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Das Olympische Bildungsmagazin

Olympic poem (II) ARD-Weltspiegel 1966 #Sochi2014

ARD, Weltspiegel 1966, Sotschi

ARD, Weltspiegel 1966, Sotschi – Bild klicken und Video schauen

Sotschi

Der Schlafanzug,
der hier vor wenigen Jahren noch die Strandpromenade dominierte,
ist aus der Mode gekommen
die puritanische Heilbäderstille der Stalinzeit
hat der Donnerhall heißer Rhythmen aus dem Repertoire …
… des westlichen Klassenfeindes zerrissen

das Nizza der kaukasischen Riviera
das wahre Paradies der Werktätigen
Amüsier-Oasen
nur wenige Kilometer von der georgischen Grenze entfernt

in altmodischen offenen Omnibussen …
… kann man Landpartien zu den bewaldeten Hängen des Kaukasus unternehmen
Ferientraum für Millionen Sowjetmenschen
in den öden Mammutstädten Sibiriens
in den vergessenen Dörfern der Tundra
ein Hauch von gelassener Beschaulichkeit und Tradition

der berühmteste Sohn Georgiens pflegte hier auszuspannen …
… Josef Stalin
er brachte das Bad in Mode

Bikini und Badehose, die Genossen entblößen sich westlich
wenn man vorher sein Plansoll erfüllt hat
aber die monotone Kurdisziplin erholungsbedürftiger Stachanowisten
… prägt längst nicht mehr allein den Lebensstil in Sotschi

östliche und westliche Freizeitkultur befruchten sich gegenseitig
in den Restaurants hat man Gelegenheit, erst richtig hungrig zu werden …
… denn die Kellner lassen so lange auf sich warten

die Attraktionen für den sowjetischen Sommerfrischler …
… sind die Touristen aus der westlichen Welt
eine Reihe von Läden sind extra eingerichtet worden,
um den westlichen Devisenbringer in seiner Landeswährung anzuzapfen

im neoklassizistischen Stil der Stalin-Ära …
… die in Sotschi sogar die Bedürfnisanstalten stilistisch verfremdet hat
zwischen Palmen und Zypressen
liegt die geduldige Melancholie russischer Gemütlichkeit
in der weichen, südlichen Luft

hier vergnügt sich die Jugend
(und) ihre Spielkameraden aus der westlichen Welt

* * *

Da hat der Autor, dessen Name sich gemäß ARD nicht mehr im Archiv befindet, in diesem Beitrag des ARD-Weltspiegels 1966 viel vorweggenommen.

Sotschi: „Hier vergnügt sich die Jugend“ 2014 im „Donnerhall heißer Rhythmen aus dem Westen“.

Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen und habe mir erlaubt, das Olympic Poem etwas zu komponieren – großartiges Material. Ein Stück Geschichte.

Da es stets kompliziert ist mit ironischen Versuchen: Nö, ich mache mich nicht über den Beitrag lustig. Ich finde es grandios, so etwas mit anzubieten und würde mir das besonders im öffentlich-rechtlichen Rundfunk STÄNDIG wünschen. Man stelle sich vor, wie sehr eine Olympia-Berichterstattung bereichert werden könnte. Sagen wir: Nur 5 Prozent der täglichen Berichterstattung auf diversen Kanälen mit derlei (und ähnlichen) Beiträgen/Ansätzen. Kaum auszudenken.

14 Gedanken zu „Olympic poem (II) ARD-Weltspiegel 1966 #Sochi2014“

  1. Großartiges Fundstück. Habe erst den Film gesehen und spontan beim hören des blumigen Textes gedacht: Müsste man aufschreiben.

    Hast Du gut gemacht.

    Klar, der Westen hat 1966 auch mit einer Reihe von Klischees gearbeitet. Es sind einige großartige textliche und visuelle Bonbons drin.

    Selbst die obligatorische Szene beim Freiluftschach im Land des damaligen Branchenführers in Sachen Serien-Schachweltmeister fehlt nicht.

    Ja, solche Rückblicke und Einstiege in das Archiv sollte man öfters machen.

    Übrigens Dein Part beim 57. Digitalen Quartett bei Thomas Knüwer am Montag war auch sehr interessant. Das mit der Landung einer Raumfähre bei olympischen Sommerspielen hast Du auch gut erklärt.

  2. Auch im Geiste unserer langjährigen virtuellen Freundschaft, kann ich nicht anders als JW für den gelungenen Coup zu gratulieren: Volltreffer !
    Die Sprache des Kalten Krieges, wie man sie hier bei einem eher belanglosen Thema nicht besser spüren kann, wurde von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gepflegt. Und nicht nur, wie gerne kolportiert, vorrangig vom Osten. Man schenkte sich nichts, nicht mal in Sotschi. Insofern sollte man die jahrzehntelangen „guten Traditionen“ nicht einfach so verdrängen. Die regelmäßige Einspielung derartiger Beiträge würde mE zum besseren Verständnis vergangener Tage – immerhin gut vier Jahrzehnte – beitragen und wäre dabei gar nicht mal teuer. Und noch wichtiger, könnte das mit Lockerheit und Schmunzeln zum besseren Verständnis und zur schnelleren Aussöhnung beitragen. Aber es scheint eher, dass man schon wieder weiter ist, und vllt. bald wieder genau in diesem scheinbar überkommenene Stil von und übereinander berichten. Nur doof für die Generation, die sich in ihren besten Jahren für Detente eingesetzt hat. Tja, es stimmt doch: Geschichte wiederholt sich. Wenn nicht, kümmert sich der Mensch selbst drum.

    BTW, Sotschi, das Schwarze Meer und der Kawkas und natürlich die dortige Küche sind allemal eine Reise wert. Die Russen sollten auf Karl Schranz hören und die Preise moderater gestalten, dann könnte es etwas mit dem russischen DAVOS werden.
    Jetzt hoffe ich allerdings erst einmal, dass sich die russische Sicherheit nicht einschläfern läßt und/oder gar dem Wodka während des Dienstes frönt. Solch ein Zwischenfall wäre noch schlimmer als der Absturz einer MiG-15UTI am 27. März 1968.

  3. Habe Ihnen ein t geschenkt, Herbert.

    (Irgendwann richtet der grandiose cf bestimmt mal ne Korrekturfunktion ein.)

    Ich sag ja, es wäre grandios, wenn …

    Und noch grandioser, wenn GEZ-Bürger auf alles zurückgreifen könnte …

    Träume.

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  8. Wie es der Westdeutsche 1966 so mit dem Urlaub hielt beschrieb der Spigel damals in einem längeren Artikel http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46407893.html

    Money-Quote

    Deutsches Wesen an fremden Gestaden findet faszinierte Beobachter. Das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ entsetzte sich über westdeutsche Urlauberinnen: „Die bei weitem aggressivste Spezies unter den Zugvögeln ist die menschenfressende ‚Turista teutonica‘ … In diesem Sommer gingen ungefähr 75 000 alleinstehende deutsche Mädchen über Jugoslawien nieder … Eine junge Amerikanerin besah sich die Bescherung und klagte bitter: ‚Es ist wirklich abstoßend, wie diese lüsternen deutschen Mädchen hinter den Jugoslawen her sind.‘

    Auch der deutsche Reiseschriftsteller Gerhard Nebel, 62, entdeckte eine „Bordellatmosphäre, die die entfesselten deutschen Ferienweiber an die Adria importiert haben“. Südliche Strände schilderte er als Inferno „braungebrannten, stets leicht betrunkenen, beischlafgeneigten Fleisches, Gesäßgewackel und Brüstegewipp“.

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