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Das Olympische Bildungsmagazin

Sieg der Ewiggestrigen: FINA-Wahlkongress in Budapest

BUDAPEST. Das war etwas Besonderes heute im Hotel Intercontinental. Einerseits brauche ich solche Erlebnisse nicht mehr. Vor allem kann ich auf Drohgebärden, nonverbale und teils auch verbale, aus dem arabisch-kuwaitischen Raum gut verzichten.

Anyway, es gibt auch ein andererseits: Derlei fragwürdige Erlebnisse wecken den Ehrgeiz, den Job besser zu machen. Manchmal fehlen einem die Worte, aber vielleicht bin ich nach all den Jahren in diesem Business, nach mehr als 25 IOC-Sessionen und vielen Dutzend Weltkongressen von FIFA, IAAF, FINA und anderen … einfach nur dämlich, es nicht besser zu wissen und mitunter von positiven Entwicklungen zu halluzinieren. Das sollte man eher nicht in dieser olympischen Parallelgesellschaft.

Die Restauration hat gesiegt. Hätte nur noch gefehlt, der leibhaftige Samaranch wäre in den Saal marschiert.

Habe für Spiegel Online eine Summary gedichtet, auf dem Weg zum Flughafen, nachdem mich meine heutigen Quasi-Leibwächter (vielen Dank auch dafür) aus dem Hotel eskortiert hatten. Hier vorerst nur der FINA-Kongress in Tweets – ist auch mal ganz nett. Viel mehr Fotos und Videos konnte und durfte ich gar nicht machen, sonst wären mir Al-Musallams Knechte und andere Security-Leute ins Gesicht gesprungen und hätten mich abgeführt.

Stay tuned, es geht weiter in diesem FINA-Theater.


22.20 Uhr: Gerade in Berlin gelandet. Ergänze dies …


Die Chronik absurder Sportkongresse ist um eine bizarre Episode reicher. Auf dem teils chaotischen Wahlkongress des Welt-Schwimmverbandes FINA wurde der bereits 81jährige Präsident Julio César Maglione aus Uruguay erwartungsgemäß mit 258:77 Stimmen im Amt bestätigt. Sein italienischer Herausforderer Paolo Barelli, der gegen gewisse Machenschaften in der FINA sogar vor den Welt-Sportgerichtshof CAS gegangen war, hatte keine Chance. Barelli, obwohl selbst seit Jahrzehnten in Führungspositionen der FINA und Chef des europäischen Verbandes LEN, ließ sich sogar auspokern und durfte nicht einmal sein Programm präsentieren. Barelli hatte die Mauscheleien seiner Kollegen und vor allem die vielfältigen Verdachtsmomente für korruptive Umtriebe des Kuwaitis Husain Al-Musallam brandmarken wollen. Doch der Kongress genehmigte keinem der Kandidaten, weder für das Präsidentenamt noch für die anderen Vorstandspositionen, eine Präsentation. Ironischer Weise hatte Barelli auf diese Art vor einem Jahr in der LEN einen Widersacher ausgebremst.

Der einflussreiche Lausanner Advokat François Carrard, langjähriger IOC-Generaldirektor und mit gut einem Dutzend olympischer Weltverbände in verschiedenen Funktionen verbandelt, schlug den Wunsch Barellis und einer Minderheit routiniert unter Hinweis auf Verfahrensfragen nieder. Wann immer sich im Verlaufe des sechsstündigen Kongresses im Budapester Hotel Intercontinental zaghafter Widerstand regte, fanden sich sofort mehrere bestellte Claqueure von Schwimm-Weltmächten wie den Philippinen, Kasachstan, Bahrain oder Indien und forderten das Gegenteil. Routiniert umschiffte Maître Carrard die wenigen Klippen und präsentierte das von seinen Geschäftspartnern erwünschte Resultat. Schon nach wenigen Minuten einer ersten klitzekleinen Diskussion im Plenum hatte Carrad gewitzelt, wenn sich jetzt hier jeder melden wolle, „sitzen wir am Sonntag noch hier“. Auch das galt es zu verhindern, schließlich war am Abend ein Gala-Dinner angesagt.

