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Das Olympische Bildungsmagazin

Wie die Leichtathletik-WM nach Berlin kam

Jubel bei Schily, Wowi & Co.

Happy End in Helsinki, Dezember 2004 — WM-Sieg für Berlin!

So war das damals, am 4. Dezember 2004, als das IAAF-Council die Leichtathletik-WM 2009 an Berlin vergab. Da freuten sich Otto Schily, Clemens Prokop, Klaus Wowereit, Klaus Böger, Dagmar Freitag und einige andere der üblichen Verdächtigen.

Der Weg zur WM war steinig und lang. Er war, nicht nur gelegentlich, kurios. Und oft genug auch aufregend. Ich habe mal eine kleine Chronik zusammengestellt, wie Berlin an diese WM kam. Es ist wirklich nur eine Andeutung der vielen Geschichten. Aus Zeitgründen kann ich kaum etwas verlinken. Ich habe selbst viel dazu in der Berliner Zeitung geschrieben, etliche Textpassagen finden sich in der Chronik.

Wer Lust hat, ein wenig zu googeln: Im Lokalteil der BLZ, im Tagesspiegel (Frank Bachner, Jörg Wenig), in der Morgenpost (Sebastian Arlt), in der FAZ (Michael Reinsch) und in der Süddeutschen (Robert Hartmann) sollten sich dazu viele andere Beiträge finden. Eine hübsche Chronik, die auch die Ereignisse und Schmierenkomödien ab Dezember 2004 einbezieht, findet sich u.a. auf sport1.de.

Auf der Webseite des WM-Organisationskomitees (BOC) beginnt die Geschichte der WM 2009 erst im Frühjahr 2005. Tatsächlich aber hat Berlin mehr als zwanzig Jahre auf die WM gewartet. 1989, kurz vor dem Mauerfall, war Berlin mit seiner Offerte für die WM 1991 gegen Tokio unterlegen. Kurz darauf folgte die peinliche Bewerbung um die Olympischen Spiele 2000, die lange nachwirkte, weil der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ein solches Desaster auf internationaler Bühne nicht noch einmal erleben wollte.

Die Leichtathletik-WM wurde erst wieder im Sommer 1999 ein Thema. Eine (unvollständige) Chronik der Ereignisse:

* * *

August 1999: Am Morgen des letzten Tages der WM in Sevilla lädt der Italiener Primo Nebiolo, seit knapp zwanzig Jahren IAAF-Supremo, einige Journalisten zum Imbiss.

In seiner unvergleichlichen Art, mit krächzender Stimme, gibt er seine Pläne für die nächste Dekade zum Besten: Die Weltmeisterschaften sollen in Metropolen ausgetragen und gleich im Paket vergeben werden. Nebiolo hat sich auf diese Ausrichter festgelegt: Paris (2003), London (2005), Tokio (2007), Berlin (2009). „Die Städte haben diese Daten akzeptiert“, flunkert er.

Im politischen Berlin weiß man angeblich von nichts. Dabei hatte sich Nebiolo schon 1998 mit Diepgen getroffen, doch der war zögerlich geblieben und konnte andere Verpflichtungen vorschieben – Regierungsumzug, Wahlkampf -, um nicht nach Sevilla fliegen zu müssen.

Rudi Thiel, damals Istaf-Chef, hat wie immer große Pläne:

Wir wollen das neue Olympiastadion 2005 mit der Leichtathletik-WM einweihen!

IAAF-Councilmitglied Helmut Digel sagt: „2009 ist eigentlich viel zu spät, da leben wir ja bald nicht mehr.“ Digel erklärt außerdem:

Bisher war die WM-Vergabe eine emotionale und irrationale Entscheidung. Jetzt ist sie professionell und marktorientiert.

Was zu beweisen wäre.

November 1999: Primo Nebiolo stirbt im Alter von 76 Jahren an einem Herzinfarkt. Lamine Diack aus dem Senegal wird zunächst Interims-Präsident der IAAF, ab 2001 dann regulärer Chef.

Januar 2000: Berlin verpasst den Bewerbungsschluss für die WM 2003 und 2005. Die IAAF signalisiert, eine verspätete Offerte anzunehmen. „Wir wollen die WM 2005“, sagt der damalige Istaf-Manager Michael John, „aber die Operation kann nicht in einer Woche über die Bühne gehen.“ Die Politik kalkuliert einen Zuschuss von 15 Millionen Mark aus öffentlichen Mitteln. Digel schimpft: „Wenn Berlin die WM 2005 will, muss man sich endlich artikulieren!“

Februar 2000: Der Senat reicht die von der IAAF geforderte Finanzgarantie nach. Zu spät, Berlin kommt nicht mehr in den Wettbewerb.

