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Das Olympische Bildungsmagazin

Kronzeugenregelung und Schutz von Whistleblowern im deutschen Anti-Doping-Gesetz

DOHA. Am kommenden Mittwoch tagt der Sportausschuss im Bundestag ausnahmsweise öffentlich. Nur deshalb stelle ich nach langer Zeit mal wieder Dokumente zur Diskussion – die Stellungnahmen der Sachverständigen zur Evaluierung des Anti-Doping-Gesetzes, das am 10. Dezember 2015 erlassen wurde. Die Sachverständigen und Organisationen (DOSB, NADA, Athleten Deutschland, Thomas Weikert, Oberstaatsanwalt Kai Gräber, Deutscher Anwaltverein) sind sich darin einig, dass das Gesetz verbessert werden muss. Es bedarf, so im trockenen Juristendeutsch, beispielsweise und vor allem „der Einführung einer gesonderten Kronzeugenregelung“ inklusive eines besseren Schutzes für Whistleblower.

Nachgetragen wurde die Stellungnahme des Sportrechtlers Rainer Cherkeh aus Hannover.

Zunächst zu Thomas Weikert, Anwalt und Präsident des Tischtennis-Weltverbandes ITTF. Er schreibt:

Das Fehlen einer Kronzeugenregelung hat sich meiner Auffassung nach als unzulänglich erwiesen.

Gerade die durchaus ähnlichen Strukturen innerhalb des Bereichs der Betäubungsmittel und der existierenden Kronzeugenregelung in § 31 des Betäubungsmittelgesetzes zeigen, dass sich die im Kampf gegen Doping erforderliche Aufklärung insbesondere im Umfeld des Athleten und Selbstdopers (Ärzte/Trainer, Berater et cetera) nur dann signifikant verbessern lässt, wenn der Athlet selbst konkrete Hinweise geben kann (Nordische/ Ski-WM in Seefeld: Der Dopingmissbrauch durch einen Sportmediziner und anderer Personen konnte nur durch die Aussage des Kronzeugen Johannes Dürr aufgedeckt und die erforderlichen Ermittlungen eingeleitet werden).

Meines Erachtens darf eine Belohnung des Sportlers als Täter nicht von Zufälligkeiten im Rahmen seines Strafprozesses (selbstverständlich müssen die Gerichte bei der Strafbemessung die Aufklärungsarbeit zu Gunsten des Täters berücksichtigen) abhängen, sondern muss gesetzlich verankert werden, um dem Athleten die entsprechende Sicherheit zu geben, bei einer signifikanten Mitwirkung auch eine entsprechend signifikante Strafmilderung zu erhalten.

Stellungnahme Thomas Weikert vom 17. Oktober 2019

Der Verein Athleten Deutschland e.V. sieht das so:

Ob aus Scham, Angst oder einem kruden Loyalitätsgefühl – oftmals weigern sich überführte Dopingsünder, Angaben zu ihren Hintermännern bzw. anderen dopenden Athleten zu machen. Die zuständigen Ermittler der Anti-Doping-Agenturen stellt dieser mangelnde Kooperationswille vor große Probleme. Sie sind oftmals weder in der Lage, alle Mitglieder des Doping-Netzwerk zu identifizieren, noch genügend rechtswirksame Beweise gegen Verdächtigte zu sammeln. Wir sind davon überzeugt, dass die Einführung einer Kronzeugenregelung Ermittlern dabei helfen würde, Dopingfälle umfänglicher aufzuklären. Der Anreiz für überführte Dopingsünder, Angaben zu ihren Hintermännern und anderen dopenden Athleten zu machen, ist deutlich höher, wenn ihnen im Gegenzug Strafmilderung oder Straffreiheit in Aussicht gestellt werden kann. In der Vergangenheit haben sich solche Mechanismen als sehr hilfreich erwiesen. Kronzeugenregelungen halfen beispielsweise den amerikanischen Behörden dabei, den weitverbreitenden Dopingmissbrauch im ehemaligen Radsportteam US Postal aufzudecken. Im Rahmen dieses Reformprozesses müssen in letzter Konsequenz auch Zeugenschutzprogramme ausgebaut werden, um aussagebereite Athleten und ihre Familien vollumfänglich vor möglichen Repressalien krimineller Akteure und Netzwerke zu schützen.

Wir weisen darauf hin, dass die Einführung einer Kronzeugenregelung mit dem weiteren Ausbau und der Bekanntmachung von Hinweisgeber-Systemen einhergehen muss. Wir begrüßen daher, dass auf Initiative und unter Leitung der NADA an einem Hinweisgebersystem für den Sport in Deutschland gearbeitet wird, das Hinweisgebern die Möglichkeit eröffnet, geschützt Informationen weiterzugeben. Die Bedeutung von Hinweisgebern – neben Kronzeugen – ist für den Anti-Doping- Kampf nicht hoch genug einzuschätzen.

