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Das Olympische Bildungsmagazin

Doping in Deutschland: die Berichte zum Forschungsprojekt

Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) hat gerade wortlos ohne jegliche Erklärung sechs pdf-Dateien zum vielbesprochenen Dopingforschungsprojekt „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ online gestellt.

So muss das eigentlich immer sein.

Ich fasse diese Dokumente an dieser Stelle kurz zusammen. 804 Seiten sind es allerdings nicht.

Was da zur Verfügung gestellt wurde und was weshalb nicht, wird noch zu klären sein. Work in progress.

Viel Erfolg und Erkenntnisgewinn schon mal bei der Lektüre.

17.39 Uhr: Was da fehlt und warum, was wann wie wo noch veröffentlicht wird und was überhaupt zu jenen ominösen 804 Seiten zählt (nur Humboldt Uni, inklusive Münster?), werden uns die beiden Universitäten und das Bundesinstitut gewiss noch volltransparent darlegen.

#justkidding

17.49 Uhr: Aus den Quellen- und Literaturangaben mal flink die „besuchten und zugänglichen Archive“ hinein kopiert. Das ist wichtig. Klingt  nicht grandios, sondern: enttäuschend.

1) Parlamentsarchiv

  • Sitzungsprotokolle des Sportausschusses des Deutschen Bundestages
  • Stenographisches Protokoll über die Anhörung von Sachverständigen in der 6. Sitzung des Sportausschusses am 28. September 1977.
  • Protokolle zu Hearings des Deutschen Bundestages zur Doping-Problematik, insbesondere der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Deutschland
  • Protokolle zu den Beratungen des Deutschen Bundestags über den Haushalt des Bundesinnenministeriums und damit des Sporthaushalts
  • Sportberichte der Bundesregierung
  • Bundesministerium des Inneren (BMI): Sportabteilung Referat SH I 1 – 371 600/2 Auflistung denkbarer Aspekte für ein evtl. Anti-Doping-Gesetz. Ordner BMI 1993- 2001.

(Das sollte alles eigentlich immer öffentlich sein, oder sehe ich da was falsch. Sportberichte der Bundesregierung etc und Protokolle zu Anhörungen sind es auf jeden Fall. Nichts vom oben genannten scheint mir noch nicht veröffentlicht bzw irgendwo besprochen.)

2) Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) Bundesarchiv Koblenz

(Interessant, dass die Historiker dennoch nicht den Fund gemacht haben, der Achim Muth von der Main-Post gelungen ist.)

3) Nationale Anti Doping Agentur (NADA)

  • Urkunde über Errichtung „Stiftung Nationale Anti-Doping-Agentur Deutschland“ vom 15. Juli 2002.
  • Ordner 0717 Nationale Verbindungen.
  • Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) 2000-2005.

4) Carl- und Liselott Diem-Archiv

  • Nachlass August Kirsch

5) Universitätsarchiv Freiburg

  • Nachlass Herbert Reindell

6) Deutsche Sporthochschule Köln (DSHS)

  • Nachlass Wolfgang Kronen

7) Internationales Dopingarchiv Weinheim

8) Präsidiumsberichte und Sitzungsunterlagen ausgewählter Sportverbände, Nachlässe und sonstiger Archive. Dabei handelte es sich im Einzelnen um die Unterlagen folgender Organisationen:

  • Deutscher Olympischer Sportbund DOSB (DSB, NOK, Nachlass Daume)
  • Bund Deutscher Radfahrer (BDR) (Nachlass Gronen, Budzinski, Jokel)
  • Deutscher Fußball-Bund (DFB)
  • Deutscher Leichtathletik V erband (DL V)
  • Deutscher Schwimmverband (DSV)
  • Bund Deutscher Gewichtheber
  • Deutscher Ruderverband
  • International Olympic Committee Library and Archives, Lausanne:
  • Protokolle der Sessions und des Executive Board
  • Protokolle der Medizinische Kommission bis 1990
  • IOC MINUTES (1999): Meeting of the 108th IOC Session. Lausanne, 17th and 18th March 1999.
  • IOC MINUTES (2003): Meeting of the 115th IOC Session. Prague, 2nd to 4th July 2003.

18.02 Uhr: Wie mailt mir gerade ein Freund?

Die fehlenden Seiten sind systemisch bedingt.“

18.21 Uhr: Je mehr ich darin lese und nach ersten Gesprächen verfestigt sich mein Eindruck, den ich im November 2012 gewonnen hatte: Viel Lärm um – sehr wenig. Die Presseauswertung aus Münster halte ich ohnehin für (fast) überflüssig.

19.07 Uhr:

19.44 Uhr: Okay. Ich kapituliere. Will gar nicht gegen einen fahrenden D-Zug springen. Die BREAKING NEWS sind also:

  • „Geheimnis gelüftet“
  • „Donike im Zwielicht“
  • „Vorwürfe gegen die NADA“
  • „Staat duldete …“

Nichts davon war bisher bekannt. Und ich entschuldige mich bei den Kollegen von den Nachrichtenagenturen: Sie machen auch nur ihren Job. Das Zeug muss raus.

20.07 Uhr: BREAKING!!! Jetzt aber wirklich:

[youtube mX2ae-k8Ltc nolink]

20.41 Uhr:

Alles klar?

00.38 Uhr: Meine gewiss total ungerechte und mega-subjektive Zusammenfassung, mein Eindruck, damit will ich es belassen – weiter unten in den Kommentaren.

38 Gedanken zu „Doping in Deutschland: die Berichte zum Forschungsprojekt“

  1. Münsteraner Sport-Student

    Habe Michael Krüger damals schon in der Sportgeschichtsvorlesung nicht zuhören können. Unheimlich viel Geschwafel und Längen ohne dabei auf den Punkt zu kommen bzw. Dinge zu erörtern, die man noch nicht vorher wusste :-(

    Selbst als Sportstudent der Uni Münster – der sich sehr für die aktuelle und vergangene Sportpolitik – und machenschaften interessiert – ging das Projekt hier völlig unter und es schien fast so, als wollten Krüger und Meier da gar keine große, öffentliche Sache (in Münster) draus machen. Kennt jemand die genaue Aufschlüsselung der Fördergelder?

  2. @ Münsteraner Sport-Student: Mit typischer Journalistenarroganz habe ich im vergangenen November höchst erschrocken auf die (offizielle) Präsentation der Forschungsergebnisse reagiert. Hier im Live-Blog nachzulesen.

    Eine Passage:

    Gerade erfahre ich (das ist mir gänzlich neu), dass die Bild-Zeitung nicht an Dopingberichterstattung interessiert ist.

