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Das Olympische Bildungsmagazin

Gegen die Wand: Deutschland und seine Olympiabewerbungen #NRW2032



Heute hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gemeinsam mit dem Eventmanager Michael Mronz (FDP-Mitglied wie der IOC-Präsident) ein Sportstättenkonzept für die Olympiabewerbung 2032 vorgestellt. Die Papiere finde ich online noch nicht, doch ein Kollege hat mir freundlicher Weise die Presse-Aussendung der Mronz-Agentur MMP Event GmbH geschickt.

Die MMP ist hundertprozentige Tochterfirma der 7Sports, die wiederum zur ProSiebenSat1 Group gehört. Damit sind, neben dem Mronz’schen FDP-Netzwerk, schon mal etliche Interessierte an diesem Bewerbungs-Bohei zu einem albernen Zeitpunkt genannt. Der Zeitpunkt ist deshalb schräg, weil das IOC nun gerade einen historischen Entscheid über die Sommerspiele 2024 und 2028 getroffen hat und das Bewerbungsprocedere für 2032 umkrempeln muss – und überhaupt.

In der Schalker Fußball-Arena soll, zum Beispiel, geschwommen werden.

Presse-Aussendung MMP Event GmbH

Kann man mal machen.

Bisher sehe ich nicht viel mehr als eine Aufstellung von Stadien und Hallen, denen mal eben eine Olympiasportart zugeordnet wird. Das ist Kinderkram, was es wirklich braucht, skizziere ich gleich und habe es tausend Mal in den vergangenen Jahrzehnten skizziert.

Wobei der Netzwerker Mronz allerlei interessante Firmen in der „Rhein Ruhr Olympic City-Initiative“ vereint.

Hier also die gesammelten Pamphlete:

Vor ein paar Tagen wurde in der WAZ ein „Pro und Contra“ zu den vor allem von Mronz, aber auch von verantwortlichen Politikern in NRW forcierten Olympiaplänen 2032 veröffentlicht (interessant sind die Kommentare). Mir wurde dabei die Rolle des „Contra“ zugedacht, der ehemalige Olympiaschwimmer und heutige ZDF-Experte Christian Keller übernahm das „Pro“. Ich mag derlei Titulierungen nicht. Wer meinen Text aufmerksam liest, wird unschwer erkennen, dass es nicht um ein „Contra“ geht, sondern dass ich schlicht Fakten benenne und zu beschreiben versuche, warum der erste und vielleicht auch zweite und dritte Schritt nötig ist – und nicht gleich der vierte oder fünfte. Was aus NRW regelmäßig vermeldet wird, ist größtenteils absurd, denn da versuchen Lokalgrößen und Landes-Parlamentarier gewissermaßen schon Sportstätten und olympische Trainingsstätten für 2032 zu verteilen.

Herrgottnochmal. Begreifen es diese Leute eigentlich nie?

Deutschland braucht dringend ein nationales Sportkonzept, das auf breiter Basis diskutiert worden wäre, nicht nur in den Hinterzimmern von DOSB und BMI. Deutschland braucht als Bestandteil dieses Konzepts eben auch ein Konzept für Großveranstaltungen. Andere Länder, die vergleichsweise demokratisch strukturiert sind, haben das seit Jahrzehnten. Kanada zum Beispiel. Derlei Fragen habe ich ausführlich schon vor Jahren im IOC-Ebook „Macht, Moneten, Marionetten“ diskutiert und mit zahlreichen Dokumenten und originären Statistiken wie dem Olympic Power Index belegt.

WAZ, 4. Juli 2017

In diesem Textlein habe ich mich kurz und knapp auf die Frage eines bundesweiten Konzepts und das typische deutsche olympische Gegendiewandfahren konzentriert. Minimal überarbeitet:

 

* * *

Olympische und Paralympische Spiele 2032 in NRW? Blicken wir kurz nach Montréal. Es soll aber nicht um die Milliardenschulden gehen, die kanadische Steuerzahler für die Sommerspiele 1976 über mehrere Jahrzehnte abzutragen hatten. Sondern darum, welche Lehren Kanada seinerzeit aus dem Desaster der Olympischen Sommerspiele gezogen hat. Derlei Fragen sind wichtig und brandaktuell, weil sie den Blick auf das Wesentliche lenken. Darauf, was hierzulande fehlt und was besser geklärt werden sollte, bevor man sich erneut in eine olympische Sackgasse manövriert und gegen die Wand rast.

