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Das Olympische Bildungsmagazin

Vancouver, Tag 1: Jacques die Möwe

VANCOUVER. Ich weiß, dass ist eine ganz billige Kiste, die ich jetzt anbiete. Tiercontent geht immer, denkt der Journalist in mir. Ab heute, dem Eröffnungstag der Olympischen Winterspiele 2010, stelle ich wie vor zwei Jahren bei den Sommerspielen in Peking in den Notiz-Modus um. So kann ich öfter bloggen und kommentieren, auch mal zwischendurch Häppchen anbieten, etwa live von Pressekonferenzen und aus den Eishallen. Der Versuch, allein fertige Beiträge anzubieten, erweist sich von so einem Ereignis doch als schwer praktikabel. Zudem: Manche meinen, meine Berichte aus Peking oder von der Leichtathletik-WM mit all den Schilderungen der alltäglichen journalistischen Tiefebenen, ähnelten Tagebüchern von Klassenfahrten. Andere verlangen danach. Nicht zuletzt sprachen mich in den vergangenen Tagen immer wieder Kollegen an, oder sollte ich besser sagen: sie fragten ängstlich, ob man mit mir noch normal reden könne, oder gleich alles im Blog erscheine.

Die Antwort ist simpel: Wer mich anspricht und also beim Applefritter-Konsum stört, erscheint hier im Blog. Das ist mal klar. Den Anfang macht der fleißige Kollege G., den ich seit zwei Tagen nicht gesehen habe. Das ist immer so, wenn G. produziert. Er schließt sich dann irgendwo ein mit Cola und Zigaretten und kommt erst wieder zum Vorschein, wenn sein Meisterwerk veröffentlicht wurde. Hier in Vancouver ist der Kollege G. nicht allein in diesen schweren Stunden. Begleitet wird er von einer Möwe, die er liebevoll Jacques taufte.

Jacques die Möwe kommt beim Frühstück vorbei, verschlingt Brötchen, lässt sich von G. fotografieren, und wenn ich G. richtig verstanden habe, dann unterhält er sich sogar mit Jacques. Denn Jacques ist eine gebildete Möwe. Ja, das sind olympische Geschichten.

Der Notiz-Modus empfiehlt sich schon deshalb, weil ein Einzelner ein derartiges Mega-Event unmöglich fassen kann. Ich kann nichts weiter als Puzzleteile anbieten. Das habe ich in Peking und bei anderen Gelegenheiten oft genug beschrieben. Jeder kann Puzzleteile anbieten, in den Kommentaren. Beim nächsten Mal, da bin ich ganz sicher, werden wir auf andere Weise kommunizieren. Vielleicht in GoogleWave oder mit irgendeinem anderen spannenden Tool.

Es kann sein, dass ich in den kommenden sechzehn Tagen relativ wenig Sport-Content anbiete. Ich fürchte, man wird mir das eher nicht übel nehmen. Im Hauptjob als freier Journalist, der von hier Beiträge verkaufen will, konzentriere ich mich vor allem auf Hintergrundgeschichten. Wenn alle paar Tage auch etwas veröffentlicht werden sollte, was die Vokabel Recherche verdiente, würde mir das noch besser gefallen. Ich werde mich nicht nur bei den Deutschen, sondern sehr oft auch bei Russen und Koreanern herumtreiben – und in der Funktionärsfamilie. Die vermisse ich fast ein bisschen. Habe Sepp und Jean-Marie noch gar nicht gesehen. Denn das IOC-Hotel, dass ich von meiner ersten Absteige doch gut im Blick hatte, habe ich bisher kaum gesehen. Es ergab sich einfach nicht. Ich hatte andere Aufgaben, weshalb ich diesmal auch der IOC-Session kaum folgen konnte. Leider.

Nachher aber, wenn das UDIOCM wieder Vizepräsident wird, will ich dort sein.

Nachtrag, 5.56 Uhr: Das wird leider nichts.

Also: Viele bunte Notizen hier. Und zwischendurch zusätzlich meine sonstigen journalistischen Ergüsse aus herkömmlichen Medien, liebevoll aufbereitet mit Links, Fotos und hin und wieder sogar Gedanken. Das ist mein Plan. Ich denke, das wird ganz unterhaltsam.

Gestern bin ich nun übrigens nach Richmond ins Holiday Inn Express umgezogen. Ein ganz neuer Kasten, durchaus komfortabel, jedenfalls wenn nachts der Flugbetrieb erlahmt. Das Hotel steht quasi neben der Startbahn des Airports. Unter der Matratze habe ich noch nicht nachgeschaut, obwohl das aus aktuellem Anlass doch empfohlen wurde. Ich habe online nachgesehen und nichts gefunden.

