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Das Olympische Bildungsmagazin

Play the Game 2009

Jens Sejer Andersen hat es wieder geschafft. Von Montag bis Freitag (8.-12. Juni) findet zum sechsten Mal die Konferenz Play the Game statt – nach vier Mal Kopenhagen und ein Mal Reykjavik nun also in Coventry. Ich werde von dort berichten – und in der Coventry Cathedral mit Richard Pound (IOC), Mario Goijman (Volleygate), Christer Ahl (Handball/IHF), Robert Lloyd (One World Trust) und Lars Haue-Pedersen (TSE Consulting) auch über die Lage im olympischen Weltsport, über Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit der 1999 vom IOC verabschiedeten Reformen diskutieren:

Ten years after the IOC reforms – the state of governance in sport

Mein Vortragsthema in Coventry hat Übersichts-Charakter, ist Stammlesern hier gut bekannt, international aber unbedingt verbreitungspflichtig, weil das Thema weltweit nur von sehr wenigen Journalisten konsequent behandelt worden ist:

The ISL bribery system: 138 million CHF for high-ranking officials in the Olympic world

In der Programmkommission von Play the Game habe ich minimalen Anteil an der Vorbereitung der Konferenz. Mein Fokus war auf die Auswertung der vorgeschlagenen Vortragsthemen und auf die Verpflichtung des AIBA-Präsidenten Ching-Kuo Wu gerichtet. Eigentlich war mit Wu alles klar, doch kurzfristig wurde wieder nichts aus der Teilnahme des Box-Präsidenten. Wu ist eines von zahlreichen IOC-Mitgliedern, die in den vergangenen Jahren Play the Game fernblieben. Richard Pound macht wieder einmal eine Ausnahme. Er lässt sich die Teilnahme an Konferenzen, die er für wichtig hält, von niemandem verbieten. Aber vielleicht sollte ich besser vorsichtiger sein und fomulieren: Ich hoffe, bei Pound kommt nicht noch etwas Überraschendes dazwischen.

Zur Einstimmung auf die Konferenz stelle ich hier gern ein Kapitel zur Verfügung, das Jens Sejer Andersen für unser gemeinsames Buch „Korruption im Sport“ geschrieben hat. Ein Beitrag über Journalismus, die sagenhafte Sportfamilie und die Chancen eines weltweiten Netzwerkes:

Play the Game: Der ungleiche Kampf mit einer global operierenden Bewusstseins-Industrie 

Vier Worte auf einem kleinen gelben Zettel. So wenige Mittel reichen aus, wenn man jemanden davor warnen möchte, sich mit den Machthabern des Sports anzulegen.

Als wir an einem Sonntag Vormittag im November 2000 froh und gespannt in der Lobby des Kopenhagener Hotels „DGI byen“ standen und unsere Gäste zur Konferenz Play the Game willkommen hießen, entdeckten wir etwas Ungewöhnliches: Unter einem der Namensschilder, die auf dem Willkommenstresen lagen, klebte ganz diskret einer der wohlbekannten kleinen gelben Merkzettel. Das Namensschild wartete darauf, dass sich sein rechtmäßiger Eigentümer, ein Journalist und Mitverfasser eines besonders kritischen Buches über die FIFA, anmeldete. Wären wir ihm nicht zufälligerweise zuvorgekommen, hätte er zusätzlich zur Willkommensmappe folgenden Gruß erhalten, anonym und in blauen Blockbuchstaben geschrieben: „WE ARE WATCHING YOU“.