Zu diesem Anlass, unter Ausschluss einer kritischen Öffentlichkeit im Opernhaus, zeigten sich dann auch IOC-Präsident Thomas Bach und sein ins Visier amerikanischer Kriminalfahnder geratener kuwaitischer Verbündeter Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah. Dort posierten sie mit ihrer Marionette Maglione. Beim Kongress waren sie nicht aufgetaucht, zu angespannt war die Lage – vor allem wegen der Ermittlungen der US-Justiz, die Scheich Ahmad und dessen Adlatus Husain Al-Musallam in einer spektakulären Anklageschrift als Mitverschwörer führt, die den Transfer von rund einer Million Dollar an den geständigen Fußballfunktionär Richard Lai (Guam, USA) organisiert haben sollen.

Al-Musallam geriet in der vergangenen Woche nach Berichten des SPIEGEL und der Londoner Times zusätzlich unter Korruptionsverdacht. Derlei Themen dominierten in Budapest zwar die Gespräche auf den Fluren und in den Hotelsuiten, der Kongress aber blieb transparenzfrei. Wenngleich die Atmosphäre angespannt bis aggressiv war, besonders die Handlanger Al-Musallams suchten die Konfrontation mit Journalisten und provozierten ohne Unterlass.

Das erschreckend dünne verbale Kauderwelsch des alten und neuen Präsidenten Maglione, der als Marionette Scheich Ahmads durch die olympische Parallelwelt surft, lässt dich so übersetzen: „Wir haben keine Ethik-Probleme in der FINA! Im Geiste der Demokratie und Transparenz haben wir in Fragen der guten Unternehmensführung Fortschritte gemacht.“ Seine wichtigsten Verbündeten wurden selbstverständlich ebenfalls in ihren Ämtern bestätigt: Husain Al-Musallam als Erster Vizepräsident und damit als Nachfolger Magliones, sollte der amtsmüde werden, und der Südafrikaner Sam Ramsamy als Zweiter Vizepräsident. Ramsamy, ehemals IOC-Mitglied, darf als einer der besten Freunde des IOC-Präsidenten Bach gelten und garantierte in Schwarzafrika stets Stimmenrückhalt. Die Gattinnen von Ramsamy und Bach sind ebenfalls bestens befreundet, Ramsamy hat seine Helga einst in Leipzig kennengelernt.

Für Magliones Amtszeiten weit ins neunte Lebensjahrzehnt hinaus hatte die FINA bereits 2015 die Statuten geändert. Als der Schwimm-Pate auf einer Pressekonferenz, bei der seine Claqueure lautstark störten, erneut die Frage beantworten musste, ob er vielleicht amtsmüde werde und in einem Jahr an den unter Korruptionsverdacht stehenden Al-Musallam übergeben wolle, reagierte Maglione ungehalten. „Sie müssen verrückt sein“, herrschte er den Fragesteller an. „Ich wurde von 208 Nationen in geheimer Wahl für vier Jahre gewählt, ich bleibe im Amt, solange mein Herz mitspielt.“ Korrekt sollte festgehalten werden, dass nur 176 der FINA-Mitgliedsverbände auf dem Kongress vertreten waren.

Haben die Vertreter des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) in Budapest in irgendeiner Weise aufbegehrt, Transparenz und Aufklärung über unsaubere Machenschaften eingefordert? Die Antwort ist ein korrektes: Nein. Wie fast immer bei Weltkongressen in schlecht beleumundeten Verbänden blieben die Deutschen auch diesmal stumm. Wenigstens standen sie ausnahmsweise nicht auf der Seite der herrschenden Clique und wurden deshalb bei der Abstimmung zum FIFA-Vorstand, Bureau genannt, eiskalt abserviert. Die langjährige DSV-Präsidentin Christa Thiel scheiterte deutlich an jenen beiden Europäern, die nicht Barelli, sondern Maglione und Al-Musallam die Treue hielten: Erik Van Heijnigen aus den Niederlanden und Olympiasieger Wladimir Salnikow aus Russland. Jener Salnikow, der 2009 dabei half, positive Dopingproben russischer Schwimmer zu vertuschen.