    Gerade erfahre ich, dass sich die beiden Qualitätszeitungen SZ und FAZ überfordert zeigten mit der Berichterstattung und keine konkreten Handlungsperspektiven gegeben hätten.

    Sorry, so ein Schwachsinn. Ich muss weder Spiegel, noch FAZ und schon gar nicht SZ verteidigen. Aber ich kann sagen, dass es ohne die Berichte in diesen Medien – und ohne die Arbeiten anderer Medien wie etwa der Berliner Zeitung, für die ich von 1996 bis 2008 gearbeitet habe -, weder ein Dopingopferentschädigungsgesetz gegeben hätte, noch wäre das Thema Doping so in der Öffentlichkeit. Derlei Medien haben, oft im Doppelpass mit Dopingaufklärern mehr bewirkt, als JEDE staatliche oder gesellschaftliche Institution dieses Landes.

    (Oh, ich werde gerade erwähnt, weil ich viele Jahre lang in der BLZ die Einführung des Straftatbestandes Doping gefordert habe. Währenddessen verlässt Michael Reinsch, einer dieser Schreiber, die Grundlegendes geleistet haben über zwei Jahrzehnte, gerade erschüttert den Raum und geht in seine Redaktion, um zu recherchieren, was es mit der Humboldt-Uni wirklich auf sich hat.)

    Hansjörg Kofink fragt Prof. Henk Erik Meier:

    Was ist ihr Untersuchungsgegenstand: Der Spiegel oder der Sport? Ich komme mit dieser Sache nicht zurecht!

    Prof. Michael Krüger antwortet auch dazu:

    Wir konnten eindeutig feststellen, wie stark die vierte Gewalt, die Medien, diesen Meinungsbildungsprozess beeinflusst haben und die Politiker unter Druck gesetzt (?) haben.

    Ehrlich gesagt: Das wusste ich schon. Das wussten viele schon. Brauchte es dazu dieses Projekt?

    Erik Eggers ist auch da. Er äußert sich zum Desinteresse der Bild-Zeitung und sagt, dass Bild damals viele Ost-Journalisten mit besten Kontakten zu den Sport-Idolen der DDR verpflichtet hat. “Es war auch völlig egal, dass man wusste, dass einige Sportjournalisten damals für die Stasi gearbeitet hatten.”

    Gerhard Treutlein und Jörg Winterfeldt fragen, ob die Projektverantwortlichen Akteuere (also auch die Berichterstatter, deren Arbeit sie auswerten) befragt haben.

    “Das haben wir nicht gemacht”, sagt Meier.

    Alles ziemlich erschreckend.

    12.26 Uhr: Nach der Kaffeepause referiert Mara Konjer zum Thema:

    Der Dopingdiskurs der 1990er und 2000er Jahre in Die Zeit und Der Spiegel
    Grundsatzfrage: Seit wann ist Die Zeit ein Leitmedium in der Dopingberichterstattung?

    Absurd.

    Völlig überraschender Weise wurde “erforscht”, dass die Berichterstattung über Doping seit den 1950er Jahren in den Dekaden kontinuierlich steigt und besondere Höhepunkte während Olympischer Spiele hat. Auch über die Tour de France 1998 wurde relativ viel berichtet!

    Tut mir leid. Das ist gewiss alles ziemlich ungerecht.

    Gewiss liegt die Würze im Details (absichtlich schiefes Bild).

    Was ich sagen will: Der Hype zu Forschungsergebnissen schien mir doch stets überzogen, erst recht seit diesem Wochenende.

  3. Münsteraner Sport-Student

    Ich lese bereits seit 2 – 3 Jahren hier als (stiller) Leser mit ohne mich an Diskussionen zu beteiligen. MK schwebt hier in Münster an der Uni über allem, ohne in meiner bisher vierjährigen Zeit hier auch nur einmal kritisch von irgendjmd. aus der Gegend hinterfragt worden zu sein. Und das nennt sich dann Universität, höchste Bildungsanstalt und so … Prost Mahlzeit.

    Daher danke ich Ihnen eindringlich für diese ganzen Texte …

    Auch wenn es aus MKs Sicht sicherlich auch so weiter gehen wird: Hände vor´s Gesicht: „Was ich nicht sehe, sieht mich auch nicht.“

  4. Ich habe nur mal einen Berliner Teil überflogen, bei den Quellen/Archiven fällt auf:

    „Im Januar 2012 sollte nach fast einem Jahr nach Beantragung die Einsichtnahme in das
    Archiv des DFB erfolgen(Dopingfragen) – durch das Ende der Förderphase kam es nicht mehr dazu.“ (Administrativer Bericht HU Berlin S. 55)
    „Akten dieser Phase konnten im Archiv der NADA eingesehen werden, allerdings wurden die erbetenen Kopien trotz Nachfrage nicht an das Pro- jekt übermittelt, so dass eine Auswertung dieser Aktenbestände nicht möglich war.“ (Administrativer Bericht HU Berlin S. 56)
    „In der Endphase der Arbeiten konnte erhoben werden, dass das BISp und das BMI über die
    Aufträge „Regeneration und Testosteron“ keine relevanten Akten archiviert haben.“ (Administrativer Bericht HU Berlin S. 56)
    Die DFB-Geschichte ist im Kontext der Heper-Diss (vgl. S. 69) natürlich etwas – sagen wir mal pikant.

    Nachweis von gesundheitlichen Risiken durch Anabolikagebrauch im Rahmen einer Bisp-Studie –> „Diese im August 1974 übermittelten Resultate Nöckers übergroße gesundheitliche Gefahren kommunizierte der Zuwendungsgeber BISp nicht angemessen in den Sportbereich“ (S. 71)
    „unternommen wurde ein verdeckter Versuch systemischen Dopings, der die Sphäre von Grundlagenforschung hinter sich gelassen hatte. Denn die „Anwendung“ von Testosteron spielte bereits im bislang unveröffentlichten Konzept des späteren Leiters Keul eine wichtige Rolle.“ (S. 73)

    „Die Auswertung der Antwort des BMI auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion von 1991 deutet darauf hin, dassauch in den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung das Doping in der Bundesrepublik weiterhin ver-harmlost und zumindest in Teilen auch wahrheitswidrig dargestellt wurde.“ (S. 80)

    Hat schon ein wenig Sprengkraft, was da festgehalten wird …

  5. Danke Jens für die Einordnung. Das Erregungspotential ist weit überzogen. Die spannende Frage, Titel der Studie betreffend, „…bis heute“, bleibt offen. Also nix wirklich überraschendes, spart die Lektüre der gute Weinreich.

  6. @ Sport-Student #3: Bitte nicht persönlich werden.