Es handelte sich hier kaum um einen anonymen Verehrer. Deshalb zogen wir den Gast aus Deutschland später zur Seite und machten ihn auf den Zettel aufmerksam. Es soll erwähnt werden, dass Jens Weinreich unbeschädigt von seinem Auftritt auf der Konferenz davon kam, aber für uns war die Episode nur noch eine Bestätigung dafür, dass die internationale Welt des Sports ein, milde gesagt, angespanntes Verhältnis zur Meinungsfreiheit und offenen Diskussion hat. Zwei Tage zuvor hatte einer der Hauptredner der Konferenz, der italienische Anti-Doping-Kämpfer Sandro Donati, eine niederschlagenden E-Mail mit der Überschrift „Conference bye bye“ geschickt. Nach drei Wochen langem Tauziehen mit dem italienischen olympischen Komitee CONI, bei dem Donati als Forschungsleiter angestellt war, hatte er immer noch keine Ausreiseerlaubnis erhalten. Da CONI zur gleichen Zeit mit den elf Gerichtsverfahren beschäftigt war, die es im Laufe der Jahre gegen Donati eingeleitetet hatte, um ihn zu entlassen, traute Donati sich nicht, ohne CONI’s Stempel in den Reiseunterlagen das Land zu verlassen. (Damals konnte er nicht wissen, dass er alle elf gewinnen würde!) Es brauchte einen Protest von den Teilnehmern der Konferenz und ein strenges Fax unserer Mitveranstalter im Internationalen Journalistenverband (IFJ), bevor CONI’s Generalsekretär Raffaele Pagnozzi widerstrebend erklärte: „At this stage and having seen what has happened, Mr. Donati can, as free citizen, take part freely to any conference.“

Die Erlaubnis kam so spät, dass wir Donati als allerletzten Punkt auf unsere Programmliste setzen mussten. Nach dem Drama um den führenden Dopingjäger dieser Welt wurde es ein unvergessliches Finale mit stehendem Applaus der Teilnehmer.

Wir hätten CONI eine Dankeskarte schicken sollen – für ihre Hauptrolle in der Planung einer so hervorragenden Dramaturgie. 

Totalitäre Züge – illegale Diskussionen

Die Beispiele des Jahres 2000 sind keine Einzelfälle. Nach nun vier Play-the-Game-Konferenzen für  Journalisten, Forscher und Sportfunktionäre, die alle Meinungsfreiheit und Demokratie im Weltsport fördern möchten, müssen wir feststellen, dass die Welt des Sports – die häufig von sich selbst und anderen als einer der Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft hervorgehoben wird – in Wirklichkeit eine Furcht vor dem freien Wort hat, die sonst totalitären Regierungsformen eigen ist. Bereits 1997 erlebten wir, wie der inzwischen verstorbene Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, Primo Nebiolo, norwegischen Athleten drohte, sie von der WM auszuschließen. Angeblich versuchte er dies auf Grund eines schon längst beigelegten Dopingprozesses. Laut internen Quellen im Verband aber war der wirkliche Grund, dass der frühere norwegische Athletikvorsitzende, Lars Martin Kaupang, während unserer allerersten Konferenz wenige Wochen vor der WM Nebiolos Führungsstil kritisiert hatte.

Auffällig war auch, als vier hervorragende Redner, die im Jahr 2002 definitiv zugesagt hatten, den Zustand in der FIFA zu diskutieren, einer nach dem anderen kurz zuvor, ja sogar während der Konferenz, absagten – mit dem Hinweis auf  „widersprüchliche Karriereinteressen“, „wichtige Geschäftstreffen“, „unvorhergesehene Vorkommnisse“ und „den Rat meines Arztes, zur Zeit nicht zu fliegen“.

An welche Art Regierungsform erinnert es, wenn der Volleyball-Weltverband FIVB als Antwort auf eine Einladung zur Konferenz im Jahr 2005 eine Diskussion über die Korruption im Verband als „illegal“ erklärt und jedem einzelnen mit Namen genannten Mitglied des Play the Game-Vorstandes und -Programmkomitees damit droht, alle zulässigen Mittel gegen sie zu verwenden? Wir mussten den FIVB freundlich darauf hinweisen, dass es in Dänemark gesetzlich erlaubt ist, auf Konferenzen Reden zu halten.

