOC braucht aber honorige Personen und buhlt deshalb heftig um die PR-Dienste des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger. Denn für die dunklen Geschäfte unter dem Deckmantel der fünf Ringe interessieren sich zunehmend Justizorgane. So ermittelt in Schweden die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche im Zusammenhang mit Olympiabewerbungen. In den USA haben weder das FBI noch die Steuerbehörde ihre Recherchen eingestellt.

Noch immer geht im IOC die Angst vor der Grand Jury um, einer öffentlichen Anhörung vor einem Geschworenengericht, wo Falschaussagen Gefängnisstrafen nach sich ziehen würden. Die insgesamt drei Untersuchungskommissionen des Sports waren mit keinerlei rechtlichen Druckmitteln ausgestattet. Wer sich nicht zur Sache äußern wollte, der konnte auch nicht vorgeladen werden. Vor einer Grand Jury würde dies anders aussehen.

In den USA hat sich nun auch die Handelskammer des Senats des Themas Olympiakorruption angenommen. Senator John McCain teilte der amerikanischen IOC-Vizepräsidentin Anita DeFrantz brieflich den Termin einer Anhörung mit.

Am 14. April stehen Steuererleichterungen für jene Sponsorenverträge auf dem Prüfstand, die neun amerikanische Weltfirmen darunter Coca-Cola, Visa, IBM, Time mit dem IOC abgeschlossen haben, sowie der bis zum Jahr 2008 laufende und insgesamt 3,5 Milliarden Dollar teure Fernsehvertrag mit dem Network NBC.

Auch die Vorzeigefrau Anita DeFrantz treibt ein gefährliches Spiel. Denn sie ist von einem ehemaligen Olympiamanager aus Salt Lake City beschuldigt worden, über alle Bestechungsmaßnahmen informiert gewesen zu sein. Im IOC-Exekutivkomitee hat DeFrantz daraufhin erklärt, sie habe nichts gewußt womit sich ihre Kollegen zufriedengaben. Es wird in der Sache nicht weiter ermittelt, auch in Dutzenden weiterer Fälle nicht weder in Berlin, noch in Sydney, Falun oder Amsterdam. „Wir haben bei anderen Bewerbungen bisher nichts gesehen, was eine Verwarnung oder gar einen Ausschluß rechtfertigen würde“, sagte Dick Pound, der Chef des hausinternen Säuberungskommandos.

Das Ergebnis dieser Reinwaschaktion hatte ein mächtiger Sponsorenvertreter vor einigen Tagen schon vorweggenommen. „Genausogut könnte man dem sprichwörtlichen Fuchs im Hühnerstall einen Brief schicken und ihn fragen, wie viele Hühner er verspeist hat. Wenn der Fuchs einen netten Brief zurückschickt mit der Antwort Keines, danke schön veröffentlicht man eine Stellungnahme, in der der Fuchs entlastet wird“, schrieb David D’Alessandro, Chef des amerikanischen Versicherungskonzerns John Hancock, in der „New York Times“.

D’Alessandro hat sich zum Sprecher der neun amerikanischen Top-Sponsoren aufgeschwungen. Am Freitag wollen die Firmenvertreter über mögliche Druckmittel gegen das IOC beraten. Versicherungsmakler DAlessandro hat vorerst olympische Fernsehwerbung im Wert von 20 Millionen Dollar storniert.

Kein Entkommen für Samaranch

17. März. Juan Antonio Samaranch (78) verweilt wie ein Buddha an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Er sitzt dort noch sturer, noch stolzer, nachdem ihn 86 von 89 Mitgliedern zum Auftakt der IOC-Krisensitzung in Lausanne im Amt bestätigten. Vor der Abstimmung hatte der Spanier routiniert das Gerücht streuen lassen, jemand aus seinem engsten Umfeld arbeite gegen ihn und wolle die IOC-Familie spalten. Eifrige Hofberichterstatter verbreiteten die unbestätigte These, so daß die gewünschte Wirkung erzielt wurde: Die verängstigten, um ihre Pfründe fürchtenden olympischen Schäfchen scharten sich noch enger um ihren Hirten. Kein Wunder, daß das Ergebnis den inszenierten Wahlgängen in Diktaturen ähnelt. Ein Plebiszit war im geheimbündlerisch operierenden IOC auch nicht zu erwarten. So wurden Spitzensportler, von denen viele Samaranchs Rücktritt verlangten, nicht befragt. Es wäre neu gewesen, hätte das IOC auf seine Athleten gehört.

