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Das Olympische Bildungsmagazin

Stil- und Textkritik: der FIFA-Ethikcode

Wir müssen die ethischen und moralischen Grundsätze des Sports für zukünftige Generationen schützen und fördern.

— Lord Sebastian Coe, ehemaliger FIFA-Ethikchef, IAAF-Vizepräsident, Organisationschef der Olympischen Spiele 2012 und IOC-Mitglied in spe, bei Amtsantritt als Sepp Blatters Ober-Ethiker

Hoppala! Hatte ich nicht kürzlich angemahnt, dass der FIFA derzeit eine Ethik und eine Ethik-Kommission fehlt? Nach dem erfolgreich eingereichten Urlaub von Lord Sebastian Coe war ja nicht nur der Posten des Kommissionschefs verwaist, bis vor wenigen Tagen existierte nicht einmal mehr ein Gebilde, das sich in irgendeiner Weise mit, nun ja, ethischen Fragen hätte beschäftigen können.

Das amtlich bestätigte Ergebnis unserer freundlichen Umfrage hier im Blog hat FIFA-Präsident Joseph Machiavelli Blatter allerdings ignoriert: Statt des Investigativjournalisten Andrew Jennings wurde Claudio Sulser neuer Ober-Ethiker der FIFA.

Die PR-Schaffenden der FIFA teilen dazu mit:

Claudio Sulser ist Anwalt und ehemaliger Fussballspieler. Er spielte für Vevey-Sports, Grasshopper Club Zürich (vier Meisterschaftstitel und ein Pokalsieg) und den FC Lugano. Zudem bestritt er 49 Länderspiele für die Schweiz. Als Stürmer war er zweimal Torschützenkönig der Schweizer Liga und einmal des Europapokal der Pokalsieger. Er ist Mitglied der Anti-Doping-Kommission von Swiss Olympic und als selbständiger Anwalt in der Kanzlei Sulser & Jelmini in Lugano tätig.

Zu Herrn Sulser später mal mehr. Erst einmal bin ich beruhigt, dass in der FIFA wieder auf Geschäftsethik geachtet wird.

Vor einigen Tagen sah die Webseite zur Ethikkommission noch so aus:

Ethics Committee - The new composition of this committee will be confirmed in due course.

Screenshot FIFA.com Februar 2010

Nun ist sie wieder lebendig:

Ethics Committee - Chairman: Claudio SULSER, Deputy Chairman: Petrus DAMASEB, Member: ...

Screenshot FIFA.com, März 2010 – Habemus Ethik-Kommission!

Und wir können uns den Inhalten widmen. Ich muss ein schweres Versäumnis gestehen, denn noch nie habe ich den fein ziselierten „FIFA Code of Ethics“ verlinkt, geschweige denn besprochen. Das holen wir nun gemeinsam nach.

Ich erinnere mich übrigens noch sehr gut daran, dass ich mal Thema eines Vorläufers der FIFA-Ethikkommission war, in einem Aufwasch mit Fatih Terim und Jack Warner. Nur geschah das hinter meinem Rücken.

Protokoll-Deckblatt von Sitzung 4 der FIFA-Ethik-Kommission, 15.02.2006

Ethik-Sitzung #4, Februar 2006 — featuring: Mohammed Bin Hammam (Deputy Chairman) and Mr Jack A. Warner („partially in attendance in order to be heard“)

Denn Angeklagte, wenn sie so schwere Verbrechen begangen haben wie ich, werden von der Kommission nicht gehört. Kann auch daran liegen, dass ich nicht zur Familie gehöre. Egal.

Auszug aus dem Protokoll von Sitzung 4 der FIFA-Kommission für Ethik und Fairplay, 15.02.2006

TOP 1: Fatih Terim („No conclusion“), TOP 2: Weinreich/BLZ („The committee unanimously agreed the general secretary's motion“)

Als ich einige Monate später das Protokoll jener Kommissionssitzung in den Händen hielt, in der ich zur persona non grata, erklärt wurde, habe ich mich sofort per Email an den Präsidenten gewandt und um Aufklärung gebeten. Das traf sich gut, denn es war gerade Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland und der Präsident deshalb regelmäßig im Interconti in Berlin. Es vergingen nur einige Minuten, da wurde ich für den kommenden Tag zum Frühstück bei Sepp geladen. Dabei…

  • a) gab er sich keine Mühe, zu verbergen, dass ihm die Geschichte durchaus peinlich war, und
  • b) war er echt neugierig, über welche Quelle wohl das Protokoll nach außen gelangt war.
  • c) entschuldigte er sich bei mir und erklärte, der Bann der Ethik-Kommission sei ja nie ratifiziert worden, weil er das Thema von der Tagesordnung der Sitzung des Exekutivkomitees im März 2006 genommen hatte.

