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Das Olympische Bildungsmagazin

Baron Nepp in Hiroshima: „entsetzliches Ego“ auf der Jagd nach dem Friedensnobelpreis

Vorbemerkung des Hausherrn: Zu den Corona Games kooperiere ich mit dem Journalisten und Japanologen Andreas Singler. Stammgäste in diesem Theater werden Andreas als ausgewiesenen Fachmann in Dopingfragen (Aufarbeitung, Prävention) kennen. Ich sage nur: Freiburger Sportmedizin. Andreas Singler hat gerade in zweiter Auflage sein Buch „Tôkyô 2020. Olympia und die Argumente der Gegner“ herausgebracht, das auch hier im kleinen aber feinen Shop zu haben ist. Das E-Book „Tôkyô 2020″ ist zudem Teil des Tokio-Olympiapasses, mit dem Sie unabhängige und fachgerechte Berichterstattung während der Corona Games finanzieren können. Darüber hinaus gibt es das exklusive Tokio-Superpaket „Licht am Ende des Tunnels“ mit insgesamt sieben E-Books und vier E-Papern.

Aber dazu morgen zu meiner Abreise nach Tokio mehr, im ab dann täglich erscheinenden Olympia-Newsletter und in einem ausführlichen Blogbeitrag. Auf geht’s!

Das Thema IOC und Friedensnobelpreis beschäftigt mich seit Jahrzehnten. Schauen Sie mal, wie oft der Begriff in diesem Theater vorkam! Ich war mit Sepp Blatter einst auf Robben Island, ein Termin, der auch dazu gedacht war, ihm und der FIFA endlich die ersehnte Trophäe zu sichern. Wenn man ihm den Friedensnobelpreis anböte, würde er nicht nein sagen, das dürfe er doch nicht, hat er mir mal im Interview gesagt. Die Passage findet sich als Audio hier gewiss irgendwo. Vielleicht baue ich das in den nächsten Tagen nochmal neu ein, die Thematik schwebt über den Corona Games, ich werde das aufgreifen. Zuletzt habe ich mich wohl aus PyeongChang ausführlich zum IOC und dem sehnlichen Wunsch nach dem Friedensnobelpreis geäußert (hier zum Beispiel in Deutsch und in Englisch). Komme natürlich nicht umhin, einmal mehr daran zu erinnern, dass das IOC einst sogar Lobbyisten verpflichtet hatte, den Preis zu akquirieren. Was man so macht, wenn man viel Geld zur Verfügung hat.

Das IOC hat vor ein paar Tagen schon groß getrötet zum Besuch von Präsident Thomas Bach (FDP) in Hiroshima, zum gleichzeitigen Besuch von dessen Kumpel John Coates in Nagasaki – und zum Olympischen Frieden. Die Termine sind am Freitag. Da wird die Propagandamaschine richtig angeworfen.

Das TOCOG kabelte vorhin diese Meldung:

Dear members of the media,
We are pleased to inform you that International Olympic Committee President Thomas BACH will visit Hiroshima on Friday 16 July 2021 to mark the start of Olympic truce. The media are invited to cover this event.
One text journalist per media organisation will be permitted to attend in person. In principle, a Tokyo 2020 still camera will provide photos. Please note there will be no media huddle with President Bach. Tokyo 2020 is planning to distribute the script of his speech after the event. Please see the attached media advisory for further information.
Simultaneously IOC Coordination Commission Chair John Coates will travel to Nagasaki where he will visit the Nagasaki Atomic Bomb Museum and National Peace Memorial Hall. Please see another attached document with a media advisory issued by Nagasaki City for more information.
Kind regards,Tokyo 2020 International Communications Team

Andreas Singler hat dazu schon vor ein paar Tagen in seinem Blog einige wichtige Dinge gesagt. Nun auch an dieser Stelle. Bin mir sehr sicher, dass sich unsere Expertisen in den nächsten Wochen sehr gut ergänzen – ganz in Ihrem Sinne, liebe Leser, Freunde und Kunden! Oder wie ich besonders gern formuliere: im Sinne der olympischen Bildung.


