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Das Olympische Bildungsmagazin

Systemversagen des deutschen Verbandssports

Der deutsche Sport steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wer glaubt, die Wogen würden sich glätten, nur weil Alfons Hörmann (CSU) vor einigen Wochen unter Druck angekündigt hat, bei den anvisierten Neuwahlen im Dezember 2021 nicht wieder als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zu kandidieren, der irrt gewaltig und hat die Dimension des Problems nicht begriffen.

Über eine Kultur der Angst klagten zuletzt nicht nur Dutzende Mitarbeiter des DOSB. Ähnliche Klagen kamen von Betroffenen anderer Verbände. Neben dem DOSB macht vor allem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit vielen Jahren atemraubende Schlagzeilen, die von Korruption, Steuerbetrug und zahlreichen anderen skandalösen Vorfällen und Usancen handeln. Über die fundamentalen, existenzbedrohenden Probleme des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) wird öffentlich kaum noch gesprochen. Jüngst hat DER SPIEGEL fragwürdige Vorgänge im Deutschen Eishockey-Bund (DEB) um den Möchtegern-IIHF-Präsidenten Franz Reindl enthüllt.

Es gibt zahlreiche solcher Problem-Verbände und Institutionen unter dem Dach des DOSB. Sie eint ein vorsintflutliches Verständnis von Good Governance.

Deutschlands Sport ist, was moderne Standards der Unternehmensführung angeht, international nachweislich weit abgehängt.

  • Im National Governance Observer (NSGO), 2018 federführend erarbeitet von der Organisation Play the Game in einem mit EU-Mitteln finanzierten internationalen Projekt, wurde für zehn untersuchte Nationen aus jeweils 46 Indikatoren ein Governance Index errechnet. Sieger Norwegen kam auf einen Index von 78 Prozent, Dänemark auf 65, die Niederlande auf 60, Belgien (Flandern) auf 54.
  • Deutschland lag abgeschlagen hinter Rumänien (44) auf Rang sechs (37) – etwa gleichauf mit Montenegro (33) und dem korruptionsversuchten brasilianischen Sport (32), knapp vor Polen (30) und Schlusslicht Zypern (27).

Das Vertrauen der Bevölkerung in Sportverbände und deren Funktionäre, schwindet mit jeder Enthüllung. Auch dieser selbst verschuldete Prozess der Erosion ist nachweisbar.

Doch die alten Kameraden um Hörmann und seinen Verbündeten Ingo Weiß, den Sprecher der Spitzenverbände unter dem Dach des DOSB, wollen das Procedere der nächsten Monate bestimmen und der Öffentlichkeit weismachen, mit einer plötzlich eingesetzten Findungskommission geeignete Kandidaten für die DOSB-Präsidentschaft herauszufiltern. Weiß war eine Ewigkeit Präsident der Deutschen Sportjugend (DSJ), als solcher lange auch Mitglied des DOSB-Präsidiums, er ist Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) und Schatzmeister des Weltverbandes (FIBA). Sein Name steht als Synonym für Hinterzimmer-Politik, für mangelnde Transparenz – schlichtweg für viele Fehlentwicklungen.

Berufsfunktionäre wie er, bis zuletzt treu an der Seite von Hörmann, sollten keine Verantwortung für die künftige Ausrichtung des DOSB tragen dürfen: weder für Personalfragen noch für Inhaltliches. 

Gegen Weiß liegt nun ebenfalls eine Anzeige bei der Ethikkommission vor, die dieser als bösartige Verleumdung zurückweist.

Mit einem Ingo Weiß als Kopf der sogenannten Findungskommission ist nicht einmal ausgeschlossen, dass es am Ende eines selbstverständlich intransparenten Verfahrens doch wieder auf Alfons Hörmann herausläuft. So absurd es klingt: Man hat zu viele Wahrheitsbeugungen des DOSB-Präsidenten erlebt. Es geht weiterhin die Angst um im DOSB-Kosmos. Die Angst davor, dass es sich Hörmann anders überlegen könnte. Auch deshalb gilt: Hörmann muss jetzt zurücktreten, ihm muss die Verantwortung sofort entzogen werden.

