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Das Milliardenspiel

Fußball, Geld und Medien

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Fischer Taschenbuch Verlag
März 1998
mit Thomas Kistner
NEU im Shop: pdf-Version

Lob & Tadel

Der Spiegel
23. März 1998

spiegel1998milliardenspielkl.jpgDetailgenau zeichnen die Autoren zum Beispiel den größten und umstrittensten Lizenzhandel der Sportgeschichte nach, bei dem sich der Medienmogul Leo Kirch und die Luzerner Agentur ISL für 3,4 Milliarden Mark die Fernsehrechte der WM-Turniere 2002 und 2006 schnappten. Andere Unternehmen fühlen sich durch den Deal düpiert. So hatte der Vermarktungskonzern IMG über Monate versucht, bei der Fifa die Bedingungen der Rechtevergabe zu erfahren. Blatters Antworten, wenn sie überhaupt kamen, blieben stets vage, zuweilen waren sie widersprüchlich. Mit jedem Brief, den IMG-Vize Eric Drossart in die Verbandszentrale nach Zürich schickte, wurde der Ton rauher. ‚Es fällt mir schwer zu glauben, daß die Fifa aufrichtig versucht, unser Angebot in einem fairen Wettbewerb zu behandeln‘, befand Drossart. Den Zuschlag erhielten ISL/Kirch in einem Handstreich. Als Tagesordnungspunkt 3.1 der Sitzung des Exekutivkomitees war ein ‚Bericht der Finanzkommission über die Vergabe der Fernsehrechte‘ angekündigt. Abgestimmt werden sollte erst sechs Monate später. Doch Havelange überfuhr das Gremium, plötzlich drängte er auf ein Votum. Neun Mitglieder beugten sich dem Patriarchen, drei enthielten sich, sechs waren dagegen – der Milliardendeal war beschlossen. Während Drossart seit diesem Procedere glaubt, daß ‚Schlüsselfiguren der Fifa‘ ihre Fürsorgepflicht verletzten, ‚indem sie Wettbewerber abschrecken‘, werfen die ausgebooteten öffentlich-rechtlichen Sender der Fifa sogar Manipulationen vor: Jean-Bernard Munch, Generalsekretär der European Broadcasting Union (EBU), hegt den Verdacht, daß ISL und Kirch das EBU-Angebot kannten, bevor sie es um 600 Millionen Schweizer Franken überboten. Gegner von Havelange verbreiten, warum er den Verkauf an ISL/Kirch so forciert habe: Der Fifa-Grande müsse, argwöhnen sie, bei dem Geschäft in irgendeiner Form profitiert haben. Beweise gibt es nicht, derlei Mutmaßungen gründen sich vor allem auf die Vita Havelanges, die sich wie eine gegen Skrupel weitgehend immune Chronique scandaleuse liest.

