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Das Olympische Bildungsmagazin

IOC-Doyen und FIFA-Patron João Havelange tritt zurück, weil er nicht rausgeschmissen werden will

von Jens Weinreich und Andrew Jennings

Time to say goodbye: Don Julio Grondona, Señora Grondona, Jean-Marie Faustin Godefroid de Havelange.

Ich habe es vor drei Wochen in Zürich zum ersten Mal aus sicherer Quelle gehört und es seit einigen Tagen beschrieben, wenn auch etwas ungläubig: Ich konnte mir echt nicht vorstellen, dass das IOC-Exekutivkomitee der Empfehlung der Ethikkommission folgt und den IOC-Dienstältesten rausschmeißt, den 95-jährigen FIFA-Ehrenpräsidenten João Havelange, der seit 1963 IOC-Mitglied ist.

Nein, natürlich nicht. Sie haben Havelange eine Goldene Brücke gebaut. Rücktritt statt Rausschmiss.

Der Fall ist spektakulär und wird Weiterungen haben.

Heute Nachmittag habe ich dazu einen Beitrag für den Deutschlandfunk produziert – noch unter Vorbehalt.

Kaum war der Beitrag zum Sender verschickt, kamen die Meldungen. Als erster war mein Freund Jamil Chade, Schweiz-Korrespondent der Estado de São Paulo, damit auf dem Markt:

Kurz darauf folgte AP:

Die Kurzfassung der Geschichte, über die ich seit Jahren berichte (die Links am Ende des Beitrages liefern alle Informationen, bieten Dokumente und hunderte weitere Links), lief wie gesagt im Deutschlandfunk und ist von der Realität in einem Punkt nun schon überholt. Sehr schön, eigentlich.

Hören:

:

Lesen:

In der kommenden Woche trifft sich in Lausanne das IOC-Exekutivkomitee zur letzten Sitzung des Jahres. Mit großer Spannung wird die Pressekonferenz am Donnerstagabend erwartet, auf der IOC-Präsident Jacques Rogge das Urteil der Ethikkommission gegen drei Mitglieder bekanntgeben dürfte. Es geht um den ISL-Bestechungsskandal – und im Mittelpunkt der Anklage steht das dienstälteste IOC-Mitglied: der Brasilianer João Havelange.

João Havelange ist ein Jahrhundert-Sportfunktionär, und zwar im doppelten Sinne. Havelange, geboren 1913, nahm 1936 als Schwimmer an den Olympischen Sommerspielen in Berlin teil, 1952 noch einmal als Wasserballer. Havelange ist seit 1963 IOC-Mitglied und damit der Doyen des IOC. Er war von 1974 bis 1998 Präsident des Fußball-Weltverbandes FIFA – und ist seither FIFA-Ehrenpräsident. Havelange zählt zu jenen Figuren, die das weltumspannende Bestechungssystem der einstigen Sportmarketing-Agentur ISL geprägt haben.

Und er hat selbst viele Millionen kassiert – meist über Tarnfirmen, eine davon, Renford Investments, unterhält er gemeinsam mit seinem einstigen Schwiegersohn Ricardo Teixeira. Teixeira gehört dem FIFA-Exekutivkomitee an, ist seit Ewigkeiten Präsident des brasilianischen Verbandes und auch Chef des WM-Organisationskomitees 2014.

Das ISL-Bestechungssystem ist kein Fall für den History Channel, sondern hochaktuell. Auch wenn der ISL-Konzern schon 2001 mit einem Milliardenloch pleite ging und die Aufarbeitung der kriminellen Aktivitäten nun schon ein Jahrzehnt andauert. Mit mehr als 140 Millionen Schweizer Franken hat die vom Deutschen Horst Dassler gegründete ISL-Gruppe einst hochrangige Sportfunktionäre im IOC, in der FIFA und etlichen anderen Weltverbänden geschmiert, um an milliardenschwere TV- und Marketingverträge zu gelangen. Diese gerichtsfest dokumentierten 140 Millionen sind nur die Spitze des Eisberges.

Havelange, Teixeira und die FIFA haben im vergangenen Jahr 5,5 Millionen Franken an die Justizkasse des Kantons Zug gezahlt, um im im Deal mit der Staatsanwaltschaft die Namen der Schmiergeldempfänger geheim zu halten. Da aber Journalisten auf Herausgabe dieser Einstellungsverfügung drängten und die Justiz dem Drängen bald nachgeben wird, gerieten die Korruptionsverheimlicher unter Druck. FIFA-Präsident Joseph Blatter kündigte an, das Papier Mitte Dezember zur nächsten Exekutivsitzung in Tokio zu veröffentlichen. Parallel aber hatte die IOC-Ethikkomission längst Ermittlungen gegen Havelange aufgenommen – und gegen zwei andere IOC-Mitglieder, die kleinere Summen erhalten haben: Lamine Diack aus dem Senegal, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, und Issa Hayatou aus Kamerun, Afrikas Fußballchef und FIFA-Vizepräsident.