Am Mittwoch wurde lediglich eine Frage beantwortet: Wer soll weiter seinen Kopf hinhalten an der Spitze des von Steuerbehörden, Staatsanwaltschaften und einer zunehmend kritischeren Öffentlichkeit geplagten Olympiakonzerns? Die Antwort läßt sich auch so interpretieren: Samaranch ist der Hauptschuldige am Korruptionsskandal im IOC. Sein Fußvolk ließ ihm keine Chance, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Einer verharrt im gesäuberten Haus

IOC trennt sich von sechs Mitgliedern, doch der Südkoreaner Kim Un Yong wird nur verwarnt

LAUSANNE, 17. März. Sportfreund Kim Un Yong war seiner Zeit ein wenig voraus. Eigentlich wird in der asiatischen Kampfsportart Taekwondo erstmals bei den Olympischen Sommerspielen 2000 in Sydney um Medaillen gekämpft. Der Südkoreaner Kim aber, Präsident des Taekwondo-Weltverbandes, hat am Dienstag im IOC-Hauptquartier in Lausanne schon einmal den Ernstfall geprobt. Der 67 Jahre alte Kim ging in Kampfstellung und wollte den Generaldirektor des Internationalen Olympischen Komitees, Francois Carrard, niederstrecken. Jedoch kam ihm IOC-Vizepräsident Richard Pound (Kanada) zuvor, sprang zwischen die Duellanten, noch ehe Kims Hiebe auf Carrards Körper prallten.

So herzlich geht es also zu unter den Führungskadern des Internationalen Olympischen Komitees. Die Geschichte, die sich am Rande der Exekutivsitzung zugetragen hatte, wurde erst am Mittwoch bekannt, nachdem einer aus Pounds Gefolgschaft geplaudert hatte. Später bestätigte ein Mitarbeiter aus Kims Entourage den Zwischenfall, und Carrard stellte auf einer Pressekonferenz klar, er habe unter Kims Attacke physisch keinesfalls gelitten: „Gehen Sie davon aus, daß meine körperliche Verfassung so gut ist, daß ich keinen Schaden genommen habe“, sagte Carrard, der seinen Kampfpartner Kim um einen Kopf überragt und beinahe einen Zentner mehr auf die Waage bringt.

Carrards Intimus Richard Pound war es eine Genugtuung, offiziell zu verkünden, daß die Korruptionsermittlungen gegen seinen Intimfeind Kim Un Yong keinesfalls abgeschlossen seien. Zwei Kinder des im Weltsport gefürchteten, schwerreichen Südkoreaners hatten von wohltätigen Olympiabewerbern profitiert. Kim kam vorerst mit einem strengen Tadel davon, eine Bestrafung, welche in der Olympischen Charta, der IOC-Gesetzgebung, eigentlich nicht vorgesehen ist. Sechs weniger einflußreiche Mitglieder schloß die 108. IOC-Session hingegen aus teilweise wegen geringerer Tatbestände.

Es gibt eben wichtigere und weniger wichtige Olympier. Kim hatte zuvor Bettgeschichten über Pound, Carrard und andere aus der IOC-Untersuchungkommission verbreitet und behauptet, daß Pound und Carrard Aktien an der IOC-Marketingagentur „Meridien“ halten. Mit der Drohung, weitere Geschichten auszuplaudern, rettete der Koreaner vorerst seinen Platz im IOC und sogar im Exekutivkomitee.

