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Das Olympische Bildungsmagazin

WM-Finaltickets gesucht? Kein Problem, es ist alles verfügbar

SANDTON. Wie viel Geld täglich in der „Il Ritrovo Lounge“ umgesetzt wird? Genau weiß das keiner. Es ist eine Menge. Auffallend viele untersetzte Typen bevölkern die Bar. Aus ihren Kehlen dringen harte nordenglische Töne. Ihre Augen scannen stets die Umgebung. Manche bedienen drei Handys gleichzeitig. Anrufe, Textnachrichten, Emails. Sie verlassen hektisch ihre Plätze, erwarten Klienten. Die Anspannung ist offensichtlich. Die Männer sind Tickethändler. Es läuft nicht gut, und ihr Risiko wächst täglich.

Auch Enrique Byrom wuselt herum, Mitinhaber der skandalumwobenen Agentur MATCH, die für den Weltverband FIFA exklusiv mit den WM-Tickets und Hospitality-Paketen dealt. Byrom sondiert die Lage, versucht hier und da zu schlichten. Auf ihn sind die Männer nicht gut zu sprechen, die verzweifelt versuchen, die Ware abzusetzen. Alles ist noch zu haben. Tickets für jedes WM-Spiel in beinahe sämtlichen Kategorien. Brasilien, Deutschland, Argentinien, Spanien sehen? Kein Problem. Nicht mal für Wucherpreise.

MATCH ist eine Tochter Firma des Sportvermarkters Infront, der japanischen Agentur Dentsu (langjähriger ISL-Partner bzw. Teilhaber) und der mexikanischen Brüder Jaime und Enrique Byrom.

Nachtrag, 17. Juni 2010, Feststellung von Infront:

Infront Sports & Media hält einen Minderheitsanteil von lediglich fünf Prozent an Match Hospitality (nicht Match Services) und ist/war entsprechend nicht am Verkauf der regulären Eintrittskarten für die FIFA WM 2010 beteiligt.

Die undurchsichtigen Geschäfte der Byrom-Brüder sorgen seit Jahrzehnten für Irritationen und Skandale. Immer wieder werden sie von der FIFA mit Exklusivrechten bedacht – auch diesmal hatte der Vertrag den Geruch der Vetternwirtschaft, denn einer der Teilhaber an MATCH ist Infront-Geschäftsführer Philippe Blatter ist Neffe des FIFA-Präsidenten Joseph Blatter.

Nachtrag, 17. Juni 2010, Feststellung von Infront:

Philippe Blatter hält weder an Infront noch an Tochtergesellschaften bzw. Minderheitsbeteiligungen unserer Firma persönliche Anteile. Infront Sports & Media bzw. die Vorgängerfirma KirchSport (bis 2001) unterhält bereits seit über zehn Jahren auf mehreren Ebenen Geschäftsbeziehungen zur FIFA und nicht erst seit dem Antritt Philippe Blatters als Infronts President & CEO im Juli 2006.

Das Geschäft ist lukrativ, angeblich erwartete MATCH einen dreistelligen Millionengewinn. Doch diesmal verkalkulierte man sich total. Als hätten die FIFA-Geschäftemacher nie von einer Weltwirtschaftskrise gehört, als wüsste man nicht, dass die WM im südafrikanischen Winter ausgetragen wird. Die exorbitanten Preise, die sie selbst kreierten, und die Diskussionen über die Sicherheitslage in Südafrika schreckten potenzielle Kunden ab.

Im Dezember wurden die WM-Vorrundengruppen ausgelost. Bis dahin hatte man das Problem verdrängt. Vier Wochen später offenbarte MATCH in einem Workshop mit jenen Firmen, die für teure Lizenzzahlungen als Unterhändler agieren, das Ausmaß des Dilemmas: Weit mehr als eine Million Karten waren noch auf dem Markt. In den Hospitality-Programmen waren zu manchen Spielen noch 90 Prozent der Tickets zu haben. So entschied sich die FIFA, bei Privatkunden um Business-Tickets zu werben. Ein einmaliger Vorgang.

