Ich gestehe meine Schwäche für Ranglisten jeder Art. Zumal wenn The One an Only an der Spitze steht. Sepp, meinLieblingsfunktionär. Die Zeitschrift BusinessWeek veröffentlichte vor einer Woche eine Rangliste der „25 Most Powerful Global Sport Figures“. Da wird Sepp der Baumeister bestimmt sehr stolz drauf sein: Mit gelbem Helm auf Rang eins. Und dann nennen die ihn auch noch „Emperor of the World Cup“. Ein Schritt mehr ist getan auf dem Weg zum Friedensnobelpreis, denn der soll es schon sein. Congratulations!
Ich weiß ja auch nicht, wie er und seine Pappenheimer – seine Berater, PR-Herolde und Lobbyisten – das wieder hingekriegt haben. Die Kategorien dieser Rangliste erschließen sich mir genau so wenig wie manche Namen. Aber darum geht es ja nicht bei derartigen Spielereien, die – gut getimt – durchaus Wirkung entfalten können.
BusinessWeek: 25 Most Powerful Global Sport Figures (Oktober 2008)
Joseph Blatter (Fifa-Präsident)
Jacques Rogge (IOC-Präsident)
Bernie Ecclestone (CEO und Prasident, Formula One)
Angeblich soll jetzt alles ganz schnell gehen. Nachrichtenagenturen – AP, dpa – berufen sich auf IOC-Sprecherin Emmanuelle Moreau und melden, das Internationale Olympische Komitee (IOC) wolle die eingefrorenen Dopingproben von Peking nachuntersuchen lassen. So plötzlich? Nachdem man doch die ganze Zeit geblockt hat und auch keine hilfreichen Aussagen zu den eingefrorenen Proben treffen wollte, außer den Beteuerungen, man werde alles perfekt sichern, wie es mir IOC-Medizindirektor Patrick Schamasch in Peking gesagt hat.
AP meldet zunächst:
The International Olympic Committee will retest doping samples from the Beijing Games to check for traces of a new blood-boosting drug. The unprecedented move, announced Wednesday, is designed to search for a banned substance that was only recently detected during retesting of samples from the Tour de France. The Beijing samples — across all sports — are being sent to the World Anti-Doping Agency accredited laboratory in Lausanne, IOC spokeswoman Emmanuelle Moreau said. The IOC conducted more than 5,000 drug tests during the Beijing Games. It wasn’t immediately clear how many of the samples will be retested.
„Diese Untersuchungen betreffen alle Sportarten und beinhalten speziell auch die Substanz CERA“, erklärte IOC-Sprecherin Emmanuelle Moreau am Mittwoch. Der Zeitpunkt der Tests stehe noch nicht fest. Das IOC führte in Peking die Rekordzahl von mehr als 5000 Tests durch.
Da hat es jetzt offenbar jemand eilig. Bevor ich einige Fragen zu den angeblichen Blitz-Analysen aufwerfe, flink noch ein kurzer Rückblick und ein Interview mit Wilhelm Schänzer. Zu den Proben habe ich vor einem Monat einen Beitrag für den Deutschlandfunk verfasst:
Dopingbekämpfung ist auch ein Glaubenskampf. Die einen, internationale Sportorganisationen unter Führung des IOC, behaupten, sie würden alles gegen Doping unternehmen. Doch in der kritischen Öffentlichkeit wachsen die Zweifel daran, was sich den Peking-Spielen an zwei unabhängigen Meinungsumfragen in Deutschland belegen ließ: Nur eine Minderheit der Deutschen glaubt, dass die Wunderleistungen von Peking sauber erzielt worden sind.
Zweifel wachsen auch deshalb, weil IOC-Präsident Jacques Rogge immer wieder die Mehrfach-Olympiasieger und Serien-Weltrekordler Michael Phelps und Usain Bolt als „Ikonen dieser Spiele“ gerühmt hat. Ausgerechnet jene Athleten also, deren Leistungen am heftigsten bezweifelt wurden. Hinter deren Leistungen die größten Fragezeichen stehen.