Eine Zweidrittelmehrheit war für den Ausschluß der sechs Sündenböcke nötig. Die Quote wurde bei allen erreicht, wobei Paul Wallwork (Samoa) am knappsten rausflog: 19 Kollegen votierten für seinen Verbleib im IOC. Dreißig Stimmen hätte er gebraucht. Wenigstens haben es sich die Sportkameraden nicht einfach gemacht. Jeder der Angeklagten durfte zwanzig Minuten zu seiner Verteidigung reden, am Ende wurde geheim votiert.

„Wir haben zu reinigen, was zu reinigen war“, glaubt der deutsche Exekutivler Thomas Bach. Wieder so eine kleine olympische Unwahrheit, bezogen sich die Sanktionen doch lediglich auf Salt Lake City, wo insgesamt jedoch 30 Mitglieder in Korruptionsverdacht standen. Die aus anderen Olympiastädten vermeldeten Fakten werden vom IOC bislang noch ignoriert.

Neue Ethik verzweifelt gesucht

Es war im September 1990. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte gerade die Olympischen Sommerspiele für 1996 an Atlanta vergeben, die Heimatstadt seines langjährigen Sponsors Coca-Cola. Die Sympathien der Sportwelt lagen damals jedoch eindeutig auf seiten der griechischen Hauptstadt Athen. Entsprechend groß war die Empörung, die auch dem inzwischen verstorbenen deutschen IOC-Mitglied Willi Daume entgegenschlug. In Daumes Hotelzimmer klingelte schon kurz nach der Abstimmung das Telefon. Es meldete sich der Bundespräsident. „Was seid ihr für Banausen“, empörte sich Richard von Weizsäcker, „ihr laßt Coca-Cola gegen Athen gewinnen.“

Weizsäcker gehört nun zu jenen „führenden Persönlichkeiten, die den Sport kennen und verstehen“, wie IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch sagt, von denen sich der um seine Existenz kämpfende Sportkonzern einen guten Ruf borgen will. Auf der Informationsbörse werden auch die Namen Gro-Harlem Brundlandt (Norwegen), Kurt Furgler (Schweiz), Nelson Mandela (Südafrika), Gianni Agnelli (Fiat-Chef), Henry Kissinger (USA) und natürlich UN-Generalsekretär Kofi Annan genannt. Diese Herrschaften sollen in der neu zu gründenden Ethik-Kommission des IOC dafür bürgen, „daß wir keine Bande von Verbrechern sind“ (Samaranch). Ausgerechnet der einst glühende Francist Samaranch will dann unter den Kandidaten den Chef seiner hausinternen Ethik-Kommission bestimmen. Von dem ihm eigenen Gottesgnadentum hat der IOC-Oberhirte nichts eingebüßt.

„Wir haben versprochen, unser Haus zu säubern. Wir haben es getan“, behauptete der 78 Jahre alte Spanier am Donnerstag zum Abschluß der 108. IOC-Session. Samaranch glaubt wohl, daß Vertrauen dekretiert werden könne. So sehr sich aber die Lobbyisten des Olympiakonzerns auch mühen, haben sie die Tugendwächter noch nicht beisammen. Über Jahrzehnte hatte sich das IOC abgeschottet und sich Reformen verschlossen nun, da es um seine Existenz kämpft, wird das Gremium angesichts ständig neuer Enthüllungen gemieden.

Auch Richard von Weizsäcker hält sich vornehm zurück, obgleich er doch blendende persönliche Beziehungen zu dem IOC-Vorständler Marc Hodler unterhält. Mit Hodler besuchte er einst ein Elitegymnasium in der Schweiz. Jugendfreund Hodler war es auch, der den Deutschen vor einigen Wochen als erster ins Spiel gebracht hatte. Vielleicht ist Weizsäcker sogar eine gute Wahl, denn er hat sich den Sportfunktionären stets gern als Sittenwächter gezeigt.