Diesen sehr deutlichen Beispielen, kann man zahlreiche Fälle hinzufügen, die alle in die gleiche Richtung weisen: Internationale Topmanager, die, trotz kollegialer Aufforderungen sich fernzuhalten, erscheinen, Geschäftsleute, die sich absichern, bevor sie eine Einladung annehmen und hilfreiche Menschen in der Welt des Sports, die von anderen attackiert werden, wenn herauskommt, dass sie Play the Game unterstützen. Nach dem Motto: „Hast Du ein Problem?“. Was auch immer wir und unsere Redner erlebt haben, es sind doch nur Liebkosungen im Vergleich zu den Gefahren, denen Journalisten weltweit ausgesetzt sind. Man kann vieles über die internationalen Verbände sagen, Gewalt haben sie aber bisher noch nicht gegen ihre Kontrahenten angewendet.

Gefahr für Sportjournalisten

Es sieht so aus, als sei es für den kritischen Journalisten umso gefährlicher, je weiter unten er sich in der Hierarchie des Sports befindet. Neulich wurde ein dänischer Kollege von einem Sponsor eines Handballklubs mit dem Tode bedroht, weil der Sponsor der Meinung war, dass der Journalist Lügengeschichten über die wirtschaftliche Lage des Klubs geschrieben hatte. Solche Drohungen scheinen häufiger zu werden, und es bleibt nicht immer bei Drohungen. Auf unserer Homepage sammeln wir zugängliche Informationen von Übergriffen auf Sportjournalisten, und wir sind nicht unbedingt stolz darauf, diese Liste vorzeigen zu können. Vier Sportjournalisten – allein drei von ihnen aus Kolumbien – haben in den letzten fünf Jahren mit ihrem Leben dafür bezahlt, ihrer Arbeit als Watchdogs, als „Wachhunde der Gesellschaft“, nachzugehen. Andere Kollegen wurden angeschossen, angestochen oder verprügelt. Nur wenige Millimeter trennten beispielsweise den griechischen Sportredakteur Philippos Syrigos davon, seine Hauptschlagader durchbohrt zu bekommen, als er an einem Oktobertag im Jahre 2004 von zwei unbekannten Männern auf der Straße in Athen abgepasst, zusammengeschlagen und niedergestochen wurde.

Die Nachforschungen der Polizei endeten in einer Sackgasse, und es gab drei wahrscheinliche Spuren: Entweder sollte Syrigos dafür bestraft werden, dass er enthüllt hatte, wie der Präsident des Fußballklubs Olympiakos Piräus kostenlos das mit öffentlichen Mitteln errichtete neue Stadion übernommen hatte, oder dafür, dass er den Dopingskandal um die griechischen Sprinter Ekaterini Thanou, Kostas Kenteris und ihrem Trainer Christos Tsekos aufgedeckt hatte. Ein dritter möglicher Feind war die Organisationschefin der Olympischen Spiele 2004, Gianna Angelopoulos-Daskalaki, die laut Syrigos guten Freunden zu lukrativen Marketingverträgen im Zusammenhang mit den Spielen verholfen hatte.

Innerhalb des folgenden Jahres wurden zwei weitere griechische Sportjournalisten mit Baseballschlägern und Schlagringen überfallen. Die Messer ließen die Banditen dieses Mal jedoch zu Hause. Die Reaktionen der griechischen und internationalen Sportorganisationen waren in beiden Fällen gleich: absolutes Schweigen. Nicht ein Wort zur Aufmunterung und Trost für die, die Leib und Leben dafür riskieren, dem Sport zu helfen, seine Probleme zu lösen. Nicht die geringste leise Verurteilung derer, die Korruption und Kriminalität im Sport mit Gewalt verteidigen. Wer auch immer der Feind gewesen war, Syrigos und seine Kollegen trafen ihn allein.

Todesstrafe für Fußballkritik

Ein weiterer einsamer Mann ist Zaw Thet Htwe, bis 2003 Chefredakteur des beliebtesten gedruckten Mediums in Burma, des Sportmagazins First Eleven. Im Frühling 2003 stellte er in seinem Magazin die Frage, was aus einer FIFA-Bewilligung von vier Millionen US-Dollar für den burmesischen Fußball geworden war. Die Antwort des Militärregimes kam wenige Monate später. Zaw Thet Htwe wurde verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Die Behörden behaupteten, dass Htwe dabei war, ein Bombenattentat zu planen. Es gibt jedoch viele Hinweise darauf, dass die Fußballartikel der einzige Sprengstoff waren, der zu seiner Verhaftung führten.