Von Andreas Singler

Am 8. Juli wird IOC-Präsident Thomas Bach in Tôkyô erwartet. Als wäre der deutsche Funktionär mit seinem Festhalten an Tôkyô 2020 inmitten der Pandemie inzwischen nicht schon unbeliebt genug in Japan, setzen die ihm nachgesagten Ambitionen auf den Friedensnobelpreis, festzumachen an einem geplanten Gang nach Hiroshima, noch einmal neue Maßstäbe. Von „Wiederaufbau-Spielen“ und Fukushima sei indessen keine Rede mehr, kritisiert das Massenblatt Nikkan Gendai und geht hart mit „Baron Nepp“ (Bach) und den Seinen  ins Gericht.

Nicht nur die Sturheit, mit der das IOC gegen den Willen der allermeisten Menschen in Japan inmitten der Corona-Krise und wieder steigenden Infektionszahlen vor allem in der Hauptstadt das Projekt Tôkyô 2020 vorangetrieben hat, bringt Öffentlichkeit und immer mehr Medien gegen das IOC und seine Spitzenfunktionäre auf. Auch der dem IOC vorgeworfene Versuch der Instrumentalisierung der von Atombombenabwürfen im Zweiten Weltkrieg betroffenen Städte Hiroshima und Nagasaki stößt vielen Menschen übel auf. 

Der  Wunsch Bachs, am 16. Juli in Hiroshima Friedensapostel spielen zu dürfen, sorgt für Unmut. Dass Vizepräsident John Coates zeitgleich in Nagasaki auflaufen will, verstärkt die Antipathien noch.  Die Boulevardzeitung Nikkan Gendai (29.06.2021) kommentierte das mit unmissverständlichen Worten:  „Präsident Bach entblößt seine Begierde! Der Wunsch, Hiroshima zu besuchen, zeugt von einem entsetzlichen Ego und zielt auf den Friedensnobelpreis ab.“

 „Warum kann er nicht einfach still sein?“, fragt das Blatt rhetorisch. „Obgleich in der Hauptstadt die Verbreitung des Coronavirus sich wieder zum Schlechteren gewendet hat und obwohl gefordert wird, die Bewegung von Menschen einzuschränken, nimmt der Baron Nepp keinerlei Rücksicht. Es ist die nackte Gier (yokubô mukidashi da  欲望ムキ出しだ). Baron Nepp oder wahlweise Baron Abzocke (bottakuri danshaku ぼったくり男爵), so wird Thomas Bach mittlerweile in Japan verbreitet genannt. Meist wird der Ausdruck in Anführungszeichen gesetzt, weil er ins Japanische übersetzt, was zuvor die Kolumnistin der Washington Post, Sally Jenkins, am 5. Mai 2021 zuerst formuliert hatte: „Baron Von Ripper-off“. Aber das Boulevardblatt bedarf der Gänsefüßchen nicht. Es nimmt in aller Regel kein Blatt vor den Mund.

So erinnert Nikkan Gendai auch daran, dass diese Spiele eigentlich einmal „Wiederaufbau-Spiele“ (fukkô gorin 復興五輪) hießen. Tôkyô 2020 sollte ursprünglich einmal die Genesung der Nation vom Großen Ostjapanischen Erdbeben 2011, dem darauffolgenden Tsunami und dem sich daran anschließenden und bis heute nicht beendeten Atomunfall von Fukushima symbolisieren – auch wenn von Atomkraft und Strahlenschäden nie die Rede war im olympischen „Wiederaufbau“-Narrativ.  

Was also um alles in der Welt macht Bach in Hiroshima? Wieso ist er nicht in Fukushima? Wieso trifft er sich nicht mit Opfern der Atomkatastrophe, mit Flüchtlingen verstreut über das ganze Land, von denen die meisten überhaupt nicht gut auf diese Olympischen Spiele zu sprechen sind? Wieso hört er nicht zu, wenn sie von ihrem Leben auf der Flucht erzählen, von dem Druck, den der Staat ausübt, um die Menschen zurückzubewegen in halbverwaiste Gemeinden mit erhöhter radioaktiver Strahlung? Fragen wie diese treiben viele Menschen um, seit zehn Jahren nun schon.