Welches Interesse sollte das IOC daran haben, möglicherweise nachträglich seine eigenen Ikonen zu stürzen?
Das IOC hat versprochen, die mehr als 5000 in Peking genommenen Urin- und Blutproben acht Jahre lang sachgemäß zu lagern und für künftige Analysen bereit zu halten – wann immer die Analytiker neue Nachweisverfahren entwickelt haben, wann immer Dopingmittel und Methoden bekannt und aufspürbar sind, die während der Peking-Spiele noch nicht zu detektieren waren.
Das ist das Versprechen. „Das wirkt abschreckend“, sagt Jacques Rogge.
Patrick Schamasch, der IOC-Medizindirektor, hat schon in Peking jeden Zweifel an der Lauterkeit dieses Versprechens bekämpft. Er sagte: Sämtliche Proben würden binnen drei Wochen ausgeflogen und an einen geheimen Ort gebracht. Die Auslagerung der Proben stelle höchste logistische Anforderungen. Die Urin- und Blutproben müssen gut gekühlt in Spezialbehältern transportiert werden. Alles muss zügig ablaufen, um die Proben nicht zu beschädigen. Dies impliziert allerdings auch, dass es vielfältige Manipulationsmöglichkeiten geben könnte.
Schamasch entgegnete darauf: „Die Proben sind hundertprozentig sicher. Ich garantiere es.“
Einen Beweis dafür gibt es allerdings nicht. Es liegen keinerlei Informationen vor, die das Versprechen des IOC bestätigen könnten. Die Öffentlichkeit hat keine Möglichkeit, die Olympier zu überprüfen. Dem IOC gehören die Olympischen Spiele. Dem IOC gehören auch die eingefrorenen Proben. Die Weltantidopingagentur Wada ist nur Beobachter.
Bei vergangenen Olympischen Spielen sind auf mysteriöse Weise zahlreiche positive Proben verschwunden – etwa 1984 in Los Angeles. Andere positive Proben – etwa 1980 in Moskau – wurden erst gar nicht als solche analysiert. Die Fälle wurden nie aufgeklärt.
Seit den Sommerspielen 2004 in Athen werden die Proben acht Jahre aufbewahrt. Einen peinlichen Fehler gab es gleich zu Beginn: Dem Amerikaner Tyler Hamilton, dem langjährigen Gehilfen von Lance Armstrong und Olympiasieger im Einzelzeitfahren, wurde Blutdoping nachgewiesen – aber nur in der A-Probe.
Die B-Probe konnte wegen unsachgemäßer Lagerung nicht verwendet werden: Vollblut und Blutplasma waren im selben Container eingefroren worden. Der Doper Tyler Hamilton bleibt also Olympiasieger.
Ein Fehler, der sich nicht wiederholen soll, verspricht IOC-Kommunikationsdirektorin Giselle Davies. Es ist eines von vielen Versprechen.
Dazu auch ein Beitrag auf von Fred Kowasch auf interpool.tv und ein Interview von Jessica Sturmberg im DLF mit dem Kölner Laborchef Wilhelm Schänzer über Langzeitlagerungen, eingefrorenes Serum und die Fehler im Fall Tyler Hamilton:
Einerseits ist das ja schlagzeilenträchtig, die Proben jetzt schon zu analysieren, da das Radbusiness seit Montag (Schumacher & Co.) wieder in Aufruhr ist. Andererseits ergeben sich gerade aus dieser Nachanalyse der Dopingproben bei der Tour de France jede Menge Fragen:
Achtung, dies wird ein hundsgemein langer Blogeintrag, der hätte schon längst geschrieben werden müssen. Das Thema rechtfertigt die Länge: Der freie Journalist Erik Eggers ärgert seit einem Jahr die Funktionäre des Handball-Weltverbandes IHF gewaltig, allen voran Hassan Moustafa, den ägyptischen Präsidenten. Natürlich auch den kuwaitischen Scheich Ahmed Al-Fahad Al-Ahmed Al-Sabah, den „Freund und Kollegen“ des DOSB-Präsidenten (hier im Blog UDIOCM genannt), der es immerhin in die Siemens-Akten gebracht hat.
