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Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, Tag 4

02.17: So, Freunde der Nacht. Seit einer Stunde kämpfe ich mit der Internetverbindung im Poly Plaza. Der Herr Li wird doch nicht wohl? Ich muss morgen mal mit ihm sprechen. Kein Lan, kein Wlan mehr auf dem Zimmer. Und unten in der Lobby, wo ich jetzt in kurzen Hosen im Durchzug sitze, wenigstens hin- und wieder so etwas Ähnliches wie eine, na sagen wir: 9.600-kb-Leitung. Angesichts dieser Zustände schreibe ich im Editor (wie 1992 in Barcelona), kopiere rein, was ich schaffe und hoffe, dass WordPress das irgendwie veröffentlicht. Ohne Fotos, ohne Links, das könnte reichen. Die Verbindung im MPC war heute auch ein Desaster. Sieht so aus, als müsse ich mir noch einen Lan-Zugang zulegen, für die nächsten 350 Euro.

02.23: Mal was zu den Spielregeln: Ich versuche ja, ständig online nachzulegen, aber der Broterwerb lässt das oft nicht zu. Mache mir aber Notizen, trage nach und war ja heute nicht ganz untätig, wie man am Eintrag zum Fegefeuer des Sportinformationsdienstes sehen kann. Diesmal fange ich nachts an und taste mich jetzt wieder einige Stunden zurück. Gerade machen sie an der Bar übrigens das Licht aus. Der bescheidene Rückblick:

11.45: Im MPC treffe ich Walther Tröger, den ehemaligen deutschen NOK-Präsidenten, seit 1989 Mitglied des IOC. Wenn’s schnell gehen musste, habe ich ihn im Laufe der Jahre in meinen Texten gern als altgedienten Fahrensmann bezeichnet. Stimmt auch. Er war in den achtziger Jahren unter Samaranch ehrenamtlicher Sportdirektor des IOC. Er war 1972 Bürgermeister des Olympischen Dorfes und ist seither ein guter Freund des schwedischen Königs, der ja nicht allein aus München zurückkehrte. Ich glaube, Tröger hat meinen Respekt, seit er 1995 auf der IOC-Session in Budapest zu jenen zehn Aufrechten zählte, die gegen die von Samaranch durchgepeitschte Erhöhung des Alterslimits von 75 auf 80 Jahre stimmten. Prinzessin Anne war noch dabei, wenn ich mich recht erinnere. Die Blaublüter spielen im IOC inzwischen ohnehin keine gar so schlechte Rolle. Auch Prinz Willem verblüfft immer mal mit interessanten sportpolitischen Taten und Reden. Nora von Liechtenstein auch, selbst wenn sie sich leider etwas zu sehr zurückgezogen hat. Aber das wäre mal ein anderes Thema. Kurz noch zu Budapest und meinem Tröger-Erweckungs-Erlebnis: Der damalige deutsche Jüngling im IOC, der als potenzieller IOC-Präsident gilt und der bisher im sid immer so prominent platziert wurde (kleine Gehässigkeit, Entschuldigung) stimmte übrigens dafür. Klar doch. Aber ich schweife ab: Tröger stellte mich heute seiner chinesischen Betreuerin vor (manche IOC-Mitglieder werden ständig von drei Chinesinnen begleitet – und natürlich von den straffen Jungs, die sich aber erstaunlich elegant im Hintergrund halten). „Nehmen Sie sich in Acht, Frau Yang“, rief er ihr beschwingt zu: „Das ist einer der Schlimmsten.“ Frau Yang ließ sich von mir gleich mal diese Blogadresse hier aufschreiben und meinte, sie wolle mal vorbei schauen, was ich denn Schlechtes über China schreibe. 

16.25: Ich habe ja gestern angekündigt, dass ich mir den Auftritt von Sepp dem Großen nicht entgehen lassen will. Er war wieder unglaublich, ein seltener Genuss. Langsam aber wird es grausig. Joseph Blatter also flehte die versammelten Reporter mehrmals an, sie mögen ihm doch bitteschön im Kampf gegen jene unnachsichtigen Klubs (Bremen, Schalke, Barcelona), die drei Spieler (Diego, Rafinha, Messi) nicht für Olympia freigeben wollen. Das Problem: Die Fifa selbst. Denn Blatters Verband hat es versäumt, klare Regeln zu definieren. Statt dessen setzte man auf das Gewohnheitsrecht und einen Beschluss eines Fifa-Kongresses von 1988, wie Blatter heute beteuerte. Ich fragte seinen Generalsekretär Jerome Valcke, einen Mann, der laut einem New Yorker Gericht wiederholt Geschäftspartner belügt und die Wahrheit ständig beugt (so geschehen im Visa-Mastercard-Streit, der die Fifa rund 100 Millionen Franken kostete), wer denn auf die gloriose Idee gekommen sei, die olle Kamelle von 1988 auszukramen. Er lachte nur. So dass ich es mir denken kann: Der Mann, dem fast alle Ideen in der Fifa kommen. Mehr hier: „Lasst sie spielen!“