 

Unter dem Schock der Kostenexplosion in Montréal forderte die kanadische Bundesregierung den Sportdachverband auf, eine Strategie für die Austragung von Großereignissen zu entwickeln. Nach Jahren öffentlicher Diskussionen wurde 1983 die erste sportpolitische Handlungsanweisung verabschiedet. Dieses Papier, die „Federal Policy for Hosting International Sport Events“, wurde ständig aktualisiert und ist in der aktuellen Fassung ein erstaunliches Dokument, beispielgebend für demokratische Nationen, das alle Beteiligten in die Pflicht nimmt: Kommunen, Provinzen, Regierung und Ministerien, viele gesellschaftliche Institutionen – und die Sportverbände, die nicht nur Förderung verlangen dürfen, sondern sich an den Bewerbungskosten beteiligen müssen.

Der Sport muss in Vorleistung gehen. Die Kanadier gehen seit 1983 und vielen Großereignissen strukturiert und transparent vor.

Es gibt nichts Vergleichbares in Deutschland. In Deutschland fordert der Sport stets nur, die Politik müsse in Vorleistung gehen – und verlangt also mehr Geld. Gigantisch viel Geld.

In Deutschland ist kein Strategiepapier in Arbeit. Der DOSB hat nichts zu bieten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der lange genug die Verantwortung trägt, orakelte gerade darüber, „zu Beginn nächsten Legislaturperiode“ eine Debatte führen zu wollen. „Debatte“ heißt in Sportdeutschland noch immer: hinter verschlossenen Türen in kleinen Zirkeln, die seit Jahrzehnten in wechselnden Funktionen den Gang der Dinge bestimmen – und die als die eigentlichen Bremser gelten dürfen.

Zuletzt wurden sechs Olympiabewerbungen in den Sand gesetzt: Berchtesgaden (Winter 1992), Berlin (Sommer 2000), Leipzig (Sommer 2012), München (Winter 2018 und 2022) und Hamburg (Sommer 2024). Mindestens dreimal rügten Rechnungshöfe und Buchprüfer eine „Unkultur im Umgang mit öffentlichen Mitteln“.

Ich glaube, den Bericht des Rechnungshofes von Berlin gibt es, wie vieles andere, nur in diesem Blog:

Nie wurde ein Vertreter des Sports für die Desaster zur Verantwortung gezogen. Weder Sport noch Politik haben diese kolossale Verschwendung von Steuermitteln je wirklich aufgearbeitet.

Nach der Niederlage für München 2022 und vielen anderen Gelegenheiten habe ich belegt, dass der Sport, dass der sportpolitische Komplex die Signale schlicht nicht zu deuten vermag. Man bewegt sich halt in einer Parallelgesellschaft, die keine Verantwortung kennt.

Maßgeblich Beteiligte an diesen Abenteuern werkeln im Hintergrund an neuen Projekten wie eben NRW 2032. DOSB-Präsident Alfons Hörmann und DOSB-Vorstandschef Michael Vesper, einst als Sportminister in NRW schon für die national fulminant abgeschmetterten Olympiaplanungen 2012 zuständig (Düsseldorf Rhein-Ruhr), tragen die Hauptverantwortung für die jüngsten beiden Niederlagen an den Wahlurnen in München und Hamburg. Bernhard Schwank, seit 2016 Abteilungsleiter Sport im NRW-Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, war in NOK und DOSB viermal entscheidend in Bewerbungen eingebunden, auch als Geschäftsführer von Bewerbungen. Wobei Schwank als Fachmann gewiss eine bessere Figur abgab als Hörmann und Vesper, und er halbwegs glaubhaft den Eindruck erweckt, aus den Niederlagen für seinen Job als NRW-Ministerialer gelernt zu haben.

Sport und die Politik mussten unter öffentlichem Druck wenigstens lernen, dass milliardenschwere Olympiabewerbungen im 21. Jahrhundert nur auf Grundlage einer Bürgerbefragung oder eines Volksentscheids durchgeführt werden können. Ein schmerzhafter Prozess für all jene, die Hinterzimmerdeals gewohnt waren. Zweimal haben sich die Steuerzahler gegen derlei Großprojekte entschieden: 2013 in München und 2015 in Hamburg. Jedwede Planung in NRW muss ein Votum der Bürger über alles stellen.

Die Mitte Juni von der WAZ veröffentlichten Umfragewerte werden von Befürwortern des 2032er Projektes als Rückhalt bewertet. Wobei manche Erwartungen (positive Entwicklungen im Wohnungsbau) kaum gerechtfertigt sind.

Nicht zu vergessen hat London 2012 belegt, dass Olympia der Sportförderung an der Basis oder dem Schulsport kaum mehr Akzente gibt. All die hochtrabenden Versprechen blieben hochtrabende Versprechen. Und wieder lese ich nahezu täglich (von Mronz und anderen) die Märchen über Akzente für den Breitensport. Britische Regierungsstudien belegten das Gegenteil, die Tendenz ist rückläufig.

