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Das Olympische Bildungsmagazin

Jacques Rogge macht weiter

Ganz kurz, schlechte Nachrichten für das UDIOCM: Jacques Rogge, seit 2001 IOC-Präsident, hat sich entschieden, im kommenden Jahr um vier Jahre zu verlängern. Zwar toben derzeit im Hintergrund ziemliche Kämpfe, auch gegen Rogge, doch ist derzeit nicht davon auszugehen, dass 2009 in Kopenhagen jemand gegen den amtierenden Präsidenten antritt. Ein paar Argumente für die Amtsverlängerung, aber ohne die wirklich interessanten Hintergründe, hat die IHT zusammengetragen.

Das UDIOCM kommt gleich nach Leipzig, wo ich mich auch gerade herumtreibe und ihn mal nach seiner Meinung fragen werde.

Später mehr.

Nachtrag: Habe gerade ein bisschen in meinen Texten der vergangenen Wochen gewühlt und erlaube mir mal, ein paar Beispiele hier einzustellen. Denn die Personalie ist ja zentral für den Weltsport. Kurz vor den Peking-Spielen habe ich ein Porträt geschrieben:

Juli 2008

Der mächtigste Mann des olympischen Sports macht es spannend. Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hält seine Lebensplanung offen. Er mache vom Verlauf der Sommerspiele in Peking abhängig, ob er seine Amtszeit im Herbst kommenden Jahres um vier Jahre verlängere, hat Rogge wiederholt erklärt. Damit nährt der belgische Count, der im Mai 66 Jahre alt geworden ist, freiwillig die Spekulationen.

Will Rogge etwa potenzielle Nachfolger irritieren? Den Ukrainer Sergej Bubka und den Deutschen Thomas Bach, die zu früh aus der Deckung kommen könnten? Sollte Rogge tatsächlich Verwirrung stiften wollen, würde er in der Nachfolgerfrage auch jenen Kandidaten beschädigen, den er angeblich bevorzugt: den Banker Richard Carrion aus Puerto Rico. Vielleicht kokettiert er auch nur mit seiner Amtsverlängerung. Satzungsgemäß kann er im Oktober 2009 auf der IOC-Session in Kopenhagen bis 2013 prolongieren.

Es heißt, die Stimmung in der IOC-Zentrale in Lausanne sei schlecht. Unter Rogge mussten Top-Manager das IOC verlassen, etwa Michael Payne, der langjährige Marketingchef. Andererseits: Welcher Präsident, welcher Manager würde nicht die alte Führungscrew auswechseln? Es heißt, Rogge sei misstrauisch und verlasse sich nur auf den engsten Beraterkreis um seinen Bürochef Christophe de Kepper, ebenfalls Belgier. Einige der IOC-Direktoren wollen den Olympiakonzern seit einiger Zeit verlassen und seien überredet worden, noch bis Peking durchzuhalten.

Wen will Rogge beeindrucken mit seiner unterschwelligen Drohung, er könne Schluss machen, wenn die Spiele in Peking nicht den gewünschten Verlauf nehmen? Die chinesischen KP-Bonzen, mit denen das IOC ein Joint Venture durchzieht, kann er kaum meinen. Dass sich Pekings Machthaber nicht vom IOC-Präsidenten beeindrucken lassen, haben sie nicht nur im April am Beispiel der Tibet-Krise bewiesen. Als sich Rogge wagte, die Chinesen daran zu erinnern, sie mögen ihre „moralischen Versprechen“ einhalten, wurde er von einer Hinterbänklerin abgekanzelt wie ein Schuljunge: Das IOC solle sich aus Chinas „politischen Angelegenheiten heraushalten“, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums.