Sein damaliger Generalsekretär Urs Linsi hatte das zwar gewollt – doch Sepp hatte (und hat) das letzte Wort. „Sie wissen doch, der Linsi …“ Mehr möchte ich aus jenem Gespräch gar nicht weitergeben, schließlich muss es Geheimnisse zwischen mir und Sepp geben, ein Gespräch unter Männern sollte nicht in jedem x-beliebigen Blog ausgebreitet werden.

Ein Ehrenwort bleibt ein Ehrenwort.

Jedenfalls, nicht erst in diesen Minuten begriff ich, dass Linsi nicht mehr sehr lange Generalsekretär bleiben würde. Schließlich hatte ich einige Monate zuvor in Marrakesch jene legendäre Auslosung verfolgt, als Linsi beim Versuch scheiterte, für zwei Play-off-Spiele (Australien ./. Uruguay, Bahrain ./. Trinidad & Tobago) unfallfrei das Heimrecht „auszulosen“. Es galt also lediglich eine Kugel aus einem Topf zu ziehen – Blatter saß daneben und feixte.

Doch ich schweife ab. Wer mehr über Linsi lesen mag und darüber, was er heute so treibt (Präsident und CEO von GC), bitteschön: Eine interessante Geschichte fand ich dieser Tage im Tagesanzeiger bzw. der Basler Zeitung von Thomas Schifferle: „Immer der Macht nach“. Ich frage mich zwar, warum ich in Schweizer Zeitungen derlei Analysen und Episoden erst immer lese, wenn diejenigen, die beschrieben werden, nicht mehr so mächtig sind. Egal.

Am liebsten würde ich jetzt also ein wenig über Form und Inhalt des FIFA Ethik-Codes diskutieren. Macht jemand mit?

Hier zunächst das prächtige Corpus Delicti (im umgangssprachlichen Sinn gemeint, liebe FIFA-Anwälte):

PRÄAMBEL

Die FIFA trifft eine besondere Verantwortung, die Integrität und das Ansehen des Fussballs weltweit zu wahren. Die FIFA ist unablässig bestrebt, den Ruf des Fussballs und insbesondere der FIFA vor unmoralischen oder unethischen Machenschaften und Praktiken zu schützen. Vor diesem Hintergrund wurde das folgende Reglement erlassen.

I. ANWENDUNGSBEREICH

1. Natürliche Personen

  1. Dieses Reglement gilt für alle Offiziellen. Offizielle sind alle Vorstandsmitglieder, Kommissionsmitglieder, Schiedsrichter und Schiedsrichterassistenten, Trainer, Betreuer sowie die technischen, medizinischen und administrativen Verantwortlichen der FIFA, einer Konföderation, eines Verbands, einer Liga oder eines Klubs.
  2. Art. 2, 3, 7, 8, 13 und 14 sowie Kapitel III dieses Reglements gelten analog für Spieler, Spielervermittler und Spielvermittler gemäss Definition in den FIFA-Statuten.
  3. Andere Ethik- und Verhaltensvorschriften, die für Offizielle, Spieler, Spielervermittler und Spielvermittler gelten, bleiben von diesem Reglement unberührt, sofern sie den nachfolgenden Bestimmungen nicht widersprechen.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich

Das Reglement kommt bei allen Vorfällen zur Anwendung, die sich nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Reglements ereignet haben. Zusätzlich kommt es bei einem früheren Vergehen zur Anwendung, wenn die Sanktion für den Urheber dadurch gleich oder geringer ausfällt und die FIFA-Ethikkommission erst nach Inkrafttreten des vorliegenden Reglements über den betreffenden Vorfall entscheidet.