Nach einem Gerichtsverfahrens, das einer Parodie glich, wurde Zaw Thet Htwe zum Tode verurteilt. Erst nach internationalem Druck von Amnesty International und der Vereinigung Reporters Sans Frontières wurde die Strafe herabgesetzt und im Januar 2005 wurde er schließlich freigelassen. Jetzt übt er sich, wie er es formuliert, in Zurückhaltung – und das ist sicher auch klug so.

Weniger klug ist die Zurückhaltung, die die internationalen Sportorganisationen üben. Als ich unsere Konferenz im November 2005 mit dem Bericht über Htwe’s Fall eröffnete, war eine Gruppe von Journalisten so empört, dass sie darum bat, im Namen der Konferenz eine Antwort von der FIFA zu fordern. Warum hatte man Htwe nicht unterstützt und wo waren die FIFA-Mittel für Burma gelandet? Die FIFA, die im Laufe der Jahre systematisch jede Einladung von Play the Game abgelehnt hatte, antwortete überraschender Weise innerhalb von 24 Stunden. Der Kommunikationsdirektor Markus Siegler teilte mit, dass FIFA-Präsident Joseph Blatter am 16. Januar 2004, als er von dem Fall Htwe erfahren hatte, einen persönlichen Brief an den Vorsitzenden des burmesischen Fußballverbandes, Oberst Htike Thaung, geschrieben und ihn darum gebeten hatte, sich für Zaw Thet Htwe einzusetzen. Die Rede war einmal mehr von der „Fußballfamilie“ und ihren „globalen Werten“: Toleranz, Universalität, Fairplay und Respekt. 

Der Sport: Familie oder Demokratie?

Der Brief birgt einen der vielen Schlüssel, der uns helfen kann zu verstehen, warum es dem internationalen Sport so schwer fällt, sich Kritik und Diskussion zu öffnen, und warum er von undurchsichtigen Freundschaftsdiensten, heimlichen Vereinbarungen und direkter Korruption geplagt wird: Der Schlüssel ist das Wort Familie.

Laut Blatter – und vielen anderen Topmanagern – besteht der Sport aus Familien. Im Fußball besteht diese Familie nicht nur aus Verband, Spielern und Funktionären, sondern auch aus Fans und Journalisten. Die Sorge um Zaw Thet Htwes Freiheit, die Pressefreiheit oder um die Korruption im burmesischen Fußball bringt Blatter nicht dazu, an seinen burmesischen Verbandsgenossen zu schreiben. Nein, es geschieht zum Schutze eines Familienmitgliedes.

In einer Familie gelten viele Spielregeln. In der Familie des Sports hat der Vater das Sagen. In der Familie nehmen wir Rücksicht aufeinander. Man hilft einander. Man kritisiert einander nicht unnötig – und man kritisiert einander auf keinen Fall gegenüber Mitgliedern anderer Familien. Diese Spielregeln sind ganz andere als die Regeln der Demokratie. Die Familie setzt voraus, dass wir alle gemeinsame Interessen haben. Die Demokratie dagegen baut auf der Erkenntnis auf, dass wir verschiedene Interessen haben, und bietet uns eine Methode, mit welcher wir unsere Interessenkonflikte lösen können. Dies wiederum setzt voraus, dass die Konflikte sichtbar werden und diskutiert werden können. Wenn die Angelegenheiten des Sports nur den Sport selbst etwas angingen, könnten wir die Familienmitglieder sich selbst überlassen.