„Lieber Uli, Du wirst Dich erinnern, dass wir […] über die noch ausstehende Zahlung von 40.000 $ an Russland gesprochen haben.“
Das also ist die jüngste Geschichte:
Bestechung auf Pump
veröffentlicht am 29. September 2008 u. a. in der Frankfurter Rundschau
Der Deutsche Handball-Bund versuchte 2002 vergeblich, die WM 2005 zu kaufen
Der Plan klang gut: vier großen Handballern sollte ein denkwürdiger Abschied vor eigenem Publikum bereitet werden: Stefan Kretzschmar, Christian Schwarzer, Klaus-Dieter Petersen und Volker Zerbe. Als die Funktionäre des Deutschen Handball-Bundes (DHB) und Bundestrainer Heiner Brand im November 2002 zum Kongress der Internationalen Handball-Föderation (IHF) nach St. Petersburg flogen, um die WM 2005 nach Deutschland zu holen, war DHB-Boss Ulrich Strombach noch zuversichtlich. Er habe ein „sehr, sehr gutes Gefühl“, sagte der Anwalt aus Gummersbach.
Heraus kam bekanntlich eine sensationelle 44:46-Abstimmungsniederlage gegen Tunesien, und Strombach schimpfte öffentlich auf gekaufte „Stimmkartelle“, die IHF-Präsident Hassan Moustafa organisiert habe. Moustafa sei für ihn ein „toter Mann“, wütete Strombach, er forderte „größere Transparenz“ und sprach sogar über einen WM-Boykott. Erst als der DHB zwei Jahre später die WM 2007 erhielt, geriet die Episode in Vergessenheit.
Nun holt ihn diese Geschichte wieder ein. Nach Informationen des NDR-Sportclubs und der Frankfurter Rundschau hat die DHB-Führung damals für 50.000 US-Dollar die WM kaufen wollen. Wie DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier und DHB-Schatzmeister Wolfgang Gremmel bestätigten, hatte der Handballbund dem favorisierten Mitbewerber aus Russland vor dem entscheidenden Wahlgang diese Summe für einen Rückzug versprochen. Die Russen schlugen ein.
Als aber der DHB die Wahl dennoch verlor, weil die Tunesier offensichtlich ebenfalls bestochen hatten, war das Dilemma groß. Denn nun musste der DHB für die 50.000 Dollar aufkommen, die eigentlich ein WM-Sponsor aus der Wirtschaft hatte zahlen wollen. Die Zwangslage bestand darin, berichtet Gremmel, dass der versuchte WM-Kauf ein Alleingang der DHB-Spitze gewesen war – ohne die Gremien zu informieren. Kenntnis hatten laut Gremmel DHB-Präsident Strombach, Bredemeier und er selbst. „Ich als Schatzmeister musste das doch verbuchen“, sagt er. Strombach will derzeit keine Stellung nehmen.
Achtung, es wird kompliziert. Unmittelbar vor dem Auftakt desProzesses gegen den früheren Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer und dessen dubiosen Geschäftspartner Wilhelm Schelsky gibt es auch Neues vom UDIOCM. „Siemens-Affäre: IOC-Vize Bach und CDU-Abgeordneter Adam in Erklärungsnot“, titelt Spiegel Online. Im Beitrag heißt es, das UDIOCM (unpolitischstes deutsches IOC-Mitglied) betreffend:
Auch IOC-Vizepräsident Bach, der auf Schelskys Vermittlung einen mit 400.000 Mark dotierten Beratervertrag mit Siemens hatte, gerät in Erklärungsnot. Der Wirtschaftsanwalt hatte gegenüber dem SPIEGEL behauptet, er habe stets strikt zwischen seinen „geschäftlichen Tätigkeiten“ und seinen „ehrenamtlichen Funktionen im Sport“ getrennt.