3. Allgemeine Bestimmungen

  1. Von den Offiziellen wird erwartet, dass sie sich der Bedeutung ihres Amts und der damit verbundenen Pflichten und Verantwortlichkeiten bewusst sind. Sie haben mit ihrem Verhalten den Zweck und die Zielsetzung der FIFA, der Konföderationen, Verbände, Ligen und Klubs in jeder Hinsicht zu unterstützen und zu fördern und alles zu unterlassen, was diesem Zweck und dieser Zielsetzung abträglich ist. Sie respektieren die Tragweite ihrer Treuepflicht gegenüber der FIFA, den Konföderationen, Verbänden, Ligen und Klubs und vertreten diese ehrlich, aufrichtig, respektvoll und integer.
  2. Bei der Ausübung ihres Amts sind Offizielle zu ethischem, würdevollem, absolut glaubwürdigem und integrem Verhalten verpflichtet.
  3. Bei der Ausübung ihres Amts dürfen Offizielle ihre Stellung in keiner Weise missbrauchen. Sie dürfen ihre Stellung insbesondere nicht für private Zwecke oder persönliche Vorteile ausnutzen.

4. Wählbarkeit und Absetzung

  1. Nur Personen, die sich durch ein moralisch hochstehendes und integres Verhalten auszeichnen und sich vorbehaltlos zur Einhaltung dieses Reglements verpflichten, sind als Offizielle wählbar.
  2. Vorbestrafte Personen sind nicht wählbar, sofern sich das Vergehen nicht mit der Ausübung ihres Amts vereinbaren lässt.
  3. Offizielle, die dieses Reglement nicht einhalten oder ihre Pflichten und Verantwortlichkeiten insbesondere in finanzieller Hinsicht schwerwiegend verletzen oder unangemessen erfüllen, sind nicht länger wählbar und ihres Amtes zu entheben.

II. VERHALTENSREGELN

5. Interessenkonflikte

  1. Vor einer Wahl oder Ernennung müssen Offizielle ihre persönlichen Interessenbindungen offenlegen, die ihr Amt tangieren könnten.
  2. Bei der Ausübung ihres Amts müssen Offizielle alle Situationen vermeiden, die zu Interessenkonflikten führen können. Interessenkonflikte entstehen, wenn Offizielle private oder persönliche Interessen haben oder zu haben scheinen, die eine integre, unabhängige und zielgerichtete Erfüllung ihrer Pflichten als Offizielle beeinträchtigen. Private oder persönliche Interessen umfassen jeden möglichen Vorteil für sich selbst, seine Familie, Verwandten, Freunde und Bekannten.
  3. Bei einem bestehenden oder möglichen Interessenkonflikt dürfen Offizielle ihr Amt nicht ausüben. Ein solcher Interessenkonflikt ist unverzüglich offenzulegen und der Organisation zu melden, für die der Offizielle sein Amt ausübt.
  4. Wird hinsichtlich eines bestehenden oder möglichen Interessenkonflikts Einwand erhoben, ist dies unverzüglich der Organisation zu melden, für die der Offizielle sein Amt ausübt.
  5. Die Entscheidinstanz der betreffenden Organisation entscheidet über solche Interessenkonflikte.

6. Verhalten gegenüber staatlichen und privaten Organisationen

Im Umgang mit staatlichen Institutionen, nationalen und internationalen Organisationen, Verbänden und Gruppierungen sind Offizielle neben der Einhaltung der allgemeinen Bestimmungen von Art. 3 zu einem politisch neutralen, integren und ihrem Amt angemessenen Verhalten im Sinne des Zwecks und der Zielsetzung der FIFA, der Konföderationen, Verbände, Ligen und Klubs verpflichtet.

7. Diskriminierung

Offiziellen ist es verboten, eine Person oder eine Gruppe von Personen durch herabwürdigende, diskriminierende oder verunglimpfende Äusserungen oder Handlungen in Bezug auf Herkunft, Rasse, Hautfarbe, Kultur, Sprache, Religion oder Geschlecht zu verletzen.

8. Schutz der Persönlichkeitsrechte

Offizielle sind bei der Ausübung ihres Amts dafür besorgt, dass die Persönlichkeitsrechte der Personen, mit denen sie in Kontakt treten und die von ihrem Wirken betroffen sind, gewahrt, respektiert und geschützt werden.