Von den Terminen gestern war die morgendliche Pressekonferenz der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) relativ ärgerlich. Darüber ist bereits diskutiert worden. Wenn ich versuche zu rekonstruieren, dann hat Generalsekretär David Howman, der hier im Blog manchmal Fragen beantwortet, am Mittwoch in seinem Bericht auf der IOC-Session von jenen rund 30 Fällen aus den letzten Monaten berichtet und dort gesagt, dass keiner dieser Sportler in Vancouver sei. Abends hat IOC-Kommunikationschef Mark Adams, dem fachliche Feinheiten noch fremd sind, auf der PK wohl etwas die Erwartungen geschürt. Was soll ich sagen: Wenn so viele Journalisten lauern, dann gibt es halt Schlagzeilen Heute morgen jedenfalls erklärten WADA-Präsident John Fahey und Howman gebetsmühlenartig, es handele sich um mehr als 30 Fälle aus mehren Monaten und man werde weder Namen, Sportarten noch Nationen bekannt geben. Ich muss hier mal abkürzen, das Thema wird uns noch eine Weile beschäftigen.

Ich werde mich aller Voraussicht nach gegen Mittag mit einer Kleinigkeit melden Рund dann, wenn nichts dazwischen kommt und es eine Onlineverbindung gibt, in der kommenden Nacht (MEZ) live von der Er̦ffnungsfeier bloggen.

Macht jemand mit?

51 Gedanken zu „Vancouver, Tag 1: Jacques die Möwe“

  1. Ich freue mich schon. Wo hier des öfteren Lesebefehle auftauchen, jetzt mal im Gegenzug ein Schreibbefehl an den Hausherrn von einem geneigten Leser: Endlich mal eine Kontonummer oder Ähliches für Honorare aus der Lesefamilie!

  2. Ein Hoch auf Jacques! Könnt ihr ihn nicht auch zur Eröffnungsfeier einschleusen?

    Die Eröffnungsfeier live mitkommentieren wird sicherlich ein Spaß. 18.00 Uhr in Vancouver ist was bei uns? 2, 3 Uhr morgens? Wenn es einen Internet-Stream gibt, bin ich gern dabei, ist ja auch Wochenende :)

  3. Bettwanzen als Al-Qaida-Zellen der Olympiagegner. Endlich mal wieder ne archaische Widerstandsmethode

  4. Musstest du eigentlich für das Ticket der Eröffnungsfeier etwas zahlen? Schließlich ist dort ein Preis von 50$ ausgewiesen.

  5. Jacques – großartiger Name. Möwen: die Vögel des Hermes, überaus wendiger Gott aller gewieften Händler.
    Obwohl diese ausgesprochen niedlich aussieht ;-)

  6. @Campo-Racer: Ich denke nicht, da auf dem Ticket ein Preis von 0$ zzgl. 0$ Gebühren angegeben ist. Ich vermute allerdings, dass die Akkreditierung allerdings nicht kostenfrei war. Falls doch, möge mir der Hausherr widersprechen.

  7. @ Campo-Racer: Du weißt doch, Journalisten sind Nassauer. Die zahlen nie. Deshalb steht auf dem Ticket auch $0 und nicht $50. Sieh nochmal hin. Ich muss zwar meine Lesebrille auch mal wieder nachjustieren, konnte es aber erkennen. (Auf dem Original liest es sich leichter.)

  8. Wunderbarer Anfang mit Flauschcontent! :) Ich freue mich schon wie Hulle auf das Geschehen hier (und auf Curling).

    Und Namen mit J am Anfang scheinen ja in der Sportfamilie sehr beliebt zu sein…

  9. @ Lutz: Pssst! Bitte niemanden auf Ideen bringen! Ja, Akkreditierungsgebühren für Journalisten, das wär’s. Ein altes Thema, manche Veranstalter versuchen es, stets gibt es Zoff mit den Journalistenverbänden. Zurecht. Kann mir aber vorstellen, dass hier auch einiges in Bewegung gerät. Doch momentan, um es mal festzuhalten, kann man sich für Olympische Spiele noch akkreditieren lassen, ohne dafür zu zahlen. Ich überlege gerade, welcher Veranstalter mal Gebühren genommen und dann wieder ausbezahlt hat. Ich meine, es war irgendeine WM. Fällt mir gerade nicht ein, sorry.