April 2000: Das IAAF-Council setzt Nebiolos Pläne um. Die WM 2003 geht an Paris, die WM 2005 an London, obwohl die Briten kein WM-taugliches Stadion haben.

April 2001: London hat zu viel versprochen, hat aber weder ein Stadion noch Geld, um die WM auszurichten. London gibt die WM 2005 zurück.

Gleichzeitig gerät die IAAF wie viele andere Weltverbände – und auch das Istaf – in finanzielle Turbulenzen, weil die weltgrößte Sportmarketingagentur ISL/ISMM Konkurs anmelden muss. Diepgen sieht seine Felle auch langsam davon schwimmen. Schwere Zeiten brechen an.

November 2001: Die IAAF beendet das Kapitel London endgültig, nachdem die britische Regierung eine Stadionfinanzierung ablehnt. Die WM 2005 wird neu ausgeschrieben.

Januar 2002: In Berlin regiert jetzt Klaus Wowereit (SPD). Sein Senat beschließt eine WM-Bewerbung für 2005 und will sich mit 15 Millionen Euro beteiligen. „Wenn es teurer wird, werden wir andere Wege finden“, sagt SPD-Fraktionschef Peter Strieder. „Der neue Senat hat schnell Einigkeit demonstriert“, erklärt Digel.

Trotz der notwendigen Sparpolitik ist es ganz wichtig, dass man der Bevölkerung das eine oder andere Highlight präsentiert.

Februar 2002: Der DLV entscheidet sich gegen die Offerten von Stuttgart und München – für die Bewerbung Berlins. IAAF-Vizepräsident Digel rät:

Da muss sich Berlin einiges einfallen lassen. Man kann ja in dieser Stadt nicht gerade auf ein besonders leidenschaftliches Leichtathletik-Publikum zurückgreifen. Die Arbeit muss deshalb sofort beginnen, um 2005 an jedem Tag ein volles Stadion zu haben.

März 2002: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), sonst nur als Fußballfan bekannt, hilft seinem Genossen Wowereit und empfängt die IAAF-Prüfungskommission im Bundeskanzleramt. Delegationschef Lou Dapeng (China) spricht der Bewerbung „olympisches Niveau“ zu.

12. April 2002: Berlins WM-Bewerber um Klaus Wowereit sind schon nach Nairobi zur entscheidenden IAAF-Councilsitzung unterwegs, als sich die Lage des Istaf zuspitzt – die Trägergesellschaft muss Insolvenz anmelden. Istaf-Manager Stéphane Franke ist sauer auf alles und jeden. Auf den DLV und den Senat sowieso:

„Bei der WM-Bewerbung haben sie sich alle gedrängt“, schimpft Franke. „Das Überleben des größten deutschen Leichtathletik-Meetings scheint ihnen offensichtlich nicht so wichtig zu sein.“

Die IAAF-Councilmitglieder erhalten ein Fax mit Istaf-Briefkopf, das über den Insolvenz-Antrag informiert. Unterstützung durch Politik und Wirtschaft könne man in Berlin vergessen, heißt es. Aufruhr im WM-Team. Digel wettert:

Der Autor hat auf kriminelle Weise versucht, die Bewerbung zu beeinflussen. Da kamen Intelligenz und Dummheit zusammen.

Der DLV erstattet Anzeige gegen Unbekannt.

13. April 2002: Wowereit versucht im Gespräch mit Diack zu retten, was nicht zu retten ist. Das Bundeskanzleramt lässt die Telefondrähte nach Nairobi glühen.

14. April 2002: Das IAAF-Council entscheidet sich im vierten Wahlgang für Helsinki – gegen Berlin und Budapest. Moskau, Brüssel und Rom schieden zuvor aus. Die Berliner beschließen noch am Abend eine erneute Bewerbung, für die IHK-Chef Werner Gegenbauer das Kommando hat, der später auch das Istaf übernimmt.

Vier Jahre später akzeptiert Stéphane Franke gemäß FAZ (Juni 2006) einen Strafbefehl wegen Urkundenfälschung. Das ominöse Fax, das die Unterschrift des damaligen Istaf-Geschäftsführers Jürgen Demmel trug, stammte von ihm.