9. Loyalität und Geheimhaltung

  1. Offizielle haben sich bei der Ausübung ihres Amts insbesondere gegenüber der FIFA, den Konföderationen, Verbänden, Ligen und Klubs absolut loyal zu verhalten.
  2. Informationen, von denen Offizielle bei der Ausübung ihres Amts Kenntnis erlangen, sind je nach Amt und als Zeichen der Loyalität vertraulich zu behandeln oder geheim zu halten. Informationen oder Meinungsäusserungen sind gemäss den Grundsätzen, Weisungen und Zielen der FIFA, der Konföderationen, Verbände, Ligen und Klubs weiterzuleiten.

10. Annahme und Gewährung von Geschenken und sonstigen Vorteilen

  1. Offiziellen ist es untersagt, von Dritten Geschenke und sonstige Vorteile anzunehmen, die angesichts der örtlichen kulturellen Gegebenheiten einen üblichen und verhältnismässigen Wert überschreiten. Im Zweifelsfall ist das Geschenk zurückzuweisen. Die Annahme von Geldgeschenken ist in jeder Höhe und Form verboten.
  2. Offizielle dürfen bei der Ausübung ihres Amts Dritten Geschenke und sonstige Vorteile gewähren, die angesichts der örtlichen kulturellen Gegebenheiten einen üblichen und verhältnismässigen Wert nicht überschreiten, sofern damit keine unredlichen Vorteile erlangt werden und dadurch keine Interessenkonflikte entstehen.
  3. Offiziellen ist es ohne ausdrückliche Erlaubnis untersagt, sich bei offiziellen Veranstaltungen auf Kosten der FIFA, der Konföderationen, Verbände, Ligen, Klubs oder anderer Organisationen von Familienmitgliedern oder Partnern begleiten zu lassen.

11. Bestechung

  1. Offizielle dürfen sich nicht bestechen lassen. Geschenke oder sonstige Vorteile, die ihnen zum Zweck einer Pflichtverletzung oder eines unredlichen Verhaltens zum Vorteil Dritter angeboten oder versprochen werden oder zugekommen sind, haben sie folglich zurückzuweisen.
  2. Offiziellen ist es untersagt, Dritte zu bestechen oder zur Bestechung anzuhalten oder anzustiften, um sich oder einem Dritten dadurch einen Vorteil zu verschaffen.

12. Provisionszahlungen

Offiziellen ist es ohne ausdrückliche Erlaubnis der vorgesetzten Behörde untersagt, für die Vermittlung von Geschäften jeder Art im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Amts Provisionszahlungen anzunehmen oder versprechen zu lassen. Bei Fehlen einer vorgesetzten Behörde entscheidet das Gremium, dem der Offizielle angehört.

13. Wettspiele

Offiziellen ist es untersagt, sich direkt oder indirekt an Wetten, Glücksspielen, Lotterien oder ähnlichen Veranstaltungen oder Geschäften im Zusammenhang mit Fussballspielen zu beteiligen. Sie dürfen sich weder aktiv noch passiv an Gesellschaften, Unternehmen, Organisationen etc. beteiligen, die solche Veranstaltungen oder Geschäfte fördern, vermitteln, organisieren oder betreiben.

14. Anzeige- und Rechenschaftspflicht

  1. Offizielle müssen Vorkommnisse, die einen Verstoss gegen die Verhaltensvorschriften dieses Reglements beweisen, dem FIFA-Generalsekretär melden, der diese dem zuständigen Organ meldet.
  2. Die beteiligten Personen haben sich auf entsprechende Anordnung bei der zuständigen Behörde zu melden und insbesondere Rechenschaft über ihre Einkünfte abzulegen und angeforderte Belege zur Einsichtnahme vorzulegen.