Positionspapier Athleten Deutschland, Oktober 2019

Oberstaatsanwalt Kai Gräber leitet die sogenannte Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft in München, die einzige bislang (inzwischen gibt es weitere in Freiburg und Zweibrücken). Er formuliert im Gutachten vom 10. Oktober 2019 stichpunktartig seine Kritikpunkte am Gesetz:

  • Fehlen einer für jedermann geltenden uneingeschränkten Besitzstrafbarkeit
  • Signal eines eingeschränkten Schutzbedürfnisses von anderen als Spitzensportlern
  • Fehlen einer sportspezifischen Kronzeugenregelung insbesondere für den Sportler
  • Ungerechtigkeit im Vergleich zum Hintermann, der sich über § 46 b StGB „freikaufen“ kann. Zugleich sollte eine derartige aber auch sportrechtlich verankert werden. Es ist schwierig, Angaben zu bekommen, wenn u.U. langjährige Sperren verbüßt werden während die durch den Whistleblower angestoßenen Ermittlungen andauern
    keine Anhebung des Strafrahmes für Dopingvergehen auf Freiheits- strafe bis zu 5 Jahren. Signalwirkung verfehlt, wenn die Höchststrafen einer tätlichen Beleidigung, einer Sachbeschädigung oder einer Unterschlagung entsprechen und eine geringere Strafe als beim (Laden-) diebstahl androhen
  • Privilegierung des Spitzensportlers bei der Besitzstrafbarkeit (Höchststrafe 2 Jahre gegenüber 3 Jahren bei Jedermann)
  • Privilegierung des Spitzensportlers aus der fehlenden Versuchsstrafbarkeit bei Besitz und Erwerb § 4 Absatz 3 AntiDopG verweist nur auf die Fälle des § 4 Absatz 1 AntiDopG
  • Unbestimmtheit des Begriffes Einnahmen erheblichen Umfangs aus der sportlichen Betätigung

Im Übrigen sprechen sich auch die anderen Sachverständigen (NADA, DOSB, Deutscher Anwaltverein) für eine Kronzeugenregelung aus, wenngleich insbesondere der Anwaltverein auf die durchaus komplizierte Rechtslage aufmerksam macht.

Die Verbesserung der Aufklärungs- und Verhinderungsmöglichkeiten können nicht geleugnet werden, was auch durch die auf die Aussagen des österreichischen Skilangläufers Johannes Dürr zurückgehenden Ermittlungen im Anschluss an die „Operation Aderlass“ deutlich zeigen. Dies spricht aus kriminalpolitischer Sicht für eine Ausweitung der Kronzeugenregelung.

Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, Oktober 2019

Der DOSB geht selbstverständlich auf seine langjährige Blockadehaltung ein und versucht nebenbei, Geschichte umzudeuten. Aus früheren Jahren findet sich vieles dazu hier im Blog, ab jenem verachtenswerten Beschluss des Sportausschusses, grundsätzlich nur noch nichtöffentlich zu tagen, habe ich die Tätigkeit der Abgeordneten kaum noch beachtet. Der DOSB also schreibt einleitend:

Wir möchten zunächst erneut betonen, dass sich der DOSB im Rahmen des damaligen Gesetzgebungsverfahrens zum Anti-Doping-Gesetz zwar differenziert geäußert, sich aber nicht – wie immer wieder von Dritten und den Medien in den Raum gestellt – grundsätzlich gegen das Anti-Doping-Gesetz ausgesprochen hat.

Sehr lustig.

Anyway. Zum Kern der Sache, zur Kronzeugenregelung:

Darüber hinaus würden wir als DOSB die Einführung einer spezifischen Kronzeugenregelung in das Anti-Doping-Gesetz sehr begrüßen. Bereits in unserer offiziellen Stellungnahme im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren haben wir eine solche Vorschrift ausdrücklich gefordert. Daher stehen wir einer solchen strafrechtlichen Kronzeugenregelung selbstverständlich auch weiterhin positiv gegenüber. Die derzeit bestehende rechtliche Schieflage, dass sich zwar Hinterleute dieses Instruments bedienen können (§ 46b StGB), die Sportlerinnen und Sportler aber nicht, halten wir für nicht gerechtfertigt. Gerade für Sportlerinnen und Sportler sollte die Möglichkeit geschaffen werden, durch eine Aussage ihre Strafe zu reduzieren.

Dabei wäre es wichtig, eine Kronzeugenregelung mit konsequenten Schutzmechanismen für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber zu flankieren. Wie die Praxis belegt, riskieren Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber in physischer und psychischer Hinsicht viel, wenn sie personenbezogene Details und/ oder Strukturen offenbaren.