    @ Uli: Wenn ich mich recht erinnere, hattest Du damals meine abwertende Berichterstattung kritisiert. Wahrscheinlich zurecht. Du siehst das als Wissenschaftler. Ich berichterstatte, beim oben verlinkten Beitrag inklusive des Zitats in einem Live-Blog.

    Was Du da zitierst ist interessant, aber ich glaube, auch das ist (im Grunde) seit Jahren bekannt. Jedenfalls zog sich dieser Konflikt durch das gesamte Projekt. Ich habe in den vergangenen Tagen ja auch alte Texte (mit den üblichen wunderbaren Linklisten von Ralf) und Beiträge etwa von Daniel Drepper verlinkt, der sich in der Anfangsphase mit der Ausschreibung etc befasst hatte. Gerhard Treutlein hat hier im Blog mal dargelegt, warum er ausgestiegen ist. Grit Hartmann hat in einem der Beiträge mal eine ausführliche Manöverkritik (ach was, mehrfach) geübt.

    Will sagen: Jetzt alles nur auf schwierige Konstellationen zu schieben, ist etwas zu einfach. Ich finde nicht, dass derartige Konstellationen (und als Journalist, weiß ich, wovon ich rede) von schwacher Themensetzung und eventuell unzureichender Bearbeitung ablenken sollten.

    Es zieht sich hin bis heute (und wird morgen so weiter gehen): Wer hat wann was vorgelegt, was fehlt noch, warum ist die letzte Phase nicht fertig bearbeitet worden, angeblich weil der Geldhahn zugedreht worden, sagt die eine Seite, was aber alles wenig überzeugend klingt … etc pp.

    Schade. Um es versöhnlich-unaufgeregt zu formulieren.

  7. Wage mich jetzt mal – ohne jede einzelne Zeile gelesen zu haben – mit der Behauptung vor, dass das angeblich verbreitete Minderjährigendoping, das da am Wochenende suggeriert worden ist, keineswegs belegt ist. Das aus den Hinweisen der Berliner Studie abzuleiten, ist meiner Meinung nach ein sehr makabrer Witz.

    Dazu gefunden habe ich im sogenannten Administrativen Bericht:

    Weiterhin machen die dem Berliner Teilprojekt vorliegenden Interviews klar: Das Verbot der Anabolika-Anwendung bei Frauen und Minderjährigen, das in staatlich finanzierten Forschungen des BISp immer betont wurde, wurde damals vor Ort trotz des vorhandenen Unrechtsbewusstseins immer wieder unterlaufen. Folgt man den Aussagen in diesen Quellen, wurde es sogar in einer Besprechung des BA-L ausgewertet.

    Offensichtlich konnte man /durfte man aber aus keinem dieser Interviews zum Minderjährigendoping zitieren, anders als bei anderen Aspekten.

    Die BA-L-Tagung könnte die von 1974 sein, die nun wiedrum im so genannten Abschlussbericht erörtert wird. Ohne Quelle oder gar Zitat des „versteckten Hinweises“:

    Ob der versteckte Hinweis, auch einer jugendlichen 800m-Läuferin seien Anabolika verabreicht worden, repräsentativ war, lässt sich nicht abschließend bewerten.

    Im Administrativen Bericht dann die Schüler-Klassen, und da wird es seltsam:

    Zum Doping bei Minderjährigen liegen dem Berliner Teilprojekt keine aussagekräftigen Unterlagen vor. Gleichwohl liegt ein Verdachtsfall vor, der in BISp-geförderten Studien angesprochen wird: In einem Fall ging es 1975 um 11- 14jährige Jungen. Das entsprechende ‚Forschungsvorhaben‘ (Antrag vom 23. September 1975) wurde von den Professoren für Sportmedizin Keul und Reindell gezeichnet. Ein Ausschnitt aus ihrem Antrag mag an dieser Stelle zitiert werden:
    „Zugleich konnten die Auswirkungen von Anabolika mit untersucht werden (…) Offen ist, ob die Auswirkung des Krafttrainings sich in Abhängigkeit vom Alter anders auswirkt. Mit einer Förderklasse von 16-jährigen Jungen und einer Sportklasse mit 11-jährigen Jungen wurden bereits mit Untersuchungen über den Alterseinfluss begonnen.“
    Die zugrunde liegende Originalakte wurde offensichtlich in die „Aussonderung von 1969-1988 (Ende)“ einbezogen …

    Die (…) Auslassung im Zitat würde mich ja interessieren. Aus dem Zitat wird nicht klar, ob bei den Jungen lediglich die Auswirkungen des Krafttrainings untersucht worden sind – oder auch die von Anabolika.

    Da hat Berendonk 1991 Substanzielleres hingelegt: Sie zitiert den Mainzer Mediziner Manfred Steinbach (dann später DLV-Funktionär), der 1968 eine Studie mit Minderjähringen durchführte. Anabolika waren damals noch nicht verboten im Sport – aber 1969 machte er das öffentlich und hielt das für falsch. Dann natürlich der Fall Christel Justen und ihr Trainer Claus Vandenhirtz (von Franke angezeigt, und bei Berendonk zwei weitere Fälle von minderjährigen Schwimmerinnen.

  8. @jens
    dir ist aber schon klar, dass ironie nicht nur nicht funktioniert, sondern insbesondere in dieser erklärtermaßen ironiefreien zone so fehl am platze ist wie nur etwas. #kapitulation

    (aber das waren noch zeiten, mit dem wolferl als sportminister!)

  9. @ Grit Hartmann: Schön, dass sich mal jemand die Mühe macht, den Bericht zu lesen und seine mediale Überhöhung kritisch zu hinterfragen. Doping im Westen? Ja doch, war aber alles spätestens seit dem großen Bundetagshearing 1977 bekannt, bei dem sich die beiden Lager pro und kontra Doping quer durch Sportmediziner, Sportfunktionäre, Sportpolitiker, Trainer und Athleten überraschend klar und offen positionierten. Hinzu kamen die Bekenntnisse von Leichtathleten wie Manfred Ommer und Ralf Reichenbach. Forschungen zu Anabolika und anderen Doping-Substanzen mithilfe von Steuergeldern? Ja doch, aber auch das fand nicht geheim statt. Hierzu sei nur die Lektüre der Zeitschrift Leistungssport in den 1970er-Jahren empfohlen, die im Übrigen zur Theorie und Praxis des Leistungssport aus Leipzig offen für jedermann zugänglich war und ist. Dort berichten Keul & Co. regelmäßig über ihre Forschungsdesigns, die jetzt die investigativen Journalisten im Bundesarchiv so mühsam zutage gefördert haben, und ihre Förderquellen. Aber der direkte Übergang von der Forschung in die Anwendung? Systematisches Staatsdoping oder gar Zwangsdoping und Minderjährigendoping? Hierzu gibt es in der heute veröffentlichten Studie der HU viel „vermutlich“, „offenbar“, „naheliegenderweise“, aber keine belastbaren Belege. Ein Schelm, wer bei dem Wunsch der Berliner Forscher nach einer Rechtschutzversicherung durch DOSB und BISp in diese Richtung denkt …

  10. Münsteraner Sport-Student

    @ JW: Ziehe ich zurück. Da spiegelt sich bei mir nach vier Jahren Studium einfach nur die Unzufriedenheit wieder nur die „gute Seite“ der Sportwelt kennengelernt zu haben und über die andere Seite zu wenig zu wissen bzw. sich dieses Wissen selbständig anlesen zu müssen. Da ist die universitäre Ausbildung zu einseitig.