Doping? Und nun zum Sport!

13 Gedanken zu „Sieg der Ewiggestrigen: FINA-Wahlkongress in Budapest“

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  2. Hm. Dann wirst Du Gründe dafür haben.

    Darf ich zumindest nachfragen, ob es „Leibwächter“ oder Leibwächter waren? Also ob Du tatsächlich einen Personenschutz hattest oder ob Du eine ironische Spitze gegen Sicherheitsbedienstete des Gastgebers gesetzt hast, die Dir freundlich den Ausgang gezeigt haben? Das ist mir beim Lesen nämlich nicht ganz klar geworden, deswegen die Nachfrage.

    Und natürlich würde ich – als jemand, der sich grundsätzlich für die Bedingungen, unter denen Deine Texte entstehen, interessiert – gerne erfahren, ob wir Leser unserer immer im Kopf mitlaufenden Kalkulation, was den Typen unsere Unterhaltung wohl schon rein finanziell kosten mag, die Ausgaben für einen Personenschutz nun auch noch hinzurechnen müssen. Es ist natürlich Dein gutes Recht, diese Information nicht mit uns zu teilen. Ich möchte untertänigst auf die Möglichkeit hinweisen, dass diese Kalkulation im Kopf dem einen oder anderen Leser unter Umständen seinen Grad an finanzieller Unterstützung stärker diktiert, als die sprachliche Qualität Deiner Texte. So ungerecht das sein mag.

  3. Ist zwar kein Platz für Späßchen oder Ironie, aber es waren „Leibwächter“, habe das oben mal n bisschen verbal geglättet.

  4. Okay. Vielen Dank von der Kommission „Mangelhaftes Leseverständnis“.

    Bei Gelegenheit muss ich Dich mal fragen, wie Du eigentlich emotional damit umgehst, dass ich die andere Variante als ziemlich glaubwürdig empfand. Und wie sauer Du insgeheim auf Schmarotzer wie mich bist, die ihren Furor fein hinter ihrer Anonymität auf dem gemütlichen Sofa verstecken.

  5. Wie finanziert sich eigentlich die FINA? Und über welches Budget verfügt die eigentlich? Bin für Hinweise dankbar.

  6. Das schaue ich mir gern mal an. Habe einen dicken Wälzer mitgeschleppt, in dem wohl etwas zu den Finanzen steht. Bei IOC und FIFA kann ich es fast auswendig. Hier nicht. 100 Mio $ sind auf der hohen Kante, das auf jeden Fall.

  7. Bei allem disagreement, agreement, respect und rejection habe ich schon seit langem die Frage, wie Sie das aushalten. Die kriminellen Methoden und Strukturen sind in allen Bereichen der Gesellschaft, so auch im Sport präsent. Mal offen, mal verschleiert. Aber sie sind da. Es geht um viel viel Geld und um die Macht, Dinge nach seinem Gusto gestalten, verändern oder zumindest beeinflussen zu können. Die ernsthafte Frage ist, ab wann die dunkle Zone erreicht ist, wo die Gegner dieser maladen, ja perversen Entwicklungen, einfach nur noch mundtot gemacht werden. Wenn ich so an Ihre Dialoge mit Franz Blatter zurückdenke, dann war der doch noch moderat und geradezu liebenswürdig. Jetzt scheint es doch schon ordentlicher zur Sache zu gehen, zumal andere Kultur- und Zivilisationsgepflogenheiten das Heft in die Hand genommen haben. Just to take care.

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