Eine E-Mail vom 31. Januar 2005, die Bach an den Siemens-Vorstand Rudi Lamprecht schickte, liest sich dagegen anders. Damals bemühte sich Siemens darum, Kuwait als Großinvestor zu gewinnen, und Bach meldete, sein „Freund und Kollege, Energieminister Scheich Ahmed al-Sabah“, sei derzeit für eine vertrauliche Anfrage zum Stand der Verhandlungen schwer erreichbar. […]
Declan Hill hat die Vermarktungsmaschine für sein neues Buch angeworfen. ImSpiegel hat er sich bereits geäußert, heute Abend ist er bei Beckmann. „How to fix a soccer game“ heißt die Webseite, das Buch heißt: „The Fix: soccer and organized crime“, deutsch bei KiWi: „Sichere Siege“. Die Geschichte über sein Treffen mit einem Wettpaten in Thailand, der erzählte, er verschiebe gerade ein Bundesligamatch, gibt Hill seit etwa einem Jahr zum besten. Er wird das auch im Fernsehen wieder sehr überzeugend tun. Er kann das, auch wenn seine Geschichten mitunter zu perfekt klingen. Zuletzt habe ich bei Play the Game im vergangenen Oktober in Reykjavik einen Workshop mit Declan Hill und dem indischen Kollegen Murali Krishnan geleitet.
Unabhängig von den Tricks der Wettmafia, die nur mit großem kriminalistischen Aufwand nachzuweisen sind, finde ich die verschiedenen statistischen Ansätze interessant, mit denen Hill und italienische Wissenschaftler anhand der Charakteristik von Fußballspielen Manipulationen aufspüren wollen. Dazu habe ich im Januar ein Stücklein für den Deutschlandfunk produziert, nichts besonderes, nur ein kleiner Überblick:
11.38: Es regnet in Peking. Und wie. Sehr schön, das bringt Abkühlung nach all den heißen Vorführungen. Pekings Busfahrer aber haben kein Erbarmen. Sie drehen die Heizung auf wie im tiefsten mandschurischen Winter. Komme also gut durchgegart ins MPC.
12.17: Nimmt denn das kein Ende? Natürlich nicht. Diesmal schimpft die Potsdamer Geherin Melanie Seeger über die olympischen Zustände. Laut Deutscher Presse-Agentur Im Fernsehinterview sagt sie nach ihrem 23. Platz über 20 Kilometer:
„Ich habe hier das unfairste Rennen meiner Karriere erlebt. Die Spitze kann Zeiten gehen, da können wir trainieren, so viel wir wollen. Ich kann es nicht fassen. Das ist einfach nur traurig. Ich hoffe, dass die große Bombe platzt und wir unsere Chance bekommen.“
Die Siegerin Olga Kaniskina aus Russland komme „aus einer Trainingsgruppe, wo die Hälfte gedopt ist“. Was wird wohl das jüngste deutsche IOC-Mitglied dazu sagen, der DOSB-Präsident, der diese Spiele doch quasi als größte kulturelle Errungenschaft seit Errichtung der Pyramiden preist.
12.41: Auf Wunsch eines einsamen Lesers: Ein Zahnspangenfoto. Ist zwar nur vom Monitor im Stadion abgeknipst, aber egal. Das ist Shelly-Ann Fraser. Trügerisch.