Der Notfallplan im Original, vorgestellt auf dem Workshop:

Die FIFA startete eine PR-Offensive und lud ausgewählte Journalisten nach Zürich zu so genannten Ticket-Workshops. Generalsekretär Jerome Valcke damals:

“Wir mussten begreifen, dass die Welt sich ändert und es zurzeit auch wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage nicht mehr so einfach ist für die Fans, ans andere Ende der Welt zu fliegen um Fußball zu gucken. Deshalb werden wir bis zum letzten Moment alles versuchen und allen, die sich in den nächsten Tagen entscheiden, bestmögliche Angebote machen.�

Tickets kamen zu Schleuderpreisen auf den Markt und wurden in Südafrika frei verkauft, nicht mehr nur online. Vor wenigen Tagen sind sogar 38.000 Hospitality-Tickets, zehn Prozent des Kontingents, in den Freiverkauf gelangt. “Es war eine schwierige Situation. Definitiv liegen wir unter den Erwartungen. Definitiv wird der Tickethandel bei dieser WM für MATCH keine profitable Nummer, sagt Valcke vier Tage vor dem Eröffnungsspiel. 5.000 Tickets werden jetzt angeblich noch täglich abgesetzt. In FIFA-Kreisen wird gemurmelt, nach diesem Desaster könne Sepp nicht an seinem Neffen festhalten und werde möglicherweise den Vertrag mit MATCH kündigen, der ja auch die WM 2014 beinhaltet.

Mal abgesehen von den Sorgen der Tickethändler: Für den normalen Fan ist das wunderbar. Wann hat man als Normalsterblicher schon Gelegenheit, ein WM-Finale für 800 US-Dollar zu verfolgen – und dabei den ganzen Tag bewirtet zu werden? Einmal im Leben.

Für 800 bis 900 Dollar sind die billigsten Finaltickets noch zu haben. Das Problem ist nur: Wer will deshalb extra nach Südafrika fliegen und ein Mehrfaches des Ticketpreises für Flüge und Hotels ausgeben?

Einige unter denen, die im FIFA-Hotel „Michelangelo Towers“, in der angrenzenden Shopping Mall und auf dem Mandela Square herumwuseln, sind offizielle Agenten, die viel Geld für die Exklusivrechte an MATCH überwiesen haben. Sie mussten Karten für den so genannten „face value“, den aufgedruckten Preis, und einen saftigen Aufschlag kaufen.

Manche von ihnen tragen kurze Hosen, aber davon sollte sich niemand täuschen lassen. Es ist ein Business, kein Tourismus, und der Ton wird zunehmend rauer, je mehr Tage vergehen und je öfter die Erwartungen enttäuscht werden. Manche haben ein zweites Problem: Wer gut im Geschäft ist, der handelt auch mit Karten für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London. Demnächst sind Anzahlungen fällig. „Ich muss in Südafrika verdienen, um London finanzieren zu können“, sagt einer.

Gerade passiert Joseph Blatter die Bar, um sich im FIFA-Club die erste Halbzeit des Spiels zwischen Italien und Paraguay anzuschauen. „Sehen Sie, da ist der Profiteur“, zischt der Tickethändler, „der macht den Reibach. Die Blatter-Familie kassiert. Und wir tragen das Risiko.“ Sie sprechen offen über die Lage, sie lassen sich auch zitieren, allerdings unter einer Bedingung: Keine Namen! Sie möchten anonym bleiben. Denn wer einmal plaudert, wer einmal offen die FIFA und MATCH kritisiert, der ist für alle Zeiten draußen. „Der kann sich einen anderen Job suchen.“ Wer will das schon, in diesen schweren Zeiten.

Nach Gesprächen mit einem halben Dutzend Agenten und Ticketdealern lässt sich destillieren: Die Experten gehen davon aus, dass nur etwa 50 bis 60 Prozent der rund drei Millionen WM-Eintrittskarten (inklusive der Hospitality-Pakete) zum Marktwert verkauft wurden. Schätzungsweise ein Drittel wurde unter Wert verschleudert, teilweise an Schulklassen verschenkt, um die Stadien zu füllen. Die FIFA lobt sich dafür, denn nur dadurch können viele Südafrikaner ins Stadion gehen.