In den letzten 30 Jahren hat sich der Sport zu einem unvergleichlichen ökonomischen, politischen und kulturellen Machtfaktor entwickelt. Es ist daher wichtig für demokratische Gesellschaften, dass der Sport sein internes Verhalten eben als Demokratie ernst nimmt – und nicht als Familie. Sonst riskiert der Sport auf Dauer, mit anderen erwerbstätigen Gruppen zu verschmelzen, die große Vermögen verwalten, jenseits von Recht und Gesetz leben, frei über die Landesgrenzen hinweg operieren – und deren Struktur ebenfalls auf familiären Werten aufbaut. Für diese Art von Organisation gibt es einen berüchtigten Namen, ein bekanntes italienischen Fremdwort.

Jenseits von Recht und Gesetz

Es gibt andere Gründe dafür, dass sowohl Sportorganisationen wie auch die Gesellschaft ein gemeinsames Interesse an einer durchsichtigeren und demokratischeren Verwaltung des internationalen Sports haben sollten. Der Sport ist durch einen dichten organisatorischen Zusammenhang vom internationalen Verband bis zum kleinen lokalen Verein gekennzeichnet. Wenn die öffentlichen Geldströme an Vereine und den nationalen Verband gerechtfertigt werden, erfahren wir, dass das Vereinsleben die „Wiege der Demokratie“ ist und dass die Kinder und Jugendlichen durch den Sport lernen, sich sozial zu verhalten und Verantwortung in der Gemeinschaft zu übernehmen. Mit anderen Worten: Der Sport erzieht zur guten Staatsbürgerschaft. Vor diesem Hintergrund dürfen wir hohe Erwartungen an die Gesellschaften des Sports selbst haben – die Organisationen, die der Sport selbst gebildet hat und souverän kontrolliert.

Doch so eindeutig ist das Bild der Vereinsorganisationen nicht.

Auf lokaler Ebene sehen wir in großen Teilen Europas eine blühende Vereinskultur, die von hunderttausenden von Freiwilligen erschaffen wird und die im besten Fall für den größten Teil der Bevölkerung offen ist. Sie kann ein inspirierender Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche sein und Entfaltungsspielraum für das zwischenmenschliche Engagement bieten. Allerdings wird dies von Vorstellungen bedroht, die den Sport allein als Unterhaltungsmaschinerie begreifen. Jugendliche treten zunehmend keinem Sportverein mehr bei. Diese Entwicklung wird durch Tendenzen befördert, dass der in den Vereinen angebotene Sport immer mehr Arbeit statt reinem Vergnügen ähnelt.

Neue Sportformen, die Menschen anziehen, die von anderen Träumen angetrieben werden als von Medaillen und Aufstieg, wachsen schneller außerhalb von Vereinen als innerhalb. Skating, Spinning, Fitness – allein in meinem Zwergenland Dänemark haben 200.000 Bürger in den letzten Jahren angefangen, Nordic Walking auszuüben. In der Stadt und auf dem Land wimmelt es jetzt von Skiläufern ohne Skier. Wenn die Vereine und nationalen Verbände in der Hoffnung auf Hilfe und Inspiration zu ihren internationalen Vertrauenspersonen hinaufsehen, suchen sie vergeblich. Diese Verbände sind mehr damit beschäftigt, Menschen in die Rolle von Fernsehzuschauern oder Verbrauchern der gesponserten Produkte zu drängen, als sie vom Sofa auf den Sportplatz zu locken.

In anderen Kapiteln dieses Buches werden zahlreiche Beispiele dafür genannt, wie die internationalen Verbände ihre Milliarden und ihre gesellschaftliche Verantwortung verwalten. Darauf werde ich daher nicht eingehen. Es ist hier auch weder Zeit noch Ort, um eine sportphilosophische Diskussion zu führen, doch ich will dennoch wenigstens andeuten, dass es ungesund ist, eine Gesellschaft auf den Werten des Spitzensports aufzubauen. Immer wieder hat es sich gezeigt, dass Begriffe wie „Fairplay“ und „Respekt vor dem Gegner“ vom Platz gefegt werden, wenn sich Geld und Prestige ernsthaft in den olympischen Traum von der Freiheit zur Übertreibung mischen – und wenn Sportler, Vereine, Systeme und Nationen darum kämpfen, „schneller, höher, stärker“ zu werden.

