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Das Olympische Bildungsmagazin

The Empire strikes back: IOC-Attacken auf Doping-Aufklärer und mündige Athleten

Heute um 15 Uhr (MESZ) wird der Untersuchungsbericht der Welt-Antidoping-Agentur WADA zum staatlich orchestrierten Betrug im Dopingkontroll-Labor in Sotschi 2014 und zum russischen Staatsdoping veröffentlicht. Davon ausgehend wird die Frage neu beantwortet werden müssen, ob das russische NOK komplett den Sommerspielen in Rio fernbleiben soll. Diese Variante, von einer erstaunlich ausdauernden olympischen Opposition gefordert, hatte IOC-Präsident und Putin-Freund Thomas Bach mit seiner Finte des Olympic Summit nur einige Wochen vertagt.

Heute Abend werden wir alle ein klein wenig schlauer sein. Die Russland- und Bach-Fraktion beugt bereits vor und behauptet, der McLaren-Bericht sei entwertet worden. Pat Hickey (IOC, EOC, ANOC), Julio Maglione (FINA, PASO, Ex-IOC) und Nenad Lalovic (UWW, IOC, WADA) haben schwere Geschütze aufgefahren, bis 15 Uhr kommt gewiss noch jemand aus der Deckung.  Und tatsächlich, einen Sportkameraden hatte ich übersehen: Turn-Präsident Bruno Grandi (FIG, Ex-IOC). Mal abgesehen vom lustigen Spezialethiker Spyros Capralos aus Griechenland:

Russlands Sportminister Witali Mutko findet das Klasse:

Hickey’s statement is very important, he is absolutely correct in saying USADA has compromised independence and confidentiality of WADA’s Independent Commission.“

Der Kanadier Richard McLaren, der bereit an den ersten beiden Untersuchungsberichten der WADA mitwirkte, stellt seine Erkenntnisse auf einer Pressekonferenz in Toronto vor. Ich werde ab Montagnachmittag in einem neuen Beitrag live bloggen und gern mit Ihnen/Euch diskutieren. Zur Vorbereitung auf diesen seit zwei Monaten mit Spannung erwarteten Termin stelle ich hier Dokumente und Details zur Diskussion, die noch nicht überall in Gänze veröffentlicht wurden.

Und nun zur Sache, zur Email von Beckie Scott, die Thomas Bachs Prätorianer (Pat Hickey et al) so in Rage versetzt hat, weil Scott die anderen Athletenvertreter darum bittet, einen Olympia-Ausschluss des gesamten russischen NOK zu unterstützen – wenn McLaren mit weiteren Fakten und Belegen zum Staatsdoping aufwarten kann.

Was also hat Beckie Scott geschrieben?

Die komplette Email:

De : „Beckie Scott“
Date : 16 juil. 2016 02:49
Objet : Mclaren report and WADA AC response – time sensitive
À : „Claudia Bokel“, „Francis Dodoo“, „Matthew Dunn“, „Matthew Dunn“, „Andréanne Morin“, „Vicki“, „Mariana Quintanilla“, Ben Sandford, „Lauryn Williams“, „Petr Koukal“, „Koji Muro“, „kirsty coventry, „tony estanguet“, „Adam L. PENGILLY -„, „Felipe Contepomi“, „Fabiana Alvim“

Hello everyone,

I hope all’s well.

As you are probably aware, Richard McLaren will be presenting the findings of his investigation in to Russia on Monday morning (believe Stacy sent an email about this).

This report and the information within it, may well represent one of the most pivotal moments in sport history, and the direction it goes from here for clean athletes and principled decisions around fair, drug-free sport. It will be very important for us – as the WADA AC – to weigh in.

The US and Canadian Anti-doping agencies have prepared a letter to the IOC that will be sent directly after the findings of the report, and they have asked for our support in signing this letter as well. They have had early formal support and agreement to sign this as well from the German, Japanese, New Zealand, Danish, French and Norwegian NADO’s…among others (iNADO).

The letter outlines a basis for suspension of the Russian NOC from Rio, in light of the evidence and information that will come as a result of this report, and aligns very much with the position we have taken so far in this (long) process. You will also note that it presents a caveat – much as with the IAAF decision – to permit athletes who have lived outside the regime, been subject to strict doing controls, etc, to still compete in Rio.

I have attached this letter here for you to read; please let me know if you are in agreement that the WADA AC should support this letter and sign as well.

Thank you everyone. I look forward to hearing from you.