16.20: Ich muss mir was einfallen lassen. Kann denjenigen, der hier im Blog nur „jüngstes deutsches IOC-Mitglied“ genannt wird, nicht mehr so bezeichnen. Denn am Wochenende wird Claudia Bokel für acht Jahre vereidigt im IOC. Sie zieht als Athletensprecherin ein, bekam die drittmeisten Stimmen. Die IOC-Öffentlichkeitsarbeiter sind leider so lahm und unprofessionell, dass ich nicht auf eine Pressemeldung auf der IOC-Webseite verlinken kann. Nun ist also Claudia Bokel das jüngste deutsche IOC-Mitglied. Ich könnte sie künftig „die Fechterin“ nennen oder auch Claudia Bokel. Ihren Vorgänger könnte ich als „denFechter“ bezeichnen. Mal sehen. Wir werden alle miteinander noch viel Spaß haben. Versprochen. Das hier ist Anita Defrantz (USA) mit dem Ergebnis der Athletenwahlen:
16.25: Wieder mal ein Link zu meinem Lieblingsprofessor Gunter Gebauer. Wer rechts oben die Suchfunktion benutzen sollte, kann zwei, drei Beiträge zu ihm finden, auch ein DLF-Gespräch, an dem ich kürzlich teilnehmen durfte. Heute äußert sich Gebauer im FAZ-Gespräch „Peking zeigt: traut euren Augen nicht“ u. a. zu Usain Bolt:
Was Bolt gemacht hat, ist kein Falschspiel. Das ist der Hinweis darauf, dass er in eine neue Sphäre entrückt ist, aufgestiegen in etwas Übermenschliches. Dann haben wir den perfekten Homunculus, der weit über das hinaus geht, was Phelps uns zeigt. Bei ihm kann man Anzüge und Wenden heranziehen. Und: Phelps hatte seine leibhafte Mutter dabei. Als Philosoph interpretiere ich das als seinen Beweis, dass er ein normaler Mensch ist. Er ist aus diesem Mutterbauch hervorgegangen, er hat eine füllige Mutter und zwei stämmige Schwestern, das ist seine wirkliche Herkunft, sein biologischer Stammbaum. Der ist bei Bolt nicht mehr zu erkennen.
16.40: Und noch ein Zitat. Nicht, dass ich ihn vergessen: Juan Antonio Samaranch, Architekt der Peking-Spiele. Er sagte dem chinesischen Staatsfernsehen, die Peking-Spiele seien „die erfolgreichsten aller Zeiten“ (das sagt er seit hundert Jahren eigentlich allen Ausrichtern, das haben IOC-Leute auch mal Hitler gesagt). „Und das ist nicht nur meine Meinung, sondern die Meinung der der internationalen Presse und der Mehrheit der IOC-Funktionäre.“ Und Amen.
19.29: Heute etwa mal ohne Zahnspange? Gold für Jamaika, nichts Neues, diesmal Veronica Campbell-Brown über 200 Meter, wie schon 2004. 21,74 Sekunden – in der olympischen Geschichte war nur Flo-Jo schneller, 1988. Campbell-Brown ist jetzt so schnell wie: Griffith-Joyner, Jones, Ottey, Koch, Drechsler, Jackson, Torrence, Göhr, Gladisch – noch Fragen? Auch Bronze geht an Jamaika, an Kerron Stewart. Silber für meine Favoritin, für Allyson Felix, die bei Flo-Jo’s Coach Bob Kersee trainiert. Kann man mal sehen, die Jamaikaner machen diesmal sogar den Amis etwas vor. Sie kriegen das einfach besser hin. Und während Usain Bolt sich gerade die Goldmedaille abholt bei der Siegerehrung, mache ich eine kleine Werbepause. Chicken legs mit Allyson.
17.12: Ja, es ist spät geworden heute mit der ersten Notiz. Das Problem: Habe vergangene Nacht sechs Stunden geschlafen. Das waren eindeutig zwei bis drei Stunden zu viel. Habe meinen Körper damit überfordert. So ein olympischer Reporterkörper mag keine längeren Ruhepausen. Denn er versetzt sich dann in einen heimtückischen Stand-by-Modus und arbeitet nicht mehr so, wie er eigentlich sollte. Da die drei Bänke hinter mir im MPC schon mit schlafenden Indern, Kenianern und Chinesen – wenn ich richtig nachgeschaut habe – besetzt waren, musste die Tischplatte herhalten. Die Kollegen L und H waren so gütig, mir je einen Kaffee zu spendieren. Werde gleich mit dem nächsten nachlegen. Mal sehen, ob der Motor dann noch stottert.