In der Ideengrundlage des Sports selbst liegt eine Quelle zur Korruption. Aber auch die Gesellschaft trägt eine Verantwortung dafür, dass die Sportverbände unbeobachtet agieren können. Dies geschieht mit dem Resultat, dass einige von ihnen der Ausnutzung durch die internationale Korruption frei ausgeliefert sind.

Historisch gesehen ist es eine lange Tradition des Sports, sich weit über die Gesetze und Regeln der ihn umgebenden Gesellschaft zu erheben. Im nordwestlichen Europa bauen wir auf der grundlegenden Idee auf, dass die Freiwilligen in den Vereinen eigenständig arbeiten müssen, wenn ihre Arbeit für sie selbst und für die Gesellschaft einen Wert haben soll. Freiheit und Verantwortung gehen Hand in Hand, und wenn das öffentliche System den Freiwilligen bestimmte Aufgaben auferlegen möchte, schwächt das sowohl die Freiheit wie auch die Verantwortung des Einzelnen. Zugleich gibt es die gängige Meinung, dass der Sport selbstständig sein muss, wenn er die umgebende Gesellschaft inspirieren soll. Man kann nichts prägen, mit dem man verschmolzen ist. Früher sagte man, dass Sport und Politik nicht vermischt werden dürfen. Diesen Satz hört man heute selten – und die wenigsten, die ihn aussprechen, glauben selbst daran.

Doch hat dieser Gedanke den internationalen Sportorganisationen einen Spielraum gegeben, der sie buchstäblich über Recht und Gesetz erhoben hat. Irgendwo müssen die Verbände dann aber doch Boden und Recht berühren und an diesem Ort ist meistens auch ihr Hauptsitz. Für sehr viele liegt dieser in der Schweiz, die sich über lange Zeiträume der Geschichte in internationalen Angelegenheiten für neutral erklärte. Die Neutralität macht sich dadurch bemerkbar, dass die Schweizer Behörden sich nur ungern in das einmischen, was in den vielen internationalen Organisationen des Landes vor sich geht. Dies wissen Sportverbände gut zu nutzen (siehe Kapitel „Liebling Schweiz“). Gut fundierte Klagen gegen IOC, FIFA und FIVB sind wiederholte Male vom Schweizer Rechtssystem abgewiesen oder mit Gleichgültigkeit behandelt worden. Doch auf lange Sicht sollten wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass die notwendigen Aufräumarbeiten im internationalen Sport von den Schweizer Gerichtshöfen ausgeführt werden. 

Die Möglichkeiten des Netzwerks

Wer im internationalen Sport für klarere Verhältnisse eintritt, begibt sich in einen ungleichen Kampf mit einer weltumspannenden Bewusstseins-Industrie, die verteidigt wird von hypnotisierten Fans, multinationalen Konzernen, gigantischen Medienkonglomeraten, skrupellosen Dopingdealern, verschworenen Sportfunktionären, opportunistischen Politikern, gleichgültigen Gerichtshöfen, kurzsichtigen Sportforschern, schläfrigen Journalisten, zynischen Trainern und karrierefixierten Sportlern. Diese Beschreibung stimmt sicher – sie hat aber gleichzeitig viele Schwächen. Denn es gibt jede Menge Sportler, Trainer, Fans, Wirtschaftbosse, Medienchefs, Sportfunktionäre, Juristen, Polizisten, Politiker und Journalisten, die sich wünschen, dass der Sport von Korruption, Drogenmissbrauch und Gewalt befreit wird. Sie können sich nur sehr schwer Gehör verschaffen. Zudem fehlen ihnen Anlaufstellen.