    Daher vielen Dank für Ihre Berichterstattung.

  11. Bin mit einigem durch, mit dem zusammenfassenden Bericht und dem inhaltlichen Bericht der HU. Zu „Sport und Staat“ und dem Teil, den ich als Presseschau bezeichne, hatte ich schon Vorträge gehört.

    Tendenziell bin ich enttäuscht, teilweise sogar erschrocken, etwa über die dürren Anmerkungen für die Zeit von 1990 bis 2008 – ein Teil, der nicht beendet wurde, wenn ich das alles recht verstehe, über die Gründe gibt es durchaus unterschiedliche Angaben.

    Der Bericht der HU ist ja das, auf was das Projekt in der Öffentlichkeit verkürzt wird. Was da nun vorliegt, ergänzt in Details die Bezugspunkte (Berendonk/Franke, Treutlein/Singler – und ich füge noch an: Medienberichterstattung über Jahrzehnte), was an sich schon ein Wert ist.

    Und dabei könnte man es eigentlich auch bewenden lassen.

    Ein Problem war nun die ungesunde mediale Überhöhung, das Schlagzeilenmachen der vergangenen Tage. Behauptungen, die da kursierten („systematisch“, „bahnbrechend“, System des Minderjährigendopings etc pp), sind kaum zu halten. Ich scheine nicht der einzige zu sein, der derlei Schlagzeilen in weiten Teilen der Berichte (präzise betrachtet kommt ja nur das Humboldt-Papier dafür in Frage) als nicht gedeckt ansieht. Können die Historiker etwas nachlegen (etwa zum Minderjährigendoping)?

    Bezeichnend, dass der Berliner Projektverantwortliche, Giselher Spitzer, in seinen vielen Interviews relativiert hat bzw in diesem von mir mehrfach verlinkten Interview doch wohltuend ruhige Töne angeschlagen und Erklärungen geliefert hat. Das fand ich angemessener als viele Kleinkriege, die derzeit noch ausgetragen werden.

    Der HgH/Insulin-Fund, der dieser Tage Schlagzeilen machte und in vielen Berichten dieser Dopingstudie zugeordnet wurde, war tatsächlich Produkt journalistischer Arbeit (Main-Post). Also auch wieder: eine wichtige Ergänzung, ein Puzzle-Teil, sogar ein spektakuläres.

    Kernaussagen der Berichte, soweit ich sie gelesen und quer gelesen habe, wurden in den vergangenen Jahren bei den Zwischenpräsentationen (2010, 2011: „systemisches“ West-Doping) bereits bekannt. Die Abschlusspräsentationen 2012 gerieten zur Farce. Bei der offiziellen war Münster zugegen – Berlin lieferte zwei Tage später weniger Abschlussberichte als vielmehr einen offenen, imho wenig überzeugenden Kampf. Das lässt sich in vielen Medien nachlesen/hören/sehen – auch hier im Blog.

    Die Schwächen des Projekts (und die ziehen sich von der Initiierung über die merkwürdige Vergabe bis zur Durchführung und dem Abschluss durch) wurden von Beginn an medial thematisiert. Diese Schwächen haben wohl nicht allein böse Mächte zu verantworten, also Auftraggeber (BISp/DOSB/Bund – ich fasse zusammen!), die ja eigentlich die „Gegenseite“, weil auszurecherchierende Seite darstellen. Diese Schwächen wurden und werden auch in der Konzeption und Durchführung sehr deutlich. Darüber ist ebenfalls ausführlich berichtet worden.

    Die „zusammenfassende Darstellung“ belegt diese inhaltliche und methodische Inkonsistenz.

    So war es nicht einmal möglich, EINEN zusammenhängenden Bericht vorzulegen, sondern eben diese sechs Papiere, die man sich mühsam zusammendenken muss.

    Sorry, aber: what a farce?!

    Beispielhaft dafür lese man die:

    – „Empfehlungen und Desiderata des Berliner Teilprojekts (Berlin)“
    – „Allgemeine Erkenntnisse und Folgerungen aus Münsteraner Sicht (Münster)“

    Es tut mir leid, das zu schreiben, aber da gibt es nichts, was sich nicht hätte auch ohne dieses Projekt schon im Sommer 2008 formulieren lassen. Oder was nicht schon seit gut 20 oder mehr Jahren so diskutiert worden wäre – öffentlich.

    Man lese dies:

    So übereinstimmend einige Befunde im Vergleich der Teilprojekte sind, so umstritten hingegen sind andere Ergebnisse der Aufarbeitung. Geschuldet ist dies zum einen unterschiedlichem methodologisch-methodischen Vorgehen, unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Feld und letztlich auch unterschiedlicher Bewertung. Deutlich wird, dass die durch die Teilprojekte vorgelegten differenzierten Analysen und die darauf basierenden Befunde durch ein unterschiedliches Verständnis der Interaktion von individuellem Denken undHandeln auf der einen Seite und kontextuellen Strukturen auf der anderen Seite geprägt sind.

    Sicherlich verkürzt, könnte man die wichtigsten Unterschiede wie folgt formulieren: Die Münsteraner Teilprojekte zeichnen sich in hohem Maße durch die Frage nach der internationalen Kontextualisierung von Doping und damit durch Fragen nach außeninduzierten Anreizen, durch solche zum Missbrauch sowie zu institutionell geprägten Handlungsrationalitäten und Handlungsoptionen aus. Das Berliner Teilprojekt hingegen stellt sehr viel deutlicher die Frage nach der individuellen Täter- bzw. Mittäterschaft und diejenige nach der individuellenVerantwortung der relevanten Akteure in den Mittelpunkt, ohne allerdings die notwendige Kontextualisierung außer Acht zu lassen, die sich bereits durch den langen Zeitraum ergibt, den es zu analysieren galt.

