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Das Olympische Bildungsmagazin

#London2012 (III): Das Vermächtnis des Jacques Rogge

LONDON. Ich habe kürzlich für die Badische Zeitung einen Versuch unternommen, die Bilanz des IOC-Präsidenten Jacques Rogge zu ziehen und ein paar Worte zu seiner Nachfolge zu verlieren. In der Rohfassung stelle ich diesen Text hier zur Verfügung. Nennen wir es: Arbeitstext. Denn einige Thesen müssen immer wieder belegt werden. Wie etwa die Frage der Rogge-Nachfolge. Schon lange sage ich, Thomas Bach sei der aussichtsreichste Kandidat, seine Karriere – von den Anfängen beim Adidas-Boss und ISL-Gründer Horst Dassler bis heute – ist darauf designt, dereins IOC-Präsident wu werden. Allerdings nimmt die Diskussion jetzt erst Fahrt auf, worüber während der London-Spiele zu reden sein wird.

Ich habe einige Jahre lang große Hoffnungen in Rogge gesetzt, die im Prinzip nicht erfüllt wurden. Beispiele nenne ich im Text, viel mehr Beispiele habe ich schon genannt, seit vielen Jahren. Seinem Stab erschien die Kritik meist überzogen, eine erhitzte Diskussion haben wir mal nach der IOC-Session in Guatemala an einem Abend in Antigua geführt, kurz nach der Vergabe der Winterspiele 2014 an Sotschi. Es ging um Putins Einfluss und die Machtlosigkeit des IOC bzw die Aufgabe gewisser Grundprinzipien, für die Rogge stand. Der IOC-Präsident machte klar, dass er nie von diesen Prinzipien abrücken werde. Ich erlaubte mir die Bemerkung, dass er es dann aber auch besser verkaufen und der Öffentlichkeit klarmachen müsse. Seither spricht er nicht mehr mit mir.

Voilà, ein Angebot zur Diskussion (die gewohnten Links kann ich jetzt leider nicht setzen, bitte mal unten unter „verwandte Artikel“ suchen, denn natürlich gibt es zu den meisten Aussagen hier im Blog etliche Beiträge und Dokumente, die meine Einschätzungen untermauern, ob es sich nun um die olympische „Programmreform“, die Youth Olympic Games, das ISL-Bestechungssystem, den olympischen Gigantismus oder anderes handelt):

* * *

Es sind die sechsten und letzten Olympischen Spiele unter dem Patronat des Belgiers Jacques Rogge. Im Juli 2001 wurde Rogge, damals 59 Jahre alt, in Moskau zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt. 2009 bestätigte man ihn für weitere vier Jahre als Chef des Milliardenkonzerns. Im September 2013 übergibt Rogge, dann 71, auf der Vollversammlung in Buenos Aires das Amt an seinen Nachfolger.

Ein Storify dazu, in dem Rogge ausführlichst zu Wort kommt:

Es war Rogge immer wichtig, sich auch in Finanzfragen zu beweisen. Als er das Amt übernahm, betrugen die IOC-Rücklagen 105 Millionen Dollar – inzwischen weit mehr als 600 Millionen, so dass das IOC in der Lage wäre, den Ausfall von Olympischen Spielen finanziell zu verkraften. Dieses Notfall-Szenario ist ein zentraler Punkt der IOC-Ideologie. Mitglieder, die den Kalten Krieg und die Zeit der Boykotte aktiv miterlebt haben, predigen diese finanzielle Stärke. Aus dem Kontostand erwächst Unabhängigkeit, so sehen das die Olympier. Und das ist wohl Rogges Vermächtnis. Neben einem Event, dass er fast im Alleingang durchsetzte, um seinen Olympia eine Frischzellenkur zu verpassen: die Olympischen Jugendspiele.

Jacques Rogge war 2001 in Moskau mit überzeugenden Botschaften angetreten:

Ich stehe für die Glaubwürdigkeit des Sports“

… sagte er.

Gegen Doping, gegen Korruption, gegen Gewalt.“

Ganz wichtig sei ihm auch, Gigantismus zu vermeiden und die Olympischen Spielen bezahlbarer zu machen. Außerdem wollte er das Olympische Programm, das im Grunde 60 Jahren geprägt wurde, moderner gestalten.