Was Havelange, Hayatou und Diack eint ist die unverbrüchliche Nähe zum Franzosen Jean-Marie Weber, jenem Mann, der über Jahrzehnte das ISL-Schmiergeld verteilt hat, meist in Bar. Weber feiert alljährlich im Mai mit Havelange dessen Geburtstag in Zürich. Weber arbeitet für Hayatous afrikanischen Verband CAF und für Diacks IAAF. Er taucht bei allen großen Sportterminen auf und ging bis vor kurzem auch im IOC-Hauptquartier ein und aus. Vor sechs Jahren hatte Blatters Anwalt für Weber einen weiteren Korruptionsverdunklungsvertrag geschlossen, um die Namen der bestochenen Funktionäre geheim zu halten. Dafür flossen 2,5 Millionen an den ISL-Konkursverwalter – wahrscheinlich haben Havelange und Teixeira bezahlt.

Nach Informationen des Deutschlandfunks wird das IOC Hayatou und Diack nun verwarnen. Gegen Havelange, der viele Millionen mit Teixeira und einmal 1,5 Millionen allein erhalten hat, soll der Ausschluss verfügt werden. Ein solches Votum wäre geradezu ungeheuerlich in dieser Branche. Zumal die Olympischen Sommerspiele 2016 im Joao-Havelange-Stadion in Rio de Janeiro eröffnet werden sollen, zur Feier des 100. Geburtstages von Havelange – so hatte es der damalige Staatspräsident Lula versprochen, als Rio vor zwei Jahren die Spiele erhielt.

Wie schon in anderen Fällen – etwa beim Mexikaner Ruben Acosta oder beim Koreaner Kim Un Yong oder kürzlich in der FIFA beim Vizepräsidenten Jack Warner – wird Havelange wohl eine goldene Brücke gebaut. Es wird erwartet, dass er seinen Rücktritt aus dem IOC bekannt gibt. IOC-Präsident Jacques Rogge wird dazu am Donnerstag in Lausanne Stellung beziehen.

Auszug aus den Bestechungs-Unterlagen

Das entscheidende Dokument gegen Havelange ist eine Zahlung von 1,5 Millionen Franken, die am 3. März 1997 irrtümlich auf einem FIFA-Konto landete – und von dort auf sein Privatkonto weiter geleitet wurde. Ein dreiviertel Jahr zuvor hatte die FIFA die WM-Fernsehverträge 2006 und 2010 2002 und 2006 unter dubiosen Umständen für 2,8 Milliarden Franken an die ISL-Gruppe und den Münchner Mogul Leo Kirch verkauft. Bei dieser Vergabe hat der damalige Generalsekretär Blatter ebenfalls eine zwielichtige Rolle gespielt. Blatter soll dann auch den Transfer der Havelange-Million angeordnet haben – was er stets bestritt.

Insofern könnte das Verdikt – oder der Deal: Rücktritt statt Rausschmiss – im Fall Havelange auch Folgen für Blatter haben. Denn der FIFA-Präsident ist selbst IOC-Mitglied – nun müsste eigentlich ein Verfahren gegen ihn eröffnet werden.

Es bleibt spannend in diesem Krimi. Denn da Blatter sich von den alten Kameraden und Ganoven um Teixeira, Havelange, Grondona, Makudi und von anderen trennen will und sich allen Ernstes als Reformer der FIFA verkauft, sinnen die auf Rache. Die Folgen sind unabsehbar.

Oh Gott, was haben gerade englische Journalisten Andrew Jennings vor einem Jahr mit Spott und Hass überzogen, nach dieser neuerlichen BBC-Panaroma-Sendung zur FIFA und zum ISL-Bestechungssystem. „Ein Fall für den History Channel“, so lästerten nicht nur die englischen WM-Bewerber, auch Journalisten.

History Channel?

Ich sage es erneut: So ein Unsinn.

Das ISL-Korruptionssystem ist Gegenwart. Und Zukunft. Viele Figuren sind noch in Amt und Würden.