Kleiner Mann ganz groß. IOC-Supremo Thomas Bach (FDP) bei den Vereinten Nationen. (Foto: IOC/Greg Martin)

Nun, es ist des Weltfriedens wegen. Bach will am 16. Juli nach Hiroshima, weil das der Tag ist, an dem die Vereinten Nationen die sogenannte Olympische Waffenruhe ausrufen. Sie verlange von den Nationen der Welt ein Verhalten, dass den Bemühungen des Sports um Frieden gerecht wird, wie die Zeitung erläutert. Als würde sich die sogenannte olympische Bewegung um wahren Frieden und um die Menschenrechte, die dafür Voraussetzung sind, irgendwo auf der Welt auch nur einen Deut scheren. Alles Berechnung:

„Präsident Bach hatte im Mai bereits einen Besuch in Hiroshima geplant, um an den Feierlichkeiten zum dortigen olympischen Fackellauf teilzunehmen. Auch war geplant, dass er als Fackelläufer antreten würde. Aber diese Pläne wurden durch das Coronavirus zunichte gemacht“, wird jemand aus dem Umfeld des Organisationskomitee  zitiert. Dass der IOC-Präsident davon nicht ablassen mag, liege daran, „dass er damit dem ersehnten Nobelpreis am nächsten kommt“. Mit Fukushima und seinen Abertausenden mit kontaminierter Erde gefülltern schwarzern Säcken ist dagegen wohl kaum etwas zu gewinnen.

Seit dem Amtsantritt Bachs 2013 sei über das große Ziel der Olympier, den Nobelpreis, immer wieder spekuliert worden. Dafür streut das Milliardenunternehmen IOC immer mal wieder ein paar Brosamen aus. 2016 in Rio gab es erstmals ein Flüchtlings-Team. Auch bei den jetzt bevorstehenden Spielen wird ein Team von Flüchtenden zugelassen. Einen chinesischen Uiguren wird man darin vergebens suchen. Auch sonst lässt Bach nichts unversucht, den großen Friedensstifter zu geben. 2018 in Pyeongchang nahm Bach nicht nur am Fackellauf teil, er ließ bei der Eröffnungsfeier auch eine gemischte süd- und nordkoreanische Mannschaft einlaufen, zudem gab es ein gemischtes koreanisches Frauen-Eishockey-Team.

Und nun Hiroshima: das ultimative Symbol für die Hoffnung auf Weltfrieden. „IOC-Präsident Bach strebt ganz zweifellos den Friedensnobelpreis an“, wird der renommierte Sportjournalist Taniguchi Gentarô in Nikkan Gendai zitiert, der seit langem kritisch über die olympische Bewegung berichtet. „Er mag wohl glauben, dass er für eine rührende Geschichte unbedingt den Ort eines Atombombenabwurfs besuchen müsse. Ganz offensichtlich glaubt er fälschlicherweise, er sei dort willkommen“, so Taniguchi. 

Unterdessen schweigt das IOC öffentlich zu dem Affront, den Gastgeber Japan sich damit leistet, dass es zur Illustration des olympischen Fackellaufes eine äußerst kontroverse Japankarte veröffentlicht hat (vgl. „Territorial-Streitigkeiten und Kriegssymbolik: Wie Japan die Olympischen Spiele politisch instrumentalisiert“). Die Karte  bringt alle denkbaren territorialen Streitigkeit mit den Nachbarn aus China, Taiwan, Südkorea und Russland zum Ausdruck. Kein Wort auch zu den provokativen Uniformen des japanischen Golf-Teams bei Olympia, die in Mustern der berüchtigten Kriegsflagge „Banner der aufgehenden Sonne“ (kyokujitsu-ki  旭日旗) gehalten sind. Würde das IOC dazu Stellung beziehen, könnten seine Funktionäre in Hiroshima und Nagasaki womöglich aus noch ganz anderen, nämlich nationalistischen Gründen plötzlich nicht mehr willkommen sein.

Der Beitrag des Boulevardblattes schließt mit Worten, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen lassen: „Es bleibt einem nichts anderes übrig als sich zu wehren.“ Und zu sagen: „No more Olympics“, „No more IOC “, No more Bach“. 


Ich berichte bis 10. August 24/7 von den Corona Games aus Tokio. Im Shop oder direkt via PayPal können Sie olympische Hintergrundberichterstattung buchen und meine Arbeit unter erschwerten Bedingungen unterstützen – analog zu Rio und PyeongChang gibt/gab es den Tokio-Pass, aber mit viel mehr Content und einigen Extras wie einen täglichen Newsletter. Für absolute Gourmets und Supporter gibt es sogar ein IOC-konformes Tokio-Superpaket „Es werde Licht am Ende des Tunnels“!

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