Elf Jahre später, vierzehn Monate vor seinem Abschied, lässt sich sagen: Rogge setzte mäßige Akzente. Gewiss hat kein IOC-Präsident vor ihm so oft von einer Null-Toleranz-Politik geredet. Null Toleranz gegenüber Doping, Korruption, Rassismus und allerlei anderen Ärgernissen. Rogge, in den außerhalb des olympischen Zirkels große Erwartungen gesetzt wurden, hat aber auch viele Chancen verstreichen lassen. Er hat sich bei den Sommerspielen 2008 in Peking zum Juniorpartner der chinesischen Parteibonzen degradieren lassen, seine Politik der stillen Diplomatie ist gescheitert. Er hat sich von anderen Despoten am Nasenring durch die Manege zerren lassen, etwa vom russischen KGB-Zaren Wladimir Putin, der unter mysteriösen Umständen die Winterspiele 2014 in seine Residenzstadt Sotschi holte.

Rogge hat zahlreiche Gelegenheiten verstreichen lassen, in der Doping- und Korruptionsbekämpfung energischer voranzuschreiten.

Zwei Beispiele nur:

  • Da wäre zum einen der intransparente Umgang mit den seit 2004 und 2008 eingefrorenen Dopingproben von Olympischen Spielen. Vieles wurde nicht getestet, manches vernichtet.
  • Da wäre zum anderen die Aufarbeitung des größten Korruptionssystems der olympischen Sportgeschichte: Die Sportmarketingfirma ISL hatte zwischen 1989 und 2001 mehr als 142 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld an hohe Sportfunktionäre des IOC und zahlreicher olympischer Weltverbände verteilt. Das ist seit 2008 gerichtsfest. Doch die so genannte Ethikkommission des IOC ermittelte spät und zaghaft. Einer der Schmiergeldempfänger, IOC-Doyen Joao Havelange, entzog sich einer möglichen Ahndung im Dezember 2011 durch einen Rücktritt. Woraufhin Rogge erklärte, Havelange sei nun Privatperson – das IOC könne aber nur über Mitglieder richten.

Rogges avisierte Programmreform scheiterte an den kollektiven Widerständen der 35 olympischen Sportverbände. Es gab nur zaghafte Änderungen. Viele der Sportarten sind nicht mehr universell und werden weltweit nur von wenigen tausend Menschen betrieben. Über die Jugendspiele, die ihre eigenen Gefahren kreieren, sollen die großen Spiele wichtige Impulse erhalten.

Rogge verpasste es auch, die 35 Weltverbände (und einige Dutzend mehr, die sich irgendwann einen Olympiastatus erhoffen) in der Doping- und Korruptionsbekämpfung an die Kandare zu nehmen. Das IOC hätte die Macht dazu, weil bis auf wenige Ausnahmen alle Verbände auf die olympischen Tantiemen angewiesen sind und ohne die Überweisungen aus Lausanne, den Prozenten aus den milliardenschweren TV- und Sponsorenverträgen des IOC, nicht überleben könnten. Rogge aber erwies sich als zu schwach und beschränkte den Wirkungskreis des IOC zunehmend auf die jeweils 17 Tage währenden Olympischen Spiele. Jahrzehntelang wurde die Frage diskutiert, ob das IOC eine Art Weltsportregierung sein könne und wolle – diese Frage ist längst entschieden.

Unter Jacques Rogge sind die Olympischen Spiele, entgegen seines Versprechens, gigantischer denn je. Die Winterspiele von Vancouver 2010 waren eine Ausnahme. Athen (Sommer 2004), zu großen Teilen mit EU-Subventionen finanziert, trug zum griechischen Desaster bei. Für Peking 2008 war den KP-Bonzen nichts zu teuer – die Investruinen, auch das architektonisch gepriesene Olympiastadion, zeugen davon. Für Sotschi 2014 und die eitlen Pläne von Putins Oligarchen-Kumpanen werden ganze Gebirgszüge gerodet.

Dagegen nimmt sich London 2012 noch relativ bescheiden aus. Immer wird ein düsteres Viertel des East End urbanisiert und aufgehübscht, es wird vergleichsweise nachhaltig geplant, das hat Qualität. Auch wenn die Kosten explodieren, in London gab es wenigstens so etwas wie parlamentarische Kontrolle. Reell kosten die Spiele mindestens 15 Milliarden Euro, wenn man den Infrastruktur-Etat, den Organisationsetat, die Sicherheitskosten und einige andere Posten addiert, die in der olympischen Propaganda gern auseinander gehalten werden.

Rogge ist zurückhaltender geworden in den vergangenen elf Jahren, misstrauischer, vorsichtiger und einsamer. Manche sagen, er vertraue allein seinem belgischen Landsmann Christophe de Kepper, der lange das IOC-Präsidialbüro führte, bevor er vor einem Jahr IOC-Generaldirektor wurde. De Kepper könnte für eine Zeit lang durchaus das Bindeglied sein zwischen dem alten IOC-Präsidenten und seinem Nachfolger. De Kepper spricht perfekt deutsch und leitete einst das EU-Büro des deutschen Sports in Brüssel.

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