  10. Apropos tierisch: Die Deutsche Presse-Agentur erzieht in ihren Kinder-Nachrichten soeben die „Leser“ von morgen.

    Vielleicht erlauben dir deine Eltern ja am Wochenende wegen der Winterspiele etwas länger aufzubleiben. Wenn du etwas verpasst, weil es zu spät ist, kannst du morgens den Fernseher anschalten.

  11. Pingback: Martin Hoffmann

  12. Pingback: Stephan Falk

  13. Pingback: Daniel Otto

  14. „Vorfreude, schönste Freude…“
    Ich wünsche uns allen Viel Vergnügen an diesem lauschigen Ort,
    wobei ich an mir feststelle, daß mich die eigentlichen sportlichen Wettbewerbe immer weniger interessieren. Aber auf die weinreichschen(?) Notizen freue ich mich wie Bolle.
    Go Jensi, Go Jensi…!

  15. Pingback: Alexander Stirn

  16. @indykiste
    „jensi“? please! da ist der historische tiefpunkt dieser kommentarspalte ja gleich am ersten spiel(e)tag markiert. meine hochachtung. jetzt kann es niveaumäßig zumindest mal nur noch bergauf gehen ;-)

    im übrigen bin ich der meinung, dass frau holle ihr mann — wie so oft — recht hat.

  17. Liveblogging zur Eröffnungsfeier ist eine feine Sache. Bin wohl leider nicht dabei. Doch allen anderen viel Freude, lasst es krachen.

  18. Also, ich gebe zu, dass mich viel mehr als die Eröffnungszeremonie mit oder ohne Wayne Gretzkys entflammbaren Puck und Medaillenspiegel jetzt schon die Frage beschäftigt, ob frère Jacques bei deutschen Journalisten wirklich in guten Händen ist? Frisst er schon frische Fritten?
    Bitte, über seinen Gesundheitszustand auf dem Laufenden gehalten zu werden … Selbst schuld, jw ;-)

  19. Pingback: Marc Scheloske

  20. Ich wiederum gebe zu, dass ich Eröffnungsfeiern gerade in der angelsächsischen Welt immer ganz gern sehe – die haben eine mir recht angenehme Mischung von Lockerheit und Pathos.
    Und bei Gretzky – so eishockeyverrückt bin ich leider – könnte ich nicht mal efolgreiche Tränenresistenz versprechen. :-)

    Medaillenspiegel sind größtenteils albern, funktionieren für die Öffentlichkeit aber sehr gut. Da kann dann auch der Ahnungslose von Erfolg und Misserfolg sprechen.
    Nach den Spielen 2006 schrieb ich:

    Eine Beurteilung einzelner Nationen soll es an dieser Stelle nicht geben, zu sehr sind Olympische Spiele mittlerweile eine Momentaufnahme mitten im Weltcupwinter. Wer wollte den Finnen (kein Gold) den Norwegern (nur 2x Gold nach Dominanz 2002) oder den Slowenen (keine Medaille) ernsthaft vorwerfen, sie seien keine wichtigen Wintersportnationen mehr und sollten sich ein Beispiel an Südkorea (erfolgreichster Einzelsportler in Turin) oder Kroatien (Familie Kostelic) nehmen?
    Auch die angestrengte Medaillenzählerei in den deutschen Medien schreckt ein wenig vor „Analysen“ auf dem Gebiet der Podiumplätze ab.

    Drei Konstellationen im ewigen Medaillenspiegel finde ich vor Vancouver dann aber doch erwähnenswert:

    Russland (incl. aller nichtrussischen UdSSR-Sportler) liegt mit 120 Goldenen vor Deutschland (118, die natürlich auch alte Bundesrepublik und DDR umfassen, was also als Bevorteilung durch mehr Startplätze betrachtet werden kann). Ich bin gespannt, ob diese Statistik in der deutschen Öffentlichkeit während der Spiele gepflegt wird – am reizvollsten wäre das natürlich unter ständiger Betonung von systematischem Doping in Russland, hrrhrr.

    Und zu zwei kleineren Wintersportländern: Slowenien, ein Alpenland, wartet noch auf seinen ersten Winterolympiasieg und Polen hat erst einen einzigen vorzuweisen. Einen ziemlich legendären übrigens, bei dem die alte Reporterregel „no jokes with names“ regelmäßig vergessen wird. Quizrunde hiermit eröffnet…

  21. Ich überlege gerade, welcher Veranstalter mal Gebühren genommen und dann wieder ausbezahlt hat. Ich meine, es war irgendeine WM. Fällt mir gerade nicht ein, sorry.