November 2002: Wowereit fliegt zur IAAF-Gala nach Monaco. Helsinki hat Probleme, weshalb er auch einen Berliner Seiteneinstieg hofft. Die IAAF vergibt die WM 2007 an Osaka.

November 2003: Berlin bereitet die Bewerbung für 2009 nun generalstabsmäßig vor und richtet die Sitzung des IAAF-Councils aus.

März 2004: Offizielle Gründung des Bewerbungskomitees.

Juni 2004: Übergabe der Bewerbungsunterlagen an die IAAF in Monte Carlo. Die WM-Kosten werden auf 40 Millionen Euro geschätzt. Berlin trägt davon 17 Millionen. „Wir hoffen noch auf einen Gewinn“, sagt DLV-Präsident Clemens Prokop. „Wir sind gut aufgestellt“, verspricht Wowereit.

September 2004: Im für fast eine Viertelmilliarde Euro frisch renovierten Olympiastadion, das Ende Juli eröffnet wurde, ist die blaue Bahn der Star. Beim 63. Istaf melden die Organisatoren um Werner Gegenbauer Besucherrekord: Angeblich sollen es 60.000 Menschen gewesen sein. Berlin und seine Zuschauerzahlen – ein Thema für sich. Egal, die anwesenden IAAF-Funktionäre sind beeindruckt. Berlin punktet.

November 2004: Die WM-Bewerbung gerät in Gefahr. Als die Evaluierungskommission der IAAF mit der S-Bahn zum Olympiastadion fährt, steigt ein Kontrolleur ein und will Tickets sehen. Gegenbauer wundert sich: „Sonst kontrolliert hier niemand!“. Er hat aber vorgesorgt: „Wir hatten bezahlt, bloß gut.“

4. Dezember 2004: IAAF-Councilsitzung in Helsinki. Verbliebene Berliner Kontrahenten sind Split und Valencia, die niemand ernst nimmt.

Während die Berliner ihre Präsentation – mit den ehemaligen Stars Heike Drechsler und Frankie Fredericks (Namibia) sowie der Kanadierin Charmaine Crooks – mehrfach proben, stellten sich die Gegner an wie Amateure. Spaniens Verbandschef Jose Maria Odriozola versucht verzweifelt, seinen Laptop anzuschmeißen. Das amerikanische Councilmitglied Robert Hersh ruft ihm zu: „Versuch’s mal mit Strom.“

Kein Problem für Berlin: Souveräner WM-Sieg mit 24 von 26 Stimmen. Das Ende der Tour der Leiden, der letzte Wille von Primo Nebiolo.

Otto Schily, Klaus Wowereit, Bärchen — auf der Sieger-PK in Helsinki 2004

Auf der Pressekonferenz nach dem Sieg sitzen Wowereit und Schily in der ersten Reihe. Gegenbauer hat sich schon zurückgezogen – symbolhaft für seinen baldigen Abschied aus der WM-Organisation, die die SPD-Truppe um Wowereit und Prokop dominiert.

3 Gedanken zu „Wie die Leichtathletik-WM nach Berlin kam“

  1. Pingback: insolvenzia

  2. Hatten die „Bewerbungsbären“ auf dem Pressepodium eigentlich schon einen Namen oder sind das die BerlinosProblembären im Embryonalstadium?

  3. Tja, Stephane Franke.

    Ich kenne ihn nur aus der Ferne. Aber er stand ja auch im Verdacht mit anderer Leute Zahnpasta hantiert zu haben.

    Ist das wirklich einer dem alles Mögliche zuzutrauen ist oder ist er doch eher so harmlos wie du und ich, bzw. wie er auch den Anschein macht.

    Kleine Anekdote noch zum Thema Franke: Nach der EM 2002 in München schaltete ich mich bei Eurosport in eine Zusammenfassung ein und vernahm eine Stimme, die ich nicht identifizieren konnte. Im Lauf des Programms gelangte ich zur Auffassung, der Kommentator habe nicht viel drauf, nur beim Langstreckenlauf sähe es ein wenig besser aus.

    Am Ende hörte ich, Stephane Franke sich verabschieden und ich war etwas verblüfft. Naja, vielleicht hatte er einen schlechten Tag oder ich. Oder es stimmte sogar.

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