III. VERFAHRENSORDNUNG

15. Zuständigkeit der Ethikkommission

  1. Die Ethikkommission beurteilt Fälle, die in die Zuständigkeit der FIFA fallen.
  2. Die FIFA ist für das Verhalten von FIFA-Offiziellen zuständig.
  3. Die FIFA ist ferner für das Verhalten von Offiziellen bei Konföderationen, Verbänden, Ligen und Klubs sowie von Spielern, Spielervermittlern und Spielvermittlern zuständig, sofern der Sachverhalt, der dem mutmasslich regelwidrigen Verhalten zugrunde liegt, eine internationale (verbandsüberschreitende) Dimension hat und nicht auf Konföderationsebene zur Beurteilung gelangt.
  4. Die FIFA ist ebenfalls für nationale Fälle zuständig, sofern es Verbände, Konföderationen und andere Sportorganisationen unterlassen, ein Verfahren einzuleiten, oder sie dieses nicht gemäss den geltenden Rechtsgrundsätzen durchführen.

16. Anzeige

Die FIFA nimmt nur Anzeigen des Exekutivkomitees eines Verbands, des Exekutivkomitees einer Konföderation, der Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees und des FIFA-Generalsekretärs entgegen.

17. Anwendbarkeit des FIFA-Disziplinarreglements

  1. Die Ethikkommission kann alle in den FIFA-Statuten und dem FIFA-Disziplinarreglement festgehaltenen Disziplinarmassnahmen aussprechen.
  2. Alle Organisations- und Verfahrensvorschriften des FIFA-Disziplinarreglements finden bei den von der Ethikkommission geführten Verfahren unmittelbar Anwendung, sofern das vorliegende Reglement keine anderslautenden Bestimmungen enthält oder soweit die Vorschriften des FIFA-Disziplinarreglements mit Blick auf den Zweck und den Inhalt des vorliegenden Reglements offenkundig nicht angewandt werden können.

18. Rechtsmittel

Gegen alle Entscheide der Ethikkommission kann bei der Berufungskommission Rechtsmittel eingelegt werden, mit Ausnahme der Entscheide, bei der die folgenden Sanktionen ausgesprochen wurden:

  • a) Ermahnung;
  • b) Verweis;
  • c) Sperre von weniger als drei Spielen oder höchstens zwei Monaten;
  • d) Geldstrafe von unter CHF 7500.

Die Berufungskommission entscheidet letztinstanzlich. Vorbehalten bleibt die Berufung beim Sportschiedsgericht (CAS) gemäss Art. 63 der FIFA-Statuten.

19. Zuständigkeitsüberschneidungen

Sachverhalte, die in den Anwendungsbereich sowohl des Ethikreglements als auch des FIFA-Disziplinarreglements fallen, werden primär von der FIFA-Disziplinarkommission beurteilt. Die Vorsitzenden der beiden Kommissionen stimmen sich hinsichtlich der Zuständigkeit aber in jedem Fall ab.

IV. SCHLUSSBESTIMMUNGEN

20. Offizielle Sprachen

  1. Dieses Reglement erscheint in den vier offiziellen Sprachen der FIFA (Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch).
  2. Im Falle unterschiedlicher Auslegung der vier Versionen ist der englische Text massgebend.

21. Inkrafttreten

Dieses Reglement wurde vom FIFA-Exekutivkomitee am 31. Mai 2009 genehmigt und tritt am 1. September 2009 in Kraft.

Was fällt mir dazu ein. Grundsätzlich dies: Ich stelle mir vor, wie Sepp & Don Julio gelacht haben müssen, als sie das Papier verabschiedeten.

Einige meiner Lieblingspassagen (meine Kommentare kursiv in Klammern):

Die FIFA ist unablässig bestrebt, den Ruf des Fussballs und insbesondere der FIFA vor unmoralischen oder unethischen Machenschaften und Praktiken zu schützen.

(No comment :)

Das Reglement kommt bei allen Vorfällen zur Anwendung, die sich nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Reglements ereignet haben.

(Das gefällt mir außerordentlich. Denn als irgendwann im Herbst 2006 Jack Warner trotz tonnenweise Belastungsmaterial mit der Begründung freigepaukt wurde, die Kommission könne nicht „retrospektiv“ tätig werden. Ich verliebte mich augenblicklich in dieses Wort: „Ethisch retrospektiv“!)

Bei der Ausübung ihres Amts sind Offizielle zu ethischem, würdevollem, absolut glaubwürdigem und integrem Verhalten verpflichtet.