Andrew Jennings hatte zum Wochenende dem Independent diesen Text angeboten, ich weiß nicht, ob der gedruckt wurde – in Teilen, dem Havelange-Rücktritt, sind auch diese Zeilen nun überholt:

Will IOC condemn FIFA corruption?

Sepp Blatter’s tottering leadership of FIFA is likely to take another knock on Thursday evening when the International Olympic Committee announces its verdicts on the biggest corruption scandal to blight world sport.

For the past 11 months the IOC’s Ethics Commission has investigated allegations that senior FIFA officials – also IOC members – took kickbacks from a company awarded exclusive World Cup marketing contracts.

On Thursday afternoon in Lausanne IOC President Rogge and his 14-member Executive Board will go into camera to discuss the revelations in a BBC Panorama programme in November last year.

In the frame are former FIFA president Joao Havelange, current president Sepp Blatter and vice-president Issa Hayatou, boss of African football. Also accused is world athletics chief Lamine Diack who first denied taking $41,000, mostly in cash but has recently claimed the money was a gift when his house burned down.

After negotiating protection for their sources, BBC producers handed over a list of 175 bribes totalling an astonishing $100 million paid by the Swiss ISL marketing company. The identities of many recipients were hidden behind Liechtenstein front companies but occasionally officials took money direct. Issa Hayatou who heads African football and named for taking $30,000 in cash claims it was for his confederation’s 40th birthday party.

The IOC’s Ethics commission has eight members, four from outside the organisation. They initiate their own investigations and approached Panorama the day after transmission asking for the bribes evidence.

FIFA’s in-house ethics committee, appointed by Blatter and headed by former Swiss footballer Claudio Sulser, is only permitted to investigate issues chosen by Blatter or his general secretary Jerome Valcke. Last autumn Sulser dismissed the ISL bribes as ‘historic’ and snubbed suggestions they should be investigated.

Sulser looked away when two other members of FIFA’s ruling executive committee – not IOC members – were revealed taking ISL bribes. Paraguay’s Nicolas Leoz was accused in a Swiss court in 2008 and again in the Panorama file of taking $730,000.

Ricardo Teixeira from Brazil was accused by Panorama of pocketing $9.5 million. Again, Blatter refuses to act but Brazilian Federal police are investigating money-laundering and tax evasion and Teixeira is under pressure by the Brazilian government to quit as head of the 2014 World Cup organising committee.

Teixeira’s former father-in-law Joao Havelange, Blatter’s predecessor as FIFA president, is alleged to be the “JH” named in the list as taking 1.5 million Swiss francs on March 3, 1997 – worth about $1 million.

If Havelange is sanctioned then Blatter, also an IOC member, will be in jeopardy. An earlier Panorama programme in June 2006 revealed that this payment was sent by mistake to FIFA and that after Blatter forwarded it to a Havelange account he tried, unsuccessfully, to persuade FIFA’s bankers to erase the transaction. Blatter has refused to comment.

Sources at FIFA say that Blatter’s handling the Havelange bribe was probed by Swiss Investigating Magistrate Thomas Hildbrand in his lengthy inquiry into FIFA and the ISL bribes. Last year Blatter and two other FIFA officials signed a confidential settlement with Hildbrand in which 5.5 million was repaid to FIFA. A Panorama programme in May this year claimed the other officials were Teixeira and Havelange.

The BBC and Swiss media are asking the courts to order publication of the settlement document. The public prosecutor is supporting disclosure stating it is in the public interest. Blatter, Teixeira and Havelange are objecting but are expected to lose in the Swiss federal court in 12 month’s time.

Blatter has had his own copy of the settlement since May last year and could publish at any time. But he prevaricates claiming that it is legally complex and must be examined by an ‘independent expert.’

A further mystery surrounds bribes to FIFA officials paid through various ISL slush funds. One named Sicuretta, managed by Swiss lawyer Guido Renggli (correct), handed more than £3 million in cash to ISL director Jean-Marie Weber, known as ‘The Bagman’ and a longtime friend of President Blatter.

Mr Ringgli declined to tell investigator Thomas Hildbrand who got this cash – but did mention that Mr Weber took him to the World Cup in France in 1998 and introduced him to Blatter. Weber says it is ‘a matter of honour’ not to reveal who he bribed.

The IOC has declared Weber persona non grata but he is still welcome at FIFA and Issa Hayatou has appointed him a consultant to the African Football Confederation.

Any IOC findings implicating FIFA officials in corruption will cast new doubt over the decisions to give the 2018 World Cup to Russia and the 2022 tournament to Qatar.