Rogge bleibt bei seiner These, die Spiele würden die Öffnung Chinas beschleunigen und helfen, demokratische Prozesse voranzutreiben. Er werde immer die „stille Diplomatie“ bevorzugen. „Wäre ich ständig auf die Barrikaden geklettert“, sagte er kürzlich, „wäre ich der Held des Westens gewesen, aber die Spiele wären gescheitert.“

Als Rogge am 16. Juli 2001 in Moskau IOC-Präsident wurde, drei Tage nach der Wahl Pekings zur Olympiastadt 2008, formulierte er ein Programm, das von keinem seiner sieben Vorgänger vertreten worden war: „Ich stehe für die Glaubwürdigkeit des Sports. Gegen Doping, gegen Korruption, gegen Gewalt.“ So kannte man ihn damals. Klipp und klar, kurz und bündig. Dieser Zauber aber ist längst verflogen. Das Amt fordert seinen Tribut, in vielerlei Hinsicht.

Rogge, der lange Jahre in Gent als Chirurg praktizierte und es gewohnt war, hart zuzupacken, schnell zu entscheiden und im wahrsten Sinne des Wortes saubere Schnitte zu machen, wirkt von der Last der IOC-Präsidentschaft, die ungeheures diplomatisches Geschick bis zur Selbstleugnung erfordert, geradezu erdrückt. Man sieht ihn nur noch selten lachen. Sein Wortwitz, mit dem er früher in der Öffentlichkeit beeindruckte, kommt kaum mehr zur Geltung. Eine Operation am Herzen hat Rogge überstanden, Gerüchte über ernsthafte Malaisen machen am Hofe des IOC kontinuierlich die Runde.

Bei einem langen Hintergrundgespräch vor einem Jahr in Antigua, der historischen Kapitale von Guatemala, verbreitete Rogge Zuversicht. Er werde fokussiert bleiben und seine Ziele nie aus den Augen verlieren. Er fühlte sich missverstanden. Wenige Tage zuvor hatte die IOC-Session die Winterspiele 2014 an den Schwarzmeer-Kurort Sotschi vergeben, die Residenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Rogge war unterstellt worden, das IOC habe sich von Putin und seinen Oligarchen-Freunden kaufen lassen. Es war ihm deshalb wichtig zu signalisieren, noch Herr der Lage zu sein. Andererseits machte er erstaunlich klar deutlich, in welch fulminant-explosiver Lage er sich als IOC-Präsident zwischen den Mühlsteinen der Weltpolitik befinde: Kritisiere er den russischen Präsidenten oder die chinesische Führung, riskiere er eine politische Krise.

Eine Krise musste Rogge im April 2008 seiner olympischen Bewegung attestieren. Zwei Monate später sagte er nach der IOC-Exekutivtagung in Athen: „Die Lage hat sich grundlegend geändert. Es gibt keine Proteste gegen den Fackellauf, niemand ruft mehr zum Boykott auf, und die chinesischen Autoritäten verhandeln mit den Abgesandten des Dalai Lama. Ich bin sehr optimistisch, dass es großartige Spiele werden.“

Derartige Sätze ähneln den Floskeln seines Vorgängers Juan Antonio Samaranch, der doch scheinbar grundsätzlich anders strukturiert war als sein Nachfolger: Hier Samaranch, der ehemalige franquistische Minister, der 1980 quasi im Exil, als Botschafter in der Sowjetunion, zum  IOC-Präsidenten aufstieg. Dort Rogge, der lupenreine Demokrat, der als Athlet nichts mehr gehasst hat, als das Funktionärswesen, der als Olympia-Segler und Rugby-Nationalspieler immer aufmüpfig war, der 1972 sogar für die Sommerspiele gesperrt werden sollte, weil er seinen Trainer beleidigt hatte.

Samaranch und Rogge – die Personen schienen immer voller Gegensätze. Langsam wird klar, dass beide viele Gemeinsamkeiten haben. Und ja, Samaranch hat Rogge 2001 in Moskau ins Amt verholfen. Er war sein Protegé. Rogge hat seit seiner Kindheit eine besondere Beziehung zu Samaranch Heimat Katalonien. Seine Eltern hatten dort ein Ferienhaus, wo Rogge die Sommer verbrachte. Später, als Segler, lebte und trainierte er insgesamt viele Jahre in Spanien.