17.15: Solche Probleme hat Usain Bolt natürlich nicht. Der ist immer auf Betriebstemperatur. Wie sagte Tobias Unger laut Sport-Bild? „Im Zwischenlauf hat sich Bolt nicht mal warmgelaufen. Der kam in Badehose und Joggingschuhen, hat eine Steigerung und einen Start gemacht, seine Spikes angezogen und ist dann die 100 Meter in 9,92 Sekunden gejoggt.“
17.22: Sportjournalisten sind nicht nur gern Fans, gerade wird in einer Ecke wieder mächtig geklatscht und gejubelt, auch ihre Tischmanieren lassen zu wünschen übrig. Ich weiß, andere Kulturen, Sitten und Bräuche, ich muss das verstehen. Ja wirklich? Was hier im MPC ganz offen gerotzt, gerülpst und gefurzt wird, ist doch äußerst gewöhnungsbedürftig. Aber wenn halt die Kulturen so sind. Kann aber auch sein, dass ich nach drei Wochen ein bisschen überempfindlich geworden bin.
18.45: Ist schon ein paar Minuten alt, die Meldung: Ludmilla Blonska (Ukraine, Zweite im Siebenkampf) ist gedopt. Sie war schon 2003 erwischt und zwei Jahre gesperrt worden. Ich habe sie im Wettkampf und auf der Pressekonferenz aufmerksam beobachtet. Sah klar nach Doping aus, die Züge, der Körper, deutlich vermännlicht. Habe aber leider kein Foto gemacht für meine Sammlung. Tut mir leid, das so drastisch zu formulieren. Aber nicht ich bin der Doper, sondern nur der Bote. Was ich eigentlich sagen will: Ein Beweis mehr, dass der gesunde Menschenverstand eben doch kaum täuscht. Man muss die Show hier nur aufmerksam verfolgen. Victor Conte äußert sich übrigens auch wieder aus dem Off.
19.33: Live aus dem Stadion. Fünf Hammer sind in Folge in den Käfig geknallt, auch der von Gold-Betty. Sitze heute wieder Aisle 211, Row 8, Seat 08, diesmal sekundiert von Kollegen L. Aber mir winkt ja eh niemand zu. Wer’s mag, Lektüre, mein Russen-Text in der SZ: „Ein Desaster. Schlecht. Unglaublich.“
19.37: Bald läuft der Handyman. Wird er oder wird er nicht, das ist hier die Frage. Hat er Bock auf Weltrekord?
12.35: Chinas Hürdenstar Liu Xiang gibt wegen einer Achillessehnenverletzung auf. Volunteers im Schockzustand. Dramatische Pressekonferenz mit weinendem Trainer, der vor den Spielen gesagt hat, dass für die Sportherrscher hier nur eins zählt: Gold. Davon haben die Chinesen übrigens schon 35.
13.10: Zum Thema Sportjournalisten in China, um das es hier ja auch gehen soll (und wozu bereits so viele Anmerkungen gemacht wurden, dass ich die unmöglich alle verlinken kann), schreibt Wolfgang Hettfleisch, der Kollege H, der gestern leicht genervt und malariageplagt von der Ruderstrecke kam, in der Frankfurter Rundschau u. a.:
Ich will das alles nicht. Hatte ich das schon gesagt? Keine Journalisten mehr, die sich als Fans gerieren, oder Fans, die sich als Journalisten tarnen. Noch ist unklar, um welche der beiden Spezies es sich in den angeblich so streng kontrollierten Arbeitsbereichen für die Medien tatsächlich handelt. Keine Pressetribünen, auf denen die Landsleute der Sieger in Ekstase ausbrechen. Keinen spontanen Applaus in Pressekonferenzen. Keine Fragen wie diese an die ersten vier chinesischen Olympiasiegerinnen der Rudergeschichte: „Sie sind solche attraktiven jungen Frauen, interessieren Sie sich eigentlich für Mode?“ Oder die: „Ich möchte Ihnen recht herzlich zu Ihrem Erfolg gratulieren und würde gerne wissen, wie lange sie glauben, China auf ihrem weiteren Weg noch dienen zu können?“ (…) Alte Hasen hier sagen, solche Krisen seien wie Malaria. Sie gingen vorüber, könnten aber jederzeit wieder ausbrechen.