17 Gedanken zu „IOC-Doyen und FIFA-Patron João Havelange tritt zurück, weil er nicht rausgeschmissen werden will“

  1. Pingback: Fifa-Ehrenpräsident tritt zurück : Nation of Swine

  2. Hui, da kann einem ja ganz schön schwindelig werden in diesem Karussell. Und wenn es weiter an Fahrt aufnimmt werden noch etlich Personen hinausgeschleudert (zu Recht!).

    @JW: Sie sind nicht zu beneiden, Arbeit gibt es nun wohl genug…

    PS: Danke für die gute Berichterstattung!!!

  3. ftd:

    Der Brasilianer kam mit seinem Rückzug … dem drohenden Rauswurf aus der Ringe-Organisation zuvor. Auch die Ergebnisse der Untersuchungen gegen ihn werden nun nicht veröffentlicht.

    Warum ist sein Rücktritt eigentlich ein Grund, die Untersuchungsergebnisse nicht zu veröffentlichen? Diese Logik erschließt sich mir nicht.

  4. Wenn das so stimmen sollte, wie dpa behauptet, dann hätte Rogge einen Deal mit Havelange gemacht. Das wäre ein weiterer Skandal.

    Die IOC-Ethikkommission funktioniert gewiss besser als die der FIFA, nur hat auch die IOC-EK einen intransparenten Hintergrund. So werden nicht alle Ermittlungsergebnisse bzw Verdikte veröffentlicht. Zum Beispiel.

    Es gibt zwei Dokumente, die herausgegeben werden müssen:

    a) Das Ermittlungsergebnis der IOC-EK. ggf inklusive des Handlungsvorschlages an das Exekutivkomitee

    b) Die Einstellungsverfügung vom Sommer 2010 in der ISL-Sache

    Nur auf Grundlage beider Dokumente kann man sich ein Bild machen und weiß u.a. wer welche anderen Unterlagen zur Verfügung hatte und weiß überhaupt erst, auf welcher Grundlage verhandelt wurde.

    Nachdem, was ich heute Abend so höre, ist morgen vielleicht sogar was von der FIFA zu erwarten. Unter Druck in die Offensive? We’ll see.

  5. JW für SpOn: Havelange-Rücktritt wird für Blatter zur Gefahr

    Gemäß Aussagen ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter ordnete Blatter als damaliger Generalsekretär an, die Summe unverzüglich auf Havelanges Privatkonto weiterzuleiten. Blatter bestreitet dies bis heute. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wird dieser Vorgang indes in der ISL-Einstellungsverfügung erwähnt.
    […]
    Wenn der Transfer dieser 1,5 Millionen Franken beschrieben wird, dann müsste, wenn die Aussagen der Mitarbeiter stimmen sollten, unweigerlich ein weiteres Verfahren eröffnet werden: gegen das IOC-Mitglied Joseph Blatter.

  6. @ Torsten # 7: Mir sind leider drei Flüchtigkeitsfehler unterlaufen – einen davon hat das Rechtschreibprogramm eingebaut. Zwei habe ich gestern bereits korrigiert – Du hast einen gefunden, der auch gleich korrigiert wird.

    Ich ärgere mich am meisten darüber.

    Natürlich weiß ich, dass er im Mai 1916 geboren wurde. Ich weiß auch, weil tausendmal von mir beschrieben, dass die ISL und Kirch die WM-TV-Rechte 2002 und 2006 hatten (nicht 2006 und 2010). Und dass die Firma Renford heißt – das Schreibprogramm änderte selbständig

  7. Pingback: Kontrastprogramm zur Blatter-FIFA-Propaganda powered by Bild: Andrew Jennings vor dem Europarat : jens weinreich

  8. Deal or no deal?

    Asked whether his resignation two days before the IOC discussed the ethics commission report was an indirect admission of guilt by Havelange, Rogge said that was just speculation.

    „I am not going to comment on what is purely speculation. João Havelange already had missed other meetings, in the [IOC] session [in July] he was not there either, he missed major meetings of Fifa.

    „For me the resignation is one based on health and age,“ he said, adding that any probe into Havelange was now closed as far as the IOC was concerned.

    „Mr Havelange will not be an IOC member any more. Investigations only apply to IOC members. So as Mr Havelange will stop to be an IOC member there will not be an investigation into him as he is a private citizen.“

    Guardian: IOC drop corruption probe into former Fifa boss João Havelange

  9. Pingback: Jacques Rogge sagt: “reports are confidential” und “a warning is not a sanction” : jens weinreich

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