Rogge hat als IOC-Präsident schwere Niederlagen einstecken müssen. Etwa 2003, als sein Kandidat Gerhard Heiberg (Norwegen) bei der Wahl zum IOC-Vizepräsidenten vom korrupten Südkoreaner Un Yong Kim, der später zurücktreten musste, vernichtend geschlagen wurde. Oder 2002 und 2005, als Rogges Plan, das Olympische Programm zu reformieren, von einer Allianz der Besitzstandswahrer abgeschmettert wurde. Aus diesen Niederlagen hat Rogge gelernt und vor einem Jahr seinen sportpolitisch größten Erfolg errungen: Er entmachtete die IOC-Vollversammlung auf historische Art und Weise. Seither kann sein Exekutivkomitee die Programmfrage klären und muss den fertigen Vorschlag nur noch von der Session mit einfacher Mehrheit absegnen lassen.

Also dürfte es 2009 in Kopenhagen nun doch eine Reform geben, wenngleich eine kleine, zaghafte. Außer Baseball und Softball werden weitere Sportarten verschwinden, neue hinzukommen. Dies ist Rogges letzte Chance, etwas mehr von seinen Versprechen aus dem Jahr 2001 einzulösen. Vor allem aber scheinen die Olympischen Jugendspiele 2010 das Hauptargument dafür zu sein, dass Rogge derzeit nur blufft, bis 2013 weitermacht und nicht nach acht Jahren seine Präsidentschaft beendet. Denn diese Jugendspiele, ein hastiges Projekt, über dessen Sinnhaftigkeit sich trefflich streiten lässt, sind seine Idee. Damit will der achte IOC-Präsident Geschichte schreiben.

Die ersten Jugendspiele finden im Sommer 2010 in Singapur statt. Kaum vorstellbar, dass sie nicht von Jacques Rogge eröffnet werden.

Inzwischen ist ja einiges passiert, und Frau Davies hat ihren Abschied verkündet. Dass er verlängern würde, deutete sich in Guatemala an, wenngleich er danach wieder heftig in Schwierigkeiten geriet. Zu Rogges Katatrophen-Plan, wie ich finde, also zu den Olympischen Jugendspielen, habe ich mich lange nicht mehr geäußert. Ist mal wieder was fällig.

Da ich nun mal zu Übertreibungen neige. Meine Peking-Bilanz von Rogge las sich so:

August 2008

Sie haben sich selbst gefeiert zum Abschluss der „Spiele der XXIX. Olympiade“, wie die Sommerspiele von Peking offiziell heißen. Noch einmal kamen die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im Beijing Grand Hotel zusammen, um vier neue Kollegen aufzunehmen – die von den Athleten gewählten Vertreter, darunter die deutsche Fechterin Claudia Bokel – und der salbungsvollen Rede ihres Chefs zu lauschen. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir mit Peking die richtige Entscheidung getroffen haben“, sagte IOC-Präsident Jacques Rogge. „Das IOC und die Olympischen Spiele können souveräne Staaten nicht ändern und nicht alle Krankheiten dieser Welt heilen. Aber wir können zu positiven Veränderungen beitragen. Und das tun wir auch.“ Prasselnder Applaus.

Im Prinzip hat sich an der Konstellation seit Jahren nichts geändert. Es war vor Peking so, während der Spiele – und wird auch künftig so sein: Das IOC beansprucht für sich den Status einer unpolitischen Organisation. Es handelt klar profitorientiert, genießt allerdings nach Schweizer Recht den Status eines Vereins und damit auch zahlreiche Steuervorteile. Das IOC handelt immer dann politisch, wenn es der Profitmaximierung dient. Wenn das IOC allerdings von Menschenrechtlern, von Nichtregierungsorganisationen und Politikern an seine politisch-moralische Verantwortung erinnert wird, reagiert es gekränkt und zunehmend hilflos. Einmischung von außen verbittet man sich. Kontrolle ebenfalls. Verantwortung will man nur alle zwei Jahre bei jeweils sechzehn Tage währenden Sommer- und Winterspielen wahrnehmen. Und selbst da nur partiell, eng auf die olympischen Wettkampfstätten bezogen. Das ist der grundlegende Konflikt, den die Olympischen Spiele von Peking extrem verschärft haben.