    Den Spaß haben sich damals die Kollegen vom Deutschen Handball-Bund bei der Heim-WM 2007 gegönnt. Waren glaube ich 150 Euro, die aber nach entsprechendem Protest wieder zurückerstattet wurden. Man kann’s ja mal probieren…

  22. @ Arnesen

    Nun, als als Nichtreporter kann man sich einen Namensjoke schon erlauben: Wird Zeit dass der Malysz mal mit „dem“ Fortuna im Bunde ist ;-) Die letzte Goldene ist ja ewig her für die Polen. Ziiiiiiiieeeeeeh Adam…

  23. Einen ziemlich legendären übrigens, bei dem die alte Reporterregel “no jokes with names� regelmäßig vergessen wird. Quizrunde hiermit eröffnet…

    War das nicht eine fliegende Glücksfee?

  24. Arnesen,
    man hat 72 bestimmt gesagt: mit Fortune? Ungerecht, das.

    Ewiger Medaillenspiegel spielte gerade eine zarte Rolle: als DOSB-Generalsekretärdirektor Vesper darauf hinwies, dass Germany in Vancouver dessen Spitze erobern könne. Weshalb FAZ darauf hinwies, wen er so alles vereinnahmt, nicht nur DDR-Medaillen, sondern auch ältere. DOSB fand das „inakzeptabel“, aus irgendwie ungenannten Gründen: Leserbrief DOSB-Präsidium

    Vielleicht ja wegen Russland.

  25. Pingback: Komissarov95

  26. Ich hoffe auch auf Gretzky. Das ist nun mal der größte Spieler, den es im Eishockey je gegeben hat und er dürfte wohl auch der beliebteste Sportler Kanadas sein.

  27. @ha
    wirklich ein sehr gelungener brief von seiten des dosbs! geht ja gleich in medias res los:

    Es ist irritierend, wenn gerade Sportjournalisten offensichtlich den Sinn des Leistungssports verkennen und seine Förderung auf zynische Art und Weise angreifen.

    (die „banale“ auflösung der frage nach dem sinn folgt sogleich — der „Sinn des Leistungssports“ ist, bzw. sind „Wettbewerb und Erfolg“)

    im übrigen gilt wohl die freie abwandlung der alten diplomatieregel: wenn etwas dementiert wird, was gar nicht behauptet wurde, dann womöglich deshalb, weil das, was behauptet wurde, nicht bestritten werden kann.

  28. Ich hoffe auch auf Gretzky… er dürfte wohl auch der beliebteste Sportler Kanadas sein.

    na zumindest der bei weitem bekannteste kanadische wintersportler seit ende der siebziger. sicherlich ein heisser kandidat fuer die eroeffnungszeremonie.

  29. Pingback: uberVU - social comments

  30. Wäre interessant zu hören, wie die Stimmung bei der Eröffnungsfeier auf den Rängen (abseits der Kameras) nach dem Tod des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschvili ist.

    Nach Feiern ist mir da zumindest nicht zumute.

  31. eurovisionsports.tv ist wirklich nicht schlecht. Wenn man AdBlock ausgeschalten hat, damit der Player auch mal Werbung vorschalten kann. Eröffnungsfeier, here we come :)

  32. PK über den Unfall des Georgischen Rodlers ist etwas chaotisch. Ich frage mich, was es heißt, dass der Familie auf die kanadische Weise geholfen wird.

    Jens, kann es sein, dass du beinahe im Fernsehen zu sehen warst, als der erste Reporter seine Frage stellen durfte?

  33. @ Andreas: Woher soll ich wissen, ob ich beinahe zu sehen war? Im Zweifel ein Hinweis: Kahlköpfiger Rundschädel, Brille, müde Augen, Stiernacken. War ich’s?

    „Kanadische Weise“ habe ich so verstanden: Herzlich. Ehrlich.

  34. The Great One. Großes Idol, und wohl ohne Zweifel der Größte kanadische Sportler überhaupt. Aber hat der irgendeinen Bezugspunkt zu olympischen Spielen?

  35. [Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das live-blogging hier statfindet, und der aktuellere Beitrag dem Todesfall vorbehalten bleibt.]

    Wer die letzte halbe Stunde der ARD auch nur am Rande verfolgen durfte (aufgebaut um das uninteressanteste, wichtigtuerichste Gequatsche schönste Gesicht des Sozialismus), den schreckt so schnell gar nichts mehr.

  36. Ooh, Ca-na-da :O

    …mir ja btw ein Rätsel, warum diese Comonwealth-Staaten staatliche Souveränität und eigene Hymne hinbekommen, es aber nicht schaffen, endlich die Queen (and her fascist regime) als Staatsoberhaupt abzulösen. Andererseits – den Job würde doch wieder nur irgendeine von American Idol kriegen.

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