Auch tut man gut daran, die repräsentative Studie der Deutschen Sporthochschule Köln vom August 2016 gründlich zu lesen: Darin wird der eklatante Vertrauensverlust des olympischen Spitzensports in der Bevölkerung nachgewiesen. Das Vertrauen in Sportfunktionäre tendiert gegen Null. Seither hat sich die Krise weiter verschärft: Gigantismus, die Kostenexplosionen und Korruption 2016 in Rio de Janeiro oder 2018 bei der Fußball-WM in Russland, auch bei den Sommerspielen 2020 in Tokio. Und die nachweislich kriminellen Netzwerke in etlichen Welt- und Kontinentalverbänden. Auch gegen IOC-Mitglieder ermitteln Staatsanwaltschaften in den USA, in Frankreich und in Brasilien. Noch immer befindet man sich am Anfang der Aufklärung.

Nun soll es Olympia 2032 sein, in einer Zeit, da das IOC in größter Not einen historischen Einschnitt vollzieht und die Sommerspiele 2024 und 2028 im Paket nach Paris und Los Angeles vergibt. In einer Zeit, da das Produkt Olympia ums Überleben kämpft und sich kaum noch Interessenten finden. In einer Zeit, da das IOC sein Bewerber-Procedere über den Haufen wirft. Wenig bleibt, was bislang gültig war, bis 2024 oder 2025 eine Entscheidung getroffen wird über den Gastgeber für 2032. Vieles ist offen.

Nur diese Eckdaten werden nicht angetastet:

  • Erstens bleibt Olympia ein Franchise-Unternehmen des IOC. Das IOC bleibt als Franchisegeber im Besitz aller Rechte und leitet nur einen Teil seiner Einnahmen an Ausrichter weiter. Die Organisatoren tragen das volle finanzielle Risiko und haben eingeschränkte Rechte. Das wird sich für 2032 nicht ändern, wohl aber verschieben sich die Möglichkeiten zugunsten der Ausrichter, was Paris und Los Angeles bereits nutzen.
  • Zweitens bleiben Sommerspiele bis mindestens 2024 bei 28 Kernsportarten zuzüglich eines halben Dutzends Gastsportarten. Nach wie vor ist die logistische Meisterleistung zu vollbringen, an 17 Tagen rund 40 Einzel-Weltmeisterschaften zu organisieren. Das IOC und die Sportverbände halten am Status Quo fest. Bislang sind die Spiele nicht per se bezahlbarer oder nachhaltiger geworden.

Letzteres könnte sich in den kommenden Jahren ändern, wobei man die Versprechen besonders von Paris mit Vorsicht genießen sollte. Im IOC lassen sie Reformpapiere erstellen, nicht nur für die Winterspiele 2026, wo der Bewerbungsprozess grundlegend geändert wird.

In Deutschland aber, besonders in NRW, wird weiter nur mit billigen Buzzwörtern operiert und im Marketingsprech eine „olympischen Idee“ beschworen, die täglich ad absurdum geführt wird. Wieder macht der sportpolitische Komplex den zweiten Schritt vor dem ersten.

Welche Lehren zieht das deutsche Olympia-Kartell – Sport, Politik, PR-Wirtschaft – aus den gescheiterten Bewerbungen?

Welche Strategie verfolgen Bund, Länder und der DOSB für Großveranstaltungen?

Wo ist das verbindliche Papier, dass es mit den vorbildlichen Handlungsanleitungen in Kanada aufnehmen könnte?

Wer führt die ehrliche, volltransparente Debatte?

Deutschland hat keinen Plan. Ohne nationales Konzept aber können NRW-Olympiafans ihre Träume sein lassen. Noch immer wird Olympia quasi als Allheilmittel verkauft. Doch nicht jede Wette auf die Zukunft ist mit einer Vision gleichzusetzen. Olympische Spiele werden kein Problem dieses Bundeslandes lösen.


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12 Gedanken zu „Gegen die Wand: Deutschland und seine Olympiabewerbungen #NRW2032“

  1. Der Hausherr nörgelt wieder rum, während man anderswo schon anfängt, groß bzw. feucht zu denken:

    https://www.waz.de/politik/olympia-konzept-schalke-arena-soll-schwimmzentrum-werden-id211243769.html

    Als S04-Vereinsmitglied bin ich es eh gewohnt, dass uns das Wasser bis zum Hals steht, dass wir baden gehen, der Gegner uns naß macht, unsere Abwehr schwimmt …

    Fantastisch, wie das die Grundaussage bestätigt: Kein Konzept für das Olympiaprojekt, aber egal, geschwommen wird inner Arena.

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