Jacques Rogge hat vor zwei Wochen gesagt, die „Magie der Spiele“ werde Kritik verstummen lassen. Er hat den Chinesen vertraut, in megateuren Sportstätten vor handverlesenem Publikum, unterstützt von einem Heer Sicherheitsbeamter und einer halben Million Volunteers, sogenannten freiwilligen Helfern, perfekte Bedingungen für die TV-Übertragungen zu liefern. Dem IOC und der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China kam es nur auf eins an: auf die Macht der Bilder. Auf das Fernsehen, das all die Dramen in seine Einzelteile zerlegt, immer und immer wieder aufbereitet mit modernsten technischen Mitteln, mit Superzeitlupen, aufregenden Kameraperspektiven, unterlegt mit dem passenden Sound.

So werden Heldenepen geschaffen. Man muss sich nur die neusten Werbe-Clips zur frisch aufgelegten PR-Kampagne „The Best of Us“ ansehen, in der die Supersportler in den Stadien angehalten werden: „Erstaunt uns!“ Es ging um nichts anderes bei diesen Retortenspielen. Es geht nie um etwas anderes.

Und dennoch verwundert es, wenn Rogge, der von sich sagt, eine Null-Toleranz-Politik in Dopingfragen zu betreiben, nun die 43 Welt- und 132 olympischen Rekorde betont, die in Peking aufgestellt wurden. Wenn ausgerechnet Rogge den jamaikanischen Sprinter Usain Bolt, den dreifachen Olympiasieger und dreifachen Weltrekordler, und den US-amerikanischen Schwimmer Michael Phelps, den achtfachen Olympiasieger (mit Athen 2004 hat er vierzehn Goldmedaillen) und siebenmaligen Weltrekordler, als „Ikonen dieser Spiele“ bezeichnet.

Alle Spiele haben die Symbole, die sie verdienen. Dass außerhalb Chinas immer weniger Menschen diesen Wunderleistungen – ob nun von Bolt oder Phelps – Glauben schenken, sollte Rogge eigentlich wissen. Doch es geht nicht darum, sich der Wahrheit zu nähern. Es geht um Propaganda. Also betont man, dass die Spiele noch nie von so vielen Menschen im Fernsehen verfolgt wurden. Das ist keine Überraschung, schließlich wurde soeben das bevölkerungsreichste Land des Planeten olympisch erschlossen. Im Staatsfernsehen CCTV lief nichts anderes als Olympia, angeblich haben 850 Millionen Chinesen die Eröffnungsfeier gesehen.

Die Spiele von Peking sind untrennbar mit der IOC-Präsidentschaft Rogges verbunden. Peking erhielt am 13. Juli 2001 in Moskau den Olympiazuschlag – drei Tage später wurde Rogge gewählt. Peking war gewissermaßen die Mitgift für Rogge, man könnte auch sagen: das Abschiedsgeschenk des damals scheidenden Präsidenten Juan Antonio Samaranch. Der Spanier hatte sich zwei Jahrzehnte lang dafür stark gemacht, die Spiele endlich in China auszutragen. Schon 1981, bei seinem Antrittsbesuch als IOC-Präsident in Peking, unterbreitete er Deng Xiaoping die Botschaft. Auch 1993, als Peking sich erstmals bewarb und im letzten Moment von Sydney geschlagen wurde: Samaranch blockte jederzeit alle Kritik an China ab.

Rogge sagte am 13. Juli 2001: „Die Spiele in China sind die letzte Grenze, die das IOC überschreiten konnte.“ Am Sonntag zeigte sich Rogge gemeinsam mit Samaranch beim Basketballfinale zwischen den USA und Spanien. Samaranch hat die Spiele im Staatsfernsehen CCTV als „erfolgreichste aller Zeiten“ gepriesen. Rogge verteidigt die Chinesen und die IOC-Entscheidung für Peking seit sieben Jahren, bis zur Selbstverleugnung. Er ließ sich von den KP-Führern um Hu Jintao am Nasenring durch die Manege führen. Es gab kein Zurück. Er hat erst freien Internet-Zugang für olympische Berichterstatter versprochen, lehnte es dann ab, sich für sein gebrochenes Versprechen zu entschuldigen. Er ließ es zu, dass die eigentlich täglich angesetzten gemeinsamen Pressekonferenzen von IOC und Organisationskomitee (Bocog) zur Farce gerieten und nur noch gelegentlich stattfanden.