    In dem hier diskutierten Gesamtprojekt haben diese Unterschiede in der Feinanlage der Teilprojekte dazu geführt, dass es letztlich nicht gelungen ist, eine gemeinsame zusammenfassende Darstellung der jeweiligen Ergebnisse aus Münster bzw. aus Berlin dergestalt zu erstellen, dass im Folgenden ein einheitlicher Textkorpus mit einer durchgängig einheitlichen Aussagediktion vorgelegt wird. Die Ergebnisse werden des-halb im Folgenden getrennt nach den beiden Forschergruppen aus Münster und Berlin dargestellt.

    Es gab Leute, die hatten das vorher gesagt.

    Wirklich schade.

    Aber wenn der merkwürdige Hype nun dazu führt, dass die Diskussion über ein echtes Dopinggesetz entscheidend befruchtet wird, okay, dann wäre das keine schlechte Wirkung!

    Ich vermute, dass ich ausgerechnet mit jenem Teil am meisten arbeiten und als Nachschlageoption nutzen werde, von dem ich vielleicht am wenigsten erwartet hatte und wo ich mich, was die vergangenen zwei Jahrzehnte angeht, einigermaßen kompetent fühle (#Sportausschuss). Das Kapitel „Sport und Staat“ also.

    Danke für die Summary. Werde beim Nachschlagen immer mal die Validität prüfen.

    Kann mich jetzt nicht noch länger damit befassen und von meiner eigentlichen Arbeit abhalten. Ich stelle jetzt noch einen neuen Text von Grit Hartmann ein, der um 9 Uhr im Blog erscheint, ab morgen dann will ich es eigentlich bei Kommentaren belassen.

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  15. @Lektüre

    Schöner Hinweis auf das Bundestagshearing 1977 – und generell auf die bis dahin erstaunlich offen ausgetragenen Kämpfe zwischen Anabolikafreunden und -gegnern.
    Die wurden dann im selben Jahr mit der Grundsatzerklärung des Deutschen Sports deutlich leiser – das hat Brigitte Berendonk 1991 eindrücklich beschrieben. Nach 1977 dominierte der von jw zitierte „diskrete Anabolismus“ in der westdeutschen Dopingpraxis.

    Wichtig gleichfalls: der Hinweis auf die Veröffentlichung vieler (nicht aller) der umstrittenen Dopingforschungsstudien. Das halte ich aber für ein ganz, ganz großes Verdienst der Berliner: wie sie für die multizentrische Testosteronstudie der 80er Jahre herausgearbeitet haben, dass in diesen Veröffentlichungen die Studienergebnisse verfälscht wurden bezüglich der Frage, was Testosteron bringt.

    Übrigens: Die in der Süddeutschen kolportierte Zahl – 516 vom Bund subventionierte Forschungsarbeiten, die mit Doping in Verbindung stehen – taucht (wenn ich es nicht überlesen habe) im veröffentlichten Teil des Berliner Berichts nicht auf. Obgleich eine solche Angabe für eine Zusammenfassung eigentlich unverzichtbar wäre.
    Insofern bleibt ein bisschen unklar, was diese doch enorm hohe Zahl meint. Vermutung: die Zahl der Forschungsanträge aus der gesamten westdeutschen Sportmedizin ans BISp 1970 bis 1990.

    Aber auch das wird sich ja vielleicht noch klären, falls die fehlenden mehreren hundert Seiten noch veröffentlicht werden.

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  18. @ Grit Hartmann: Die kolportierte Zahl von 516 bezieht sich auf sämtliche vom BISp von seiner Gründung bis 1988 finanzierten Forschungsprojekte. Davon machen Projekte zum Thema Doping natürlich nur einen geringen Teil aus.
    Genauso irreführend ist die u.a. in der Mainpost genannte Summe von 139.200 DM, die 1972 für die Anabolikaforschung nach Freiburg geflossen sei. Vielmehr handelt es sich dabei um die gesamte Fördersumme von insgesamt neun von Keul und Reindell beantragten und bewilligten Projekte, von denen das Anabolikaprojekt unter Antragsnummer 5d) lief, also lediglich ein Teilforschung darstellte. Insofern relativert sich auch diese Zahl wieder.
    Gerade angesichts dieser zahlreichen Umgereimtheiten wäre das BISp gut beraten, auch die Berliner Teil- und Zwischenstudien ins Netz zu stellen, die bislang nur beim BISp selbst eingesehen werden dürfen.

  19. @Lektüre.
    Danke für die Aufklärung.

    Schneide mal die Süddeutsche vom Sonnabend zum BISp dagegen:

    Dort liefen demnach jahrzehntelang die Fäden für umfangreiche Tests mit zahlreichen leistungsfördernden Substanzen zusammen – von Anabolika über Testosteron und Östrogen bis zum Blutdopingmittel Epo. All das geschah der Studie zufolge nicht als Reaktion auf das Staatsdoping der DDR, sondern parallel dazu und aus eigenem Antrieb. Der genaue Umfang lässt sich nicht rekonstruieren, aber auf einer Liste sind 516 Forschungsvorhaben verzeichnet.

  20. Ich weiß nicht, ob dies hier schon gepostet wurde, aber zumindest die Teilberichte der Berliner, die den Zeitraum bis 1972 betreffen, sind ja mittlerweile in Buchform unter dem Titel „Doping in Deutschland: Geschichte, Recht, Ethik. 1950-1972“ im Sportverlag Strauß ungekürzt veröffentlicht worden und damit frei zugänglich.

  21. @ Lektüre: Ich wollte Sie schon fragen, wie Sie die analytische Qualität des hier vorgelegten einschätzen. Aber ich lasse es.

    Ich finde, aber das sage ich seit Herbst 2012, eine saubere Übersicht, wann wer wie genau welche Seiten veröffentlicht/verhindert/wasauchimmer hat, wäre nötig.

    Aber ich denke, so denken die Verfasser gar nicht. Schlagzeilen lassen sich anders besser machen.

    Ich bin da irgendwie online.

  22. Jens, du erinnerst richtig ;-) Mir ging die eine und andere Formulierung deutlcih zu weit unter die Gürtellinie und war mir zu persönlich – völlig unnötig wenn man Sachargumente hat und die hast du doch fast immer ;-)

    Ich kann nicht beurteilen, was an Fakten in den Berichten „neu“ ist, für den westdeutschen Umgang mit der eigenen Dopingvergangenheit ist es aber meiner Meinung nach immerhin bemerkenswert, dass solche Passagen wie von mir zitiert in einem öffentlich zugänglichen Bisp-Bericht stehen. Da darf „die Presse“ gerne auch ein paar zu dicke Schlagzeilen auffahren und was als neu verkaufen, dass („Insidern“) schon lange bekannt ist – es bringt das Thema in die breite Öffentlichkeit, es macht es schwerer, es wie bisher unter den Teppich zu kehren.