Viele Geschichten zeugen davon, daß er die Umtriebe der kleinen Fürsten mit gewissem Abscheu beobachtet hat. Schon 1985 forderte er vom deutschen Olympiakomitee, angesichts zunehmender Kommerzialisierung und des Dopingproblems, „eine klare und verbindliche Ethik des Sports“. Später ließ er sich von Samaranch dennoch mit einem Olympischen Orden schmücken. Nur widerwillig, wie es hieß, die Berliner Olympiabewerber hatten ihn inständig gebeten, den IOC-Papst nicht zu brüskieren. Aus staatsmännischem Pflichtgefühl vergab Weizsäcker 1993 auch das Bundesverdienstkreuz an einen der umstrittensten Sportdespoten überhaupt: den italienischen Welt-Leichtathletik-Präsidenten Primo Nebiolo. Zähneknirschend überreichte Weizsäcker die Auszeichnung nicht etwa in der Öffentlichkeit, sondern in einer Art Geräteschuppen des Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadions, was natürlich dem Italiener nicht gefiel.

Im IOC und seiner Ethik-Kommission gehe es künftig vor allem darum, „wie mit dem Spannungsverhältnis von Geld und Werten umzugehen ist“, erklärte das deutsche Mitglied Thomas Bach. Der Mann ist Experte auf diesem Gebiet. Als IOC-Vorständler ist er mit der Vermarktung der Olympischen Symbole befaßt, als Wirtschaftsanwalt berät er Konzerne im olympischen Dunstkreis und betätigt sich als Firmenvermittler in vielerlei Art. Ob sich auch Bach ethischen Fragen stellt?

Fromme Sprüche lieferte in Lausanne ebenfalls Walther Tröger, das zweite deutsche IOC-Mitglied: „Es kommt darauf an, daß die IOC-Mitglieder sich dessen bewußt sind, daß sie eine besondere Verantwortung für Wohlverhalten haben.“ Was sind solche Sonntagsreden wert? Tröger zählt sicherlich zu den ehrenwertesten Auserwählten, doch hat er sich in verantwortlicher Position nicht immer an die Benimmregeln gehalten. Vor dem Olympia-Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses erklärte der Zeuge Walther Tröger im Juni 1995: Berlin habe sich bei der Betreuung der IOC-Gäste während der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 1993 in Stuttgart „nicht um die Regeln geschert“.

Zum Abschied fehlen nur die bösen Briefe

Die IOC-Session in Lausanne endet wie sie begonnen hat – in Skepsis und Mißtrauen

LAUSANNE, 19. März. Kaum war der eine Kraftakt glücklich überstanden, hatten der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Richard Pound, und Marketingdirektor Michael Payne schon die nächste Herausforderung zu bewältigen. In einer einstündigen Telefonkonferenz mußte das Duo am Donnerstag abend die versprochenen IOC-Reformen jenen elf Konzernen darlegen, die bis zum Jahr 2000 jeweils rund 50 Millionen Dollar nach Lausanne überweisen: den Teilnehmern des olympischen Sponsorenprogramms TOP.

Die Sportfreunde hörten die Botschaften wohl, indes fehlt der Glaube. Lediglich „Reformgedanken“ vernahm David D Alessandro, der Chef des US-Versicherungskonzerns John Hancock: „Das IOC hat sich drei Monate Zeit erkauft.“ Im Juni, wenn die neugegründete IOC-Reformkommission erste Vorschläge erläutern will, wird D Alessandro über die olympische Zukunft seiner Firma entscheiden. Bis dahin bleiben die fünf Ringe vom Briefpapier verbannt, auch ruhen die Verhandlungen mit dem Olympia-Network NBC über TV-Werbung im Wert von 20 Millionen Dollar.

Ebenfalls skeptisch äußerte sich US-Senator John McCain, dessen Handelskammer am 14. April über olympische Steuervergünstigungen beraten will. IOC-Präsident Samaranch sei der falsche Mann an der Spitze der Reformkommission, sagte McCain dem „Wall Street Journal“. Bislang seien „substantielle Veränderungen nicht erkennbar“. Kappt der Senat die Steuervorteile, „würde das unsere Kosten um 30 bis 40 Prozent erhöhen. Der Gegenwert entspricht dem nicht mehr“, rechnet DAlessandro vor. Er müßte sich von den Spielen verabschieden.