Bei der Ausübung ihres Amts dürfen Offizielle ihre Stellung in keiner Weise missbrauchen. Sie dürfen ihre Stellung insbesondere nicht für private Zwecke oder persönliche Vorteile ausnutzen.

Nur Personen, die sich durch ein moralisch hochstehendes und integres Verhalten auszeichnen und sich vorbehaltlos zur Einhaltung dieses Reglements verpflichten, sind als Offizielle wählbar.

Vorbestrafte Personen sind nicht wählbar, sofern sich das Vergehen nicht mit der Ausübung ihres Amts vereinbaren lässt.

(Wer hat das denn formuliert, Trottel!? Soll der Laden auseinander fliegen?)

Vor einer Wahl oder Ernennung müssen Offizielle ihre persönlichen Interessenbindungen offenlegen, die ihr Amt tangieren könnten.

(Bei Jack Warner würde das einige Jahre dauern.)

Bei der Ausübung ihres Amts müssen Offizielle alle Situationen vermeiden, die zu Interessenkonflikten führen können. Interessenkonflikte entstehen, wenn Offizielle private oder persönliche Interessen haben oder zu haben scheinen, die eine integre, unabhängige und zielgerichtete Erfüllung ihrer Pflichten als Offizielle beeinträchtigen. Private oder persönliche Interessen umfassen jeden möglichen Vorteil für sich selbst, seine Familie, Verwandten, Freunde und Bekannten.

(Oh, meinen die das ernst, Jack? Was soll der Quatsch?)

Bei einem bestehenden oder möglichen Interessenkonflikt dürfen Offizielle ihr Amt nicht ausüben. Ein solcher Interessenkonflikt ist unverzüglich offenzulegen und der Organisation zu melden, für die der Offizielle sein Amt ausübt.

(Jack, mach mal, und sag Ricardofranzjulio auch gleich Bescheid, okay?!)

Die Entscheidinstanz der betreffenden Organisation entscheidet über solche Interessenkonflikte.

(Clevere Jungs :)

Informationen, von denen Offizielle bei der Ausübung ihres Amts Kenntnis erlangen, sind je nach Amt und als Zeichen der Loyalität vertraulich zu behandeln oder geheim zu halten. Informationen oder Meinungsäusserungen sind gemäss den Grundsätzen, Weisungen und Zielen der FIFA, der Konföderationen, Verbände, Ligen und Klubs weiterzuleiten.

(Scheiß auf Whistleblower! Verräter!)

Offiziellen ist es untersagt, von Dritten Geschenke und sonstige Vorteile anzunehmen, die angesichts der örtlichen kulturellen Gegebenheiten einen üblichen und verhältnismässigen Wert überschreiten.

(In Saudi-Arabien geht schon mal ein Benz durch.)

Offiziellen ist es ohne ausdrückliche Erlaubnis untersagt, sich bei offiziellen Veranstaltungen auf Kosten der FIFA, der Konföderationen, Verbände, Ligen, Klubs oder anderer Organisationen von Familienmitgliedern oder Partnern begleiten zu lassen.

(Oh, hat da jemand einen Schreibfehler gemacht? Diesen blöden Satz bitte: löschen!)

Offizielle dürfen sich nicht bestechen lassen. Geschenke oder sonstige Vorteile, die ihnen zum Zweck einer Pflichtverletzung oder eines unredlichen Verhaltens zum Vorteil Dritter angeboten oder versprochen werden oder zugekommen sind, haben sie folglich zurückzuweisen.

(Alles klar, Jack!)

Offiziellen ist es untersagt, Dritte zu bestechen oder zur Bestechung anzuhalten oder anzustiften, um sich oder einem Dritten dadurch einen Vorteil zu verschaffen.

(Jean-Marie ist ja kein Offizieller, sondern nur Geschäftspartner und Berater von Issa Hayatou.)

Offiziellen ist es ohne ausdrückliche Erlaubnis der vorgesetzten Behörde untersagt, für die Vermittlung von Geschäften jeder Art im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Amts Provisionszahlungen anzunehmen oder versprechen zu lassen. Bei Fehlen einer vorgesetzten Behörde entscheidet das Gremium, dem der Offizielle angehört.

(Da muss man nacharbeiten oder vielleicht auch den ganzen Paragrafen löschen?)