    Natürlich werfen die Berichte u.U. mehr Fragen auf, als sie beantworten aber das muss ja nicht per se schlecht sein, solange durch die geschaffene Öffentlichkeit auf Beantwortung der Fragen gedrängt wird. Insbesondere die letzte Phase der Berliner Gruppe müsste durchgeführt (=finanziert) werden, Zeitzeugenaussagen müssten mit den bislang wundersamerweise verschlossenen Archiven abgeglichen werden. Ich kann nicht beurteilen was Bisp und BMI für eine Rolle spielen – die Nichtfertigstellung der Studie mit potentiell Bisp-/BMI-kritischen Resultaten und das Hickhack mit Datenschutz und Veröffentlichung drängt natürlich zu Vermutungen, die so nicht stehen bleiben dürfen.

  23. @ JW: Aber ich lasse mich doch gerne locken. Ich finde, es gibt in diesen Texten sehr viel Verdienstvolles (Erhebung von bislang unbekannten historischen Quellen, Zeitzeugenaussagen), viel Diskussionswürdiges (Interpretation der Quellen) und manches Ärgerliches (weitgehend unbelegte, pauschalisierende Aussagen mit bewusster Schlagzeilentauglichkeit). So lässt sich einfach nicht per se aus Dopingforschung auf Dopinganwendung schließen. Das ist unseriös und würde in jedem historischen Proseminar zerpflückt werden. Generell ist die Vermischung von Geschichtswissenschaft und Journalismus in diesem Projekt m.E. zu hinterfragen.

  24. @ Uli

    Mische mich mal ein, weil ich Probleme mit dem Satz habe, was die Presse so alles darf. In diesem Fall hat sie Dopingforschung umstandslos durch Doping ersetzt und dann auch noch das Attribut „systematisch“ draufgeknallt.

    Das beschädigt die historische Ernsthaftigkeit der Diskussion, und zwar erheblich. Denn es hat mit der Realität im Westen nichts zu tun – wie die zum Teil ablief, war nicht besser als im Osten, aber anders.

    Zweiter Aspekt: Solche Übertreibungen liefern Interessierten Angriffspunkte, die dann auch die Studie entwerten können – was sie auf dieser Ebene bestimmt nicht verdient hat.

    Okay, man kann sagen: Zweck rechtfertigt die Mittel. Und wenn das am Ende etwa zu einem Antidoping-Gesetz führt, ist ja alles gut. Ich persönlich halte von solchen, ich würde es nennen: unverantwortlichen Manipulationen nichts.

  25. Johannes Aumüller, Boris Herrmann und Thomas Kistner in der SZ: Brisante Fragen an Genscher und Bach

    Adidas soll erwogen haben, den Vertrag mit [Toni] Schumacher zu beenden, der Torwart wollte [Mannschaftsarzt Heinz Liesen] angeblich wegen dessen Aussage auf 1,5 Millionen D-Mark verklagen. Das ganze habe sich erst aufgelöst, als eine andere Person ins Spiel kam: Thomas Bach.

  26. Zu Genscher:

    Michael Reinsch in der FAZ am 26. September 2011:

    „Staatlich gefördertes Doping“

    Der Kölner Mediziner Wildor Hollmann, so die Studie, erinnert sich daran, dass der Bundesinnenminister im Jahr vor den Olympischen Spielen von München forderte: „Von Ihnen als Sportmediziner will ich nur eines: Medaillen für München.“ Spitzer hat im Büro von Hans-Dietrich Genscher um ein Interview nachgesucht. Die Episode steht für die Signalwirkung politischer Erfolgsforderungen auf den Sport.

    Auch Michael Krüger von der Universität Münster hat den Wendepunkt in jener Zeit ausgemacht. „München 1972 war konzipiert als Demonstration, dass der Sport sich nicht von der Politik instrumentalisieren lässt. Zugleich wurden die Strukturen geschaffen, in denen der Sport sich bis heute bewegt, einschließlich des Dopings“, sagte er in Berlin. „Der Staat wurde zum maßgeblichen Akteur im Sportgeschehen.“ Neben der Schaffung von Gremien und Strukturen wurde die Endkampfchance als Voraussetzung für staatliche Förderung eingeführt – „eine für die Dopingentwicklung ganz wichtige Entscheidung“, sagt Krüger.

  27. Peter Schaar schreibt unter der Überschrift „Datenschutz für Doping-Praktiken“:

    Am 5. August 2013 hat das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) die Ergebnisse der in seinem Auftrag von der Universität Münster und der Humboldt-Universität Berlin erstellten Studie zum Doping in Deutschland veröffentlicht. In dieser Studie werden die Doping-Praktiken „von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ untersucht. Vorausgegangen waren Presseberichte, die den Eindruck erweckten, dass das BISp die Veröffentlichung hinauszögere oder unterdrücke, um brisante Enthüllungen über den Einsatz von Doping in Westdeutschland zu verhindern. Mitwirkende Forscher wurden zitiert, die sich durch das BISp wie auch durch verschiedene Sportverbände in ihrer Arbeit behindert, gar zensiert sahen.

    Das BISp als Auftraggeber musste prüfen, ob einer Veröffentlichung von personenbezogenen Daten rechtliche Bedenken entgegenstehen. Nach § 40 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes dürfen personenbezogene Daten im Zusammenhang mit Forschungsprojekten nur veröffentlicht werden, wenn – soweit keine Einwilligung vorliegt, was hier nicht der Fall war – die Veröffentlichung für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist.

    Das BISp, eine dem Bundesministerium des Innern nachgeordnete Bundesbehörde, hatte sich mit der Bitte um Beratung an mich gewandt. Offenbar wollte man dem Dilemma entgehen, auf der einen Seite mit dem Bundesdatenschutzgesetz geltendes Recht einhalten zu müssen, sich auf der anderen Seite aber dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, Zensur zu betreiben, wenn bestimmte Namen nicht genannt werden dürfen.

    Nachdem dem BISp die Endfassungen aller Teilberichte vorlagen, hat es diese durchgesehen. An einigen Stellen hatte das Institut Zweifel, ob die Veröffentlichung bestimmter personenbezogener Angaben tatsächlich unerlässlich war. Zu diesen Zweifelsfällen wurde ich Anfang Juni 2013 um Beratung gebeten. Ich habe dem BISp am 4. Juli dazu abschließend geantwortet und keine Bedenken gegen die Veröffentlichung geltend gemacht.