In Tokio will und wird er das deutsche Team führen.

Der Mann, der die Beziehungen zum IOC, das von seinem Vorgänger an der Spitze des DOSB geleitet wird, quasi eingefroren hat. Dem das IOC ein Ultimatum gestellt hat.

IOC-Präsident Thomas Bach (FDP) schrieb im Mai an die deutsche Sportführung:

„Es wird Sie/Euch nicht verwundern, dass ich in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis des DOSB zum IOC anspreche. Das bedarf – wie u.a. in dem Ihnen/Euch bekannten, bislang unbeantworteten Brief der Vorsitzenden der IOC Future Host Commission deutlich wurde – im wohl verstandenen Interesse des DOSB der Heilung, zumal dessen Stellung in den internationalen Sportorganisationen weiter gelitten hat.“

Im Bericht der DOSB-Ethikkommission zum Offenen Brief eines Teils der DOSB-Belegschaft formulierte Thomas de Maizière (CDU) im Juni u.a.:

„Es ist auch zu konstatieren, dass die Beziehungen des Präsidenten/Präsidiums/Vorstands zu Teilen der Spitzenverbände, zu Teilen der Landesverbände, zum Internationalen Olympischen Komitee, zum Bundesministerium des Innern und zu wichtigen Teilen der Medien dringend verbessert werden müssen. Teilweise fehlt es hier an einem Grundvertrauen.“

Hörmann ist kein geeigneter Repräsentant des deutschen Sports.

Das Argument der bevorstehenden Olympischen Spiele in Tokio und Peking darf nicht gelten: Kein deutscher Sportler würde bei den Corona Games in Tokio oder bei den Winterspielen im kommenden Jahr schlechter abschneiden, wenn Hörmann sofort beiseite träte. Im Gegenteil: Das Team in Tokio könnte ohne ihn und die andauernden Querelen freier und unbelasteter auftreten.


Offenlegung: Pünktlich zu meiner Abreise nach Tokio werde ich vom DOSB und Hörmann verklagt.


Der Sport ist ein öffentliches Gut, das zurzeit mit gut fünf Milliarden Euro jährlich alimentiert wird – aus Steuermitteln von Bund, Ländern und Kommunen. Der DOSB ist ein wankender Koloss, der stets behauptet, die Interessen von 27 Millionen Mitgliedern zu vertreten (ohne Mehrfach-Mitgliedschaften sind es immer noch mehr als 20 Millionen Menschen).

Die Zukunft dieses Sportsystems muss zwingend öffentlich verhandelt werden: Es braucht Ideen und Programme, dem 21. Jahrhundert angemessen. Nur auf dieser Grundlage lohnt es sich, über Personen zu reden.

Die Zukunft des DOSB muss in einem transparenten, demokratischen Prozess auf einer Online-Plattform verhandelt werden – nicht in kleinen Zirkeln.

Vergesst das Gerede von der Pyramide des Sports. Der Hochleistungssport mit all seinen Auswüchsen, der traditionelle Verbandssport mit all seinen Schwächen – all das entkoppelt sich von der sogenannten Basis, vom Breitensport, vom Massensport. Das ist keine Pyramide mehr, doch der organisierte Leistungssport muss an diesem Modell festhalten, das in weiten Teilen von der Realität überholt ist, um öffentliche Pfründe zu sichern. Zudem: Immer mehr Menschen treiben Sport völlig unabhängig von Vereinen und Verbänden, (ich gehöre dazu). Und es gibt wenig, was sie verleiten könnte, einer Organisation beizutreten.

Der Sport braucht unabhängige Denker und Macher, die mit Konzepten und Integrität überzeugen.

