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Das Olympische Bildungsmagazin

live aus PyeongChang (13): Im russischen Haus, das nicht russisches Haus heißen darf

GANGNEUNG. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat mal wieder Schwachsinn erzählt. Die Dopingvorwürfe gegen das große saubere Russland seien von den USA inszeniert worden, weil die Russland sonst nicht schlagen könnten. Undsoweiterundsofort. Eine Lüge nach der anderen. Aber für derlei Äußerungen der ranghöchsten russischen Politiker wird sich das IOC vielleicht gar nicht interessieren, wenn es darum geht, die Witz-Sperre des Russian Olympic Committee (ROC) schon für die Schlussfeier in PyeongChang aufzuheben. Sport und Politik werden im IOC schließlich sauber voneinander getrennt.

Sieht man am Beispiel Russland.

Sieht man auch am Beispiel Nordkorea/Südkorea (dazu gleich mal zwei Lesebefehle für Holger Gertz in der Süddeutschen Zeitung und Christoph Becker in der FAZ).

Wie war das nochmal am 5. Dezember 2017?

Was hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) angeordnet, als es das ROC für ein paar Tage, nun ja, suspendierte?

Es sollte keine russische Flagge wehen bei diesen Winterspielen, die Hymne der Staatsdopingnation sollte auch nicht gespielt werden. Das ging an den ersten beiden Wettkampftagen gut. Auf der offiziellen Webseite aber, wo die Wettkampfresultate vom IOC-Sponsor Atos Origin bestückt werden, tauchten am Sonntag für die Buckelpistenfahrerinnen Regina und Marika Rachimowa kurzzeitig die russische Fahne und das Kürzel RUS auf. Und nicht etwa: „Olympic Athlete from Russia“ (OAR).

Das Malheur wurde bald behoben.

Die russische Hymne kann man dennoch hören in Südkorea, unweit der olympischen Sportstätten, in Gangneung, Gangmun 303-4, nahe am Strand. In der so genannten Aqua Wedding Hall, nahe des Gyeongpo Beach Tourist Hotels. Ich beschreibe es so genau, damit Kollegen es leichter finden können als ich am Samstag.

Dort haben die Russen ein Sports House eingerichtet. Russisches Haus darf es nicht heißen. Nicht mal OAR House.

Die russischen Häuser bei Winterspielen seit 1994, stets unter Verantwortung des ROC, sind legendär und berüchtigt für die wildesten Feten und einen Wodka-Verbrauch, der nur in Hektolitern zu messen war. Habe mir das selbst mal in Vancouver angeschaut und kann es bestätigen. In Gangneung ist das ein wenig anders. Eigentlich hatten die Russen direkt am Olympic Park in größeren Dimensionen geplant, diese Pläne aber notgedrungen verworfen.

Zur Eröffnung am Freitagabend war es prallvoll, einige Olympiasieger wie die Paarläufer Tatjana Wolososchar und Maxim Trankow schauten vorbei. Alexander Timonin, Russlands Botschafter in Südkorea, hielt eine Rede und behauptete natürlich, Russland sei gleichberechtigter Teilnehmer an diesen Spielen. Tänzerinnen heizten die Stimmung an. Es wurde bis weit nach Mitternacht gefeiert. Man geht davon aus, dass die Parties fortgesetzt werden, sobald die Eishockeyspieler der Sbornaja in Gangneung ins Geschäft eingreifen. Russische Olympiateilnehmer dürfen hier allerdings nicht auftreten, heißt es offiziell. Man wird sehen.

Das IOC teilt mit:

We are aware of the ‘Sports House’. It is a hospitality venue that is available to all sports fans to celebrate the Olympic Winter Games PyeongChang 2018. It is run by a commercial third party and the IOC has made the operator aware of the Conduct the guidelines issued to the OAR.

„Guidelines issued to the OAR“.

Schauen wir mal nach. Das sind die Richtlinien:

Diese Passagen scheinen für das Haus die wichtigsten zu sein:

NON-OFFICIAL OLYMPIC VENUES (e.g. Hospitality House, etc.)

The ROC (suspended) understands that the following conditions apply to any venue or event being organised by the ROC and/or their stakeholders:

8. The NOC emblem cannot be displayed at any venue both inside and outside.

9. The display of national elements (such as flags, emblems and symbols) inside non-official Olympic venues must have prior approval from the IOC.