Auf seiner abschließenden Pressekonferenz versuchte Rogge, ein Vermächtnis dieser Olympischen Spiele zu formulieren. China habe die Welt besser kennengelernt, die Welt habe China besser kennengelernt. Peking habe sich urban enorm entwickelt. Die nacholympische Nutzung der Sportstätten sei garantiert. Und selbst auf dem Gebiet des Umweltschutzes habe sich vieles zum Positiven verändert.

Rogge sagt, er habe gegenüber dem Bocog den Fall der beiden alten chinesischen Frauen angesprochen, die in den dafür festgelegten olympischen Protestzonen gegen die Umsiedlungspolitik demonstrieren wollten und deshalb zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt wurden. Ihm sei gesagt worden, die Damen hätten gegen geltendes Recht verstoßen. „Das IOC“, sagte Rogge, „muss chinesische Gesetze respektieren.“

Das IOC wähnt sich auf sicherem Terrain, weil die Umsatzzahlen stimmen. Weil es keinen politischen Zwischenfall gab. Dafür hatten die Chinesen mit ihrem gigantischen Sicherheitsaufgebot gesorgt. Es ist Diktatoren nie schwer gefallen, reibungslose Olympische Spiele zu organisieren. Das liegt in der Natur der Sache.

Es war sein letzter Pflichttermin bei den ewigen Nörglern von der Presse. Er machte kurzen Prozess. Schon nach einer knappen halben Stunde eilte IOC-Präsident Jacques Rogge im Sprinttempo davon. „Der Präsident hat einen wichtigen Termin. Ich danke für die Aufmerksamkeit“, verkündete sein Adjudant, der Australier Kevan Gosper, mit schneidender Stimme. Wenn man es in der Hektik recht mitbekommen hat, dann sagte Rogge kurz vor dem Rausrennen noch, dass er sich im Oktober entscheiden werde, ob er bis 2013 als IOC-Präsident zur Verfügung steht. Oder ob er im Herbst 2009, auf der 121. Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Kopenhagen, nach acht Jahren das Handtuch wirft. „All die Kritiken der letzten Zeit haben keinen Einfluss auf meine Entscheidung. Ich nehme das nicht persönlich, denn ich werde kritisiert, weil ich diese Organisation leite.“

Wenn Rogge sich da mal nicht täuscht. Denn die Kritik in den eigenen Reihen nimmt zu. Sie wurde drastisch artikuliert auf dem ersten Teil der IOC-Session Anfang August. Da rügte der Kanadier Richard Pound, langjähriger Marketingchef und Vizepräsident, die Kommunikationspolitik und das Krisenmanagement der IOC-Zentrale während der Tibet-Krise im Frühjahr. „Sie, Herr Präsident, haben vor Monaten hier eingestanden, dass wir eine veritable Krise haben“, sagte Pound. „Nur das Erdbeben in China hat uns vor einem Desaster gerettet.“

Auf der Abschlusspressekonferenz symbolisierten die drei auf dem Podium – Präsident Rogge, Kommunikationsdirektorin Giselle Davies und Kevan Gosper, Chef der IOC-Pressekommission – jeder auf seine Weise den Kommunikationsgau des IOC. Selbst unter Rogges Vorgänger Juan Antonio Samaranch hat es kaum derartige Restriktionen gegeben. Unter Samaranch fanden tägliche Pressekonferenzen mit Vertretern olympischer Organisationskomitees und des IOC statt. Unter Rogge wurden sie abgesagt. Es kam nur zu sporadischen Terminen, bei denen regelmäßig bestellte Fragesteller aus China und Afrika störten, bei denen die Vertreter des Bocog und Giselle Davies zunehmend arroganter deutlich machten, dass all die Nachfragen keinen Sinn hätten, denn es zählen doch nur die Fernsehbilder, die von den Spielen um die Welt gehen.