Warmly,
Beckie

Ich lese da jetzt nichts Skandalöses heraus, was die Argumentation von Hickey, Maglione, Lalovic et al (s. oben und unten) rechtfertigen würde. Diese Email ist ein Teil eines Meinungsbildungsprozesses, der Monate andauerte. So wie der Briefentwurf von Tygart (gleich mehr dazu) eben ein Entwurf ist. Aber verfasst von einem Amerikaner, und daraus lassen sich immer Kalter-Krieg-Verschwörungstheorien stricken.

Schrieb ich „Argumentation“?

Propaganda ist passender.

Ich empfehle dazu die Lektüre dieser Beiträge:

Ich habe die Lage am Sonntag für einige Medienpartner so zusammengefasst:

Beckie Scott und Sara Renner nach dem Teamsprint 2006 in Turin (Foto: Bjarte Hetland/CC BY 2.5)

Beckie Scott und Sara Renner nach dem Teamsprint 2006 in Turin (Foto: Bjarte Hetland/CC BY 2.5)

Wenn jemand weiß, wie es ist, von Dopern betrogen zu werden, dann ist das Beckie Scott. Die 41-Jährige Kanadierin wurde im Verfolgungsrennen der olympischen Skilanglaufwettbewerbe 2002 in Salt Lake City Dritte hinter den Russinnen Olga Danilowa und Larissa Lasutina, die kurz darauf als Blutdoperinnen aufflogen. Erst zweieinhalb Jahre später, nachdem Olga Danilowa und Larissa Lasutina mit ihren juristischen Einsprüchen gescheitert waren, erhielt Scott ihre Goldmedaille. In Salt Lake City hatten die Russen nach der Enttarnung ihrer Doper noch selbst mit einem Olympia-Boykott gedroht. Im Juli 2016 diskutiert die Sportwelt weiter vehement eine Sperre des gesamten russischen NOK für die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro – also weit über die derzeit suspendierten Leichtathleten und Gewichtheber hinaus.

Und Beckie Scott, die Betrogene von einst, ist über Nacht zur Staatsfeindin Nummer eins in Russland avanciert.

Am Montag (15 Uhr MESZ) stellt Richard McLaren, Sonderermittler der Welt-Antidoping-Agentur WADA, seinen Bericht zum russischen Staatsdoping und zum Betrug im Dopingkontroll-Labor bei den Winterspielen 2014 in Sotschi vor. Als Chefin der WADA-Athletenkommission hat Beckie Scott ihre Kollegen am Sonnabend per Email gebeten, einen Olympia-Ausschluss des russischen NOK zu unterstützen, sollten sich die Belege im McLaren-Bericht erhärten lassen. Scott versichert, dass sie den Bericht nicht kennt. McLaren sollte das Papier vorab allein dem WADA-Präsidenten Craig Reedie vorlegen, der auch als Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) agiert und schwer in der Kritik steht. Um diese Email von Beckie Scott ist ein Streit entbrannt, der weltweit Schlagzeilen macht.

Das irische IOC-Exekutivmitglied Patrick Hickey, seit Jahrzehnten in dubiose Vorgänge verstrickt, erklärte sogar, mit der Email von Scott sei der Bericht von McLaren desavouiert. Er sei „total geschockt“ behauptete Hickey, der sonst mit Menschenrechtsverletzern wie Aserbaidschans Diktator Ílham Alijew Geschäfte macht und unbedingt die zweiten European Games 2019 in Russland austragen will. Die Initiativen der Athletensprecher und der NADA-Bosse bezeichnete Hickey als „Störungen“, die die „Integrität und Glaubwürdigkeit des Berichts untergraben“.

Natürlich sprang ihm Russlands Sportminister Witali Mutko zur Seite. Als Dopingbekämpfer oder transparent agierender Sportpolitiker ist Hickey nie aufgefallen, im Gegenteil. Als ein wichtiger Prätorianer des IOC-Präsidenten Thomas Bach attackiert er zum wiederholten Mal Kritiker aus den eigenen Reihen. Dass am Sonntagmorgen auch FINA-Präsident Julio Maglione, der gerade in Moskau zur Krisensitzung war, weil der Schwimm-Weltverband ein ähnliches Problem hat wie die IAAF, ein ähnliches Statement wie Hickey absonderte, passt wunderbar zusammen:

FINA is concerned by the premature calls from US and Canadian Anti-doping authorities to ban Russia from Rio 2016 Olympic Games several days ahead of the publication of the independent McLaren report. The contents of this report were meant to be kept strictly confidential until publication.

FINA is also concerned that there has been a drive behind the scenes, led by the WADA Athletes Commission Chair, to get a global coalition of support from selected organisations in the Olympic Movement to support the call for the total ban on Russia. Again, all of this is based on the findings of the McLaren Report which is meant to have been independent and confidential.