Stellungnahme des DOSB vom Oktober 2019

Nun zum Sportrechtler Rainer Cherkeh. Er geht ausführlich auf die Kernfragen Kronzeugenregelung und Whistleblower-Schutz ein. Er bezeichnet den NADA-Code (NADAC) als untauglich dafür und zielt auf diese fünf Punkte ab, die ich im nachfolgenden Zitat verkürzt wiedergebe (in voller Länge in der pdf-Datei):

1) Ein aktiver Sportler wird sein internes Wissen nur dann gegenüber der Staatsanwaltschaft preisgeben, wenn er – neben dem Absehen oder der Milderung einer Strafe nach dem AntiDopG – im Gegenzug jedenfalls die Herabsetzung oder Aufhebung seiner sportrechtlichen Sperre bzw. Suspendierung bzw. – je nach Verfahrensstand – die vorzeitige Beendigung des Doping-Disziplinarverfahrens durch die zuständige Anti-Doping-Organisation zugesagt erhält. Erst dann wird ein Sportler, der so detailliert wie kaum ein anderer diejenigen Fakten kennt, die die Überführung der Hintermänner oder anderer, sich selbst dopender Sportler bewirken können, als Kronzeuge aussagen. Für den noch aktiven Sportler steht dabei weniger die mögliche Strafe nach dem AntiDopG, sondern die ihm drohende oder bereits bestehende sportrechtliche Sperre im Blick. Hierauf müssen sich die zu gewährenden Vergünstigungen für das Aussageverhalten des Sportlers konzentrieren.

2) Die Aussage des Sportlers erfolgt auf der Grundlage einer im AntiDopG noch zu verankernden Kronzeugenregelung gegenüber der zuständigen Staatsanwaltschaft, weil vor allem nur dort ein umfassender Zeugenschutz sichergestellt ist und Aussagen gegenüber sonstigen Dritten (z.B. auch NADA oder WADA) die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden, die dann oftmals auch international kooperieren müssten, gefährden würde.

3) § 8 AntiDopG ermöglicht schon heute für disziplinarrechtliche Maßnahmen im Rahmen des Dopingkontrollsystems einen Informationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaft, staatlichen Gerichten und der NADA, die für den großen Teil der Sportfachverbände in Deutschland die Durchführung der Doping-Disziplinarverfahren aufgrund vertraglicher Vereinbarungen bereits übernommen hat. Die erforderliche Synchronisierung zwischen der erfolgten Kronzeugen-Aussage des Sportlers bei der Staatsanwaltschaft und der im Gegenzug seitens der NADA zu veranlassenden Herabsetzung oder Aufhebung einer Sperre bzw. vorzeitige Beendigung eines sportrechtlichen Doping-Sanktionsverfahrens, wäre somit hinreichend gesetzlich abgesichert.

4) Bei bereits suspendierten oder gesperrten Sportlern (Kronzeugen), die mit ihrem Dopingfall in der Öffentlichkeit stehen, müssten WADA und NADA (bzw. nationaler / internationaler Sportverband) nach Aufhebung der sportrechtlichen Sperre eine den Athleten schützende Medienkommunikation abstimmen, um ihn vor Rückschlüssen Dritter auf seine Tätigkeit als Kronzeuge bestmöglich zu bewahren.

5) Für den des Dopings verdächtigen Sportler, der sich entschließt, auf der Grundlage einer Kronzeugenregelung im AntiDopG gegenüber der Staatsanwaltschaft auszusagen, ist es somit der sicherste Weg, die Aufklärungshilfe noch vor seiner etwaigen Suspendierung oder Sperre, bestenfalls sogar vor Einleitung eines sportrechtlichen Disziplinarverfahrens zu leisten. Dies wäre auch mit der heutigen Praxis im Anwendungsbereich des AntiDopG kompatibel, sind es doch zunächst die staatlichen Ermittlungsbehörden, die z. B. bei einer positiven Probe des Sportlers nach erfolgter Strafanzeige durch die NADA wegen des gegen den Athleten bestehenden Tatverdachts eines Verstoßes gegen §§ 3, 4 AntiDopG (Selbstdoping) tätig werden (Durchsuchung, Beschlagnahme). Ein größtmöglicher Schutz des (mitunter prominenten) Sportlers, der in diesem Zeitraum als Kronzeuge gegenüber der Staatsanwaltschaft aussagt und der daraufhin nicht (öffentlichkeitswirksam) suspendiert wird, wäre gewährleistet.

Rainer Cherkeh, Stellungnahme Oktober 2019

Es gibt selbstverständlich viel mehr zu sagen zu den Stellungnahmen. Vielleicht berichte ich darüber kommenden Mittwoch auch mal wieder live aus dem Sportausschuss, gut möglich – so wie einst 2008 ff., was mitentscheidend war für den späteren Beschluss der Abgeordneten, die Öffentlichkeit auszuschließen.

Hier alle bisherigen Stellungnahmen zur Lektüre und möglicherweise auch Diskussion.

Thomas Weikert:

Athleten Deutschland:

OStA Kai Gräber:

DOSB:

NADA:

Deutscher Anwaltverein:

Rainer Cherkeh:

PS: Die Silbentrennung funzt leider nicht. Mal schauen, ob ich das demnächst reparieren kann. Sorry. Wo verdammt ist cf, wenn man ihn seit langem mal braucht?

Ein Gedanke zu „Kronzeugenregelung und Schutz von Whistleblowern im deutschen Anti-Doping-Gesetz“

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