Play the Game bemüht sich durch seine Konferenzen und seine Homepage darum, Treffpunkt für alle diejenigen zu sein, die Demokratie, Offenheit und Meinungsfreiheit im Weltsport fördern möchten und wir freuen uns jedes Mal, wenn noch ein Treffpunkt, wie zum Beispiel das sportnetzwerk in Deutschland, dazukommt. Wir hoffen, dass solche Treffpunkte mehr Menschen dazu ermuntern, an der Diskussion um die Zukunft des Sports teilzunehmen, und weniger Menschen dazu bringt, andere davon abzuhalten ,sich zu äußern. In unseren Augen ist das freie Wort nicht gefährlich oder feindlich, ganz im Gegenteil. Wir glauben daran, dass offene Diskussion zwischen widersprüchlichen Meinungen sowohl Kritiker, Verantwortliche und Angehörige qualifiziert – und letzten Endes Lösungen für die Probleme des Sports anbietet.

Ein Beispiel für diese konstruktive, branchen-, länder- und organisationsübergreifende Zusammenarbeit ist das „Statement on Integrity and Anti-Corruption in Sport“, das von Teilnehmern unserer Konferenz 2005 in Zusammenarbeit mit Transparency International formuliert wurde. Auf sich allein gestellt können Sportfunktionäre, Journalisten, Forscher und Manager nicht viel gegen Korruption ausrichten. Spielen wir aber zusammen in kleinen und großen Netzwerken, mit Respekt vor unseren unterschiedlichen Rollen und Verantwortungen, liegen hier ungeahnte Möglichkeiten.

Die zwei Ereignisse, die im Laufe des Jahres 1998 den internationalen Sport in seinen Grundfesten erschütterte, der Dopingskandal auf der Tour de France und der Bestechungsskandal im IOC, führten beide dank eines Zusammenspiels zwischen öffentlichen Behörden, Sportverbänden, Medien und Gesetzgebern zu Änderungen. Dass dieses Zusammenspiel noch nicht alle Probleme des Sports gelöst hat, kann man bedauern. Doch es bleibt stets einen weiteren Versuch wert.

Parallel zu der Arbeit, die wir in Ehrenamt und Beruf leisten können, müssen wir uns eine Frage stellen: Was wollen wir mit dem Sport in dieser bunt gemischten Welt?

Zur Inspiration möchte ich mit einem Zitat aus einem Telefonat schließen, das ich vor einigen Monaten mit Anders Levinsen führte, einem geradezu besessenen Fußballtrainer, der in den 90er Jahren Kinder der Krieg führenden Parteien auf dem Balkan dazu gebracht hatte, miteinander Fußball zu spielen, und der heute über 100 „Open Fun Football Schools“ auf dem Balkan, im Nahen Osten und im Kaukasus betreibt. Anders sagte: „Es ist mir total egal, ob die Kinder Technik und Taktik lernen und besser mit dem Ball umgehen können. Ich möchte nur, dass sie es lieben, Fußball zu spielen. Dass sie es lieben, mit ihren Freunden zusammen zu sein. Aber das versteht niemand, nicht einmal meine eigenen Leute!“

Mit dieser Aussage, in der Hoffnung, Verzweiflung und ein Keim der Erneuerung liegen, möchte ich den Ball an die Leser weitergeben. Ich wünsche ein gutes Spiel. Play the Game!

7 Gedanken zu „Play the Game 2009“

  1. Pingback: Mario Goijman und die Nachwehen des Volleygates : jens weinreich

  2. Sehr schöner Vortrag, Gratulation! Bin gespannt auf die Diskussion, für die hoffentlich mehr Zeit sein wird als teilweise bei vorigen Sessions.
    Der Live-Stream ist wirklich toll!

  3. Der Hausherr im DLF:

    95 bis 98 Prozent aller Korruptionsfälle bleiben unentdeckt

    Einer der Stargäste von „Play the Game“ war der Amerikaner Greg Lemond, dreimaliger Sieger der Tour de France. Lemond, der heute Rennräder verkauft, erneuerte seine Forderungen, die Verantwortung für Dopingkontrollen müsse den Sportverbänden entzogen werden. Den Rad-Weltverband UCI und das gesamte System bezeichnete er einmal mehr als korrupt. Das Comeback seines Landsmanns Lance Armstrong hatte er schon vor Monaten als Alptraum für den Radsport gebrandmarkt.

    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/979679/
    zum Nachhören: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/06/09/dlf_20090609_2255_0be2166d.mp3

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