Die vom IOC angeheuerte PR-Agentur „Hill & Knowlton“ bedrängt derweil die TOP-Sponsoren mit lobhudelnden Artikeln aus der Weltpresse. Kein leichter Job für die Reinwäscher, denn das Echo wird von Skepsis bestimmt. Dabei lieferte die tschechische Tageszeitung „Mlada Fronta Dnes“ den wohl bissigsten Kommentar: „Auch wenn IOC-Chef Samaranch zehn ethische Kommissionen bildet, die Erneuerung einer Institution, die über unvergleichliche Kräfte in der Welt des Sports verfügt, läßt sich mit ihm auf dem Thron nicht herstellen. Der NS-Politiker Rudolf Heß hätte ja auch nicht die Nürnberger Prozesse leiten können das sollte Samaranch als ehemaliger Unterstützer des spanischen Franco-Regimes doch wissen.“

In der IOC-Absteige, dem Hotel „Palace“, war das Klima dennoch schon wieder ziemlich entspannt. So spazierte Augustin Arroyo, am Mittwoch ausgeschlossenes Mitglied aus Ekuador, mit seiner olympischen Gefährtin Flor Isava-Fonseca (Venezuela) durch das edle Ambiente und labte sich mit Weinbrand an der Bar. Allein der Südkoreaner Kim Un Yong zog ein griesgrämiges Gesicht, weil gegen ihn weiter ermittelt wird. Der ehemalige Geheimdienstler (Deckname: „Mickey“ Kim) muß seinen Rauswurf befürchten. Deshalb hatte er am Dienstag die Selbstkontrolle verloren und wollte dem IOC-Generalsekretär François Carrard an die Gurgel springen. Samaranch hat Kim und Carrard den er ohnehin absägen will, weil er ihm zu mächtig geworden ist deshalb in seinem Büro die Leviten gelesen.

Überraschend ließ sich Kim, der sich jahrelang Auskünften verweigerte, sogar einige Fragen zu den Vorfällen gefallen. Es habe gar kein Kampf stattgefunden, behauptete er, obwohl es Augenzeugen gibt: „Es war nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.“ Auch sei nicht er der Urheber jener Briefe und Faxe, die seit Wochen unter IOC-Mitgliedern kursieren. In diesen werden Kims Feinden alle möglichen Vergehen nachgesagt. Kim: „Ich habe damit nichts zu tun, solche Briefe sind ja beinahe über jeden in Umlauf. Da-rauf darf man nichts geben.“

Ehrenwerte Olympier hoffen nun darauf, daß sich weitere Beweise für Kims Vergehen finden und er aus dem IOC ausgeschlossen wird. Andernfalls sei zu erwarten, daß Kim in gewohnter Manier mit Schmiergeldern und geheimdienstlichen Aktivitäten Samaranchs Nachfolge anstrebt.

Verbale Ungetüme zum Finale

Auch nach der Krisensitzung des IOC bleibt prinzipiell alles beim alten

LAUSANNE, 18. März. Klappe, Auftritt Anita Defrantz. Was die wichtigste Lektion aus dieser Krisensitzung sei, wurde die bullige IOC-Vizepräsidentin gefragt. „Oh Gott“, stöhnte die Amerikanerin, doch ihre Antwort kam prompt: „Die wichtigste Lehre aus dieser Session ist, daß die Welt die olympische Bewegung wirklich liebt.“

So sind sie, die führenden Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees. Routiniert ließen sie am Ende der zweitägigen Krisensitzung im Palais de Beaulieu Wort-Ungetüme zurück. So jubelte der Deutsche Thomas Bach über die „Demonstration der Einigkeit“ sowie die „Entschlossenheit, mit der Vergangenheit umzugehen und weitreichende Reformen durchzusetzen“. Bachs olympischer Ziehvater Juan Antonio Samaranch verkündete: „Nach dem gestrigen Vertrauensvotum schlage ich vor, daß ich meine Amtszeit zu Ende führe.“ Bis zum Jahr 2001 will er die Sportjugend der Welt regieren, dann ist er 81 Jahre alt. Von einer Senkung des Alterslimits für IOC-Mitglieder war auf dem Krisenkonvent schon keine Rede mehr.