Such breaches of confidentiality and the perception of a breach of independence of the report undermine its credibility. This is a very serious matter for us all.

Considering the above, FINA naturally expects the IOC to apply the principles and values shared by the Olympic Movement.

Schon klar: „Principles and values shared by the Olympic Movement.“

(Nachgetragene Ergänzung) Am Montagmorgen kam die nächste Kritik: Auch Ringer-Präsident und IOC-Mitglied Nenad Lalovic kritisierte das angebliche Leck, für das es keinerlei Belege gibt. Der Serbe Lalovic gehört auch dem Foundation Board der WADA an. Seine Tochter arbeitet als Gazprom-Managerin in Belgrad, daraus macht in der Familie niemand ein Geheimnis. Lalovic wäre natürlich nie ohne die Russen Präsident der UWW geworden, die damals noch FILA hieß. Sein wichtigster Mann in der UWW, Russlands Verbandschef Michail Mamiaschwili, hat unlängst eingeräumt, dass auch die russischen Ringer ein gigantisches Dopingproblem haben. (Wer über Mamiaschwili redet, weiß aber, dass das noch das geringste Problem ist.)

Lalovic sagt also:

„Unfortunately this report is harmed by all the events before the report is public,“ Lalovic told Reuters. „Obviously the report focuses on the situation in Russia but we cannot generalize so easily. Of course it has been harmed now.“

„Nobody will now take it as seriously as it should be because it seems that a lot was known in advance.“

Dafür, dass „vieles vorher bekannt war“, gibt es Null Belege.

„If we have drafts of letters being circulated asking to ban all Russian athletes then that is strange,“ Lalovic, who is also an IOC member said.

„USADA should be focused on the health of American athletes and those competing in the United States. Now it seems that USADA and the Canadians took over responsibility of WADA. Nobody entitled them to do that.“

Und es meldete sich Bruno Grandi, 82 Jahre junger Präsident des Turn-Weltverbandes FIG, ehemals IOC-Mitglied, und sprach für die Jugend der Welt:

The rights of every individual athlete must be respected. Participation at the Olympic Games is the highest goal of athletes who often sacrifice their entire youth to this aim. The right to participate at the Games cannot be stolen from an athlete, who has duly qualified and has not be found guilty of doping. Blanket bans have never been and will never be just.

Man achte auf Feinheiten: Im Gegensatz zu Hickey, Maglione und Lalovic bleibt Grandi am Thema und attackiert nicht.

Beckie Scott hat hunderte Gespräche mit Sportlern aller Kontinente geführt, hat auf Athletenkonferenzen gesprochen, hat sich tief in die Fakten eingearbeitet, hat mit zwei Dutzend Sportler-Gremien verhandelt – und daraus den Wunsch tausender Olympiasportler nach einschneidenden Maßnahmen destilliert. Nach dieser demokratischen Meinungsbildung hat Scott mit ihrer deutschen Kollegin Claudia Bokel, Chefin der IOC-Athletenkommission und Mitglied des IOC-Exekutivkomitees, im Mai einen bemerkenswerten Brief an IOC-Präsident Bach und an WADA-Boss Reedie geschickt. Daran heißt es, die Sportler hätten das Vertrauen in die Sportführung und die Dopingbekämpfung verloren. Sie forderten eine zeitnahe forensische und transparente Aufarbeitung der Vorgänge in Sotschi – und harte Sanktionen.

Das Imperium schlug zurück.

Patrick Hickey gelang es im Juni als Chef der europäischen NOK-Vereinigung (EOC), die EOC-Athletenkommission zu einem Statement zu bewegen, das dem Papier von Scott und Bokel widersprach und vom unveränderten Vertrauen der Sportler in ihre Führer fabulierte. Kurz darauf griff Russlands NOK-Präsident und IOC-Mitglied Alexander Schukow, einer der Hauptverantwortlichen für den organisierten Betrug, auf dem Olympic Summit in Lausanne die Kritiker an. IOC-Präsident Bach ließ eine Resolution verabschieden, die Russlands größte Sorgen nahm.

Die Kernfragen lautet seit jenem 21. Juni: Was kann McLaren vorlegen und wird er dem gewaltigen politischen Druck standhalten?