Facts
26. März 1998

Jean Marie Faustin Godefroid Havelange wird als Günstling der brasilianischen und bolivianischen Militärjunta beschrieben, als Waffenschieber, Profiteur illegalen Glücksspiels sowie als eitler Schacherer von Titeln, Orden und Ehrenmitgliedschaften. Schon seinen Wahlkampf 1974 gegen den Fifa-Präsidenten Sir Stanley Rous focht der Grandseigneur im ihm eigenen, unverfrorenen Stil. (…) Havelange wurde gewählt. Die Fifa-Ära luscher Geschäfte und Günstlingswirtschaft begann. Das fiel nach ein paar Jahren auch dem damaligen Generalsekretär Helmut Käser auf. Ende der siebziger Jahre schwante dem Schweizer ein dubioser Deal Havelanges mit dem Adidas-Chef Horst Dassler. Der 1987 verstorbene Deutsche war damals der mächtigste Drahtzieher hinter den Kulissen des Weltfussballs. Der visionäre Sporttycoon sicherte sich die Marketingrechte für die WM 1982 in Spanien, obwohl die Fifa einen Vertrag mit einer anderen Agentur abgeschlossen hatte. Käser warf Havelange vor, er habe dafür eine Million Dollar kassiert. Die Fifa-Luft wurde freilich nur für den renitenten Käser dünner. Havelange hatte bereits einen Nachfolger im Visier: Joseph Blatter. Der Ökonom hatte bei Swiss-Time-Longines als Direktor für PR und Sport gearbeitet, als ihn Havelange 1975 zur Fifa lotste. Er ordnete den Neuling vorerst in Dasslers elsässische Firmenzentrale Landersheim ab, um Blatter in deren Marketingstrategien einzuweihen. Erst kürzlich enthüllte der Adidas-Konzernchef Robert Louis-Dreyfus, Blatter sei damals von Adidas entlöhnt worden. 1981 wurde Käser handstreichartig abgesetzt. Joseph Blatter, der seinem Namen bald ein schmuckes S einfügte, wurde sein Nachfolger – und heiratete auch noch dessen Tochter Barbara, was dem altgedienten Generalsekretär die Tränen in die Augen getrieben haben soll. (…) João Havelange gab seine selbstherrliche Art zu regieren nicht auf, vielmehr gipfelte sie bald im grössten und umstrittensten Lizenzhandel der Sport-geschichte. Blatter und Havelange vergaben die TV-Rechte der WM-Turniere 2002 und 2006 für 2,8 Milliarden Franken dem Medienmogul Leo Kirch und der Luzerner Agentur ISL, die 1982 von Adidas-Chef Horst Dassler gegründet worden war und seither eng mit der Fifa liiert ist. Mitbietende Konkurrenzagenturen wie Team oder IMG und die öffentlich-rechtliche European Broadcasting Union (EBU) waren immer wieder fadenscheinig vertröstet worden und fühlten sich schliesslich von der Vollzugsmeldung des Deals übertölpelt. Ein EBU-Direktor mutmasst heute: ‚Es war ein politischer Entscheid der Fifa, weil Lennart Johansson für das öffentlich-rechtliche Konsortium war.‘ Stossend sei vor allem, dass die Verantwortlichen des Deals nicht mehr an der Macht sein werden, wenn die Rechte 2002 und 2006 zum Tragen kämen. Es sei denn, Joseph S. Blatter wird Präsident der Fifa.

Neue Zürcher Zeitung
12. Juni 1998

Gegen das, was die Drahtzieher trieben, sei eine Blutgrätsche ein harmloses Vergehen, schreiben die Autoren im Vorwort ihres thrillerähnlichen Reports über die Vorgänge hinter den Kulissen des Weltfußballs bzw. dessen Behörden. Der Bericht polarisiert und polemisiert zum einen, er weist Überlängen und Wiederholungen auf, Übertreibungen zudem und auch einzelne Passagen, die einer Überprüfung möglicher Weise nicht standhalten und schwer zu beweisen sind. Deshalb wird er von denen, die nichts Schmeichelhaftes über ihren eigenmächtigen Führungsstil erfahren, als Machwerk abgetan, in dem der Tatbestand der Diffamierung gegeben sei. Mit Kritik freilich trüge man der bewusst auf die Zeit vor dem Stabwechsel im Weltfußballverband Fifa terminierten Arbeit unzureichend Rechnung – und auch dem Ruf der Verfasser. Beide kennen sich auf dem untersuchten Gebiet aus, haben 1996 einen ‚Abgesang auf Olympia‘ mit ähnlichem Basismaterial veröffentlicht und können sich den Vorwurf ersparen, oberflächlich recherchiert zu haben. (…) Eines der interessantesten Kapitel des beinahe 300 Seiten starken Buches beschäftigt sich mit Rolle und Sturz des langjährigen, 1981 trotz noch sechs Jahre dauernden Vertrag entlassenen Fifa-Generalsekretärs Helmut Käser und beruht auf Schriftwechseln und Aufzeichnungen, die den Autoren zur Verfügung standen.