Rogge sagt, er sei mit diesen Spielen „extrem zufrieden“. Die TV-Quoten seien in den meisten Märkten um 20 bis 30 Prozent gestiegen. Um welche Märkte es sich handelt außerhalb von China, sagte Rogge nicht. Die Chinesen hätten keine potemkinschen Dörfer errichtet, keine „weißen Elefanten“, wie er formulierte. Es folgte eine Lobeshymne ohnegleichen. Zum Dopingthema sagte er: „Die Mehrheit der Sportler ist sauber. Es gibt eine kleine Minderheit von Betrügern.“ Die olympische Nachnutzung der Sportstätten sei gesichert. Peking habe von den gigantischen Baumaßnahmen rund um die Spiele profitiert. Selbst beim Thema Umweltschutz sei den Chinesen ein neues Bewusstsein zu attestieren, behauptete der IOC-Präsident und berief sich dabei auf ein Gespräch mit dem UN-Umweltkommissar Achim Steiner. Schließlich will Rogge die Bereitschaft der KP-Führer verspürt haben, künftig nicht nur Hochleistungssport, sondern auch Massensport zu fördern. Das Ausleseverfahren in Chinas Sportsystem, an den 4000 Sportschulen, sei nicht per se zu kritisieren, sagte Rogge. „So ein System haben alle Länder. So lange das nach ethischen Maßstäben abläuft, sehe ich kein Problem.“

So ging das in einem fort. Zum Thema Internet für Journalisten räumte er wenigstens ein, die Bedingungen seien „nicht perfekt“ gewesen, hätten sich aber nach Intervention durch das IOC verbessert. Auf die obligatorische Frage nach der Verurteilung zwei greiser chinesischer Frauen, die in den dafür eingerichteten olympischen Protestzonen gegen die Umsiedlungspolitik demonstrieren wollten, sagte Rogge: „Wir müssen chinesisches Recht respektieren. Das ist meine Antwort.“

Samaranch hätte es nicht besser formulieren können. Ob Rogge mit derartigen Samaranch-Variationen jedoch die hartnäckigen Kritiker in den eigenen Reihen befrieden kann, bleibt offen. Es ist ein absurder Streit. Vielen IOC-Mitgliedern ist Rogge noch immer zu offen, zu demokratisch gesinnt. Nach den Spielen ist vor den Spielen: Der Kampf um die Präsidentschaft hat begonnen.

Doch so ein Kampf wird halt nie offen geführt. Ich denke, mit seiner Erklärung, verlängern zu wollen, ist die Sache bis 2013 geklärt. Das UDIOCM und Sergej Bubka müssen warten.

10 Gedanken zu „Jacques Rogge macht weiter“

  1. „…a president could do worse, much worse…“
    (aus IHT Artikel)

    Was ist das denn für eine Begründung, warum er weitermachen könne. Wenn man den Verbleib auf einer Position damit begründet, dass man es hätte schlechter machen können, sagt das schon viel aus über die Leistung……! Das denkt sich Herr Kemmer wahrscheinlich auch gerade….!

  2. Der IHT-Mann hat sich zumindest gut umgehört und vieles aufgenommen. Dann kommt er auf so einen Satz. Ist gar nicht mal untypisch für die so genannte Olympische Bewegung.

  3. UDIOCM kann dann 2010 den Dopingskandal bei Rogges pet, den Olympischen Jugendspielen, aufklären … Ist doch auch eine schöne Aufgabe. Weiß jemand, ob Signapore eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft hat?

  4. Gemeint war natürlich: als Vorsitzender der Juristischen Kommission mit über die Reinheit der Jugendspiele wachen …

  5. Ralf, willst Du mich ärgern? Es wäre schön gewesen, ich hätte in dieser Berliner Tageszeitung über viele Jahre einige Artikel gelesen, die diese Thesen stützen.

    Aber wahrscheinlich bin ich da voreingenommen, schließlich war ich zwölf Jahre Redakteur der größten Berliner Qualitätszeitung.

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