Inzwischen unterstützen mehr als ein Dutzend Nationale Antidoping-Agenturen ein Papier, das von den amerikanischen (USADA/Travis Tygart) und kanadischen (CCES/Paul Melia) Agenturen ausgearbeitet wurde. Darin wird der Rio-Ausschluss des russischen NOK gefordert. Beckie Scott bat die WADA-Athletenkommission darum, dieses Papier zu unterzeichnen. Zu den Verbündeten zählen auch die Agenturen Deutschlands, Japans, Neuseelands, Norwegens, Dänemarks und Frankreichs. Dabei wird es nicht bleiben. Der deutsche NADA-Chef Lars Mortsiefer bestätigte mir seine grundsätzliche Haltung, eine ausführliche Stellungnahme werde aber erst veröffentlicht, „sobald wir den McLaren-Report vorliegen und geprüft haben“.

Die IOC-Propagandaabteilung hat zuletzt viele Interviews des IOC-Präsidenten lanciert. Darin argumentierte Bach, wegen einer Manipulation in Sotschi, die er zuvor als „noch nie da gewesenes Niveau der Kriminalität“ bezeichnet hatte, könne man doch russische Sommersportler nicht bestrafen. Seine Parteigänger, allen voran Hickey und Maglione, erklären nun die Athletensprecherin Scott sowie die Leiter von USADA und CCES zu Sündenböcken.

Eine derartige Kluft zwischen Funktionärs-Nomenklatura, mündigen Sportlern und Antidoping-Institutionen hat es in der olympischen Geschichte noch nicht gegeben.

* * *
Kernaussagen aus dem Entwurf des Briefes von Travis Tygart wurden in den Nachrichtenagenturen und in den oben verlinkten Beiträgen bereits zitiert. Das knapp dreiseitige Schreiben richtet sich an den IOC-Präsidenten Bach (UDIOCP) und an das IOC-Exekutivkomitee. In der Annahme, dass der McLaren-Bericht die Anschuldigungen und Belege vertieft und auf weitere Sportarten ausweitet, heißt es:

We write on behalf of a community of clean athletes and anti‐ doping organizations with faith that the IOC can lead the way forward by upholding the principles of Olympism. Therefore, consistent with the Principles, Charter and Code we request that the IOC Executive Board take the action to suspend the Russian Olympic and Paralympic Committee from participating in the 2016 Olympic Games in Rio. IOC President Bach, rightfully described the Russian actions, if proven, as “a shocking new dimension in doping with an, until now, unprecedented level of criminality.” We agree and believe a full suspension is the only available and appropriate result having regard to the findings and conclusions set out in the report.

(…)

State‐sponsored doping and state complicity in doping cannot be tolerated and must be condemned in the strongest possible terms. Conduct of this nature violates the fundamental principles that lie at the heart of the Olympic Movement.

Gemäß Olympischer Charta habe das IOC die Befugnis zu einer solchen Entscheidung. (Das sehe ich übrigens auch so und habe deshalb in früheren Beiträgen auf die entsprechenden Passagen der Charta hingewiesen: Kapitel 6, Artikel 59.)

Einigen russischen Sportlern sollte eine Brücke gebaut werden, analog zur Entscheidung der IAAF:

In our view, individual Russian athletes who can establish that they were subjected to reliable and robust Code‐compliant anti‐doping testing systems outside of Russia might be permitted to compete at the discretion of the IOC, but only under a neutral flag. However, we believe that the Charter and other applicable legal instruments require the exclusion of the Russian Olympic and Paralympic Committees from the Rio Games based on the conclusions in the McLaren Report.

Aber nun warten wir ihn mal ab, diesen McLaren-Bericht.

Doch wie sagte Nenad Lalovic?

USADA should be focused on the health of American athletes and those competing in the United States. Now it seems that USADA and the Canadians took over responsibility of WADA. Nobody entitled them to do that.

3 Gedanken zu „The Empire strikes back: IOC-Attacken auf Doping-Aufklärer und mündige Athleten“

  1. insidethegames.biz: Twenty-three candidates make their pitch for seats on IOC Athletes’ Commission

    The most-rounded statement, in my opinion, is that of Britta Heidemann, who admits frankly to fascination with the power of sport and highlights her language skills – but is the IOC ready for yet another German fencer?

    Russia’s Yelena Isinbayeva – who recently discounted her chances of winning a slot given the ban on Russian track and field athletes at Rio 2016 – wants to be “the bridge” between the IOC and the athletes.

    IOC: IOC Athletes‘ Commission Election

  2. Pingback: Thomas Bach: die vielfältigen Lebenssachverhalte des unpolitischsten deutschen IOC-Präsidenten • Sport and Politics

  3. Pingback: live-Blog: der McLaren-Report zum russischen Dopingsystem #Sotschi2014 • Sport and Politics

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