    In den letzten Tagen geäußerte Vorwürfe, datenschutzrechtliche Bedenken hätten die Veröffentlichung der seit vielen Monaten vorliegenden Studie verzögert oder behindert, kann ich deshalb nicht nachvollziehen. Zum einen war meine Prüfung Anfang Juli abgeschlossen. Zum anderen begreife ich den Datenschutz nicht als Decke, die über Versäumnisse der Vergangenheit gebreitet werden darf. Ähnlich wie bei Anträgen auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder auf Akteneinsicht nach dem Stasi-Unterlagengesetz muss vielmehr ein angemessener Ausgleich zwischen dem Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung und dem Interesse der Öffentlichkeit an Information über zeitgeschichtliche Ereignisse gefunden werden. Soweit Verantwortliche in amtlicher Funktion, Verbandsvertreter oder Spitzensportler an entsprechenden Doping-Aktivitäten beteiligt waren, verhindert der Datenschutz die Veröffentlichung entsprechender (auch personenbezogener) Forschungsergebnisse nicht.

    Schaar spricht wiederum nur von 2013.

    Es bleibt dabei: Wer wann exakt welche Teile in welcher Länge vorgelegt, wer was geprüft, verändert, gekürzt hat, welche Teile längst veröffentlicht sind (weite Teile aus den angeblich 804 Seiten sind ja bereits 2010 und 2011 berichtet und veröffentlicht worden, außerdem offenbar in ein Buch von Spitzer eingeflossen, über das Michael Reinsch in der FAZ im Juni 2013 ausführlich bereitet hat/den Link hatte ich geliefert), das alles bleibt weitgehend unklar. Spitzer et al sollten außer Lamentieren dazu endlich eine überzeugende Auflistung von Fakten, Zahlen, Schriftwechseln etc liefern – nur das wäre überzeugend. Ich verstehe nicht, warum das nicht passiert.

  28. Evi Simeoni in der FAZ: „Doping in Westdeutschland: Denken in langen Linien“

    Es werde wieder eine „unabhängige Kommission“ des DOSB geben. Der Vorsitzende werde der ehemalige Verfassungsrichter Udo Steiner sein, Bachs Allzweckwaffe für elegantes Krisenmanagement. Steiner war es auch, der 2009 der „unabhängigen“ Kommission zur Bewältigung des laxen Umgangs der deutschen Springreiter im Umgang mit verbotener Medikation zu einem unspektakulären Ende verhalf. Die Reiter seien „nicht strukturell unredlich“.

    Der 73 Jahre alte Regensburger Steiner soll den Bericht, der an der Berliner Humboldt-Universität und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstand, laut Bach „evaluieren“ und „dem DOSB-Präsidium Empfehlungen geben für den Umgang damit und auch für Lehren in der Zukunft“. Bach betont, dass die Studie 2008 auf seine Initiative hin in Auftrag gegeben worden sei. Jetzt könne man sich „mit größtmöglicher Transparenz mit diesen Ergebnissen auseinandersetzen“.

    (…) Es ist damit zu rechnen, dass die neue Steiner-Kommission nicht vor dem 10. September mit Ergebnissen aufwarten wird. Und auch nicht vor der Bundestagswahl am 22. September, zu der die Regierung keine unerfreulichen Themen gebrauchen kann.

    Ich erinnere erneut an Punkt 3 des Berendonk-Plans aus dem Jahr 1991:

    “Goldener Zehn-Punkte Plan zum Schutz des diskreten Anabolismus”

    3. Gründung vertraulicher Kommissionen, die außer allgemeinen Feststellungen und Pressemeldungen schon nichts zustande bringen werden, das Staats- und Sportsräson gefährden könnte.

  29. Gerade am SZ-Stück — so hübsch es auch ist — zeigt sich ein Grundproblem: die Frage, wie zeithistorische Forschung mit den subjektiven Erinnerungen / Einordnungen von Zeitzeugen umgeht / umgehen kann.

    Dies mal abgesehen davon, dass der Veröffentlichung dieser Passagen — allerdings mit Stellungnahme der „Betroffenen“, Genscher, Bach — wohl nichts im Wege stünde, da Personen der Zeitgeschichte.

    Zum Beispiel die Schäuble-Passage. Ein anonymer Zeitzeuge erinnert sich:

    In einem Zeitzeugengespräch im Zusammenhang mit dem Einsatz der sogenannten „Kolbe-Spritze“ bei Olympia 1976 in Montreal taucht auch der Name des heutige Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble auf. Der Zeuge, den die Autoren als „einflussreichen Sportmediziner“ beschreiben, berichtet, es habe damals „Statements insbesondere von Schäuble“ gegeben, „wenn es nicht schadet, soll man auch da das Bestmögliche unseren Sportlern angedeihen lassen“. Die Interviewer merken an, dass Schäuble damals nicht in der Exekutive war, sondern sportpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Sportausschuss. Der Zeuge verweist auf die weitere Entwicklung ab Mitte der 80er Jahre, „wo er dann schon Innenminister war, wo er das entsprechend gefördert hat“.

    Schäuble teilt dann auf Anfrage der Süddeutschen (nicht der Historiker) mit, dass er 89 bis 91 Innenminister war. Genauso interessant ist aber, dass das von ihm Zitierte frappierend einer Aussage von 1977 ähnelt, aus dem Bundestagshearing, nach der Kolbe-Spitze also. Damals sagte Schäuble, und das ist dann viel zitiert worden:

    Wir wollen solche Mittel nur eingeschränkt und unter ärztlicher Verantwortung einsetzen, weil es offenbar Disziplinen gibt, in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann.

    Für die Kolbe-Spitze (1976) soll also das Wort eines einfachen Abgeordneten maßgeblich gewesen sein? Sieht mir eher nach der Rechtfertigungsfigur eines Mediziners aus.

    Ähnlich ist es mit Genscher. Er wird von Hollmann belastet – also von dem Mediziner, der damals sich selbst und seinen Kollegen im Medizinischen Beirat des BISp die Forschungsanträge (nicht -aufträge) genehmigte.

    Das soll der Brisanz nicht unbedingt etwas nehmen, aber zur Zeitgeschichtsschreibung gehört es dazu, dergleichen mit zu bedenken, solche Äußerungen eben nicht 1:1 zu transportieren, sondern sie, wie das so schön heißt, zu kontextualisieren.