Offiziellen ist es untersagt, sich direkt oder indirekt an Wetten, Glücksspielen, Lotterien oder ähnlichen Veranstaltungen oder Geschäften im Zusammenhang mit Fussballspielen zu beteiligen. Sie dürfen sich weder aktiv noch passiv an Gesellschaften, Unternehmen, Organisationen etc. beteiligen, die solche Veranstaltungen oder Geschäfte fördern, vermitteln, organisieren oder betreiben.

(Das könnte interessant werden. Gilt der Paragraf auch für Aufsichts/Verwaltungsräte bei Lotto-Toto, Oddset oder sonstwo?)

Offizielle müssen Vorkommnisse, die einen Verstoss gegen die Verhaltensvorschriften dieses Reglements beweisen, dem FIFA-Generalsekretär melden, der diese dem zuständigen Organ meldet.

(Unbedingt erst an die FIFA gehen, nicht gleich an die Ethik-Kommission. Man weiß ja nie, ob so ein Ethik-Kommissionschef nicht durchdreht und ethisch agiert.)

Die Ethikkommission beurteilt Fälle, die in die Zuständigkeit der FIFA fallen. Die FIFA ist für das Verhalten von FIFA-Offiziellen zuständig.

(Wie jetzt? Seit wann denn das?)

Die FIFA nimmt nur Anzeigen des Exekutivkomitees eines Verbands, des Exekutivkomitees einer Konföderation, der Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees und des FIFA-Generalsekretärs entgegen.

(Sicher ist sicher. Diese Absicherung muss sein. Wäre ja noch schöner, wenn jeder anzeigen oder whistleblowen dürfte!)

20 Gedanken zu „Stil- und Textkritik: der FIFA-Ethikcode“

  1. Hallo,

    wieder mal tonnenweise Material – wie schon so oft in den letzten Tagen. Dafür vielen Dank, Herr Weinreich!

    Nach Durchsicht des Ethik-Codes fühlte ich mich gleich an die Zeilen erinnert, die Prälat Ludwig Wolker – einer der Mitgründer des Deutschen Sportbundes im Jahre 1950 – auf dem DSB-Bundestag 1955 in Stuttgart sprach. Wie in jeder guten Sonntagsrede hören sich die Worte gut an – Das einmal übernommene Amt verlangt die Durchführung der Aufgaben in kluger Planung und Vorbereitung, in Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Pflichttreue, in opferfreudiger und selbstloser Hingabe. Das reine Motiv darf nicht getrübt werden durch Motive wie Ehrgeiz, Geltungsdrang, Eifersucht, gar durch Motive persönlicher Ehre, persönlichen Vorteils oder materiellen Gewinns.“ – aber blieben in der Praxis jedoch fast folgenlos. Die Sportführung um Willi Daume bemühte sich um einen guten Draht zu den wichtigen staatlichen Stellen, um im Systemwettstreit mit der DDR über ausreichende finanzielle Reserven zu verfügen. Und auch das eine oder andere Insider-Geschäft vergoldete die Kontakte aus dem internationalen Sportnetzwerk. Wer mehr über die Vorgänger von Sepp und Co. in Deutschland erfahren will, wird unter anderem hier Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970 fündig.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Praktische Wirkung wird auch dieses literarisch tiefschürfende Werk der FIFA wohl kaum entfalten.

    VG,
    JCR

  2. „Sie wissen doch, der Linsi …“ Mehr möchte ich aus jenem Gespräch gar nicht weitergeben, schließlich muss es Geheimnisse zwischen mir und Sepp geben, ein Gespräch unter Männern sollte nicht in jedem x-beliebigen Blog ausgebreitet werden.

    „Wie ist es nun, bin ich nun „Persona non grata?“
    (mit einen treuherzigen Blick in die Augen) „Denken Sie ich bin so blöd?“
    „Nein, Sie sind nicht so blöd.“

    ;)

  3. Wenn der Ethik-Code schon nicht dazu verwendet wird, um Regelverstöße zu ahnden, so bietet er dem geneigten Leser innerhalb der Familie doch eine hervorragende Ausgangsbasis für Planungen, wie man sich weitere Standbeine aufbauen kann.
    So müssen neu „gewählte“ Mitglieder nicht das Rad neu erfinden, sondern können auf die aufgelisteten, in der Praxis erprobten Vorgehensweisen zurückgreifen.
    Gut dass es mal jemand aufgeschrieben hat.