Mindestens zehn Prozent der Tickets dürften noch auf dem Markt sein, sagen die harten Jungs an der Basis. Sie trauen den Zahlen nicht, die etwa FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke seit zwei Wochen verbreitet. 97 bis 98 Prozent verkaufte Tickets? Wer immer danach gefragt wird, muss lachen. Das Lachen geht stets in Fluchen über.

Man muss sich das so vorstellen mit dieser WM: Für alles, was gut läuft, ist die FIFA wenigstens mitverantwortlich, wenn es nicht gar Verdienst des Großen Vorsitzenden Joseph Blatter ist. Für Widrigkeiten aber trägt die mit unermesslicher Weisheit geführte FIFA keine Verantwortung. Ein Beispiel dafür ist der Ticketverkauf.

Wie viel Minus MATCH gemacht hat, weil außerhalb Afrikas erschreckend wenige Firmenkunden die überteuerten Pakete buchten, kann FIFA-Generalsekretär Valcke nicht sagen. „Fragen sie MATCH.“

Spricht man mit Enrique Byrom, sagt der zunächst: „Wir machen eine sehr gute Arbeit!“ Byrom trägt einen dunkelblauen FIFA-Anzug, wie Blatter und Valcke. Er redet auch so. „Die Banken sind ein Problem. Die sehen das nicht gern, wenn Firmen in dieser Phase Hospitality-Pakete buchen“, sagt Byrom. Flink nennt er weitere Schuldige an der Misere. Die Namen sprudeln nur so aus ihm heraus. Enrique Byrom ist ein impulsiver Typ, der irgendwie glaubt, die Welt schätze seine Leistung nicht hoch genug ein.

„Wenn wir keine Wirtschaftskrise hätten und bessere Teams bei der WM, wäre das alles kein Problem.“

Bessere Teams? Sind die 32 Qualifizierten nicht gut genug?

Byrom meint, einige Nationen hätten besser nicht zur WM fliegen sollen, weil sie ihm das Geschäft vermiest haben: Nordkorea und Slowenien etwa. „Wissen Sie, wie viele Tickets wir in Nordkorea abgesetzt haben?“ Man ahnt es, sagt aber sicherheitshalber: Eins für den Staatspräsidenten? „Zero! Nicht mal eins!“

Byrom redet sich in Rage, denn außer den Nordkoreaner, von denen es nun wirklich niemand anders erwartet hat, enttäuschen ihn einige große Fußballnationen. Auf die Franzosen ist er gar nicht gut zu sprechen. „Stellen sie sich vor, Irland hätte sich in den Play-offs gegen Frankreich qualifiziert“, sagt Byrom. „Dann hätten wir locker 15.000 Tickets verkauft.“ Aber so: „Drei- bis viertausend.“ In Deutschland kaum mehr: „Dreitausend.“ Es wäre auch besser gewesen, hätte sich Costa Rica statt Uruguay qualifiziert, meint Byrom.

Dumm nur, dass die Teams nicht so mitspielten, wie es sich der skandalerprobte FIFA-Vermarkter wünscht. 250 Millionen Dollar hat Match umgesetzt, davon nur 180 Millionen in Südafrika – und nur 70 Millionen im Rest der Welt. Ein Desaster.

Wie viel Geld hat MATCH verloren an dieser WM? „Volle Stadien sind uns wichtiger als Geld verdienen.“ Auch dieser Satz hätte von Blatter stammen können. Wer’s glaubt.

In der Praxis zeigt sich, dass MATCH seit jenem legendären Workshop Anfang Januar in Zürich, als mit den Lizenznehmern die alarmierende Lage besprochen wurde, wohl kaum Verkaufserfolge erzielt hat. Ein Beispiel: Für das Spiel zwischen Holland und Dänemark (2:0) im Soccer City Stadion von Johannesburg, waren im Januar laut MATCH-Unterlagen noch 85 Prozent der zweitbesten Kategorie verfügbar. Daran hat sich offenbar kaum etwas geändert, denn diese „Skyboxen B“ waren am Montag so gut wie unbesetzt. Jeder im Stadion, der es sehen wollte, konnte das Desaster erkennen.