10. Any “alternate” victory ceremonies organised for OAR athletes and/or team officials are not permitted.

11. There will be no sale of replica Russian team wear relating to PyeongChang 2018 or other clothing using the NOC Olympic emblem at non POCOG venues as there is no Russian Olympic team. Like other NOCs, Zasport cannot sell any items using a reference to PyeongChang 2018 (this also applies to sales online or in Russia).

As with all Hospitality Houses, IOC staff members (or representatives) shall be permitted to access the venues in which an NOC House is located to inspect the premises and relevant activities being carried out and ensure that these guidelines have been followed.

Am Samstag gab es nur Tee aus dem Samowar, „English Breakfast“, aber in Russland produziert. Alkohol wurde nicht ausgeschenkt. Spätabends hielt sich keine Hundertschaft an Gästen im Sporthaus auf. Als Semen Elistratow, ein Mann mit Meldonium-Vergangenheit, im Short Track die Bronzemedaille gewann, die erste russische Plakette bei den Spielen, rief der Moderator: „Rebjata, Kinder, lasst ihn uns feiern!“

Auf einer Leinwand wurde Elistratows Foto eingeblendet, dazu die Hymne, alle erhoben sich, viele sangen mit:

Russland, unser geheiligter Staat

Russland, unser geliebtes Land

mächtiger Wille und großer Ruhm

für alle Zeiten sind dein Eigentum.

Der Eissprinter Elistratow widmete seine Medaille den wegen Dopings und Dopingverdachts gesperrten Sportkameraden, allen voran Viktor Ahn, sechsmaliger Olympiasieger, eingebürgerter Koreaner.

Natürlich finden sich Fotos von Ahn und anderen für PyeongChang nicht zugelassen Athleten im Sporthaus, das nicht russisches Haus heißen darf. Der mächtigste Russe ist sogar dutzendfach vertreten: Auf Staffeleien hat man Fotos von Wladimir Putin aufgestellt. Auf der anderen Seite des Saales Memorabilien-Schreine: Alle acht Goldmedaillen, die sowjetische Eishockeyspieler und das Vereinigte Team (1992 als Auswahl der Gemeinschaft unabhängiger Staaten) bei Olympischen Winterspielen gewonnen haben. Russland, man glaubt es kaum, war nie Eishockey-Olympiasieger.

Alles im Sporthaus zu Gangneung ist in Rot gehalten. Überall prangt der Slogan „Russland in meinem Herzen“, auf Bannern, Plakaten, T-Shirts, Aufklebern, Lebkuchenherzen, Schals, Mützen, Trikots und Fähnchen. Ein Verkaufsstand bietet reichlich Auswahl an Memorabilia.

Einen Hinweis auf das vom IOC suspendierte russische NOK sucht man vergeblich. Da haben die Russen aufgepasst. Insofern werden die ach so gestrengen IOC-Regeln eingehalten. NOK-Apparatschiks sind nicht zu sehen, halten sich vielleicht im Hintergrund auf. Ein paar Dutzend Mitzwanziger schmeißen den Laden, eine auffallend junge Truppe, einige von ihnen arbeiten für russischen Sportverbände. Wer das alles organisiert, mögen sie nicht sagen. Das sei ein Geheimnis, sagt eine der jungen Frauen und bittet um Verständnis.

Von einem kommerziellen Unternehmen werde das Sports House betrieben, behauptet das IOC also (s.o. im englischen Original). Man habe das Unternehmen auf die Vorschriften hingewiesen, die das Exekutivkomitee für die Teilnahme des OAR-Teams erlassen habe.

Schaut das IOC wirklich genau hin?

Neben einem Sportwettenanbieter wird das Sporthaus von der „Stiftung russischer Olympiateilnehmer“ betrieben. Die Sponsorenliste ist prominent: Megafon, Lukoil, Alpha-Bank, alle groß im Sportbusiness und fett im Olympiageschäft.

Ohnehin wird die Stiftung finanziert von zahlreichen Milliardären, alles was Rang und Namen hat, ist vertreten: Alischer Usmanow (Präsident des Fecht-Weltverbandes FIE, zu Gast in PyeongChang, man lese auch diesen Beitrag), Roman Abramowitsch, Oleg Deripaska, Wladimir Potanin, Wiktor Wekselberg, Wladimir Lisin, Michail Prochorow – sie und viele andere, das Who‘s Who der Kreml-nahen Oligarchen.

Viele von ihnen haben am 50-Milliarden-Dollar-Projekt Sotschi 2014 prächtig verdient. Da kann man als Philantrop, wie es auf der Webseite heißt, schon mal ein paar Rubel in eine Sportstiftung stecken.

Im Stiftungsrat hat Ministerpräsident Dmitri Medwedew seinen Platz. Neben den Herren Schukow und Mutko.