Eine Behauptung schon mal vorab: Als erste und einzige Institution innerhalb der Sportfamilie wird der Verein Athleten Deutschland in diesem Sommer ein Zukunftskonzept für den organisierten deutschen Sport vorlegen. So wie diese kleine Gruppierung, sehr sinnvoll gefördert mit Mitteln des Bundesinnenministeriums, in den wenigen Jahren ihrer Existenz stets die besten Konzepte für andere fundamentale Themen vorgelegt hat: Zuletzt die Anregungen für ein „Unabhängiges Zentrum Safe Sport“, um dem Problem des Missbrauchs, der physischen, psychischen und sexualisierten Gewalt im Sport zu begegnen. Ein Thema, bei dem viele Verbände und der DOSB ebenfalls versagt haben.

Viele Verbandsfunktionäre und auch Sportpolitiker, wie zuletzt der Sportsprecher der CDU/CSU im Bundestag, Frank Steffel, behaupten in irrsinniger Verdrehung der Tatsachen noch immer, Alfons Hörmann sei ein Opfer irgendwelcher politischer Machenschaften. Ein Opfer von Heckenschützen und Denunzianten.

Diese ewig Gestrigen wollen, das alles so bleibt wie bisher – unter ihrer Kontrolle. Von ihnen wird es keinerlei zielführende Gedanken und Konzepte geben.

Das gesamte DOSB-Präsidium, in dem nur vom Athletenvertreter Jonathan Koch abweichende Meinungen bekannt sind, muss komplett abtreten. Kein DOSB-Vorstandsmitglied wird seine Position halten dürfen/können – nicht die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker, nicht der für Leistungssport verantwortliche Dirk Schimmelpfennig, auch nicht Finanzchef Thomas Arnold. Sie haben allesamt bewiesen, wie wenig sie für derlei Schlüsselpositionen geeignet und wie sehr sie überfordert sind. 

Wie man hört, glauben die Herrschaften dagegen, wunderbare Arbeit gemacht zu haben. Einige wollen im Dezember auf der Mitgliederversammlung in Weimar wieder zur Wahl antreten.

Es geht auch um die Frage, ob das Nationale Olympische Komitee doch wieder ausgegliedert werden oder nur als Teil des DOSB fungieren sollte. Denn in der Fusion von NOK und DSB (Deutscher Sportbund) im Jahr 2006 sehen immer mehr Funktionäre eine Ursache der Probleme. Es ist ein gewichtiger Grund, der natürlich nicht alle Fehlentwicklungen erklärt.

Die Fokussierung auf Hochleistungssport, auf Olympia und ein olympisches Programm, das keinen offenen Wettbewerb zwischen Sportarten zulässt, ist nicht mehr zeitgemäß. Darauf aber ist die Sportförderung ausgerichtet. Jene Verbände, die teilweise keinerlei Basis unter Sporttreibenden haben, aber dauerhaft zum Olympiaprogramm gehören und deshalb auch dauerhaft viele Millionen aus Steuermitteln erhalten, wollen und können diesen Anachronismus natürlich nicht erkennen. Diese Besitzstandswahrer wollen im Grunde, das alles so weiterläuft wie seit Jahrzehnten, nur mit einer anderen Person an der Spitze des DOSB, im besten Falle mit einer Figur, die sie selbst ausgesucht haben.

Es geht um Zukunftsfragen.

Wer diese weiterhin negiert und sich stattdessen darauf fokussiert, den Status Quo (Olympia, Steuermittel für den Hochleistungssport nach IOC-Version) für alle Ewigkeiten zu erhalten, der wird kolossal scheitern.

Die entschiedensten Forderungen kommen derzeit aus dem Lager der Landessportbünde (LSB). Natürlich sind die LSB näher an der Basis, obgleich alle Stakeholder (auch Fachverbände und DOSB) Basisnähe reklamieren. Die Strippen werden derzeit vor allem in den LSB von Nordrhein-Westfalen und Hessen gezogen. In NRW wird die Diskussion über die Zukunft des Sports und den erzwungenen Abschied von Hörmann mit Olympiaplänen verbunden. Auch das ist gefährlich. Wieder will man den zweiten oder dritten großen Schritt vor dem ersten machen.

Wer so handelt, fährt weiter mit Vollspeed gegen die Wand.


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