Es gibt dennoch ein paar Neuigkeiten vom IOC. Der Konzern teilte sein Vermögen mit. Ende 1998 lagerten 177 Millionen Dollar auf verschiedenen Konten, heißt es in einem Finanzreport, der künftig alle zwei Jahre veröffentlicht werden soll. Angesichts dieser Summe ist es lächerlich, daß das IOC für die Welt-Dopingagentur nur 25 Millionen Dollar bereitstellen will. „Wir brauchen doch Reserven, um zu überleben“, hat Samaranch gesagt, „es kann immer mal vorkommen, daß die Spiele annulliert werden.“ Erst recht in dieser ärgerlichen Zeit, da sich zahlreiche Staatsanwälte und Steuerbehörden mit dem Finanzgebaren um Olympia befassen, und da Quebec City vom IOC 12 Millionen Dollar Bewerbungskosten erstattet haben will. Quebec war mit seiner Offerte um die Winterspiele 2002 an Salt Lake City gescheitert. Wie die Aktivisten vom Salzsee dabei das Wahlvölkchen beeinflußten, ist sehr zum Leidwesen des IOC inzwischen gut bekannt.

Die Session hat sich nunmehr ein befristetes Reiseverbot auferlegt. Niemand darf in diesem Frühjahr die Bewerberstädte für die Winterspiele 2006 aufsuchen. Auch Besuche der Bewerber sind nicht erlaubt. Am 19. Juni wird in Seoul zunächst ein von Samaranch geführtes Wahlkomitee zwei Finalisten bestimmen, bevor die Vollversammlung den Austragungsort wählt. Diesem Modus verweigerte am Donnerstag allein der Deutsche Walther Tröger seine Zustimmung. „Wir sind dem Druck der öffentlichen Meinung gewichen, dem konnte ich nicht folgen“, sagte Tröger, der sich der Stimme enthielt. „Viele Kollegen haben nur zugestimmt, weil es eine Interimslösung ist.“

Eine Arbeitsgruppe „IOC 2000“ soll nun binnen eines Jahres eine modifizierte olympische Charta erarbeiten und auch die Frage der Olympiabewerbungen klären. „Ich bin der Präsident des IOC, und deshalb muß ich die Reformkommission leiten“, verkündete Samaranch und bewies, daß im etwas verschlankten IOC prinzipiell alles beim alten geblieben ist. „Es wäre gut, wenn er in der Reformkommission eine führende Rolle übernehmen würde“, säuselte schließlich auch Samaranchs Jünger Thomas Bach, „denn er ist Garant für die Mehrheiten, die man braucht.“

7 Gedanken zu „Ten years after: IOC-Krisensession im März 1999“

  1. Hmmm, ganz schön langer Text. Reicht es nicht, wenn ich mir die Kurzfassung vorlesen lasse?
    (Für alle: Die gibt es hier, vorgelesen vom Hausherren persönlich.)

  2. Die besondere Qualität dieses Blogs liegt unter anderem in der Veröffentlichung möglichst aller der Meinung zugrundeliegenden Quellen.

    Ich lese auch längst nicht alles, finde diese Art zu bloggen trotzdem sehr angenehm.

  3. @ Myself: Sehr aufmerksam beobachtet. Besser häte ich das nicht formulieren können :)
    Wobei nicht mal „möglichst alle“ möglich ist. Dass ich hier fast alle Texte von damals reinkopiert habe, ist eher so zu verstehen: Ich nutze das Blog quasi auch als mein öffentliches Archiv.

  4. Pingback: Die obskure Welt des Gewichtheber-Bosses Tamás Aján (III): Im langen Schatten der fünf Ringe : sport and politics

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