Im Präsidium der Olympia-Stiftung sitzen, natürlich, ebenfalls die üblichen Verdächtigen:

Der für Olympia gesperrte ehemalige Sportminister und aktuelle Vize-Premierminister Witali Mutko sowie NOK-Präsident Alexander Schukow.

Für die Dauer der Suspendierung des NOK, die zur Schlussfeier in PyeongChang vom IOC wieder aufgehoben werden könnte, ist Schukow auch als IOC-Mitglied suspendiert, danach aber wieder in Amt und Würden.

Im Grunde ist dieses Sporthaus also ein Russisches Haus unter anderem Namen. Von jenen finanziert, die überall in Putins Reich die Puppen tanzen lassen.

Eine kürzere Variante dieses Beitrages erschien auf SPIEGEL ONLINE:

Vor wenigen Sekunden kam übrigens die Einladung für heute Abend, via WhatsApp:

Hi!

If you will have a chance to meet at 18:30, there will be trainers (including Nina Mozer) of our figure skating team who won silver.

You can interview them.

Demnächst vielleicht mal. Nicht heute.

* * *
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Dieses Magazinprojekt, in das ich Monate investiert habe, wird in PyeongChang durchgezogen:

Ich wünsche Ihnen und Euch viel Vergnügen in diesem Theater in den nächsten Wochen (und darüber hinaus) und hoffentlich viele erhellende Momente.

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13 Gedanken zu „live aus PyeongChang (13): Im russischen Haus, das nicht russisches Haus heißen darf“

  1. Geht sie nichts an

    Für so ein Schwachsinn auch noch Geld zu verlangen. Das ist echt der Größte Skandal. Feinster deutscher Qualitätsjournalismus.

  2. Falls Dir der Herr Strepenick über den Weg kommt, zeig ihm mal dein Foto vom Eingang. Der war nämlich auch dort und hat „keine kyrillischen Schriftzeichen“ gesehen. Muss seit Deinem Auftauchen übermalt worden sein.
    Badische Zeitung vom 19.2.

  3. …eine Zusammenstellung, die sich in die Olympia-Berichterstattung der BLÖD-Zeitung sicher nahtlos integrieren ließe. Da ist es fast schon tragisch, dass die nicht zu den Wikipedia-bekannten Medienpartnern des Kreml gehören. Aber vielleicht hat ja das Handelsblatt auf einer (Web)Seite noch etwas Platz frei…

    (RBTH — Russia Beyond [the Headlines] — ist eine PR-Maschine des Kreml mit der Mission, rosarote News aus und über Russland in der Welt zu verbreiten)

  4. Da magst du recht haben.

    Aber andererseits: dass so eine Liste im Jahre des Herrn 2018 mindestens latent sexistisch ist, ist ja nur das oberflächliche Problem. Und eben die „Qualifikation“ für die Zeitung mit den vier großen Buchstaben.

    Man kann dann aber schon auch nochmal darüber nachdenken, was die offizielle Mission von RBTH ist — und was für Geschichten rund um das Team OAR im Moment tatsächlich relevant wären. Ich finde jedenfalls, dass man das bei der Gelegenheit durchaus mal erwähnen kann.

  5. Ja, politisch wäre es natürlich korrekter, sich mit “ Relevanterem“ zu befassen. Aber die Welt sollte man doch durch eine buntere als lediglich durch die russische Brille betrachten.

  6. Aber die Welt sollte man doch durch eine buntere als lediglich durch die russische Brille betrachten.

    …sprach er, eine Website verlinkend, deren Auftrag es ist, die Welt lediglich durch die russische Brille zu betrachten.

    q.e.d. — SCNR ;-)

  7. @cf Don´t care. It’s a bit stuck, but it’s funny. BTW, TAS/CAS is lagging behind. No news about the latest doping-cases on its home-page.

    Vllt. haben wir doch ein Flaschenproblem, wie Hajo Seppelt schon befürchtete.
    „Unbelievable: WADA really recommends to use earlier 2016 model for use in Pyeongchang – although this model has been subject of successful forgery. Means: Model will be used which is easily to copy in China for 14 US-Cents per bottle. https://www.wada-ama.org/en/media/news/2018-01/wada-update-regarding-new-generation-bereg-kit-geneva-security-bottles …“

  8. Pingback: live aus PyeongChang (28): ‘individual and isolated’ Russian doping cases • SPORT & POLITICS

  9. Pingback: CAS-Urteil zum Russland-Doping: Der große Bluff - SPORT & POLITICS

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