    Nicht unbedingt zum Journalismus ;)

  30. Auch lustig, diese Pressemitteilung des DOSB von 17.50 Uhr:

    DOSB ruft Berliner Forscher auf: 804 Seiten veröffentlichen

    Der DOSB als Initiator der Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ fordert die Berliner Forschergruppe um Giselher Spitzer auf, ihren offenbar der Süddeutschen Zeitung vorliegenden 804 Seiten starken Bericht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach einer Telefonkonferenz des DOSB-Präsidiums mit Vertretern der Sprechergruppen im DOSB erklärt der Dachverband des deutschen Sports:

    „Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserer Initiative aus dem Jahr 2008, die Dopinggeschichte in Deutschland anknüpfend an die bereits vorliegenden Forschungen von u.a. Berendonk/Franke und Singler/Treutlein umfassend und systematisch zu untersuchen. Wir begrüßen, dass das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) als alleiniger Auftraggeber der Studie den von den Forschergruppen der Universität Münster und der Humboldt-Universität Berlin erarbeiteten Abschlussbericht am Montag auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

    Offensichtlich liegt einer Zeitung ein weiterer 804 Seiten starker Bericht der Berliner Forscher vor. Als Initiator treten wir für volle Transparenz ein und fordern die Forscher auf, den Bericht der gesamten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach Angaben des BISp hat dieses eine entsprechende Freigabe zur Veröffentlichung durch die Forschergruppe am 30. Mai 2012 erteilt.

    Der DOSB hat eine unabhängige Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Richters am Bundesverfassung, Prof. Dr. Udo Steiner, eingerichtet. Diese Kommission wird dem DOSB Empfehlungen für den Umgang mit der Vergangenheit und für daraus zu ziehende Lehren für den Anti-Dopingkampf geben. Wir erwarten, dass dieser Kommission alle Unterlagen der beiden Forschergruppen aus Münster und Berlin vollständig zur Verfügung gestellt werden.“

  31. Stimme ich zu.
    Hier wollte ich nur sagen, dass es eine kühne Behauptung ist, Schäuble (der sich 1977 so geäußert hat) mit der Kolbe-Spritze 1976 in Verbindung zu bringen.

    Allerdings: was da bei ihm waberte, zeigte sich 1990 – bei der Garantie für die Übernahme der nun nicht gerade gut beleumundeten DDR-Forschung samt ihrer dubiosen Teile im Einigungsvertrag. Das ist ihm ganz klar zuzuordnen.

  32. Ohne über hellseherische Fähigkeiten verfügen zu müssen, kann man getrost das Ergebnis der DOSB-Steiner-Kommission, nach Bachs Willen und natürlich unabhängig installiert, vorwegnehmen: Gut, dass wir wieder einmal darüber gesprochen haben.

    Selbst die interessierte Öffentlichkeit ist doch schon wieder in eine Situation versetzt, dass sie nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht. Zu viele, vor allem sich widersprechende Informationen haben den gleichen Effekt wie zu wenige: Desinformation. Und noch schlimmer, es gibt niemanden, der mal zwingend und verläßlich sich um Konsequenzen kümmern würde. So bleibt´s beim Palavern.
    Die sich äußern oder bereits zur Sache geäußert haben, werden wieder marginalisiert und abgedrängt. Eine Verletzung der Staatsraison und (sport-)political correctness wird mit sophistischen Mitteln verhindert werden.
    Eine ehrliche Aufklärung könnten nur die Betroffenen – ob Opfer oder Täter – auf dem Weg bringen. ( Ommer wird seinen TV-Auftritt auch schon wieder bereut haben.) Da das Ergebnis eines solchen Unterfangens mehr als offen ist, wird es überwiegend beim Verdrängen und Verschweigen bleiben. Was man ja auch menschlich nachvollziehen kann. Der Radsport zeigt gerade mal wieder, wie das übliche Dopingaufklärungsmuster das eigentliche Anliegen so gegen den Baum fährt. ( Zabel will nun auch noch einen Antidopingkampfhelden aus sich machen. He should better shut up! Er wird nämlich damit noch unglaubhafter.)

    Na gut, die Sache – Doping in Deutschland – ist im Gesamtkontext der weltweiten Probleme so unbedeutend wie ein umgefallener Reissack in China. Insofern würde ein Aufarbeitungsgremium, das nicht nur aus Sport, sondern auch aus Politik und Wirtschaft und Sportmedizin und Medien und gleichermaßen aus Ost und West besteht, zu hoch gegriffen sein.

  33. Sichtlichen Spaß hatte Oliver Fritsch bei der Zusammenfassung eines Aspektes der Dopingstudie, „Doping-Forschung am Penis“ sollte die psychosexuellen Nebenwirkungen von Anabolika auf den Mann erforschen. (Sollte meine Zusammenfassung zu lang sein: bitte kürzen, es fällt mir schwer).

    Man kann den Politikern der alten BRD nicht vorwerfen, dass sie ihre Athleten im Kampf um olympisches Gold hängen ließen..Die „Videorekordanlage mit Zubehör“ beispielsweise kostete 14.000 Mark. Die Beschaffung von Filmen schlug mit 500 zu Buche – wir befanden uns in der Prä-Youporn-Epoche. Bevor jetzt wieder wer über den Umgang mit Steuergeld meckert: Letzter Posten konnte gespart werden, die Beamten der Asservatenkammer des Landeskriminalamtes Düsseldorf halfen mit einer Leihgabe aus..Während des halbstündigen Tests berechnete der Phallometer..die „Volumenschwankungen des Geschlechtsorgans“ mithilfe eines „Meßwertaufnehmers, der den Penisumfang und die Penishärte“ in Anstiegswinkeln, Abstiegswinkeln und -geschwindigkeiten protokollierte. Das ist bedeutend mehr, als ein handelsübliches Geodreieck zu leisten imstande gewesen wäre…Dass die Phallografie eine „verlässliche Indikation der sexuellen Objektpräferenz“ erzeugte, hatten die deutschen Ärzte von einem tschechischen Wissenschaftler erfahren, der sie in den Fünfzigern erfunden hatte. Er wollte Wehrpflichtige, die sich als schwul ausgaben, um sich vor dem Militärdienst zu drücken, „der Heterosexualität überführen“

    Auch hier wieder: der Ostblock wars. Vielleicht könnte Putin die Phallografie (nicht zu verwechseln mit Kalligraphie, die beiden kommen fast nie zusammen vor) zur Identifikation schwuler Sportler einsetzen? Hatte die DDR was Ähnliches zu bieten? Herbert, wie hielt man es mit eurem Walter?
    Leider kam letztlich bei der Studie nichts raus was zu Veröffentlichen gewesen wäre. Vielleicht waren die Vorraussetzungen in den 50er Jahren auch besser.

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