17.30: Was ich befürchtete und im ersten Eintrag andeutete: Die Arbeitsbedingungen in Peking sind so gedacht, dass man nicht einmal eine angemessene IOC-Berichterstattung hinbekommt, wenn man sich noch ein anderes Thema vornimmt. Wer vom IOC-Kommunikationsdepartment ein Presseticket für die Eröffnung der IOC-Session am Abend (19.00) mit allen IOC- und KP-Götzen zugeteilt bekam, hatte sich persönlich um 16.30 vor dem Beijing-Hotel einzufinden, um dieses in Empfang zu nehmen. Um 17.20 fuhren die Busse ins mirakulöse Kulturzentrum, eine Kugel mitten in einem See, wenn ich den Beschreibungen eines Kollegen trauen darf. Um 16.00 Uhr aber hatte Blatter seine PK im MPC, das mindestens eine halbe Stunde per Taxi entfernt ist, bei geringem Verkehrsaufkommen. Mein dänischer Freund Lars Werge (Ekstra Bladet) hatte zwar im Beijing-Hotel meine Karte gesichert, doch da ich nach Blatters müder Show darüber einen Text schreiben musste, um meine Rechnungen bezahlen zu können, fiel das IOC-Kulturprogramm für mich aus. Schade eigentlich, denn diese Sessionsabende haben mir im Laufe der Zeit doch so manches kulturelle Highlight beschert. In Sydneys Oper und sonstwo, die Berliner Philharmoniker in Lausanne, der Tabernakel-Chor in Salt Lake City, feine Sachen. Aber man kann nicht alles haben.

03.12: Es wird noch nachverlinkt. Morgen wieder etwas Tiefgründiger. Versprochen. Jetzt ist Dienstschluss. Der Wecker klingelt in 256 Minuten. Dann steht an: die 120. IOC-Vollversammlung.

7 Gedanken zu „Peking, Tag 4“

  1. Gratuliere, das könnte sehr vielverspreched werden.
    Wobei ich ja immer noch überlege, die Spiele im TV zu boykottieren.

    Auf jeden Fall aber die Hauptsponsoren, die in punkto Zensur so gar nichts zu sagen haben.

    (Soll ich Ihnen einen alten Akustikkoppler schicken?)

  2. Lieber Herr Weinreich,

    es erstaunt mich wirklich sehr, dass mein Name in Ihrem Blog Erwähnung gefunden hat. Ich wollte doch nicht überprüfen, was Sie angeblich so schlechtes über uns schreiben. Vielmehr bin ich nur neugierig, wie China in den Augen eines deutschen Journalisten aussieht. Ich bin bereits sehr gespannt, was ich in Zukunft auf diesem Blog lesen werde.
    China ist ein vielfältiges Land, ich hoffe Sie können noch die Zeit aufbringen, die eine oder andere positive Erfahrung zu machen und davon auch berichten. Für Ihre Zeit in Beijing wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt.

    Freundliche Grüße

    Julia Yang

  3. Liebe Frau Yang,
    das war doch gar nicht böse gemeint, sondern freundlich-ironisch. Das dürfen Sie mir glauben. Herzliche Grüße, auch an Herrn Tröger.
    Jens Weinreich

  4. Pingback: Peking, Tag 6 : jens weinreich

  5. Pingback: CAS entscheidet pro Werder | blog41.de

  6. Geht die Internetverbindung im Hotel inzwischen? Sorry, dass ich jetzt etwas zum Tag 4 schreibe, aber ich bin grade erst auf diese Seite aufmerksam geworden.

    Ich muss sagen, mich wundert die ganze Diskussion um Chinas Internet etc. gar nicht. Wenn man vorher schon einmal längere Zeit in China gewesen wäre, hätte man sich das auch vorher ausrechnen können. Aber vielleicht war man beim IOC auch einfach optimistisch. Mein Blog ist seit 2005 – seit ich längere Zeit in China studiert habe – in China gesperrt und inzwischen kann man von dort noch nicht mal mehr auf die log-in Seite kommen. Wir sind damals immer über verschleierte IP-Adressen auf die Seiten gekommen, auf die wir wollten. Sim-Karten mit internationalen Verbindungen gab es damals noch gar nicht. Wir mussten unsere deutschen Handys benutzen, wenn wir uns Zuhause melden wollten.

    Nachdem ich inzwischen Ihr gesamtes Blog bis heute gelesen habe, frage ich mich wer vom IOC sich vor der Nominierung Pekings genauer erkundigt hat, wie dort eigentlich die Lage ist. Die Dinge von denen Sie hier berichten – jedenfalls die chinesische Seite der Dinge, hätte Ihnen vielleicht nicht jeder Geschäftsmann (die steigen meist in den teuren Hotels ab und kennen das richtige China nicht), aber bestimmt jeder Gaststudent schon 2004 sagen können.

    Bitte machen Sie weiter so!

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