  4. besonders gefällt mir auch Punkt sieben. Diskriminierung. Hatte da nicht jemand letztes Jahr ein kleineres Thema mit dem irischen Fußballverband? Kleinigkeiten im großen Musikantenstadl, aber immerhin.

    Punkt 16 ist allerdings auch mein Highlight. Es müssten sich also die Leute anzeigen, die von der Anzeige betroffen werden. Und über Sanktionen entscheiden die besten Freunde … Wahnsinnig transparent und die beste Grundlage für sauberes Arbeiten in diesem tollen Verein.

    Wie steht es denn eigentlich mit der Anstiftung zur Bestechung von dritten? Jean-Marie wird sicherlich die bestätigten 138 Millionen Franken nicht freiwillig gezahlt haben, oder? Oder die netten Kollegen des VISA-Konzerns …

    Einen ähnlichen Text hat sicherlich auch der Siemens-Konzern in seinen Dokumentarchiven.

  5. 3. Allgemeine Bestimmungen

    1. Von den Offiziellen wird erwartet, dass sie sich der Bedeutung ihres Amts und der damit verbundenen Pflichten und Verantwortlichkeiten bewusst sind. …. Sie respektieren die Tragweite ihrer Treuepflicht gegenüber der FIFA, den Konföderationen, Verbänden, Ligen und Klubs und vertreten diese ehrlich, aufrichtig, respektvoll und integer.

    „Wenn wir Probleme haben in der Familie, dann gehen wir doch nicht zu anderen, sondern lösen die in der Familie.“ (Wer hats erfunden?)

  6. @ Gua: Oh. Wer hat denn da geschwätzt und wieder seinen Mund nicht halten können? Unmöglich.

    @ Thomas Seeholzer: Sehr gut erkannt! Beste Voraussetzung, um selbst FIFA-Funktionär zu werden. Glückwunsch, bitte via DFB bewerben.

  7. Jens, der hat sich genau so angehört, wie der, der in dem Amerell-Sportgespräch neulich immer nichts sagen wollte wegen Post vom Anwalt und so!

  8. Die Diskussion über Ethik will nicht so recht in Gang kommen, was? Vom Chef schon fast befohlen, in eine Diskussion einzutreten und dann bis eben nur 8 Kommentare?! Ich bin schwer enttäuscht von der ethischen Lustlosigkeit. Hoffentlich spiegelt dass nicht die Einstellung der FIFA Oberen wieder.

  9. enrasen: Es war ein Versuch. Ich werde es immer wieder versuchen. Ethische Lust ist doch noch nicht zu verachten. Und irgendwann werden Sepp & Jack auch wieder aus dem Schatten der Claudia Pechstein treten.

  10. jetzt muss ich hier aber mal in schutz nehmen. und zwar beides. kommentatoren wie auch den ethik-code — zweifelsohne ein kleinod. womöglich liegt es ja daran, dass du selber ja alles schon sehr ausführlich kommentiert hast. und eh man dann nur ein schlichtes „genau so ist es! meine rede! wollte ich auch sagen!“ drunter schreibt, hält man sich dann eben eher zurück.

    die verweigerungshaltung der kommentatoren ist doch außerdem eine schöne spiegelung der verweigerungshaltung der fifa, den code tatsächlich umzusetzen. so symbolik kann ja gar nicht hoch genug bewertet werden.

    denn in der tat: an dem tag, an dem die fifa beginnt, den code ernsthaft umzusetzen, könnte sie den laden dicht machen. auch und gerade in verbindung mit II/14, der ja sinngemäß auch noch das wegschauen verbietet. gut ist natürlich der gag mit den „landesüblichen“ und „verhältnismäßigen“ geschenken, die erlaubt sein sollen. wie das dann in der praxis mit der umsetzung aussieht, ist ja absehbar…

    interessant wäre vielleicht noch — daran habe ich zumindest spontan gedacht — was unser aller theo z. wohl so über artikel 8 denkt, ob er ihn überhaupt kennt.

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