16.15: Und schon wieder wird weiter unten das Hauptthema dieser Tage, dieser Jahre, dieses Metabolitensports, dieser Freakshow überhaupt diskutiert: Was können wir glauben? Können wir überhaupt etwas glauben? Was und wie soll man darüber berichten, ohne sich für das eigene Produkt schämen zu müssen? Darüber habe ich in den vergangenen Wochen schon viel geschrieben. Es wurde immer wieder diskutiert. Je offensichtlicher aber die Freakshow wird, desto härter prallen die Ansichten aufeinander. James Tobin argumentiert mit Journalisten-Lehrbüchern, die ich nicht kenne. Ich kenne dafür andere. Kürzliche habe ich für die Journalismus-Zeitschrift Message ein Werkstattheft zum Sportjournalismus veröffentlicht, u. a. mit Interviews und Beiträgen von und mit Thomas Kistner, Andrew Jennings, Jens Sejer Andersen, Erik Eggers, Freddie Röckenhaus, Jean-François Tanda und einigen anderen Kollegen. Dabei auch ein kleiner Text zur Dopingberichterstattung, ganz banal und bewusst einfach gehalten – inklusive einer minimalen Checkliste für aktuelle Berichterstattung. Dies stelle ich nachfolgend zur Diskussion. Viel mehr dazu, u. a. auch auf Sportjournalismus-Konferenz im Februar in Dortmund basierend, gibt es unter www.sportnetzwerk.eu.
10.48: She did it again. „Das Lustige bei den 50 Metern ist, du hast keine Schmerzen“, sagt Britta Steffen. Was jetzt noch kommen kann? „Nichts. Urlaub.“ Dann überlegen. Analysieren. „Ich weiß noch nicht, ob es das Ende ist.“ Wenn, dann war es ein sehr schönes Ende.
12.10: Immer noch Wasserwürfel, Laptop auf den Knien, Notizbuch vor dem Bauch, Kamera zu Füßen, Aufnahmegerät arbeitsbereit auf dem Rucksack postiert. Ein schöner Job. Konnte gerade eine Woche im Zeitraffer passieren lassen: Pressekonferenz mit Britta Steffen, Gespräch mit Norbert Warnatzsch, PK mit Dara Torres (es flossen Tränen) – und in fünf Minuten kommt The Big M, der es tatsächlich geschafft hat. Acht Mal Gold. Beifall von den Reportern. Da kommt The Big M, die Legende. Und tatsächlich: Er atmet schwer durch. Die Australierin Leisel Jones hat übrigens gesagt, ihr Höhepunkt sei es hier gewesen, Michael Phelps beobachten zu dürfen. The Big M sagt gerade, er sei sprachlos. Dann erzählt er trotzdem, wie es so war im Pool und überhaupt.
10.45: Bin noch da. Aber heute keine Posts und kein Live-Blog vom Schwimmen. Treibe mich in der Mixed Zone rum. Gerade bei Britta Steffen. Jetzt mal die beiden Chinesinnen angucken, die gerade über 200 Schmetterling gewonnen haben. Und natürlich 100 Kraul.
Mir fällt auf, als ich gerade Bernard sehe und vorhin bei der Siegerehrung einen anderen Franzosen, der Dritter über 200 Brust wurde, dass die alle dieselbe Kopfform haben: Sehr schmal und viel zu klein im Vergleich zum mächtigen Körper, abstehende Ohren und unregelmäßigen Zahnstand mit relativ großen Lücken. Sind die alle miteinander verwandt?
10.50: Tut mir leid, das so zu formulieren: Aber, Scheiße, ausgerechnet das Monster gewinnt. Bernard. Ich glaube dem kein Wort.
11.25: Mixed Zone: Großer Jubel unter den Franzosen, unter Journalisten. Sie lieben ihren Koloss von Antibes. Sie sind Fans. Sie klatschen sich sogar gegenseitig ab, untereinander und mit Bernard.
Nachtrag: Ich stelle jetzt alle Texte rein, die ich aus Peking über Phelps geschrieben habe. Vieles wiederholt sich, ist bei einer solchen Serienberichterstattung auch logisch, zumal es sich um Beiträge für verschiedene Kunden handelt. Korrigiert wurden nur die gröbsten sachlichen und sprachlichen Unstimmigkeiten. Habe keine Zeit, Links zu setzen.