Gemäß FIFA-Angaben waren die Stadien in den ersten elf Spielen bis Montagabend zu insgesamt 94 Prozent ausgelastet. Mediendirektor Nicolas Maingot verkündete am Dienstag: Nach den USA 1994, als durchschnittlich 68.991 Besucher gezählt wurden, sei diese WM die „bisher zweiterfolgreichste aller Zeiten“. In Südafrika sollen mit knapp 53.000 einige Zuschauer mehr als 2006 in Deutschland die Arenen bevölkern. Sagt die FIFA.

Teilweise klaffen große Lücken auf den Rängen. „Es ist nicht schön, freie Plätze zu sehen, aber die Zahlen sind gut“, sagt Maingot. Er behauptet, es würden stets nur jene Zuschauer gezählt, die die Stadiontore passieren. Für rund zweieinhalb bis drei Millionen Euro pro Stadion wurden elektronische Zählsysteme angeschafft. Die Daten werden zentral erfasst, von MATCH und FIFA.

Wer aber je von den Ordnern lässig durchgewunken wurde, glaubt kaum, dass es die Südafrikaner so ernst nehmen mit dem Zählen. Die Tickethändler in der Ritrovo Lounge glauben das schon gar nicht.

(Ich denke, einige Links werden noch nachgetragen. Eine kürzere, unverlinkte Variante dieses Beitrages ist heute in einige Tageszeitungen erschienen, u.a. in der NZZ)

Hier als Nachtrag noch ein Foto der Ticket-Zählautomaten, gerade im Loftus Versfeld Stadium von Pretoria geknipst. Ich bin allerdings durch sämtliche Kontrollpunkte durchgelaufen, habe drauf geachtet, dass meine Akkreditierung nicht richtig zu sehen war. Dennoch kein Problem. Auch keine Sicherheitsschleuse, kein Scanner, nichts.



22 Gedanken zu „WM-Finaltickets gesucht? Kein Problem, es ist alles verfügbar“

  1. Gemäß FIFA-Angaben waren die Stadien in den ersten elf Spielen bis Montagabend zu insgesamt 94 Prozent ausgelastet.

    Zwei mal drei macht vier,
    widewidewitt und drei macht neune,
    ich mach mir die Welt,
    widewide wie sie mir gefällt.

  2. Kurzhinweis: Das „lässig durchgewinken wurde“ würde ich noch schnell lässig korrigieren. :-)

  3. Danke für diesen tollen Hintergrundbericht. Da bin ich ja mal gespannt, wieviel mit die FIFA für meine Tickets zurückzahlt. Der Status steht auf „Tickets sold“, nur der Preis ist ein Geheimnis…

  4. @JW
    wo du gerade beim korrigieren warst — du müsstest auch noch ein Tor für Oranje schießen, glaube ich ;-)

  5. Pingback: Südafrika, Tag 12: Bafana Bafana vs Uruguay : jens weinreich

  6. Diese Südafrikaner (und ihre Gäste) sind aber auch zu blöd.
    Die gehen ins Stadion rein und gleich wieder raus und geben dafür auch noch Geld aus, anstatt wenigstens mal kurz ihren Platz einzunehmen und ein wenig Fussball zu gucken. ;-)
    Aber da kann ja die FIFA nix für, oder?

    Vielen Dank für den (die) überaus interessanten Bericht(e) aus Südafrika – und das ist ganz ernst gemeint!!

  7. Ich war in der Schweiz, als sie im eigenen Land so unglücklich rausgeflogen sind:
    Ich gönne denen alles (außer einen Sieg gegen uns)!

  8. Und falls man das Geld doch nicht in der erwarteten Höhe zusammenkriegt, dann hat die FIFA auch schon wieder andere Einnahmequellen gefunden Spon

  9. Ist das etwa der wahre Grund, warum die Vuvuzelas nicht von der FIFA verboten werden? Weil dann keine Südafrikaner mehr die Spiele besuchen würden und die FIFA mehr Angst vor Bildern von komplett leeren Stadien hat als vor der Wut der weltweiten Fußballfans?

    Das würde sogar (aus FIFA- Sicht) Sinn ergeben….

  10. Pingback: Südafrika, Tag 13: Allez les Bleus! : jens weinreich

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